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29.09.2015 · IWW-Abrufnummer 179816

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 19.05.2015 – 1 Sa 370 b/14

Ein Anspruch auf eine Abfindung nach § 5 Abs. 7 TV-ATZ besteht nicht, wenn ein Arbeitnehmer mit dem 62. Lebensjahr aus dem Altersteilzeit-Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber ausscheidet und dann keinen Antrag auf Bezug einer vorgezogenen Altersrente stellt, sondern nach einem Jahr Arbeitslosigkeit eine ungekürzte Rente nach mehr als 45 Versicherungsjahren gemäß § 236 b SGB VI in Anspruch nimmt.


In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 19.05.2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 08.10.2014 - ö. D. 7 Ca 1250 d/14 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Der Kläger macht einen Zahlungsanspruch nach beendetem Altersteilzeitarbeitsverhältnis geltend.



Der am ....1952 geborene Kläger war vom 01.09.1967 bis zum 31.07.1974 und dann wieder ab dem 01.01.1978 bei der Beklagten beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung fanden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (Kommunen) Anwendung. Zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat ist darüber hinaus eine Betriebsvereinbarung über Altersteilzeit vom 23.11.2006 (BV-ATZ) geschlossen, die auszugsweise wie folgt lautet:

Zur Unterstützung des Konzeptes SWK 2015 müssen alle rechtlichen Möglichkeiten zur weiteren Personalreduzierung genutzt werden. Um die Umsetzung des Projektes nicht zu gefährden soll die Altersteilzeit auf die Jahrgänge 1952 - 54 ausgeweitet werden. Deshalb können auf Veranlassung des Arbeitgebers Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Jahrgänge 1952 - 1954 Altersteilzeit in Anspruch nehmen. ··· § 2 Altersteilzeitregeln Auf Basis des bestehenden Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ) vom 05.05.1998 in der jeweils neuesten Fassung gilt Folgendes: ··· 4. Mitarbeiter/innen, die bei vorzeitigem Bezug der gesetzlichen Rente einen Rentenabschlag in Kauf nehmen müssen, erhalten eine Abfindung in Höhe von 0,3 % des fiktiven Nettovollzeitentgeltes (regelmäßiges Monatsent- gelt vermindert um die gesetzlichen Abzüge) je vorgezogenen Rentenbe- zugsmonat. Dieser Betrag wird mit dem Faktor 90 multipliziert. Ab einer Beschäftigungszeit bei den Konzerngesellschaften der Stadtwerke Kiel AG von 25 Jahren erhöht sich der Faktor 90 je vollem weiteren Beschäftigungs- jahr um 1 Punkt. Die Abfindung wird zum Ende des Altersteilzeitverhält- nisses gezahlt.



Wegen des weiteren Inhalts der BV-ATZ wird auf Bl. 11 f. d. A. verwiesen.



Auf Grundlage der BV-ATZ schlossen die Parteien am 23.11.2006 einen "Vertrag über Altersteilzeit" (Bl. 9 f. d. A.) nach dem das Arbeitsverhältnis ab dem 01.06.2007 bis zum 31.05.2014 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis in Teilzeit fortgesetzt wurde. Ferner ist geregelt:

§ 3 Arbeitsentgelt, Aufstockungsleistungen (1) Der Arbeitnehmer erhält für die Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Entgelt nach Maßgabe der reduzierten Arbeitszeit. Das Arbeitsentgelt ist unabhängig von der Verteilung der Arbeitszeit fortlaufend zu zahlen. (2) Außerdem erhält der Arbeitnehmer Aufstockungsleistungen nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 23.11.2006.



Ergänzend wird auf Bl. 9 f. d. A. verwiesen.



Im Hinblick auf die dem Kläger nach damaliger Rechtslage unzweifelhaft zustehende Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte im Dezember 2007 und Januar 2008 jeweils einen Nettoabschlag auf diesen Anspruch in Höhe von 10.000,-- € an den Kläger.



Mit Wirksamwerden des neuen § 236 b SGB VI durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz; BGBl I 2014, 787) hatte der Kläger ab Vollendung seines 63. Lebensjahrs einen Anspruch auf ungekürzte Altersrente, also ab dem 01.06.2015. Der Kläger stellte daher keinen Antrag auf vorgezogenen Rentenbezug mit Abschlag, sondern bezog im Jahr 2014 nach einer (noch nicht rechtskräftig) verhängten Sperrzeit Arbeitslosengeld und ab dem 01.06.2015 ungekürztes Altersruhegeld.



Die Beklagte zog mit der Abrechnung für Mai 2014 die als Abschlag gezahlten 20.000,-- € vom Vergütungsanspruch des Klägers ab und hat diesen Betrag nach Korrektur im Hinblick auf weitere Vergütungsansprüche des Klägers für Überstunden erstinstanzlich im Wege der Widerklage geltend gemacht.



Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger nunmehr einen Abfindungsanspruch nach § 2 Nr. 4 BV und/oder § 5 Abs. 7 des Tarifvertrags zur Regelung der Altersteilzeit vom 05.05.1998 (TV-ATZ) geltend.



Er hat vorgetragen:



Einschlägig für seinen Anspruch sei als günstigere Regelung § 2 Nr. 4 BVATZ. Bei dieser Betriebsvereinbarung handele es sich inhaltlich um einen "Sozialplan für die Altersteilzeit der Jahrgänge 1952 bis 1954", so dass § 77 BetrVG nicht anwendbar sei.



Sowohl bezogen auf den Zeitpunkt des Abschluss des Altersteilzeitvertrags am 23.11.2006, als auch auf den Zeitpunkt 31.05.2014 habe er einen Rentenverlust von 10,8 % zu erwarten gehabt. Von der Möglichkeit, ungekürzte Altersrente ab 01.06.2015 beziehen zu können, habe er erst nach einer Rentenauskunft im August 2014 erfahren. Damit lägen die Anspruchsvoraussetzungen vor.



Er habe im Jahr nach seinem Ausscheiden einen Rentenabschlag von 100 % hinnehmen müssen. Die Abfindung nach Ende der Altersteilzeit schulde der Arbeitgeber wegen der mit der Altersteilzeit verbundenen Einkommensverluste sowie möglichen Rentenverlusten für die Zukunft. Es komme nicht darauf an, ob er tatsächlich ab 01.06.2014 Rente beantrage und eine lebenslange Kürzung dieser Rente in Kauf nehme oder diesen Rentenabschlag durch einen Rentenantrag mit Wirkung zum 01.06.2015 vermeide.



Der Kläger hat erstinstanzlich, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von brutto 31.101,47 € abzüglich bereits gezahlter 20.000,-- € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab 01.06.2014 zu zahlen.



Die Beklagte hat, soweit von Interesse, beantragt,

die Klage abzuweisen und widerklagend den Kläger bzw. Widerbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte bzw. Widerklägerin 17.296,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.08. 2014 zu zahlen.



Sie hat die Auffassung vertreten, § 5 Abs. 7 TV-ATZ sei nicht betriebsvereinbarungsoffen. Im Übrigen mache bereits der Wortlaut sowohl des § 5 Abs. 7 TV-ATZ, als auch von § 2 Nr. 4 BV-ATZ deutlich, dass eine tatsächliche Rentenkürzung auf Grund eines vorzeitigen Bezugs der Rente Tatbestandsvoraussetzung des Abfindungsanspruchs sei. Diese habe der Kläger nicht hinnehmen müssen. Auch nähmen beide Kollektivvereinbarungen zur Berechnung der Abfindung Bezug auf reale Größen. Auch daraus ergebe sich, dass nur kausal mit dem vorgezogenen Renteneintritt zusammenhängende Nachteile ersetzt werden sollten.



Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.



Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger an die Beklagte den widerklagend geltend gemachten Betrag gezahlt.



Gegen das ihm am 28.10.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.11.2014 Berufung eingelegt und diese am 01.12.2014 begründet.



Er trägt unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens in erster Instanz vor: Er habe den Altersteilzeitvertrag 2007 auf Druck der Beklagten unterzeichnet. Nur weil ihm vertraglich unter Bezugnahme auf die BV-ATZ und den TV-ATZ eine Abfindung zum Ausgleich sämtlicher Nachteile der Altersteilzeit zugesagt worden sei, habe er zugestimmt. Er wäre im Mai 2014 auch bereit gewesen, sein Altersteilzeitverhältnis um ein Jahr zu verlängern.



Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts betrage sein Abfindungsanspruch nach der BV-ATZ nahezu das Vierfache der tariflichen Abfindung (unstreitig).



Die Wortlautauslegung des Arbeitsgerichts sei verfehlt. Maßgeblich sei, ob bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags - also am 23.11.2006 - ein Rentenabschlag "zu erwarten" bzw. "in Kauf genommen" gewesen sei. Die Mindesthöhe der Abfindung habe zu jenem Zeitpunkt festgestanden, der Rentenabschlag von 10,8 % habe sicher festgestanden. Auch genüge es nicht, den Wortlaut der Vorschriften allein grammatikalisch zu bewerten.



Jedenfalls sei sein Hilfsantrag begründet, da er ab 01.06.2015 Altersrente beantragt habe und damit nach altem Recht einen Abschlag von 7,2 % zu erwarten gehabt hätte. Die Änderungen des RV-LVG kämen nur ihm, nicht der Beklagten zu Gute.



Schließlich müsse sich die Beklagte wegen Verletzung ihrer Fürsorgepflicht nach § 242 BGB so behandeln lassen, als habe er ab 01.06.2014 einen Rentenantrag gestellt.



Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 08.10.2014 mit dem Aktenzeichen 7 Ca 1250 d/14 wird abgeändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 31.101,47 € brutto, hilfsweise in Höhe von 20.734,31 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.2014 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie verteidigt die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz. Ergänzend führt sie aus:



Bei der streitgegenständlichen Abfindungszahlung handele es sich nicht um eine Entlassungsentschädigung, sondern eine Ausgleichszahlung für einen Rentenabschlag bei vorzeitigem Bezug der Altersrente. Der Anspruch sei auch nicht mit Abschluss des Altersteilzeitvertrags entstanden. Vielmehr sei ausdrücklich festgelegt, dass die Abfindung erst zum Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt werde.



Der Kläger habe sich im Übrigen frei entschieden, nicht zum 01.06.2014 in Rente zu gehen, sondern eine ungekürzte Altersrente ab dem 01.06.2015 in Anspruch zu nehmen. In der Zeit vom 01.06.2014 bis 31.05.2015 habe sich auch der gesetzliche Rentenanspruch des Klägers wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld noch erhöht, was dieser bei seinen Berechnungen verschweige.



Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.



Entscheidungsgründe



Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die Angriffe der Berufung geben insoweit nur Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:



Die Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz ist zulässig. Es handelt sich nicht um eine Klagänderung, sondern um eine nach § 264 Nr. 2 ZPO jederzeit zulässige Erweiterung des Klagantrags in der Hauptsache. Der Kläger hat hiermit nur auf die Rückzahlung des ihm gewährten Vorschusses aufgrund des arbeitsgerichtlichen Urteils reagiert und mit seinem Antrag die entsprechenden Konsequenzen gezogen.



Die Klage ist aber nicht begründet. Für sein Begehren steht dem Kläger keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung.



I.



Die Klage ist allerdings nicht bereits deswegen jedenfalls teilweise unbegründet, weil das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit rechtskräftig geworden ist, als es den Kläger zur Rückzahlung des ursprünglich mit der Widerklage geltend gemachten Betrags verurteilt hat. Mit diesem Teil der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist über das Bestehen des Abfindungsanspruchs des Klägers nichts gesagt. Streitgegenstand war insoweit nur die Frage der Rückzahlung eines Vorschusses. Ob dem Kläger dagegen ein Abfindungsanspruch tatsächlich zusteht, ist Streitgegenstand des nach wie vor anhängigen Zahlungsantrags.



II.



Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus § 2 Nr. 4 der BV-ATZ i. V. m. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG.



Allein auf die BV-ATZ als Anspruchsgrundlage kann der Kläger seinen Anspruch nicht stützen, weil diese gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist.



Nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.



Nach dieser Vorschrift ist § 2 Nr. 4 BV-ATZ unwirksam.



Bei der in § 2 Nr. 4 BV-ATZ geregelten Abfindungszahlung handelt es sich, wenn schon nicht um Arbeitsentgelt, jedenfalls um materiell rechtliche Arbeitsbedingungen, nämlich die Bedingungen des Ausscheidens im Rahmen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Diese sind hinsichtlich einer Abfindungszahlung in § 5 Abs. 7 TV-ATZ abschließend tariflich geregelt. Eine Öffnungsklausel enthält diese Vorschrift nicht.



§ 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG ist auch anwendbar. § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt § 77 Abs. 3 BetrVG nicht für einen Sozialplan.



Die BV-ATZ regelt aber entgegen der Auffassung des Klägers nicht inhaltlich einen "Sozialplan für die Altersteilzeit".



Ein Sozialplan setzt nach § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG eine Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer geplanten Betriebsänderung entstehen, voraus. Dass der BV-ATZ eine Betriebsänderung zugrunde legt (§ 111 BetrVG) ist vom Kläger nicht dargelegt worden. Zu den Voraussetzungen des § 111 BetrVG verhält sich sein Vortrag nicht. Die Präambel der Betriebsvereinbarung, nach der "zur Unterstützung des Konzepts SWK alle rechtlichen Möglichkeiten zur weiteren Personalreduzierung genutzt" werden müssen, belegt das Bestehen einer Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG nicht.



III.



Ein Anspruch des Klägers besteht auch nicht als individualvertraglicher Anspruch aus § 3 Abs. 2 seines Altersteilzeitvertrags i. V. m. § 2 Nr. 4 BV-ATZ.



1. Allerdings haben die Parteien im Altersteilzeitvertrag wirksam die Zahlung der Aufstockungsleistungen nach der BV-ATZ vereinbart.



§ 3 Nr. 2 des Altersteilzeitvertrags regelt nämlich ausdrücklich, dass der Kläger "Aufstockungsleistungen nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 23.11.2006" erhält.



Mit dieser Vereinbarung haben die Parteien konstitutiv die Regelungen in § 2 Ziff. 3 und 4 BV-ATZ in Bezug genommen. Nach dem Wortlaut des Altersteilzeitvertrags des Klägers handelte es sich bei dieser Regelung nicht nur um einen bloßen Hinweis auf eine anderweitig bestehende Leistungszusage. Vielmehr sagt die Beklagte ausdrücklich zu, dass der Kläger entsprechende Leistungen "erhält". Darin liegt eine konstitutive Zusage. Die Zahlung erfolgt "nach Maßgabe" der Betriebsvereinbarung. Das ist dahin zu verstehen, dass durch den Altersteilzeitvertrag eine Zahlung rechtsverbindlich zugesagt wird. Wegen der Voraussetzungen und der Höhe des Anspruchs wird auf die BV-ATZ verwiesen. Anderenfalls hätte es einer Regelung im Arbeitsvertrag gar nicht bedurft. Die Beklagte wollte und will auch berechtigte Ansprüche des Klägers nach Maßgabe der BV-ATZ erfüllen. Ihre diesbezügliche Pflicht hat sie zu keinem Zeitpunkt bestritten. Sie geht allein davon aus, nach der BV-ATZ nicht zur Leistung verpflichtet zu sein.



Die konstitutive Bezugnahme auf die BV-ATZ ist auch wirksam. § 77 Abs. 3 BetrVG gilt nicht für die Vereinbarung individualrechtlicher Arbeitsbedingungen. Ein Verstoß gegen den TV-ATZ liegt jedenfalls im Hinblick auf den Verweis auf die Aufstockungsleistungen ersichtlich nicht vor.



2. Dem Kläger steht jedoch kein Abfindungsanspruch nach § 2 Nr. 4 BV-ATZ zu. Das ergibt die Auslegung der Betriebsvereinbarung.



a) Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich ebenso wie bei Tarifverträgen wegen des normativen Charakters nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung. Auszugehen ist danach zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine praktische Übung herangezogen werden. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen (Fitting, BetrVG, 27. Aufl., § 77, Rn 15 m. zahlr. Nachw. zur Rechtsprechung des BAG).



Ergänzend ist bei der Auslegung der hier in Rede stehenden BV-ATZ zu berücksichtigen, dass sich die Betriebspartner hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des Abfindungsanspruchs ersichtlich an § 5 Abs. 7 TV-ATZ angelehnt haben. Dafür spricht der im Wesentlichen wortgleiche, nur geringe sprachliche Unterschied hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen. So heißt es in § 2 Nr. 4 BV-ATZ, dass ein Anspruch besteht "bei vorzeitigem Bezug der gesetzlichen Rente", in § 5 Abs. 7 TV-ATZ heißt es nahezu Wortgleich bei "vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente". § 2 Nr. 4 BV-ATZ stellt auf das Vorliegen eines "Rentenabschlags" ab, § 5 Abs. 7 TV-ATZ auf eine "Rentenkürzung". In der Sache sind damit dieselben Tatbestände benannt. § 2 Nr. 4 BV sollte ersichtlich nur "lesbarer" formuliert werden. Von dem Umstand, dass beide Vorschriften parallel zu lesen sind, gehen auch beide Parteien aus, die jeweils hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen in ihrem Vortrag auf beide Normen Bezug nehmen.



b) Nach Auslegung von § 2 Nr. 4 BV-ATZ lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger der geltend gemachte Abfindungsanspruch zusteht.



aa) Der Wortlaut des § 2 Nr. 4 BV-ATZ spricht gegen das Bestehen eines Abfindungsanspruchs. Die Vorschrift stellt darauf ab, dass ein Mitarbeiter bei einem vorzeitigen Bezug einen Rentenabschlag in Kauf nehmen muss. Die Verwendung des Indikativs legt nahe, dass es auf das Bestehen eines tatsächlichen Rentenabschlags, nicht auf einen fiktiven Abschlag ankommt (ähnlich LAG Niedersachsen, Urt. v. 06.08.2008 - 2 Sa 1738/07 - zu § 5 Abs. 7 TV-ATZ). Diese Auslegung wird weiter dadurch gestützt, dass die Höhe der Abfindung "je vorgezogenen Rentenbezugsmonat" berechnet wird. Damit wird auf einen tatsächlichen Umstand abgestellt, nämlich eine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente.



bb) Für diese Auslegung sprechen auch Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck der Regelung.



Die Betriebspartner sind bei Abfassung der BV davon ausgegangen, dass die die Altersteilzeit nutzenden Arbeitnehmer mit 62 Jahren Rente beziehen. Dies wird deutlich aus § 2 Nr. 3 der BV. Danach sind Voraussetzungen für Aufstockungsleistungen neben dem Beginn der Altersteilzeit mit dem 55. Lebensjahr der Bezug der Rente mit 62 Jahren. Hieran an schließt sich die Regelung in § 2 Nr. 4 BV-ATZ über den Ausgleich eines Rentenabschlags bei vorzeitigem Bezug der gesetzlichen Rente. Damit wird deutlich, dass die Betriebspartner den tatsächlichen Verlust beim Bezug von Altersruhegeld durch eine Abfindungszahlung kompensieren wollten. Ohne die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente, hätte der Kläger keine Aufstockungsleistungen beziehen können. Nur für diesen Fall war auch ein Rentenabschlag und die Notwendigkeit bzw. das Bedürfnis nach einer entsprechenden Kompensation vorhanden.



Die vom Kläger angeführte Betriebstreue als Grund für die Gewährung einer Abfindung spielt demgegenüber nur eine ganz untergeordnete Rolle. Richtig ist, dass sich ab einer Beschäftigungszeit von 25 Jahren die Abfindung erhöht. Die Erhöhungsregelung knüpft aber ebenfalls daran an, dass überhaupt ein Rentenabschlag in Kauf genommen werden muss und beeinflusst nur die Berechnungen zur Höhe selbst. Dementsprechend heißt es auch zur Auslegung von § 5 Abs. 7 TV-ATZ in der einschlägigen Kommentierung, dass die Abfindung nach dieser Vorschrift nur zustehen kann, wenn sich die abschlagsgeminderte Rente unmittelbar an die Altersteilzeit anschließt. Einem Arbeitnehmer, der den Rentenantrag nicht stellt, steht demzufolge auch keine Abfindung zu (Clemens/Scheuring, BAT, Losbl., Teil VI, Erläuterungen 16.13 zum Altersteilzeit-TV).



cc) Auf weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte die praktische Übung oder eine etwaige Praktikabilität kommt es nach vorstehend Gesagtem nicht an.



dd) Der Kläger erfüllt damit nicht die Voraussetzungen des § 2 Nr. 4 BV-ATZ. Er hat keinen Antrag auf vorgezogene Rente gestellt und einen Rentenabschlag nicht hinnehmen müssen. Der Umstand, dass er vom 01.06.2014 bis 31.05.2015 nach einer Sperrzeit Arbeitslosengeld bezogen hat, stellt keinen Rentenabschlag von 100 % dar. Der Kläger hat für diesen Zeitraum bewusst keine Rente beantragt. Dann hat er auch keinen Abschlag auf die Rente hinnehmen müssen.



c) Auch bei Annahme einer nachträglichen Lücke in Betriebsvereinbarung und TV-ATZ kommt die Begründung eines Abfindungsanspruchs des Klägers nicht in Betracht.



aa) Nach vorstehenden Ausführungen zur Systematik der BV und im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf liegt es auf der Hand, dass die Betriebspartner die Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme der ungekürzten Altersrente nach § 236 b SGB 6 nicht geregelt haben. Die Vorschrift war zum Zeitpunkt des Abschlusses der BV-ATZ weder in Kraft, noch überhaupt in der Diskussion. Insoweit spricht viel dafür, dass die BV und insoweit auch der TV-ATZ nachträglich lückenhaft geworden sind.



bb) Ebenso wie bei Gesetzen kommt auch bei einer Betriebsvereinbarung im Falle einer unbewussten planwidrigen Regelungslücke eine gerichtliche Lückenausfüllung grundsätzlich in Betracht. Hierbei ist aber Zurückhaltung geboten. Die Schließung einer Regelungslücke durch die Gerichte kommt nur in Betracht, wenn nach zwingendem höherrangigem Recht, insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz nur eine Regelung zur Lückenfüllung in Betracht kommt oder wenn bei mehreren Lösungen zuverlässig feststellbar ist, welche Regelung die Betriebsparteien gewählt hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten (Fitting, a. a. O., ebenfalls m. w. Nachw. zur Rechtspr. des Bundesarbeitsgerichts).



cc) Danach hat vorliegend die Schließung einer etwaigen Regelungslücke in der BV-ATZ zu unterbleiben.



Ein übereinstimmender Wille der Betriebsparteien, in welchem Sinne sie die Lücke in der BV nach Inkrafttreten des § 236 b SGB 6 geschlossen hätten, ist nicht feststellbar. Hierfür gab und gibt es verschiedene wirtschaftliche Lösungen:



Man hätte, wie der Kläger im Berufungstermin als Vergleich vorgeschlagen und im Einzelnen vorgerechnet hat, das hypothetische Einkommen des Mitarbeiters als Rentner für die Zeit bis zum Bezug der ungekürzten Rente abzüglich des tatsächlich erzielten Einkommens durch Bezug von Arbeitslosengeld ermitteln können und den entsprechenden Betrag als Abfindungsbetrag festlegen können.



Die Betriebspartner hätten auch einen Ausgleich in der Form regeln können, dass der Mitarbeiter den Betrag als Abfindung erhält, den er als Einkommen bei einem fiktiven Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Bezug der ungekürzten Altersrente abzüglich der ihm gewährten Lohnersatzleistungen erzielt hätte. Gegebenenfalls hätten die Betriebspartner von diesem Betrag auch im Hinblick darauf, dass der Mitarbeiter in diesem Jahr eine Arbeitsleistung tatsächlich nicht erbringt, einen Abschlag vornehmen können.



Schließlich wäre es auch nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Betriebspartner für diesen Fall überhaupt keine Kompensationsleistung für den Mitarbeiter vorgesehen hätten. Es würde sich noch im Rahmen des Gestaltungsspielraums der Betriebspartner bewegen, wenn diese den Einkommensverlust in dem Zeitraum vor Beginn der ungekürzten Altersrente als durch den Bezug dieser ungekürzten Altersrente zwei Jahre früher als ursprünglich geplant ausgeglichen angesehen hätten.



Keine dieser Lösungen ist auch durch den Gleichbehandlungsgrundsatz oder anderweitige höherrangige Rechtsvorschriften zwingend vorgegeben. Damit bleibt für eine Lückenschließung durch die Gerichte kein Raum.



3. Die Beklagte verhält sich schließlich auch nicht treuwidrig im Sinne von § 242 BGB, wenn sie sich entsprechend der Rechtslage verhält. Zur Verlängerung des Altersteilzeitverhältnisses mit dem Kläger um ein Jahr wäre sie nicht verpflichtet gewesen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich für den Kläger durch das RV-LVG seine Rechtsposition ausschließlich verbessert hat. Er hatte letztlich die Wahl, ob er als Beginn der Rente den 01.06.2014 wählt, den Rentenabschlag in Kauf und die Abfindungszahlung in Anspruch nimmt oder ob er, wie tatsächlich geschehen, nach Beendigung des Altersteilzeitverhältnisses zunächst Arbeitslosengeld in Anspruch nimmt, um dann in den Genuss der ungekürzten Rente zu kommen, dann allerdings ohne Abfindung.



IV.



Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus einer über den Inhalt des Altersteilzeitvertrags hinausgehende individualrechtliche Zusage auf die Abfindung zu. Entsprechendes hat er in der Berufungsbegründung nicht dargelegt. Dort heißt es (auf S. 8), dass die Beklagte ihn einzelvertraglich unter Bezugnahme auf BV und TV-ATZ eine Abfindung zum .... zum Ausgleich aller ... Nachteile verbindlich zugesagt habe. Das belegt nicht, dass sich die Beklagte über den Inhalt der BV oder des TV-ATZ hinaus verpflichten wollte. Die Darstellung des Klägers gibt vielmehr nur den Inhalt von § 2 seines Altersteilzeitvertrags wieder.



V.



Ein Anspruch nach § 5 Abs. 7 TV-ATZ besteht ebenfalls nicht.



Dem Grunde nach scheidet ein Anspruch bereits aus den oben zur Auslegung der BV gemachten Grundsätzen aus. Auch der TV-ATZ setzt eine tatsächliche Rentenkürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente voraus.



Im Übrigen hat der Kläger zur Höhe eines entsprechenden Anspruchs nichts vorgetragen.



VI.



Aus denselben Gründen hat auch der Hilfsantrag des Klägers keinen Erfolg. Da der Kläger mit Rentenbeginn zum 01.06.2015 keinen Abschlag beim Altersruhegeld hinnehmen muss, kommt auch ein gekürzter Abfindungsanspruch nicht in Betracht.



VII.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es geht um die Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Die Beklagte hat auch auf Befragen nicht dargelegt, dass es sich vorliegend um einen Präzedenzfall mit weiterreichenden Folgen für ihren Betrieb handelt. Soweit es überhaupt auf die Auslegung des TV-ATZ im vorliegenden Verfahren ankommt, ist die Rechtslage durch die entsprechende Kommentarliteratur und das Urteil des LAG Niedersachsen aus Sicht des Berufungsgerichts bereits ausreichend geklärt.

Verkündet am 19.05.2015

Vorschriften§ 236 b SGB VI, § 77 BetrVG, § 5 Abs. 7 TV-ATZ, § 242 BGB, § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG, § 264 Nr. 2 ZPO, § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG, § 77 Abs. 3 BetrVG, § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, § 111 BetrVG, § 97 Abs. 1 ZPO

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