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· Fachbeitrag · Provisionsrückforderung

EuGH: Anforderungen an Provisionsrückforderungen und „Vertretenmüssen“ des Versicherers

von Rechtsanwalt Bernhard Schleicher, Rechtsanwälte Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth und Kollegen, München

| Erstmals hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu den Voraussetzungen von Provisionsrückforderungsansprüchen im Versicherungsvertrieb geäußert. Auch wenn es um einen slowakischen Fall ging, ist das EuGH-Urteil für Vertreter in Deutschland wichtig. |

Provisionsrückforderung im Versicherungsvertrieb vor EuGH

Eine slowakische Versicherungsvertreterin war von einem Versicherungskonzern auf Rückzahlung von ca. 11.000 Euro Provisionen verklagt worden. In dem Agenturvertrag befand sich eine Klausel, die besagt,

  • dass der Provisionsanspruch entfällt, wenn der Kunde in den ersten Monaten der Durchführung des Vertrags die Prämien nicht zahlt, bzw.
  • dass sich die Provision anteilig verringert, wenn der Kunde nach Ablauf der ersten drei Monate der Vertragsdurchführung die Zahlungen einstellt.

 

Die Vertreterin brachte vor, der Versicherungskonzern habe die Stornierungen der Verträge zu vertreten, da dieser von den Kunden nach Vertragsschluss noch zahlreiche Fragen beantwortet haben wollte, sodass die Kunden schließlich genervt die Zahlungen einstellten.

 

Das slowakische Gericht wollte vom EuGH wissen, wie der Begriff des „Vertretenmüssens“ vor dem Hintergrund der Handelsvertreterrichtlinie auszulegen sei. Konkret geht es darum, ob ein Unternehmen

  • nur rechtlich relevantes Verhalten in Bezug auf den jeweiligen Versicherungsvertrag zu vertreten hat (wie etwa keine rechtzeitige Stornogefahrmitteilung an den Vertreter oder Kündigung des Vertrages durch die Versicherung) oder
  • auch ein sonstiges Verhalten wie hier dazu führt, dass der Provisionsanspruch bestehen bleibt.

 

Das slowakische Gericht fragte den EuGH auch, ob nur eine komplette Nichtausführung des Versicherungsvertrags zu Provisionsrückforderungsansprüchen führt oder ob auch eine teilweise Nichtausführung ausreicht.

EuGH: Teilweise Nichtausführung reicht für Rückforderung

Laut EuGH kann auch eine teilweise Nichtausführung des Versicherungsvertrags zu anteiligen Provisionsrückforderungen führen. Dies begründet er damit, dass es in der Handelsvertreterrichtlinie heißt, der Rückforderungsanspruch bestehe, soweit das Geschäft nicht ausgeführt werde. Dieses Wort fehle allerdings im slowakischen Gesetzestext, sodass dieser i. S. d. Richtlinie auszulegen sei (EuGH, Urteil vom 17.05.2017, Rs. C 48/16, Abruf-Nr. 194994).

EuGH: Weiter Begriff des „Vertretenmüssens“

Für die Rechtsprechung in Deutschland wichtig ist die Antwort des EuGH auf die andere Frage: Der EuGH stellt klar, dass der Begriff des Vertretenmüssens zugunsten des Vertreters weit auszulegen ist. Daher umfasst er nicht nur rechtlich relevantes Verhalten des Versicherers in Bezug auf den speziellen Versicherungsvertrag, sondern jegliches Verhalten des Versicherers.

 

Folge: Das slowakische Gericht wird die Provisionsrückforderungsansprüche des Versicherers in den Fällen zurückweisen, in denen der Versicherer die Kunden mit zahlreichen Nachfragen genervt hat.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

Bemerkenswert ist, dass der EuGH überhaupt entschieden hat. Denn die europäische Handelsvertreterrichtlinie gilt nur für Warenhandelsvertreter, also gerade nicht für Versicherungsvertreter als Vermittler von Dienstleistungen. Der EuGH begründet das mit der slowakischen Besonderheit: Die Slowakei erließ ihr nationales Gesetz zum Handelsvertreterrecht erst aufgrund der Handelsvertreterrichtlinie. Das Gesetz macht keine Einschränkung auf Warenhandelsvertreter, es gilt also für alle Handelsvertreter.

 

Das Argument des EuGH ist auch in Bezug auf die deutsche Regelung übertragbar. Zwar gibt es die Regelung weit länger als die Handelsvertreterrichtlinie. Aber gemäß § 92 Abs. 2 HGB sind die deutschen Vorschriften zum Handelsvertreter mit kleinen Modifikationen ausdrücklich auch auf den Versicherungsvertreter anwendbar. Zudem hat der deutsche Gesetzgeber das Gesetz zwischenzeitlich aufgrund der Handelsvertreterrichtlinie modifiziert, ohne es ausdrücklich auf den Warenhandelsvertreter zu beschränken.

 

Jegliches Verhalten des Versicherers kann zu Vertretenmüssen führen

Beim Vertretenmüssen gilt die Argumentation des EuGH auch für deutsche Streitigkeiten. Die deutsche Formulierung entspricht exakt der der Richtlinie.

 

PRAXISHINWEIS | Somit können Sie bei Provisionsrückforderungen jegliches Verhalten des Versicherers als Argument ins Feld führen, wenn es zur Stornierung der Verträge geführt hat. Es muss nicht rechtlich relevantes Verhalten in Bezug auf den jeweiligen Versicherungsvertrag sein.

 

Günstigere Regelung in der Richtlinie geht vor

Im deutschen Gesetzestext gibt es Abweichungen von der Formulierung in der Richtlinie. Im Warenhandelsvertreterrecht ist daher anerkannt, dass im Zweifel die dem Handelsvertreter günstigste Regelung gilt. Ist also die Formulierung in der Richtlinie günstiger, so ist diese entscheidend.

 

PRAXISHINWEIS | Nach der Entscheidung des EuGH lässt sich nun mit guter Begründung vertreten, dass der EuGH bei solchen Abweichungen auch hinsichtlich eines Versicherungsvertreters zuständig ist. Somit können deutsche Gerichte den Versicherungsvertreter betreffende Vorlagefragen an den EuGH richten.

 
Quelle: Ausgabe 08 / 2017 | Seite 5 | ID 44734721