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06.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123721

Oberlandesgericht Hamburg: Urteil vom 16.10.2012 – 9 U 48/12

Eine Bestimmung in AVB für Warenkreditversicherungen, nach der Beträge, die nach Beendigung des Versicherungsschutzes eingehen, unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen grundsätzlich auf die jeweils älteste Forderung angerechnet werden, benachteiligt durch ihre einschränkungslose Formulierung den Versicherungsnehmer als Vertragspartner unangemessen und ist deshalb gemäß § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB unwirksam.


OLG Hamburg, 16.10.2012

9 U 48/12

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9.3.2012, Az. 418 HKO 127/11, wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 11.678,96 nebst jährliche Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2011 sowie weitere € 962,71 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.
Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einem Warenkreditversicherungsvertrag in Anspruch.

Diesem Versicherungsvertrag liegen die "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Warenkreditversicherung-M AVB Warenkredit-M 2007 (Fassung 2008)" (Anl. K 1; im folgenden: "AVB") zugrunde.

§ 2 Nr 3. AVB lautet auszugsweise wie folgt:

"Forderungen sind in der Reihenfolge ihres Entstehens versichert.

Forderungen, die die Versicherungssumme übersteigen, rücken erst und insoweit in den Versicherungsschutz nach, als durch die Bezahlung versicherter Forderungen innerhalb der Versicherungssumme dafür Raum wird."

§ 4 enthält Bestimmungen über Beendigung und Beschränkung des Versicherungsschutzes, u.a. in § 4 Nr. 4.1. AVB:

"Bei Gefahrerhöhung oder aus sonstigen wichtigen Gründen können wir den Versicherungsschutz für den Kunden oder für die Gesamtheit aller Kunden mit Sitz in einem Land beschränken oder aufheben."

§ 5 Nr. 2.1. der AVB lautet:

"Beträge, die nach Beendigung des Versicherungsschutzes gemäß § 2 Nr. 4 AVB eingehen, werden, unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen, grundsätzlich auf die jeweils älteste offene Forderung angerechnet."

Die Klägerin stand in Geschäftsbeziehungen zu einer Firma N. (im Folgenden: Fa. N.). Die Beklagte gewährte der Klägerin zunächst auch Versicherungsschutz für Forderungen gegen die Fa. N. Mit Schreiben vom 23.8.2010 (Anl. K 2) teilte die Beklagte der Klägerin die "Aufhebung der Versicherungssumme" bezüglich der Fa. N. mit. Das Schreiben enthält u.a. den Hinweis: "Jede vor Eintritt des Versicherungsfalles erhaltene Zahlung wird auf die jeweils älteste Forderung angerechnet. Diese Regelung gilt auch für Zahlungen auf solche Lieferungen, die Sie ggf. nach Aufhebung der Versicherungssumme ausführen."

In der Folgezeit forderte die Fa. N. die Klägerin auf, bereits vor Aufhebung des Versicherungsschutzes vereinbarte Leistungen zu erbringen und sagte der Klägerin einen umgehenden Ausgleich der daraus resultierenden Forderungen zu. Die Klägerin erfüllte daraufhin ihre vertragsgemäßen Verpflichtungen und erteilte der Fa. N. für die erbrachten Leistungen Rechnungen unter dem 1.9.2010, 10.9.2010 und 20.9.2010. Die Fa. N. beglich diese Rechnungen mit ausdrücklichen Zahlungsbestimmungen mit Scheckzahlungen über insgesamt € 11.678,96 am 7. bzw. 12.10.2010.

Nach Eintritt des unstreitig vorliegenden Versicherungsfalls nahm die Klägerin die Beklagte wegen seitens der Fa. N. nicht bezahlter Rechnungen auf Versicherungsleistungen in Anspruch.

Mit Schreiben vom 10.2.1011 (Anl. K 3) verrechnete die Beklagte unter Bezugnahme auf § 5 Nr. 2.1. ihrer AVB die von der Fa. N. im Oktober geleisteten Zahlungen von € 11.689,96 mit Versicherungsleistungen wegen Forderungen der Klägerin gegen die Fa. N., die bis zum 23.8.2010 entstanden und nicht beglichen worden waren.

Die Klägerin ist der Auffassung, eine solche Verrechnung hätte nicht erfolgen dürfen und verlangt weitere Versicherungsleistungen in Höhe von € 11.678,96.

Wegen des Sachverhalts sowie der erstinstanzlichen Anträge und Parteivorbringens wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 9.3.2011 die Klage abgewiesen, weil seiner Ansicht nach die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung zu Recht erfolgt sei. Gegen die Wirksamkeit der Klausel des § 5 Nr. 2.1. AVB beständen keine Bedenken. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird im Übrigen verwiesen.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Sie meint, das Landgericht sei unrichtigerweise von einer Wirksamkeit des § 5 Nr. 2.1. AVB ausgegangen. Diese Regelung sei jedoch unangemessen benachteiligend. Wenn die Regelung wirksam wäre, hätte die Beklagte die Klägerin hierauf bei der Aufhebung der Versicherungssumme deutlich hinweisen müssen. Das sei mit dem Schreiben vom 23.8.2010 (Anl. K 2) aber nicht geschehen. Außerdem ergebe sich aus § 4 der AVB nicht, dass der Versicherungsschutz mit der "Aufhebung der Versicherungssumme" ende.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 9. März 2012 verkündeten Urteil des Landgerichts Hamburg, Aktenzeichen 418 HKO 127/11, zu verurteilen, an die Klägerin € 11.678,96 nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2011 sowie weitere € 962,71 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die in § 5 Nr. 2.1. AVB enthaltene Anrechnungsklausel sei wirksam. Sie sei deshalb berechtigt gewesen, die nach Aufhebung der Versicherungssumme eingegangenen Zahlungen der Fa. N. auf die ältesten offenen Forderungen der Klägerin und damit auf die zu leistende Entschädigung anzurechnen. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 307 BGB liege nicht vor. Zwar könne sich eine benachteiligende Situation für den Versicherungsnehmer in den Fällen ergeben, in denen er auf die Tilgungsbestimmung seines Kunden keinen Einfluss nehmen könne und diese gemäß § 366 Abs. 1 BGB für ihn verbindlich sei. Eine solche im Einzelfall auftretende Benachteiligung des Versicherungsnehmers führe jedoch dann nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Anrechnungsklausel, wenn - wie hier - die schutzwürdigen Belange des Versicherers überwögen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen in Höhe von € 11.678,96 nebst Zinsen sowie Anspruch auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu. Die Beklagte hat eine Verrechnung der nach Beendigung des Versicherungsschutzes gemäß § 2 Nr. 4 AVB seitens der Fa. N. eingegangenen Zahlungen entsprechend § 5 Nr. 2.1. AVB nicht vornehmen dürfen.

1. Zwar liegen die Voraussetzungen vor, nach denen gemäß § 5 Nr. 2.1. AVB eine Anrechnung unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen auf die jeweils älteste offene Forderung erfolgen darf. So ist der Versicherungsschutz für Forderungen gegen die Fa. N. aufgrund der Aufhebung der Versicherungssumme für diesen Kunden mit Schreiben der Beklagten vom 23.8.2010 (Anl. K 2) gemäß § 2 Nr. 4. AVB beendet worden. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ersichtlich, dass es sich bei dem unter § 2 Nr. 4.1. AVB genannten Fall, dass der Versicherer den Versicherungsschutz für einen Kunden aufheben kann, um einen hier ausdrücklich geregelten Fall von § 2 Nr. 4 AVB handelt, indem niedergelegt wird, wann der Versicherungsschutz "endet".

Der Klägerin stände auch kein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 6 Abs. 4 VVG wegen eines angeblich fehlenden Hinweises auf die Anrechnungsklausel des § 5 Nr. 2.1. AVB zu. Insoweit werden schon die Ausführungen des Landgerichts nicht angegriffen, wonach § 6 Abs. 4 VVG nicht für Kreditversicherungen von gewerblichen Versicherungsnehmern - um einen solchen handelt es sich bei der Klägerin - gelte. Die Beklagte wäre, sofern man überhaupt davon ausgehen will, dass für einen derartigen Hinweis angesichts der klaren Regelung in den AVB bei einem gewerblichen Versicherungsnehmer Bedarf bestehen würde, einer ihr eventuell obliegenden Hinweispflicht nach Auffassung des Senates aber jedenfalls mit dem Schreiben vom 23.8.2010, indem hinreichend deutlich auf die in § 5 Nr. 2.1. AVB enthaltene Anrechnungsregelung hingewiesen wird, nachgekommen.

Die Beklagte kann sich aber auf die Klausel des § 5 Nr. 2.1. AVB nicht berufen. Diese Klausel benachteiligt durch ihre einschränkungslose Formulierung den Versicherungsnehmer als Vertragspartner unangemessen und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

a) Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers liegt allerdings nicht schon darin, dass der Versicherungsschutz, wie die Klägerin meint, "rückwirkend endet".

Wenn der Versicherungsschutz für einen Kunden aufgehoben wird, bedeutet dies nur, dass für zukünftig begründete Forderungen kein Versicherungsschutz mehr besteht, nicht aber, dass auch für bis zur Aufhebung des Versicherungsschutz bereits begründete Forderungen der Versicherungsschutz rückwirkend aufgehoben wird - für bereits begründete Forderungen bleibt der Versicherungsschutz vielmehr weiterhin bestehen.

b) Eine unangemessene Benachteiligung besteht auch nicht darin, dass der Versicherungsnehmer weiterhin zur Zahlung der Prämie verpflichtet ist, obwohl ihm für einen Kunden kein Versicherungsschutz mehr gewährt wird. Denn die Höhe der Prämie richtet sich entsprechend den Bestimmungen im "Konditionenblatt 02/2007" (Anl. B 2) allein nach der Höhe des prämienpflichtigen Umsatzes des Versicherungsnehmers, der sich anhand des Gesamtumsatzes im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr abzüglich bestimmter Umsätze ergibt (vgl. Bestimmung unter A)1. der Anl. B 2) und ist nicht davon abhängig, ob und in welcher Höhe tatsächlich Versicherungsschutz für Forderungen gegenüber einzelnen Kunden besteht.

c) Eine unangemessene Benachteiligung liegt jedoch darin, dass die vorliegende Regelung einseitig Interessen des Versicherers berücksichtigt, ohne dass ein besonderes die Belange des Versicherungsnehmers übersteigendes Schutzbedürfnis des Versicherers vorliegt.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auszulegen. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGH, Urteile vom 25.07.2012 - IV ZR 201/10; vom 23.06.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.; vom 19.05.2004 - IV ZR 29/03 aaO. 1035 f.; vom 21.07.2011 - IV ZR 42/10 aaO. Rdnr. 12, jeweils m.w.N.; vgl. Beschluss des BGH vom 24.06.2009 - IV ZR 110/07, VersR 2009, 1617 Rdnr. 7). Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren (BGH, Urteile vom 25.07.2012 - IV ZR 201/10; vom 15.12.2010 - IV ZR 24/10, VersR 2011, 202 Rdnr. 10 m.w.N.; Brömmelmeyer in HK-VVG, 2. Aufl. Einleitung Rdnr. 68). In erster Linie ist vom Wortlaut der Klausel auszugehen. Der mit ihr verfolgte Zweck und der erkennbare Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, Urteile vom 25.07.2012 - IV ZR 201/10; vom 9.03.2011 - IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rdnr. 16 f.; Beckmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2. Aufl. 2009 § 10 Rdnr. 168 f.; Brömmelmeyer aaO. Rn. 66 m.w.N.).

Die Klausel des § 5 Nr. 2.1. AVB erfasst nach ihrem Wortlaut alle bei dem Versicherungsnehmer eingehenden Beträge, ohne dass danach unterschieden würde, ob es sich um Zahlungen des Kunden handelt, auf den sich der gewährte Versicherungsschutz bezieht, ob diese Zahlungen von Dritten herrühren, ob es um Zahlungen in Bezug auf die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Kunden geht oder etwa um Schadensersatzleistungen aus unerlaubter Handlung. Sie unterscheidet auch nicht danach, ob es sich um eine bloß einseitige Tilgungsbestimmung des Kunden handelt oder ob es um eine Tilgungsvereinbarung geht bzw. der Tilgungsbestimmung des Kunden eine Abrede zwischen Kunden und Versicherungsnehmer zugrunde liegt. Die Beklagte trägt selbst nicht einmal vor, dass die Klausel einschränkend auszulegen sei und einzelne der genannten Modalitäten nicht erfasst seien. Sie vertritt lediglich die Auffassung, dass durch die Klausel im Fall einer einseitigen Tilgungsbestimmung des Kunden des Versicherungsnehmers dieser zwar benachteiligt werde, dass dieser Umstand aber nicht ausreiche, um eine Unwirksamkeit der Klausel zu begründen.

Die Klausel verstößt in der genannten Auslegung gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom 25.07.2012 - IV ZR 201/10; vom 14.03.2012 - XII ZR 44/10; vom 08.12.2011 - VII ZR 111/11, NJW-RR 2012, 626 Rdnr. 14 m.w.N.; Präve, Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz 1998 Rn. 407; Römer, NVersZ 1999, 97, 102 m.w.N.). Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen muss seiner aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachsenen Verpflichtung genügen, schon bei der Festlegung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Interessen künftiger Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 14.03.2012 - XII ZR 44/10 m.w.N.).

Ob eine Klausel den Vertragspartner des Verwenders gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, ist mit Hilfe einer umfassenden Abwägung der schützenswerten Interessen beider Parteien im Einzelfall festzustellen (BGH, Urteile vom 08.12.2011 - VII ZR 111/11; vom 03.11.1999 - VIII ZR 269/98, BGHZ 143, 103, 113 m.w.N.). Bei dieser Abwägung sind nicht nur die auf Seiten des Verwenders getätigten Investitionen zu berücksichtigen, sondern der gesamte Vertragsinhalt; notwendig ist eine Gegenüberstellung der insgesamt begründeten gegenseitigen Rechte und Pflichten (BGH, Urteile vom 08.12.2011 - VII ZR 111/11; vom 17.12.2002 - X ZR 220/01, NJW 2003, 886, 887 m.w.N.).

Die Versicherung will mit der Anrechnungsklausel des § 5 Nr. 2.1. AVB sicherstellen, dass eingehende Zahlungen immer auf den versicherten Forderungsbestand verrechnet werden, so dass sich - falls keine neuen Forderungen in den Versicherungsschutz nachrücken - der Umfang des versicherten Forderungsbestandes, der die jeweils älteste Forderung umfasst, durch die Zahlung verringert. Die Klausel solle gleichzeitig verhindern, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit des Kunden ausschließlich zur Fortführung der Geschäftsbeziehung mit dem Versicherungsnehmer genutzt werde, während der versicherte Forderungsbestand zu Lasten des Versicherers künstlich offen gehalten werde.

Auch wenn durchaus ein berechtigtes Interesse der Versicherung anzuerkennen ist, kollusives Zusammenwirken von Versicherungsnehmer und dessen Kunden zu ihrem Nachteil zu verhindern, hat die Versicherung bei Abfassung ihrer Klausel die berechtigten Belange ihres Vertragspartners, des Versicherungsnehmers, nicht hinreichend beachtet. Die Klausel kann nämlich dazu führen, dass der Versicherungsnehmer einen doppelten Nachteil erleidet. Weicht die Tilgungsbestimmung des Kunden - oder auch eine Tilgungsvereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Kunden - von der in § 5 Nr. 2.1. AVB bestimmten Tilgungsreihenfolge ab, so gilt im Verhältnis der Versicherungsvertragsparteien die älteste Forderung als getilgt, während im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und dessen Kunden tatsächlich eine andere Forderung getilgt worden ist. Diese im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Kunden tatsächlich getilgte Forderung kann auch dann nicht in den versicherten Forderungsbestand nachrücken (§ 2 Nr. 3. AVB), wenn eigentlich die Voraussetzungen für ein solches Nachrücken gegeben wären, weil sie wegen Erfüllung nicht mehr besteht.

Dieser Nachteil ist für den Versicherungsnehmer jedenfalls dann nicht zumutbar und begründet eine unangemessene Benachteiligung, wenn der Versicherungsnehmer eine einseitige Tilgungsbestimmung seines Kunden nicht beeinflusst hat. In diesem Fall hätte er sonst den genannten Nachteil hinzunehmen, ohne dass das berechtigte Interesse der Versicherung, nämlich kollusives Zusammenwirken zwischen Versicherungsnehmer und Kunden zu ihrem Nachteil zu unterbinden, berührt wäre (vgl. ähnlich Veith/Gräfe-Grauschopf, Der Versicherungsprozess, 2. Auflage 2010, § 19 Rdnr. 81ff. und 97).

Dieser Nachteil ist für den Versicherungsnehmer auch in den Fällen nicht hinzunehmen, in denen er zur Fortführung der Geschäftsbeziehung mit seinem Kunden die Absprache trifft, weitere Leistungen an den Kunden nur unter der Bedingung zu erbringen, dass die Bezahlung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Leistungserbringung durch den Versicherungsnehmer erfolgt, so dass die Voraussetzungen eines sogenannten Bargeschäfts im Sinne von § 142 InsO erfüllt sind. Anders als dies bei einer Verrechnung weiterer Zahlungen des Kunden auf offene Forderungen aus bereits vom Versicherungsnehmer in der Vergangenheit erfüllten Verträgen der Fall wäre, wird hier das Interesse des Versicherers nicht in gleicher Weise beeinträchtigt. Bei solchen Bargeschäften kann im Regelfall nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Zahlbetrag vom Kunden auf Altforderungen erbracht worden wäre, wenn es das Neugeschäft und die daraus herrührende Forderung nicht geben würde. Denn es ist gerade davon auszugehen, dass sich der Kunde in Zahlungsschwierigkeiten befindet. Es stellt sich also im Regelfall nicht die Alternative Zahlung auf eine versicherte alte Forderung oder Zahlung auf eine unversicherte neuere Forderung, sondern nur die Alternative, von dem Kunden überhaupt keine Zahlung zu erhalten oder bei Fortsetzung der Geschäftsbeziehung, dann typischerweise im Wege des Bargeschäfts, wenigstens Zahlungen auf neue Forderungen zu erhalten. Es ist in der Regel auch nicht so, dass bei einem solchen Bargeschäft dem Vermögen der Kunden die finanziellen Mittel entzogen werden, die sonst zur Begleichung von Altverbindlichkeiten zu Verfügung gestanden hätten. Denn in das Vermögen des Kunden gelangt im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Weggabe des Zahlungsbetrages die im Wesentlichen gleichwertige Leistung des Versicherungsnehmers. Die Interessen der Gläubiger werden deshalb von der Insolvenzordnung im Falle des Bargeschäfts als hinreichend gewahrt angesehen, so dass die Zahlungen des Kunden im Rahmen eines solchen Bargeschäfts insolvenzrechtlich nicht anfechtbar sind. Es ist nicht ersichtlich, dass das anzuerkennende Schutzbedürfnis eines Kreditversicherers über das Interesse eines Insolvenzgläubigers hinausgeht. Zudem ist gerade bei solchen Bargeschäften regelmäßig nicht davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer sich davon leiten lässt, zum Nachteil der Versicherung künstlich den Bestand an versicherten Forderungen hoch zu halten, also den Versicherer durch die Art und Weise getroffener Tilgungsvereinbarungen zu benachteiligen. Es kann nämlich durchaus ein berechtigtes Interesse des Versicherungsnehmers daran bestehen, auch die Geschäftsbeziehung mit einem Kunden fortzusetzen, der anscheinend Zahlungsschwierigkeiten hat. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass sich durch die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung die wirtschaftliche Situation des Kunden verbessert, und er hierdurch in die Lage versetzt wird, Altverbindlichkeiten begleichen zu können - was dann wiederum der Versicherung zu Gute käme. Würde der Versicherungsnehmer dagegen den Kunden vor die Wahl stellen, entweder die Altverbindlichkeiten zu begleichen und künftige Geschäfte im Rahmen eines Bargeschäftes abzuwickeln, oder aber die Geschäftsbeziehungen abzubrechen, bestünde bei Abbruch der Geschäftsbeziehung (die man dann ja auch von allen anderen Geschäftspartner des Kunden mit einer ähnlichen Warenkreditversicherung erwarten müsste) die Gefahr, den Kunden gerade hierdurch in die Insolvenz zu treiben. Damit wäre weder den Interessen des Versicherungsnehmers noch denen des Versicherers gedient. Zudem hat gerade in einer Krise des Kunden der Versicherungsnehmer ein berechtigtes Interesse daran, Zahlungen zu erhalten, die einer Insolvenzanfechtung nicht unterliegen. Das ist bei Zahlungen, die im Rahmen von Bargeschäften erbracht werden, der Fall, während bei Zahlungen auf Altforderungen die Gefahr einer Insolvenzanfechtung nicht auszuschließen ist. Vor allem hat der Versicherungsnehmer ein hohes Eigeninteresse daran, weiter die eigenen Waren abzusetzen, wenn dies ohne Erhöhung des Risikos - nämlich durch die Vereinbarung von Barzahlung oder Vorauskasse - geschehen kann. Dieses Interesse erkennt auch die Insolvenzordnung mit der Regelung des § 142 InsO ausdrücklich an. Die Vereinbarung von Bargeschäften würde auch nicht schon deshalb in die Belange des Versicherers eingreifen, weil das zur Verfügung stehende Vermögen des Kunden nicht zur Deckung der (versicherten) Altschulden, sondern zur Fortführung der Geschäftsbeziehung mit dem Versicherungsnehmer verwendet würde. Zum einen kann man keineswegs davon ausgehen, dass der in Zahlungsschwierigkeiten befindliche Kunde die Altverbindlichkeiten begleichen würde, wenn der Versicherungsnehmer sich nicht auf neue Bargeschäfte einlassen würde. Zum anderen wird das Vermögen des Kunden und damit die zur Begleichung der Altverbindlichkeiten vorhandene Masse nicht verkürzt, weil im Rahmen des Bargeschäfts dem Vermögen des Kunden im Gegenzug die Leistung des Versicherungsnehmers zufließt. Aus dieser Argumentation wird zugleich deutlich, dass ein gewissenhafter Kaufmann, der keine Kreditversicherung abgeschlossen hat, sich im Zweifel nicht anders verhalten würde. Auch er kann ein erhebliches Interesse daran haben, die Geschäftsbeziehung mit einem Kunden trotz dessen fraglicher Liquidität bei Absicherung durch die Vereinbarung von Bargeschäften fortzuführen.

Zudem wird ein sorgfältiger Kaufmann zu bedenken haben, dass er bei - wie im vorliegenden Fall bei Aufhebung des Versicherungsschutzes - bereits bestehender vertraglicher Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen diese ggf. auch dann erbringen muss, wenn noch nicht alle Altforderungen des Kunden getilgt sind, um sich nicht wegen Nichterfüllung seinerseits schadensersatzpflichtig zu machen.

Unter Berücksichtigung aller genannter Umstände führt die Abwägung der beiderseitigen Interessen dazu, dass auch in den Fällen, in denen Versicherungsnehmer und Kunde ein Bargeschäft bzw. weitere Lieferungen gegen sofortige Bezahlung dieser Lieferungen verabreden, die Interessen des Versicherers ohne die Klausel des § 5 Nr. 2.1. AVB nicht wesentlich, die Interessen des Versicherungsnehmers bei Wirksamkeit der Klausel dagegen erheblich beeinträchtigt werden.

Das berechtigte Interesse des Versicherers, nicht durch kollusives Zusammenwirken von Versicherungsnehmer und dessen Kunden geschädigt zu werden, könnte durch eine andere Fassung der Klausel bzw. Erweiterung der in § 8 AVB geregelten Verhaltenspflichten hinreichend gewahrt werden.

Es ist schließlich nicht möglich, die Klausel des § 5 Nr. 2.1. AVB so auszulegen, dass sowohl Fälle des Bargeschäfts als auch die Fälle einer von der Regelung der Klausel abweichenden einseitigen, vom Versicherungsnehmer nicht beeinflussten, Tilgungsbestimmung des Kunden, als auch die Fälle, in denen die Zahlung nicht auf Forderungen aus der Geschäftsbeziehung, sondern aus einem völlig anderen Rechtsgrund - etwa auf eine Forderung aus unerlaubter Handlung - erfolgen, von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. Anders als in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 11.11.1982 - III ZR 67/81) zugrundeliegenden Sachverhalt bietet weder der Wortlaut der Klausel noch das übereinstimmende Verständnis der Parteien einen Anhalt, die Klausel einschränkend auszulegen. Durch eine solche Auslegung, die sich daran ausrichten müsste, ob eine Abwägung der berechtigten Interessen die Tilgung entsprechend den Vorgaben der Klausel jeweils rechtfertigen würde oder nicht, würde gegen das Verbot geltungserhaltender Reduktion verstoßen. Danach ist es nicht zulässig, eine vorformulierte Vertragsbestimmung, durch die der Kunde des Verwenders unangemessen benachteiligt wird, in einer Weise auszulegen, die der Klausel gerade noch zur Wirksamkeit verhilft. Hierdurch soll vermieden werden, dass ein Klauselverwender risikolos seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig in seinem Interesse ausgestalten und dabei davon ausgehen kann, dass eine Klausel, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht stand hält, zumindest teilweise erhalten bleibt (BGH, Urteil vom 14.03.2012 - XII ZR 44/10 m.w.N.). Dies würde dem Zweck des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Vertragspartner des Verwenders vor ungültigen Klauseln zu schützen, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuhalten und auf einen den Interessen beider Seiten gerecht werdenden Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzuwirken, zuwiderlaufen (BGH, Urteil vom 14.03.2012 - XII ZR 44/10 m.w.N.).

Im Übrigen würde gerade im Falle des Bargeschäfts im Sinne von § 142 InsO nach dem oben Ausgeführten das Interesse des Versicherungsnehmers an einer solchen Tilgungsvereinbarung das Interesse des Versicherers am Unterbleiben einer solchen Tilgungsvereinbarung weit überwiegen. Wollte man die Klausel so einengend auslegen, dass sie nur die Fälle erfasst, in denen eine Interessenabwägung den Vorrang der Interessen des Versicherers erfasst, dürfte sie für die Vereinbarung von Bargeschäften ebenso wenig gelten, wie für vom Versicherungsnehmer unbeeinflusste Tilgungsbestimmungen des Kunden oder für Zahlungen auf Forderungen aus unerlaubter Handlung.

2. Die geltend gemachten Ansprüche sind der Höhe nach unstreitig; der Zinsanspruch ergibt sich im Übrigen aus §§ 280, 286 Abs. 1, 288 BGB, der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten aus §§ 280, 286 Abs. 1 BGB.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, da die Frage der Wirksamkeit der Klausel in den überregional verwendeten Versicherungsbedingungen der Beklagten grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat mit seiner Entscheidung außerdem von der Auffassung des Kammergerichts Berlin (vgl. Urteil vom 13.1.2004, Az. 6 U 276/02) abweicht.

Hinweise

nicht rechtskräftig