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31.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111372

Landgericht Dortmund: Urteil vom 10.03.2011 – 2 O 380/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


2 O 380/10

Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 12.659,01 € die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand
Die Klägerin hat bei dem Beklagten 2005 eine selbständige Berufungsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, die ihr durch ihre Mutter, die seinerzeit als Versicherungsvermittlerin tätig gewesen ist, vermittelt wurde. Bei Antragstellung im Oktober 2005 wurden alle im Antragsformular gestellten Gesundheitsfragen verneint, sodass der Beklagte den Antrag unverändert mit Versicherungsbeginn 01.11.2005 annahm.

Nachdem die Klägerin Leistungsansprüche geltend gemacht hatte, brachte der Beklagte in Erfahrung, dass sich die Klägerin 2004 in ärztlicher Behandlung begeben hatte. Ihm wurde mitgeteilt, dass eine Behandlung wegen Kopfschmerzen, depressiver Episode und Anpassungsstörung stattgefunden habe. Daraufhin erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 21.06.2010 die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung, den Rücktritt vom Vertrag gemäß § 19 VVG und verlangte für den Fall, dass die Klägerin eine weder arglistige noch vorsätzliche aber schuldhafte (grob fahrlässige) Anzeigepflichtverletzung nachweisen könne, die rückwirkende Einfügung eines Risikoausschlusses für psychische und psychosomatische Erkrankungen.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Vertrag ungeachtet von Anfechtung und Rücktritt und ohne Anpassung durch eine Risikoausschlussklausel fortbesteht.

Sie behauptet, die Gesundheitsfragen seien ihr nur mündlich gestellt und das Antragsformular nicht zur Durchsicht, sondern nur zur Unterschrift vorgelegt worden. Sie habe die Antragsfragen zudem korrekt beantwortet, da lediglich nach Behandlungen gefragt worden sei. Eine solche habe aber nicht stattgefunden. Sie habe sich am 26.05.2004 wegen einer psychischen Erschöpfung aufgrund eines gescheiterten Prüfungstermins und drohender Arbeitslosigkeit zu einem Arzt begeben, der lediglich Arbeitsunfähigkeit vom 26.05.2004 bis zum 06.06.2004 bescheinigt habe. Ihr sei gesagt worden, dass die Prüfungsangst nicht behandelt werden müsse, ihr aber mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine kleine Erholungspause gegönnt werde. Eine Diagnose sei ihr nicht mitgeteilt worden. Nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeitszeit habe sie sich an die Vertreterin des Arztes wegen dessen urlaubsbedingter Abwesenheit zwecks Verlängerung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewandt. Dem sei die Ärztin nachgekommen und habe die Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.06.2004 bescheinigt. Ihr seien keine Diagnosen genannt worden und es hätten keine Behandlungen stattgefunden. Lediglich Kopfschmerztabletten seien verordnet worden.

Die Klägerin beantragt,

1.
es wird festgestellt, dass der Berufsunfähigkeits-Versicherungsvertrag mit der Versicherungsschein-Nummer: #######8 nicht durch die Rücktritts-/Anfechtungserklärung vom 21.06.2010 beendet worden ist und unverändert fortbesteht;
2.
es wird festgestellt, dass in dem Berufungsunfähigkeits-Versicherungsvertrag mit der Versicherungsschein-Nummer: #######8 die Sonderklausel "Vom versicherten Berufungsunfähigkeitsschutz ausgeschlossen sind - jegliche psychische und psychosomatische Erkrankungen - und alle ursächlich damit in Zusammenhang stehenden Beschwerden. Berufungsunfähigkeitsleistungen werden nur dann erbracht, wenn über die Leistungseinschränkung hinaus aufgrund anderer gesundheitlicher Beeinträchtigungen ein Berufsunfähigkeitsgrad von mindestens 50 % besteht." aufgrund des Änderungsverlangens vom 21.06.2010 nicht Vertragsbestandteil geworden ist.
3.
den Beklagten zu verurteilten, an sie als Nebenforderung weitere 2.696,54 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er legt dar, dass er bei Kenntnis der ärztlichen Behandlung den Vertrag nicht ohne Risikoausschluss angenommen hätte, was die Klägerin bestreitet. Er behauptet, die Versicherungsvermittlerin sei keine Agentin sondern Maklerin gewesen. Sie fordert aus den Umständen Arglist der Klägerin und hält deshalb Anfechtung und Rücktritt für gerechtfertigt, jedenfalls aber die Vertragsanpassung, weil diese sogar bei schuldloser Anzeigepflichtverletzung vorgenommen werden könne.

Das Gericht hat zu den Umständen der Antragsaufnahme die Klägerin angehört und die Zeugin B vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.01.2011 - wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin hat keinen Erfolg, weil der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien zumindest wegen des von dem Beklagten erklärten Rücktritts rückwirkend aufgehoben worden ist.

1.

Da der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 eingetreten ist, finden auf die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung nicht gemäß Artikel 1 Abs. 2 EGVVG die §§ 16 ff. VVG a.F. uneingeschränkt weiterhin Anwendung (vgl. LG Dortmund VersR 2010, 515). Vielmehr ist hinsichtlich der Anzeigepflichtverletzung auch das VVG 2008 mit dessen § 19 anzuwenden, allerdings gespalten hinsichtlich Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung. Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung findet § 19 VVG uneingeschränkt Anwendung, während die Voraussetzungen, unter denen die Antragstellerin gehalten war ihrer Anzeigepflicht nachzukommen, sich nach § 16 VVG a.F. richten, sogenanntes Spaltungsmodell (amtliche Begründung zu Artikel 1 Abs. 1 EGVVG, BT-Drucks. 16/3945 Seite 118; Marlow/Spuhl, Das neue VVG Kompakt, 4. Auflage Rdnr. 226).

2.

Die Klägerin hat eine vorsätzliche vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung begangen, die den Beklagten zum Rücktritt berechtigt hat.

a)

Entgegen ihrer Auffassung sind ihr die Gesundheitsfragen gestellt worden. Sie selbst hat bei ihrer Anhörung angegeben, dass die Punkte des Antrags im Einzelnen gemeinsam von ihr und ihrerMutter, der Vermittlerin, durchgegangen worden sind. Zwar mag es letztlich die Mutter übernommen haben, die Gesundheitsfragen zu beantworten. Dies führt jedoch nicht zu dem von der Klägerin gezogenen Schluss, dass die Gesundheitsfragen gar nicht erst gestellt worden sind. Zudem wurde der Klägerin das Antragsformular zur Unterschrift vorgelegt. Auch dadurch hatte sie die Möglichkeit, von den Gesundheitsfragen Kenntnis zu nehmen.

b)

Die Gesundheitsfragen sind objektiv falsch beantwortet worden. Der Beklagte hat im Antragsformular nicht nur nach ärztlichen Behandlungen in den letzten 10 Jahren wegen bestimmter Erkrankungen gefragt, sondern auch allgemein nach ärztlichen oder anderen Behandlungen in den letzten 5 Jahren. Solche Behandlungen hatten stattgefunden. Denn die Klägerin hatte sich im Jahre vor der Antragstellung zu einem Arzt begeben, um sich wegen Zukunftsängsten nach einer gescheiterten Prüfung behandeln zu lassen. Diese Behandlung ist dadurch geschehen, dass der Arzt ihr Ruhe verordnet und eine längere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, die sogar verlängert worden ist, so dass die Klägerin über einen Zeitraum von mehr als einem Monat durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Zudem sind ihr die Medikamente Migränerton gegen Kopfschmerzen und Diclac gegen Rückenbeschwerden verordnet worden. Dies alles anzugeben war die Klägerin verpflichtet. Die Gefahrerheblichkeit der nicht angezeigten Gefahrumstände liegt auf der Hand. Damit war der Beklagte nicht einmal gehalten, seine Risikoprüfungsgrundsätze zu substantiieren. Dazu ist er nur angehalten, wenn es um eine Gesundheitsstörung geht, die offenkundig als leicht einzuordnen, nicht wiederholt aufgetreten ist und deshalb von vorneherein keinen Anhalt dafür bietet, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte (BGH VersR 2009, 529 [BGH 11.02.2009 - IV ZR 26/06]). Davon kann indes bei einer Behandlung wegen Anpassungsstörung mit einer über einen Monat währenden Krankschreibung sowie Verordnung von Tabletten gegen Kopf- und Rückenschmerzen nicht ausgegangen werden.

c)

Die Klägerin hat die Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt. Vorsätzlich handelt, wer weiß, dass der erfragte Gefahrumstand vorgelegen hat und sich bewusst ist, dass er diesen zu offenbaren hat. Das Gericht glaubt der Klägerin und ihrer Mutter nicht, dass sie die ärztlichen Maßnahmen nicht als Behandlungen eingestuft haben. Ihre offensichtlich aufeinander abgestimmten Angaben lassen jeden Bezug zur Realität vermissen. Sie sind offensichtlich getragen von dem Versuch, den gefährdeten Versicherungsschutz für die Klägerin zu erhalten. Die Begründung der Klägerin, dass sie unter einer Behandlung nur längerfristige Maßnahmen eines Arztes z. B. nach einem Beinbruch verstanden habe wie auch die Aussage ihrer Mutter, dass unter einer Behandlung nur längerfristige Maßnahmen zu verstehen seien, sind für das Gericht nicht nachvollziehbar und glaubhaft. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass die Klägerin und ihre Mutter wie jeder andere auch eine ärztliche Krankschreibung und Medikamentenverordnung als ärztliche Behandlung verstanden haben, die sie auf die entsprechende Frage des Beklagten auch offenbaren mussten.

d)

Dem Beklagten ist das Wissen der Mutter der Klägerin von dem nicht angezeigten Gefahrumstand nicht zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Mutter für einen Agenten des Beklagten oder einen Makler tätig geworden ist. Selbst wenn die Mutter der Klägerin für einen Agenten des Beklagten gehandelt hätte - Maklertätigkeit und damit fehlende Zurechnung wäre von dem Beklagten zu beweisen (OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1467) - fände keine Wissenszurechnung über die Auge-Ohr-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ihren Niederschlag in § 70 VVG gefunden hat, statt, weil es sich zum einen um privates Wissen der Mutter gehandelt hat und insbesondere, weil sich die Mutter auf die Seite der Antragstellerin geschlagen und damit nicht mehr im Lager des Beklagten, sondern im Lager der Klägerin gestanden hat. Denn nach den übereinstimmenden Angaben von Klägerin und Zeugin hat die Mutter der Klägerin die Beantwortung der Gesundheitsfragen selbst übernommen. Damit war die Klägerin stillschweigend einverstanden. Die Mutter der Klägerin ist damit mit Billigung der Klägerin als deren Wissensvertreterin aufgetreten. Wissensvertreter ist, wer in nicht ganz untergeordneter Stellung vom Versicherungsnehmer damit betraut worden ist, rechtserhebliche Tatsachen für ihn zur Kenntnis zu nehmen (Looschelders in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 17 Rn. 110; Knappmann NJW 1994, 3147/3149). Da die Klägerin damit einverstanden war, dass ihre Mutter das bei dieser vorhandene Wissen um die nachgefragten Gefahrumstände einsetzt, um die Gesundheitsfragen zu beantworten, liegen die Voraussetzungen einer Wissensvertretung vor ohne dass es darauf ankommt, ob sich die Mutter der Klägerin das Wissen im Auftrage der Klägerin erst verschaffen oder ob sie bereits vorhandenes Wissen einsetzen sollte (Rixecker zfs 2010, 393- Anm. zu OLG Brandenburg zfs 2010, 391-). Deswegen und wegen des persönlichen Näheverhältnisses zur Klägerin ist die als Vermittlerin tätig gewordene Mutter der Klägerin deren Lager zuzurechnen ist und nicht mehr dem Lager des Beklagten (vgl. OLG Dresden VersR 2006, 1526 [OLG Dresden 31.01.2006 - 4 U 2298/05]), so dass eine Wissenszurechnung auf den Beklagten ausscheidet.

e)

Da die Klägerin die Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt hat, war der Beklagte gemäß § 19 Abs. 2 VVG zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt. Auf die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 Satz 1 VVG kommt es nicht an, da der Versicherer bei einer vorsätzlichen Verletzung der Anzeigenobliegenheit ohne weitere Voraussetzungen zum Rücktritt berechtigt ist und dem Versicherungsnehmer der Nachweis abgeschnitten ist, dass der Versicherer den Vertrag bei Kenntnis des nicht angezeigten Umstandes zu gleichen oder anderen Bedingungen geschlossen hätte.

3.

Der Beklagte wäre im Übrigen auch berechtigt gewesen, in den Vertrag eine Risikoanpassungsklausel einzufügen, da der Versicherer abseits der Krankenversicherung (§ 194 Abs. 1 S. 3 VVG) - wie der Beklagte richtig ausführt - gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG zu einer Vertragsanpassung selbst dann berechtigt ist, wenn die Anzeigepflicht schuldlos verletzt worden ist. Der Beklagte hat dazu auf Nachfrage des Gerichts durch seinen Prozessbevollmächtigten ausführen lassen, dass er entgegen dem missverständlichen Wortlaut des Schreibens v. 21.6.2010 nicht nur bei grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung vom Recht der Vertragsanpassung Gebrauch macht, sondern die ihm durch § 19 VVG eingeräumten Rechte in vollem Umfang wahrzunehmen pflegt.

4.

Die Klage musste somit mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

RechtsgebieteEGVVG, VVGVorschriftenArt. 1 Abs. 2 EGVVG § 19 VVG