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09.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133113

Oberlandesgericht München: Urteil vom 01.12.2009 – 10 U 4364/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Aktenzeichen: 10 U 4364/09

73 O 1069/09 LG Landshut

In dem Rechtsstreit

xxx

wegen Schadensersatzes

erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … und die Richter am Oberlandesgericht … und … ohne mündliche Verhandlung am 01.12.2009 folgenden

Beschluss:

1. Der Senat beabsichtigt auch weiterhin, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Es wird hiermit nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entscheidung bis zum
15.12.2009
gegeben (§ 522 II 2 ZPO).

Nach Sachlage empfiehlt es sich auch weiterhin, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen dieser Frist zu prüfen

Gründe:

1. Auch die mit Schriftsatz vom 06.11.2009 vorgetragene Tatsache, dass die Berufungsführerin nunmehr am 05.11.2009 einen Neuwagen bestellt hat, vermag Erfolgsaussichten der Berufung nicht zu begründen:

a) Die nunmehrige Bestellung eines Neuwagens ist eine neue Tatsache, deren Berücksichtigung berufungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist. § 531 II S.1 Nr.3 ZPO sanktioniert nur die Verletzung prozessualer Pflichten; der Umstand, dass eine Partei materiell-rechtliche Voraussetzungen eines neu vorgebrachten Angriffs- oder Verteidigungsmittels schon in 1. Instanz hätte schaffen können, steht deren Zulassung nicht entgegen (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 7. Auflage, § 531 Rn 19 unter Hinweis auf eine Entscheidung des BGH vom 06.10.2005 [NJW-RR 2005,1687] zur nachträglichen Berücksichtigung einer Schlussrechnung). Der Senat sieht keine Veranlassung, die erst in der Berufungsinstanz erfolgte Beschaffung eines Beweismittels (zum Nachweis des Integritätsinteresses) abweichend zu beurteilen.

b) Die vorgelegte verbindliche Bestellung vom 05.11.2009 (Anlage K9) reicht allerdings nicht aus, den vom BGH in seiner Entscheidung vom 09.06.2009 (NJW 2009,3022) als Anspruchsvoraussetzung geforderten Neuwagenkauf nachzuweisen.

aa) Mit der vorgelegten verbindlichen Bestellung wird der Abschluss eines Kaufvertrags noch nicht nachgewiesen. Gemäß Ziffer I 1 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen des Volkswagen Zentrum R. setzt das Zustandekommen eines Kaufvertrags voraus, dass der Verkäufer innerhalb von 3 Wochen die Bestellung schriftlich bestätigt. Nachdem diese Frist zwischenzeitlich abgelaufen ist, wäre die schriftliche Vertragsbestätigung gegebenenfalls noch vorzulegen.

bb) Selbst bei Vorlage eines Kaufvertrages wäre der vom BGH in seiner Entscheidung vom 09.06.2009 geforderte Nachweis eines besonderen Interesses an einer Neuwagenbeschaffung nicht geführt, weil erst die tatsächliche Anschaffung eines Neufahrzeugs die in Literatur und Rechtsprechung vertretene und vom BGH zitierte Bedingung, dass der „Geschädigte sein besonderes Interesse in die Tat umsetzt“ erfüllt.

cc) Selbst wenn die Berufungsführerin das bestellte Neufahrzeug bereits tatsächlich ausgehändigt bekommen hätte, verbleiben ernsthafte Bedenken, ob der Erwerb eines Neuwagens nach 17 Monaten noch geeignet ist, den Nachweis eines besonderen Interesse am Eigentum und der Nutzung eines Neufahrzeugs zum Unfallzeitpunkt haben kann. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Berufungsführerin bisher vortragen ließ, aus finanziellen Gründen nicht in der Lage gewesen zu sein, sich ein Neufahrzeug anzuschaffen. Nunmehr hat sie sich aber trotz unveränderter Finanzlage zur Bestellung eines Neufahrzeugs entschlossen, was die Vermutung nahelegt, dass das Interesse an der Anschaffung eines Neufahrzeugs erst nachträglich entstanden ist.

dd) Weitere Bedenken ergeben sich daraus, dass die Berufungsführerin nunmehr ein Neufahrzeug bestellt hat (Polo 1,6 l TDI) welches einer völlig anderen Fahrzeugklasse zuzuordnen ist, als das Unfallfahrzeug (Golf V Tour 1,9 l TDI). Die jetzige Bestellung mag damit zwar ein grundsätzliches Interesse an einem Neufahrzeug belegen. Die Abrechnung auf Neuwagenbasis erfordert als Ausnahmeregelung jedoch ein besonderes Integritätsinteresse, welches speziell auf den verunfallten Fahrzeugtyp ausgerichtet ist und nur durch den Erwerb eines gleichwertigen Fahrzeuges nachgewiesen werden kann.

Jedenfalls verbietet sich angesichts der unterschiedlichen Fahrzeugtypen und ihrer Preisklassen die klägerseits durchgeführte Schadensberechnung. Sie geht vom Neupreis des verunfallten Fahrzeugs in Höhe von 21.690 € (tatsächlicher Kaufpreis - nach Tageszulassung - laut Anlage K5 allerdings 20.690 €) und lässt die tatsächlichen Kosten des Neuerwerbs in Höhe von nur 16.500 € unberücksichtigt.

2. Im Übrigen scheitert die Berufung auch am Fehlen der weiteren Voraussetzungen einer Abrechnung auf Neuwagenbasis. Nach wohl allgemeiner Meinung und der ständigen Rechtsprechung des BGH muss sich der Geschädigte zum Schadensausgleich grundsätzlich mit der Erstattung der erforderlichen Reparaturkosten zuzüglich eines merkantilen Minderwerts begnügen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für die Anschaffung eines gleichwertigen Neuwagens wird nur im Ausnahmefall und nur unter der Voraussetzung gewährt, dass es sich beim unfallbeschädigten Fahrzeug um ein neuwertiges Fahrzeug handelt, an dem ein erheblicher Unfallschaden eingetreten ist (vgl. BGH vom 04.03.1976, NJW 1976,1202-1203). Beide Bedingungen sind vorliegend nicht erfüllt:

a) Neuwertigkeit

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 04.03.1976 (BGH a.a.O.) offen gelassen bis zu welcher Fahrleistung und Gebrauchsdauer eine Neuwertigkeit zu bejahen ist.

aa) In späteren Entscheidungen wurden die aufgestellten Bedingungen der Neuwertigkeit aus schadensersatzrechtlicher Sicht lediglich hinsichtlich der maximalen Laufleistung, nicht aber bezüglich der maximalen Gebrauchsdauer konkretisiert. In seiner Entscheidung vom 29.03.1983 (VersR 1983,658) hat der BGH im Allgemeinen eine Obergrenze der Laufleistung von 1000 km festgelegt. Dem sind die Instanzengerichte, einschließlich des erkennenden Senats (vgl. Hinweis v. 19.06.2008 – 10 U 3432/08), gefolgt.

Dieses Kriterium der Neuwertigkeit ist vorliegend angesichts einer Fahrleistung von 730 km erfüllt.

bb) Demgegenüber mangelt es den klägerischen Fahrzeug jedoch an dem für die Bejahung der Neuwertigkeit erforderlichen weiteren Kriterium der "geringen Gebrauchsdauer".

Die Erstzulassung des klägerischen Fahrzeugs erfolgte für den Zeitraum vom 18.09.2007 bis 25.10.2007 durch den Verkäufer. Nach der zwischenzeitlichen Abmeldung wurde es am 08.05.2008 bei einer Kilometerleistung von 50 km auf die Berufungsführerin zugelassen und war bis zum Unfallzeitpunkt lediglich 5 Tage im Eigengebrauch der Berufungsführerin.

Der Berufungsführerin ist damit insoweit recht zu geben, als diese eine nur geringfügigen tatsächlichen Gebrauch behauptet. Sie verkennt jedoch dass es im Rahmen der Prüfung der "Neuwertigkeit" für die Gebrauchsdauer nicht darauf ankommt, in welchem Ausmaß das Fahrzeug tatsächlich genutzt worden ist. Entscheidendes Merkmal ist vielmehr nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, die aufrechterhalten wird, der Zeitraum zwischen Erstzulassung und Unfall (vgl. Senat a.a.O.). Hiervon gehen auch zahlreiche weitere Obergerichte aus (OLG Hamm [DAR 1994,400] , OLG Nürnberg [NJW - RR 1995,919] OLG Hamburg [NZV 2008,555])

Der Senat geht weiter davon aus, dass von einem sog. neuwertigen Wagen nur dann auszugehen ist, wenn der Tag der Erstzulassung im Unfallzeitpunkt nicht länger als einen Monat zurückliegt. Teilweise wird zwar ein etwas längerer Zeitraum von circa 2 Monaten angenommen (so OLG Hamm a.a.O., OLG Nürnberg a.a.O.) doch bedarf es insoweit keiner weiteren Ausführungen, weil keines der Gerichte bei dem vorliegend gegebenen Zeitraum von mehr als 7 Monaten zwischen Erstzulassung und Unfallgeschehen eine Neuwertigkeit bejaht.

Diesem Ergebnis steht auch nicht die von der Berufungsführerin zitierte Entscheidung des BGH vom 12.01.2005 - VIII ZR 109/04 (DAR 2005,281) entgegen. Der BGH hat dort zwar unter dem Gesichtspunkt der Sachmängelhaftung entschieden, dass eine Tageszulassung die Neuwageneigenschaft eines Pkws noch nicht beeinträchtigt. Für die schadensersatzrechtliche Beurteilung kann diese Entscheidung jedoch nur bedingt herangezogen werden, weil sie sich im wesentlichen darauf stützt, dass dem Autokäufer bewusst ist, dass es sich bei der Tageszulassung um einen rein formalen Vorgang handelt, der sich auf die Gebrauchstauglichkeit des Pkws nicht auswirkt. Entscheidend ist im Übrigen auch, dass der BGH bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgehen musste, bei welchem das Fahrzeug wenige Tage nach der Erstzulassung veräußert wurde. Deshalb hat er die mit der Erstzulassung verbundenen Nachteile (Verkürzung der Herstellergarantie und der Fristen für eine Neuwertentschädigung im Rahmen einer Vollkaskoversicherung sowie der Fristen nach § 29 StVZO) ausdrücklich auch nicht als Nachteile von wesentlicher Bedeutung angesehen. Diese Begründung lässt es umgekehrt deshalb als nahe liegend erscheinen, dass der BGH einen Zeitraum von mehr als 7 Monaten zwischen Erstzulassung und Verkauf durchaus als Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts angesehen und deshalb die Neuwageneigenschaft des streitgegenständlichen Fahrzeuges vermeint hätte.

b) Erheblichkeit des Schadens

Unabhängig von der Beurteilung der Neuwertigkeit des klägerischen Fahrzeugs scheitert die Berufung auch daran, dass eine Abrechnung auf Neuwagenbasis nicht in Betracht kommt, weil kein so erheblicher Schaden eingetreten ist, dass sich eine Abrechnung auf Neuwagenbasis rechtfertigen würde.

Eine Erheblichkeitsgrenze, ab welcher bei Neufahrzeugen eine Entschädigung auf Neuwagenbasis zu leisten ist, wurde vom BGH bisher lediglich für den Fall einer Laufleistung von mehr als 1000 km näher beschrieben (vergleiche OLG Hamburg NZV 2008,555). In der bereits zitierten Entscheidung vom 04. 03. 1976 (NJW 1976,1202-1203) hat der BGH nur allgemein auf das Merkmal der Zumutbarkeit abgestellt, in der nachfolgenden Entscheidung vom 25.10.1983 (VersR 1984,46) darauf, ob bei einer Fahrleistung von mehr als 1000 km bei objektiver Beurteilung der frühere Zustand des beschädigten Kfz auch nicht annähernd wiederhergestellt werden kann und in seiner aktuellsten Entscheidung vom 09.06.2009 (NJW 2009,3022) darauf abgestellt, ob das Fahrzeug trotz Durchführung einer fachgerechten Reparatur den Charakter der Neuwertigkeit verliert.

Nach h.M. kommt bei der Beschädigung eines neuwertigen Fahrzeugs eine Abrechnung auf Neuwagenbasis nur in Betracht, wenn der Unfall nicht ausschließlich solche Teile des Pkw betroffen hat, durch deren spurenlose Auswechslung der frühere Zustand voll wiederhergestellt werden kann (OLG Celle OLGR 2002, 278 f.; 2003, 444 = NJW-RR 2003, 1381 = NZV 2004, 586; OLG Nürnberg NZV 2008,559; Senat a.a.O.).

Voraussetzung der Abrechnung auf Neuwagenbasis ist daher, dass Karosserie oder Fahrwerk des Pkws so stark beschädigt sind, dass sie in wesentlichen Teilen wieder aufgebaut werden müssen und nicht bloß Montageteile auszutauschen sind, selbst wenn dies mit einer Teillackierung der Karosserie einhergeht (OLG Celle a.a.O.; Senat a.a.O.).

Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Das Schadensgutachten des Ingenieurbüros S. beschreibt lediglich den Ein- und Ausbau von Blechteilen sowie des Stoßfängers. Lediglich der Arbeitsgang "Heckpartie vor Instandsetzung rückverformen" könnte auf eine mögliche Beschädigung wichtiger Karosserieteile hindeuten, wobei die hierfür angesetzten Arbeitswerte gleichzeitig aber bestätigen, dass es sich insoweit allenfalls um geringfügige Eingriffe handeln kann.

Auch nach den Entscheidungen des OLG Celle NZV 2004, 586 und OLG Hamm NZV 2001, 478, 479, reichen solche geringfügigen Richtarbeiten (OLG Hamm: 3 Stunden; OLG Celle: 1,5 Stunden) nicht für eine Abrechnung auf Neuwagenbasis. Selbst nach der großzügigeren Vorgabe des OLG Hamburg (NZV 2008,555) wonach auch geringfügige Richtarbeiten an tragenden Teilen eines neuwertigen Fahrzeugs in der Regel ausreichen, dem Geschädigten die Möglichkeit einer Abrechnung auf Neuwagenbasis zu eröffnen; käme eine solche Abrechnung vorliegend nicht in Betracht, weil nach dem vorliegenden Schadensgutachten Reparaturarbeiten an tragenden Teilen nicht erkennbar sind.

Soweit im Übrigen eine Neuteillackierung oder eine Neulackierung erforderlich ist, rechtfertigt dies angesichts der heute zur Verfügung stehenden Technik grds. nicht die Abrechnung auf Neuwagenbasis (OLG Düsseldorf SP 2004, 158; Senat a.a.O.).

Dafür, dass vorliegend von einer geringen Schadenserheblichkeit auszugehen ist spricht im übrigen auch der Umstand, dass der Sachverständige S. lediglich eine Wertminderung von 900 € angenommen hat. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH vom 06.09.2009, NJW 2009,3022) kommt der für den Reparaturfall verbleibenden Wertminderung eine indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit der Beschädigung zu.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 249 BGB

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