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19.09.2003 · IWW-Abrufnummer 032089

Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 20.03.1985 – 5 AZR 260/83

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


5 AZR 260/83
2 Sa 141/82 Baden-Württemberg

Verkündet am
20. März 1985

Im Namen des Volkes!

Urteil

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts gemäß 128 Abs. 2 ZPO in der Sitzung vom 20. März 1985 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Thomas, den Richter Dr. Gehring und die Richterin Michels-Holl sowie die ehrenamtlichen Richter Scherer und Dr. Koffka für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 4. Februar 1983 ? 2 Sa 141/82 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO/§ 398 BGB) auf Zahlung von Gehalt für die Zeit vom 14. Dezember 1981 bis zum 4. Januar 1982 in Höhe von 1.103,34 DM Anspruch.

Die bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Angestellte A?F? (im folgenden: die Versicherte) war bei der Beklagten die eine Wirk- und Strickwarenfabrik betreibt, vom 15. September 1979 bis zum 31. März 1982 als Entwurfs- und Schnittdirektrice beschäftigt. Am 13. Dezember 1981 zog sich die Versicherte bei einem Skiunfall eine Abrissfraktur des linken Daumenendgliedes zu, die es notwendig machte, die Finger der linken Hand bis zum mittleren Gelenk durch einen Gipsverband, der bis zur Mitte des Unterarms angelegt war, ruhigzustellen. Der behandelnde Facharzt für Chirurgie bescheinigte der Versicherten Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 14. Dezember 1981 bis zum 4. Januar 1982. Bis zum 29. Dezember 1981 trug die Versicherte den Gipsverband, danach wurde ein elastischer Verband angelegt.

Da die Beklagte es ablehnte, der Versicherten das Gehalt weiterzuzahlen, gewährte die Klägerin ihr am 25. Februar 1982 für die Zeit vom 15. Dezember 1981 bis 4.Januar 1982 Krankengeld in Höhe von insgesamt 1.103,34 DM. Mit schriftlicher Erklärung vom selben Tage trat die Versicherte ihre Gehaltsansprüche gegen die Beklagte für diese Zeit an die Klägerin ab.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Versicherte sei arbeitsunfähig krank gewesen. Die Tätigkeiten, die ihr damals im Betrieb der Beklagten oblegen hätten, habe sie wegen der Daumenverletzung nicht verrichten können. Vorrangig habe sie für die im März beginnende Herstellung der neuen Kollektion die Schnittmuster und Schnittschablonen der einzelnen Modelle in den verschiedenen Größen anfertigen, daneben im Nähsaal beratend tätig werden und weiter damit beginnen müssen, neue Schnitte für die folgende Kollektion auszuprobieren. Bei diesen Arbeiten habe sie mit beiden Händen zufassen müssen. Selbst wenn sie bei einzelnen Tätigkeiten auf die linke Hand hätte verzichten können, sei sie doch nicht in der Lage gewesen, ihre vertraglichen Pflichten auch nur im wesentlichen zu erfüllen. Zudem habe die Daumenverletzung eine völlige Ruhigstellung der linken Hand erfordert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.103,34 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 3. Juni 1982 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die Versicherte sei wegen der Verletzung nicht gehindert gewesen, ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen. In der Weihnachtszeit 1981 habe die Musterung angestanden. Dabei habe die Versicherte die Musterfertigung überwachen sollen. Zu diesem Aufgabenreich habe es gehört, die Muster nach Ausfall und Qualität zu prüfen sowie die Musternäherinnen zu unterweisen. Weiter sei die Terminüberwachung erforderlich gewesen. Schließlich hätten die Farbkarten für die einzelnen Modelle hergestellt werden müssen. Diese Aufgaben hätte die Versicherte ohne Einsatz der linken Hand ausführen können. Obwohl ihr eine Hilfskraft angeboten worden sei, falls ausnahmsweise doch Arbeiten mit beiden Händen notwendig würden, habe die Versicherte die Übernahme dieser Aufgabe abgelehnt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Es lässt sich gegenwärtig noch nicht abschließend beurteilen, ob der Versicherten ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung zustand. Dazu bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch die Vorinstanz.

I. 1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Versicherten auf Entgeltfortzahlung § 133 c Satz 1 GewO in Betracht kommt, wonach technische Angestellte vertragsmäßigen Leistungen bis zur Dauer von sechs Wochen verlangen können, wenn sie durch unverschuldetes Unglück an der Verrichtung der Dienste verhindert sind. Als ?Unglück? im Sinne dieser Vorschrift ist vor allem eine Krankheit des Angestellten anzusehen. Krankheit ist jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand (sog. medizinischer Krankheitsbegriff); dieser Zustand muß jedoch mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sein. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Angestellte dann, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern (vgl. statt vieler BAG 45, 165, 167 = AP Nr.64 zu § 616 BGB, zu 1 a der Gründe; sowie das zur Veröffentlichung vorgesehene Senatsurteil vom 9. Januar 1985 ? 5 AZR 415/82 ? zu I 1 der Gründe; jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Grundsätze gelten im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in gleicher Weise für Angestellte (vgl. BAG 32, 34 = AP Nr. 49 zu § 616 BGB, zu 2 der Gründe).

2. Soweit der Arbeitsvertrag nähere Einzelheiten über die Arbeitspflichten festlegt, schränkt er zugleich dass zum wesentlichen Inhalt des Arbeitsverhältnisses gehörende Direktionsrecht des Arbeitsgebers auf diesen Rahmen ein (allg. Ans.; vgl. BAG Urteil vom 12. April 1973 ? 2 AZR 291/72 ? AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu II der Gründe, m. w. N.). Ist dagegen die zu leistende Arbeit nur vom Berufsbild her bezeichnet (z. B. kaufmännischer Angestellter, Techniker usw.) oder nur allgemein umschrieben (z. B. Hilfsarbeiter), so muß der Arbeitnehmer jede Arbeit verrichten, die in den damit vorgebenen Rahmen fällt. Entsprechend umfangreich ist dann auch das Direktionsrecht des Arbeitgebers ausgestaltet. In jedem Falle darf das Direktionsrecht jedoch nur nach billigem Ermessen (§ 315 BGB ausgeübt werden (vgl. insbes. BAG Urteil vom 15. Dezember 1976 ? 5 AZR 600/75 ? AP Nr. 3 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu 3 der Gründe; ferner BAG 11, 318, 325 ff. = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Urlaubsrecht, zu I 5 der Gründe; BAG 12, 311, 319 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Urlaub und Kur, zu III 2 b der Gründe).

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Arbeitnehmer außer Stande ist, die vertraglich geschuldete Arbeit verrichten, kommt es entsprechend darauf an, welche Arbeit für ihn während der betreffende Zeit anfällt. § 133 c GewO setzt ? ebenso wie die anderen einschlägigen Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsrechts, § 63 Abs. 1 HGB, § 616 BGB und § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG ? voraus dass der Angestellte? an der Verrichtung der Dienste verhindert? ist (konkrete Betrachtungsweise; vgl. Töns, Die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit, 1970, B I 2 a; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz. 84). Dabei kann sich ergeben, dass der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsbereich aus mehreren Teiltätigkeiten besteht, in der Lage ist, einzelne oder mehrere solcher Teiltätigkeiten auch weiterhin zu erbringen, andere dagegen nicht.

3. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits mehrfach über Sachverhalte entschieden, in denen es um die teilweise Arbeitsverhinderung eines Arbeitsnehmers ging. So hat der Senat in einem Urteil vom 25. Oktober 1973 (5 AZR 141/73) ausgeführt, die Arbeitsfähigkeit könne nicht losgelöst von ihrem jeweiligen Träger und der von ihm zu verrichtenden Tätigkeit bestimmt werden. Deshalb könne das Vorliegen einer Krankheit arbeitsrechtlich immer nur im Verhältnis zu den vom Arbeitnehmer vertraglich übernommenen Verpflichtungen beurteilt werden. Die durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit werde deshalb nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise erbringe. Arbeitsrechtlich sei es deshalb gleichdeutend, ob der Arbeitnehmer durch die Krankheit ganz oder teilweise arbeitsunfähig werde. Auch der vermindert Arbeitsfähige sei arbeitsunfähig krank, da er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht voll erfüllen könne (AP Nr. 42 zu § 616 BGB, zu 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Dieser Begründung ist der Sechste Senat in einem Urteil vom 25. Juni 1981 gefolgt (6 AZR 940/78, AP Nr. 52 zu § 616 BGB, zu II 4 der Gründe). Hieran ist festzuhalten.

Die Arbeitsleistung ist eine Einheit vielfältiger Arbeitsanforderungen, die erst in ihrer Gesamtheit ? in Arbeitsdauer und Arbeitsintensität wie auch in der persönlichen Ausprägung ? das ausmachen, was der Arbeitnehmer als ?Arbeitsleistung? zu erbringen hat. Daher stellen die zeitlich nur beschränkt mögliche Arbeit (der Arbeitnehmer ?schafft? wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht die volle Arbeitszeit) wie auch die inhaltlich eingeschränkte Arbeit (der Arbeitnehmer ?schafft? nicht das volle Arbeitspensum) im Verhältnis zu der vertraglich geschuldeten Arbeit eine andere Arbeitsleistung dar.

4. Eine andere Frage ist es im Einzelfall aber, ob der Arbeitgeber in rechtlich zulässiger Weise die geschuldete Arbeitsleistung während der Dauer der Erkrankung des Arbeitsnehmers auf Teiltätigkeiten zurückgeführt hat und dadurch Arbeitsunfähigkeit ausscheidet. Derartige Teiltätigkeiten müssen dem Arbeitnehmer aber zumutbar sein. Die zugewiesene Leistung darf insbesondere nicht von untergeordneter Bedeutung sein und erst recht nicht zu einer Diskriminierung führen. Sie muß bei verständiger Betrachtung aus der Sicht sowohl des Arbeitsgebers als auch des Arbeitnehmers sinnvoll sein. Unter Beachtung dieser Schranken schuldet der Arbeitgeber für die Teilweise Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach § 611 BGB jedoch die volle vereinbarte Vergütung.

II. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Es hat auch keine aisreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen.

1. Die Aufgaben der Klägerin als Entwurfs- und Schnittdirektrice wechselten saisonalbedingt mit der Herstellung der jährlichen Kollektionen. Die ihr insgesamt zufallenden Arbeiten hat das Berufungsgericht mit für den Senat bindender Wirkung (§ 561 Abs. 2 ZPO) festgestellt als Entwerfen und herstellen von Schnitten, Erstellen von Mustern, Anfertigen von Schnittschablonen aus Pappe, Vervielfältigung der Schnitte in verschiedenen Größen, Mitarbeit bei der Feststellung der Farbkombinationen anhand von Farbkarten, gelegentliche Erteilung von Ratschlägen und Anweisungen im Nähsaal und gelegentliche, nicht aber ständige Überwachung der Musterherstellung. Die Revision rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe es unterlassen festzustellen, welche dieser Teiltätigkeiten während der Erkrankung der Versicherten angestanden haben.

2. a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung hinsichtlich einzelner Arbeitsgänge führe bereits dazu, dass der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen könne. Damit sei der Arbeitnehmer in derartigen Fällen als arbeitsunfähig anzusehen. In dieser Allgemeinheit kann dem nicht zugestimmt werden. Für das Arbeitsergebnis völlig untergeordnete, unwesentliche Teiltätigkeiten lassen bei ihrem Wegfall die sonstige Tätigkeit des Arbeitnehmers noch als die geschuldete Arbeitsleistung bestehen. Hätte sich vorliegend die umstrittene Frage, ob und wann die Versicherte während der Arbeitstage in der Zeit vom 15. Dezember 1981 bis zum 4. Januar 1982 gegebenenfalls mit der linken Hand hätte zufassen müssen, beispielsweise dahin geklärt, dass sie nur einmal bei lediglich einem Schnittmuster vor diese Situation gestellt worden wäre, so war die ?geschuldete
Arbeitsleistung? damit nicht unmöglich, zumal die Beklagte behauptet hat, notfalls wäre der Versicherten für einen solchen Fall eine Hilfe zur Seite gestellt worden.

b) Das angefochtene Urteil hat weiter festgestellt, die Versicherte wäre ?im wesentlichen? mit der Festlegung der Farbkombinationen und der Musterüberwachung beschäftigt gewesen, die Musterung sei ?im wesentlichen vorbei gewesen?, die Versicherte hätte ?nur noch ab und zu ?von Hand Schnitte zu machen gehabt.

Die tatsächlich angefallenen Arbeiten sind damit für eine sichere rechtliche Würdigung weder sachlich noch in ihrem zeitlichen Anteil hinreichend bestimmt und damit nachvollziehbar festgestellt. Auch aus dem sonstigen Zusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils ist hierzu keine sichere Feststellung zu entnehmen. Das zeigt schon die Annahme des Berufungsgerichts, die Versicherte hätte ?bei dieser Sachlage jedenfalls zu einem erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit? tätig werden können.

c) Zu Recht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe den Beweisantritt für die Behauptung übergangen, als Arbeitsaufgaben hätten für die Versicherte in der fraglichen Zeit ausschließlich die Feststellung der Farbkombinationen sowie die Musterung angestanden, und für beide Tätigkeiten habe die Versicherte nicht mit beiden Händen zufassen müssen. Dieser Vortrag war schlüssig. Würde er sich als richtig erweisen, wäre Arbeitsunfähigkeit der Versicherten nicht anzunehmen.

RechtsgebietTeilweise Arbeitsverhinderung und EntgeltfortzahlungVorschriftenGewO § 133 c; BGB § 616 Abs. 2, § 611 Direktionsrecht, § 398; HGB § 63 Abs. 1; LohnFG § 1 Abs. 1 Satz 1; RVO § 182 Abs. 10

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