12.06.2013 · IWW-Abrufnummer 131834
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 21.01.2013 – 16 U 117/12
Bei einem metastasierten Nierenzellenkarzinom ist eine Hyperthermiebehandlung nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung erstattungsfähig (§§ 1 Nr. 2, 4 Nr. 6 Musterbedingungen MB/KK in der privaten Krankenversicherung).
OLG Schleswig
21.01.2013
16 U 117/12
In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 21. Januar 2013 einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. September 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Berufungsstreitwert beträgt 19.304,87 €.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 19.304,87 € nebst Zinsen wegen nicht erstatteter Behandlungskosten für die Hyperthermie-Behandlungen ihres verstorbenen Ehemannes in der ...-Klinik B. und ambulant durch Dr. med. B. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Hyperthermie-Behandlung nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der §§ 1 Nr. 2, 4 Nr. 6 AVB (entsprechend §§ 1 Nr. 2, 4 Nr. 6 der Musterbedingungen MB/KK) anzusehen seien.
Dagegen richtet sich in vollem Umfang die Berufung der Klägerin, mit der sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 19.304,87 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II.
Da die zulässige Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, weist der Senat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurück.
Mit Beschluss vom 3. Dezember 2012 hat der Senat der Klägerin folgenden Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt:
Die Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert, eine mündliche Verhandlung nicht geboten und deshalb beabsichtigt ist, die Berufung aus folgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die auf Zahlung von 19.304,87 € nebst Zinsen gerichtete Klage wegen nicht erstatteter Behandlungskosten für die Hyperthermie-Behandlungen ihres Ehemannes in der ...-Klinik B. und ambulant durch Dr. med. B. (in Kombination mit Mitomycin) abgewiesen. Die Hyperthermie-Behandlung ist nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der §§ 1 Nr. 2, 4 Nr. 6 AVB (entsprechend §§ 1 Nr. 2, 4 Nr. 6 der Musterbedingungen MB/KK) anzusehen.
Medizinisch notwendig ist aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers eine Heilbehandlung grundsätzlich dann, wenn nach medizinischen Erkenntnissen feststeht, dass die Maßnahme geeignet ist, einen qualifizierten Behandlungserfolg zu erzielen, also je nach Art des Leidens dieses zu beseitigen, zu bessern oder auch eine Verschlimmerung zu verhindern oder nur zu verlangsamen. Bei einer lebensbedrohlichen oder gar lebenszerstörenden Erkrankung, bei der es selbst für eine auf Verhinderung einer Verschlimmerung der Krankheit abzielende Heilbehandlung keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, bei der nach medizinischen Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass sie zur Herbeiführung wenigstens dieses Behandlungszieles geeignet ist, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu, für die der Nachweis medizinischer "Richtigkeit" nicht geführt werden kann. Das schließt indessen die Annahme der medizinischen Notwendigkeit einer solchen Behandlung nicht von vornherein aus, dies jedenfalls dann nicht, wenn sie auf eine lebensbedrohende oder gar lebenszerstörende Krankheit zielt. Ein Ausschluss solcher Behandlungen kann den Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Klauseln vielmehr dahin verstehen, dass gerade bei einer unheilbaren Krankheit auch eine solche Heilbehandlung noch als notwendige Heilbehandlung anzusehen ist, der zwar Versuchscharakter anhaften mag, die aber jedenfalls - medizinisch begründbar - Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht (BGH NJW 1996, 3074 Rn. 20 [BGH 10.07.1996 - IV ZR 133/95] nach [...]). Bei einer solchen Sachlage kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob die Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich geeignet ist. Vielmehr ist in solchen Fällen die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits dann zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dabei ist jedenfalls bei schweren, lebensbedrohenden oder lebenszerstörenden Erkrankungen nicht zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Es reicht vielmehr aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt (BGH a.a.O. Rn. 21 nach [...]). Ob im Einzelfall eine in diesem Sinne ausreichende Wahrscheinlichkeit der Eignung der Behandlungsmethode zur Erreichung des Behandlungsziels angenommen werden kann, ist - selbst bei positiver Einschätzung des behandelnden Arztes - objektiv zu beurteilen. Die für diese Beurteilung maßgeblichen medizinischen Gesichtspunkte können nur im Einzelfall und mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden. Im Streitfall wird es demgemäß regelmäßig erforderlich sein, die Einschätzung des behandelnden Arztes der sachverständigen Nachprüfung zu unterziehen (BGH a.a.O. Rn. 22 nach [...]). Das setzt aber voraus, dass die gewählte Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht, der die prognostizierte Wirkweise der Behandlung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, diese Wirkweise sonach zumindest wahrscheinlich macht. Dabei kann es allerdings nicht darauf ankommen, ob die gewählte Behandlungsmethode und die sie tragenden medizinischen Erwägungen von schulmedizinischen Erkenntnissen bestimmt werden, oder ob sie auf Erkenntnissen aufbauen, die in der sogenannten alternativen Medizin entwickelt worden sind. Die Annahme einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung steht in diesen Fällen auch nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden ist. Liegen solche Veröffentlichungen vor, können sie zwar für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung von Bedeutung sein; andererseits wird auf eine bisher fehlende Veröffentlichung die Verneinung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung allein nicht gestützt werden können. Bedeutsam für die Beurteilung der Behandlungsmethode kann es schließlich sein, ob diese vor dem Zeitpunkt ihrer Durchführung beim Versicherungsnehmer bereits anderweitig erprobt worden ist. Haben Behandlungen schon zuvor in einer solchen Anzahl stattgefunden, die Aussagen jedenfalls darüber zulässt, ob die Behandlung die mit ihr erstrebte Wirkung wahrscheinlich zu erreichen geeignet ist, kann darin ein besonders aussagekräftiger Umstand für die Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung zu erkennen sein (BGH a.a.O. Rdn. 23, 24 nach [...]). Unter zutreffender Einbeziehung dieser höchstrichterlichen Vorgaben hat das Landgericht mit Beweisbeschlüssen vom 8. September 2011 (Bl. 100) und 10. November 2011 (Bl. 121) die Beweisfrage zu 2. formuliert, nämlich dahin:
2. Konnte die Behandlung nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme zumindest als wahrscheinlich geeignet angesehen werden, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken, wobei es ausreicht, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt?
Der zum Sachverständigen bestellte Oberarzt der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie der ... - Universitätsklinik ... - Dr. med. H. hat die Beweisfrage eindeutig dahin beantwortet, dass bei einem metastasierten Nierenzellkarzinom ausgeschlossen werden kann, dass das beim Ehemann der Klägerin angewandte Hyperthermie-Verfahren mit Wahrscheinlichkeit auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken in der Lage war. Nicht einmal mit geringer Erfolgsaussicht - so Dr. H. weiter - lasse die Behandlung die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen (Seite 15 des Gutachtens, Bl. 158). Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, hält das Landgericht die Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend. Es gibt danach im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung der Hyperthermie auf das klarzellige Nierenkarzinom keine irgendwie medizinisch begründbare Aussicht auf Linderung der Beschwerden. Dass die behandelnden Ärzte und auch der verstorbene Ehemann der Klägerin dies anders bewerten, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist die sachverständig beurteilte objektive Anknüpfung.
Mit ihren Einwendungen gegen das angefochtene Urteil dringt die Berufung nicht durch.
Die Auswahl des Gutachters durch das Landgericht ist nicht ermessensfehlerhaft. Das Landgericht war nicht gehindert, insoweit dem Vorschlag der Beklagten zu folgen. Dr. H. hat die von der Klägerin aufgeworfenen Bedenken, als Schulmediziner habe er keine ausreichende Qualifikation für die Beurteilung von Naturheilkunde bzw. Ganzheitsmedizin, mit Schreiben vom 23. Februar 2012 (Bl. 137 a) zerstreut. Er hat darauf hingewiesen, dass er sich an der ... seit 1997 intensiv mit verschiedenen Aspekten der Hyperthermie-Anwendung beschäftige. Neben der Behandlung von Patienten mit unterschiedlichen Hyperthermie-Verfahren sei er auch wissenschaftlich und gutachterlich tätig gewesen; ebenso sei er in der "interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie" der Deutschen Krebshilfe aktiv. Er könne versichern, dass er die konkreten Beweisfragen im Rahmen seiner fachlichen Qualifikation beantworten könne. Das hat er in seinem schriftlichen Gutachten hinreichend bestätigt. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 2012 (Bl. 134) dem Gutachter zur Stellungnahme übersandt hat. Aus dem schriftlichen Gutachten ergeben sich, anders als die Berufung meint, keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin vorgehaltene Inkompetenz den Sachverständigen verärgert und zu unparteilichen Äußerungen veranlasst habe. Mit solchen - im ersten Rechtszug nicht vorgebrachten - Vorhalten müsste die Klägerin auch gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren ausgeschlossen bleiben. Dass die Hyperthermie-Behandlung vom behandelnden Arzt und vor allem vom verstorbenen Ehemann der Klägerin für dessen verbleibende Lebenszeit als positiv empfunden worden ist, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Verfahren - wie der Gutachter im Einzelnen ausführt - eine medizinisch begründbare Aussicht auf Linderung der konkreten Beschwerden nach einem Nierenzellkarzinom nicht aufweist. Deshalb sind die dafür aufgewendeten Kosten nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien nicht erstattungsfähig. Für die mit Schreiben vom 17. Juli 2012 (Bl. 178) geäußerte persönliche Bitte der Klägerin, im Zweifel für den Patienten zu entscheiden, ist deshalb, so verständlich dieser Wunsch auch erscheint, kein Raum.
An dieser Beurteilung hält der Senat auch in Ansehung des Schriftsatzes der Klägerin vom 10. Januar 2013 fest.
Für die Einordnung der Hyperthermie-Behandlung des Ehemannes der Klägerin als notwendige Heilbehandlung im Sinne der Versicherungsbedingungen ist nach der im Hinweisbeschluss wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Einschätzung des Patienten selbst und der behandelnden Ärzte nicht entscheidend, vielmehr ist maßgebend allein die sachverständig beurteilte objektive Anknüpfung. Hier hat der gerichtlich bestellte Sachverständige die Beweisfrage eindeutig dahin beantwortet, dass bei einem metastasierten Nierenzellkarzinom ausgeschlossen werden kann, dass das beim Ehemann der Klägerin angewandte Hyperthermie-Verfahren mit Wahrscheinlichkeit auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken in der Lage war. Nicht einmal mit geringer Erfolgsaussicht - so der Gutachter weiter - lasse die Behandlung die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen. Die Einschätzung des Sachverständigen hält der Senat nach wie vor für überzeugend.
Die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen sogenannte alternative Behandlungsmöglichkeiten als medizinisch notwendige Behandlungen anzusehen sind, sind durch den Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt. Der vorliegenden Entscheidung, die einen Einzelfall betrifft, kommt daher keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, zumal auch in erster Instanz im Einvernehmen mit der Klägerin im schriftlichen Verfahren entschieden worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.