Fachbeitrag · Provisionsrückforderungen
Grundsätze bei Stornobekämpfung im mehrstufigen Vertrieb und Nacharbeit bei Kleinstorni
von Rechtsanwalt Bernhard Schleicher, Kanzlei Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth und Kollegen, München
| Bei Provisionsrückforderungen ist Streit vorprogrammiert. Denn der Versicherer muss konkret für jeden rückabzuwickelnden Versicherungsvertrag darlegen und beweisen, wie er - jedoch erfolglos - nachgearbeitet hat bzw. warum eine Nachbearbeitung ausnahmsweise entbehrlich gewesen ist. Das OLG Düsseldorf hat nun konkretisiert, für wen diese Grundsätze im mehrstufigen Vertrieb gelten und was in punkto Kleinstorni gilt. |
Provisionsrückforderungen im mehrstufigen Vertrieb
Ein Unternehmen klagte vor dem OLG Düsseldorf gegen einen Handelsvertreter auf Rückforderung einer Vielzahl von einzelnen Provisionen. Das Unternehmen arbeitete mit dem Handelsvertreter auf Basis eines Vermögensberatervertrags zusammen. Dabei war das Unternehmen nicht selbst Produktgeber, sondern arbeitete mit Produktpartnern zusammen. Es handelte sich also um einen mehrstufigen Vertrieb. Im Ergebnis unterlag das Unternehmen mit 60 Prozent seiner Provisionsrückforderungen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124).
Wer muss die rechtzeitige Stornobekämpfung einleiten?
Dreh- und Angelpunkt war die Frage, wer im mehrstufigen Vertrieb die Stornogefahr bekämpfen muss: Kommt es auf die Kenntnis
- des Produktgebers oder
- des Unternehmens als nächste Vertriebsstufe und Vertragspartner des Handelsvertreters an?
Würde Letzteres gelten, so hätte das Unternehmen seiner Obliegenheit Genüge getan, wenn es rechtzeitig (in der Regel maximal zwei Wochen) nach seiner eigenen Kenntnis der Stornogefahr diese dem Handelsvertreter mitteilt. Gegen diese Sicht spricht, dass dann Rettungsmaßnahmen von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, wenn die Stornogefahr schon lange davor bestand und diese nur nicht rechtzeitig vom Produktgeber an das Unternehmen weitergeleitet wurde. Es darf nämlich nicht sein, dass die strenge Vorschrift des § 87a Abs. 3 HGB, nach der der Provisionsanspruch des Handelsvertreters eben nur im Ausnahmefall entfallen soll, durch den Einsatz eines mehrstufigen Vertriebs ausgehöhlt wird.
Das OLG Düsseldorf bezieht hier eindeutig Stellung: „Zu solchen Bemühungen gehört es, dass der Versicherer, der nicht selbst nachbearbeitet, jedem mit ihm vertraglich verbundenen Handels- oder Untervertreter, dem er die Gesamtprovision oder einen Teil hiervon auszuzahlen hat, Stornogefahrmitteilungen zukommen lässt.“
PRAXISHINWEIS | Mit der Aussage des OLG ist geklärt, dass es auf das rechtzeitige Handeln des Produktgebers/Versicherers, und nicht des Unternehmens ankommt. Das bedeutet, dass das Unternehmen somit in einem Provisionsrückforderungsprozess darlegen muss, wann der Produktgeber/Versicherer selbst Kenntnis von der Stornogefahr hatte und wann er welche Stornobekämpfungsmaßnahmen eingeleitet hat. Das dürfte in der Praxis oftmals schwierig sein und erhöht die Verteidigungschancen des Vertreters. |
Welche Grundsätze gelten für Nacharbeit bei Kleinstorni?
In der Rechtsprechung wird die Nacharbeit bei Kleinstorni unterschiedlich gesehen: Die einen Gerichte gehen von Kleinstorni bei Rückforderungsbeträgen von 50 Euro aus, die anderen von 100 Euro. Die einen verlangen, dass dennoch alle Voraussetzungen für eine Provisionsrückforderung vorliegen müssen, insbesondere wenigstens wiederholte Mahnschreiben mit einem konkreten Gesprächsangebot erfolgt sein müssen und die Rückforderung somit schlüssig dargestellt sein muss. Andere Gerichte prüfen gar nicht mehr weiter und addieren die Beträge einfach und sprechen sie der Klägerseite zu.
Das OLG setzt sich mit der Herkunft der Kleinstorni-Rechtsprechung auseinander, die aus dem Bereich der Abonnentenvertreter für Zeitschriften stammt:
- Es sei nachvollziehbar, dass auch der Vertreter selbst bei nur kleinen im Streit stehenden Provisionen aus wirtschaftlichen Gründen keine oder nur geringe Stornobekämpfungsmaßnahmen eingeleitet hätte.
- Allerdings zeichne sich das Versicherungsgeschäft dadurch aus, dass ein Versicherungskunde oft mehrere verschiedene Versicherungsverträge mit ganz unterschiedlichen Grundlagen, Kosten und Interessen über den jeweiligen Vertreter vermittelt bekommen hat. Aufgrund dieser Besonderheit muss nach Ansicht des OLG das Unternehmen vortragen, dass auch in den Fällen der Kleinstorni notleidende Versicherungsverträge ordnungsgemäß nachbearbeitet wurden oder warum trotz der besonderen Kundenbeziehungen keine oder nur geringe, konkret benannte Stornoabwehrmaßnahmen geschuldet waren.
PRAXISHINWEIS | Die OLG-Sicht überzeugt, weil eine Betrachtung lediglich des Einzelvertrags dem Interesse des Vertreters an der gesamten Kundenverbindung nicht gerecht wird. Demnach muss das klagende Unternehmen also in Zukunft nicht nur darstellen, warum es sich um ein Kleinstorno handelt, sondern auch, dass der betreffende Vertrag nicht in eine umfassendere Kundenbeziehung und andere Verträge eingebettet ist. Nach dieser Auffassung dürfte die bisherige Rechtsprechung zu den Kleinstorni nur noch eine ganz untergeordnete Rolle spielen, weil die Vermittlung nur eines einzigen Vertrags an einen Kunden die absolute Ausnahme darstellt. |
Weiterführender Hinweis
- Sonderausgabe „Provision des Versicherungsvertreters“ auf wvv.iww.de → Abruf-Nr. 44577990