· Fachbeitrag · Ausgleichsanspruch
Grundsätze „Sach“: Anrechnung von Altbestandsübertragungen bei derAusgleichsberechnung
von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Kanzlei Rechtsanwälte Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth & Kollegen, München
| Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den Grundsätzen „Sach“ greifen die meisten Versicherer auf die Bruttodifferenzmethode zurück, um die Altbestände zu ermitteln, die einem Versicherungsvertreter übertragen wurden. Was viele Vertreter nicht wissen: Die Bruttodifferenzmethode führt zu unrichtigen und für den Vertreter nachteiligen Ergebnissen. Gegenwehr lohnt sich und zahlt sich aus, notfalls vor Gericht. |
Das Problem bei der Bruttodifferenzmethode
Viele Versicherer ziehen beim Ausgleichsanspruch für Sachversicherungen von der Berechnung des - meist unstrittigen - Jahresdurchschnitts der Bestandspflegeprovision der letzten fünf Jahre die zu früheren Zeitpunkten übertragenen Bestände jeweils in dem Umfang ab, in dem sie einmal übertragen wurden (Bruttodifferenzmethode).
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Ein Versicherer hatte 2006 einem Versicherungsvertreter einen Sachbestand von 500.000 Euro übertragen. Während der Laufzeit seines Agenturvertrags hat der Vertreter einen Neubestand von 250.000 Euro aufgebaut. Das Vertragsverhältnis wird im Jahr 2015 nach neun Jahren gekündigt. Im Berechnungszeitraum der letzten fünf Jahre ist noch durchschnittlich ein Bestand von 500.000 Euro vorhanden.
Der Versicherer ermittelt den Ausgleichswert nach der Bruttodifferenzmethode wie folgt:
Folge: Der Versicherer schuldet nach der Bruttodifferenzmethode keinen Ausgleich. |
Falsches Ergebnis
Diese Berechnung ist falsch. Sie kann dazu führen, dass dem Vertreter rein rechnerisch nur ein geringer oder gar kein Ausgleich zusteht. Das gilt selbst wenn er im Vertragszeitraum in erheblichen Umfang neue Verträge vermittelt hat. Denn die Bruttodifferenzmethode berücksichtigt nicht, dass übertragene Bestände sich im Laufe der Jahre durch Kündigung, Wegfall des Risikos etc. stark verringern.
Richtige Berechnung
Bei der Ausgleichsberechnung dürfen nur diejenigen Altbestände abgezogen werden, die im Berechnungszeitraum der letzten fünf Jahre auch tatsächlich noch vorhanden sind. Denn nur so können die Neubestände richtig errechnet werden.
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Tatsächlich ist von dem übertragenen Bestand in Höhe von 500.000 Euro ein größerer Teil bereits kurz nach Beginn des Agenturvertrags vom Vorgänger abgeworben worden. Und im Laufe der Jahre hat sich der Bestand deutlich reduziert. Zudem hat der Versicherungsvertreter durchschnittlich im Berechnungszeitraum der letzten fünf Jahre einen Neubestand in Höhe von 250.000 Euro aufgebaut und betreut. Dafür steht ihm nach den Grundsätzen „Sach“ ein Ausgleich zu.
Richtig berechnet, ergibt sich für den Vertreter folgender auszugleichender Bestand:
Folge: Auszugleichen ist nach dieser Berechnung ein Bestand von 250.000 Euro. |
LG hält „Bruttodifferenzmethode“ für unrichtig
Das LG Nürnberg-Fürth sieht dies auch so und hat deshalb die „Bruttodifferenzmethode“ als unrichtig eingestuft (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 1.3.2013, Az. 5 HKO 8765/12, Abruf-Nr. 144537).
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Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs auf der Grundlage der „Grundsätze zur Errechnung des Ausgleichsanspruchs“ ist eine Berücksichtigung des übertragenen Bestandes nur insoweit zulässig, als er bei Ermittlung des Ausgleichswertes noch vorhanden ist. Da die Grundsätze in Ziffer 1 2. festlegen, dass bei der Ermittlung des Ausgleichswerts zugunsten des Vertreters dem Vertreter gezahlte Provisionen aus übertragenen Beständen nur vollständig, anteilig oder gar nicht berücksichtigt werden können, können folgerichtig auch nur solche Provisionen ausgleichsmindernd in Ansatz gebracht werden, die im Zeitpunkt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Vertreters im Jahresdurchschnitt dem Vertreter zugeflossen sind, sofern Sie generell berücksichtigungsfähig sind.
Falls von dem übertragenen Bestand Teilbestände vorher z. B. durch Abwanderung von Kunden oder Abänderung der mit Ihnen bestehenden Verträge entfallen sind, fehlt es insoweit am Provisionszufluss; bei Vertragsbeendigung ist damit nur auf den tatsächlichen noch vorhandenen Restbestand abzustellen. |
Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Der zur Zahlung eines wesentlich höheren Ausgleichs verurteilte Versicherer hat nämlich in der Berufungsverhandlung am 4. Juni 2014 vor dem OLG Nürnberg (Az. 12 U 1226/ 13) die Berufung zurückgenommen. Das OLG hatte ihm dies angeraten, weil es die Rechtsauffassung des Erstgerichts teilt.
PRAXISHINWEISE |
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Restlichen Ausgleichsanspruch vor Gericht durchsetzen
Bei der Ausgleichsberechnung können sich wie gesagt nur die in den letzten fünf Jahren noch vorhandenen Altbestände ausgleichsmindernd auswirken. Doch wie lassen sich diese Provisionen aus übertragenen Altbeständen der letzten fünf Jahre ermitteln? Und wer trägt hierfür die Beweislast bei der gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche.
Trennung des Neugeschäfts vom übertragenen Altbestand ist die Ausnahme
Die Bestandspflegeprovision der letzten fünf Jahre lässt sich problemlos in neu geworbene Verträge und in einmal übertragene Altverträge aufteilen, wenn das Neugeschäft eines Versicherungsvertreters buchhalterisch getrennt in einer gesonderten Unteragenturnummer abgerechnet wird.
PRAXISHINWEIS | Um Probleme bei einer späteren Ausgleichsberechnung zu vermeiden, empfiehlt es sich deshalb, künftige Bestandsübertragungen jeweils in einer gesonderten Unteragenturnummer zu erfassen. So können Sie die Entwicklungen von übertragenen Beständen gesondert verfolgen. |
Vermengung von Alt- und Neuverträge der Regelfall
Bei den meisten Versicherungsvertretern fehlt es an einer solchen Aufteilung. In den Abrechnungen der meisten Versicherer sind Alt- und Neubestände vermengt und als solche nicht gekennzeichnet.
Die Vertreter erhalten in der Regel keine Bestandslisten zum Zeitpunkt der Bestandsübertragung oder - falls sie solche erhalten haben - müssen diese bei Vertragsbeendigung wieder zurückgeben. Daher ist es dem Versicherungsvertreter nicht möglich, aus den Provisionsabrechnungen der letzten fünf Jahre selbst eine Aufteilung in Alt- und Neubestände vorzunehmen.
In dieser Situation geht das LG Nürnberg-Fürth davon aus, dass den Versicherern die sekundäre Darlegungslast für den Altbestandsanteil obliegt.
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Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweislast auch für den Umfang des zu berücksichtigenden Altbestandes beim Vertreter. Wenn aber dem Versicherungsvertreter mangels eigener aussagekräftiger Unterlagen eine substantiierte Darlegung - wie hier - unmöglich ist, hat das Unternehmen den Sachverhalt, aus dem sich der unveränderte Fortbestand des übertragenen Bestandes an Altverträgen ergeben soll, im Rahmen einer sekundären Darlegungslast darzulegen bzw. substantiiert zu bestreiten, da nach allgemeinen Grundsätzen dann, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind, der Gegner die sekundäre Darlegungslast hat und sich zu dem Geschehensablauf detailliert erklären muss. |
Da der Versicherer seiner sekundären Darlegungslast im Urteilsfall nicht nachgekommen ist, wurde der Vortrag des Versicherungsvertreters hinsichtlich der Errechnung des Ausgleichsanspruchs als prozessual zugestanden angesehen. Folge: Der Versicherer wurde verurteilt, den vom Versicherungsvertreter errechneten restlichen Ausgleichsanspruch zu zahlen.
PRAXISHINWEIS | Bei Vorlage entsprechender Bestandslisten kann der Anteil an Bestandspflegeprovisionen aus Neuverträgen aus den Provisionsabrechnungen der letzten fünf Jahre nur mit erheblichem Aufwand vom Versicherungsvertreter ermittelt werden (eine Selektion kann sinnvollerweise nur nach einer EDV-mäßigen Erfassung und Auswertung der Provisionsabrechnung durch eine Fachfirma erfolgen). Deshalb empfiehlt es sich bei einem Klageverfahren auf Zahlung eines restlichen Ausgleichs einen Hilfsantrag auf Auskunft durch Vorlage der entsprechenden Bestandslisten zu stellen, um das Prozessrisiko einzuschränken. |
Die sekundäre Darlegungslast des Versicherers für die tatsächlich im Berechnungszeitraum noch vorhandenen Alt- oder Neubestände stellt einen wichtigen Schritt in der Rechtsprechung dar. Sie ermöglicht erst dem Versicherungsvertreter eine konkrete Berechnung seines Ausgleichsanspruchs für Sachversicherung nach den Grundsätzen „Sach“.
Weiterführende Hinweise
- Aufsatz „Die Anrechnung von Altbestandsübertragungen bei der Ausgleichsberechnung eines Versicherungsagenten nach den Grundsätzen Sach“ von Lutz Eggebrecht, ZVertriebsR 2014, 210 mit Zusammenstellung der Kommentarliteratur
- Sonderausgabe „Ausgleichsanspruch: So holen Sie beim Ausgleichsanspruch das Maximum für sich heraus“ auf wvv.iww.de→ Downloads → Sonderausgaben