27.09.2011 · IWW-Abrufnummer 112727
Landgericht Essen: Urteil vom 16.02.2011 – 9 O 178/09
Leitungswasserschaden; grob fahrlässige Herbeiführung eines Schadens durch Nichtabsperren von Leitungen im unbewohnten Haus.
Landgericht Essen
9 O 178/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Leistung aus einer Wohngebäudeversicherung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung für das Haus …Str. … in F.
In § 24 VGB 2003, die Bestandteil des Vertrages zwischen den Parteien waren, ist geregelt, dass der Kläger folgende Sicherheitsvorschriften beachten muss:
"c) nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteilen genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten,
d) in der kalten Jahreszeit alle Gebäude und Gebäudeteilen zu beheizen und dies genügend häufig zu kontrollieren oder dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten."
Im Haus befinden sich eine Gaststätte und vier Wohnungen. Die Gaststätte und drei Wohnungen waren bereits Ende 2008 leergezogen. Das Mietverhältnis über die Wohnung im 1. Obergeschoss links des Mieters E endete zum 31.12.2008. Gleichwohl wollte der Mieter die Wohnung allerdings noch im Januar 2009 weiter nutzen, weil er die Räumung zum 31.12.2008 nicht fristgerecht bewerkstelligen konnte.
Am 14.1.2009 stellte der Mieter E fest, dass in seinem Kellerraum Wasser an der Wand herab lief. Ursache war, dass in der Dachgeschoss-Wohnung Wasser ausgetreten war.
Der Kläger meldete den Schaden der Beklagten, die einen Zeitwertschaden in Höhe von 11.856,10 € (brutto) ermittelte und sodann auf Basis einer 30-prozentigen Regulierungsquote nur 3.556,83 € und später zusätzlich 212,18 € zahlte, weitere Zahlung aber verweigerte.
Der Kläger behauptet, das Haus sei keineswegs unbewohnt gewesen, sondern im Januar 2009 noch vom Zeugen E benutzt worden. Dieser habe sich regelmäßig in der Wohnung und den Nebenräumen aufgehalten. Der Kläger habe das Wasser nicht absperren können, weil der Zeuge dieses zur Erledigung des Auszuges benötigt habe und weil eine separate Absperrung – was unstreitig ist – für die übrigen Gebäudeteile nicht möglich gewesen sei. Durch den Zeugen E sei das Objekt hinreichend überwacht und kontrolliert worden, weil er es regelmäßig aufgesucht und sich darin aufgehalten habe. Der Kläger hält eine Kürzung des Anspruches um 70 % für übersetzt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.794,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.4.2009 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 899,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.4.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie von ihrer Leistungspflicht gänzlich frei sei, dass ihre Leistungspflicht aber zumindest um 70 % vermindert sei und sie in Höhe der verbleibenden Leistungspflicht bereits erfüllt habe. Der Kläger habe gegen Sicherheitsvorschriften des Vertrages verstoßen, weil er – was unstreitig ist – die wasserführenden Leitungen nicht abgesperrt habe, obwohl das gesamte Gebäude seit Januar 2009 ungenutzt leer gestanden habe und weil er – was ebenfalls unstreitig ist – das Gebäude nicht beheizt habe. Dadurch habe er den Versicherungsfall mindestens grob fahrlässig herbeigeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen in der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts Essen folgt aus § 215 VVG n.F. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 EGVVG, weil der Kläger als Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz in F hat. § 215 VVG n.F. ist anwendbar, da es sich um einen nach dem 31.12.2008 eingetretenen Versicherungsfall handelt.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung der begehrten 8.794,34 €.
Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 1 S. 1 VVG i.V.m. § 26 Nr. 1 c) VGB 2003. Zwar haben die Parteien einen Vertrag über eine Wohngebäudeversicherung geschlossen. Es ist auch ein Versicherungsfall eingetreten, weil das versicherte Wohngebäude des Klägers durch Leitungswasser beschädigt worden ist. Versicherungsfall ist das Ereignis, dessen Eintritt notwendige Bedingung der Leistungspflicht des Versicherers ist. Der Versicherungsfall bei einer Wohngebäudeversicherung besteht u.a. in der Beschädigung von versicherten Sachen durch Leitungswasser (vgl. § 4 Nr. 1 b) VGB 2003).
Der gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 VVG zu kürzende Anspruch des Klägers ist aber bereits erfüllt worden.
Der Anspruch des Klägers ist gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 VVG zu kürzen, weil der Kläger grob fahrlässig in doppelter Hinsicht eine Obliegenheitsverletzung begangen hat:
Der Kläger hat entgegen § 24 Nr. 1 c) und d) VGB 2003 einerseits die wasserführenden Anlagen in den nicht benutzten Gebäudeteilen nicht abgesperrt, andererseits hat er nicht alle Gebäudeteile in der kalten Jahreszeit beheizt.
Es ist unstreitig, dass die Dachgeschosswohnung wie auch die übrigen Teile des Gebäudes, mit Ausnahme der Wohnung des Zeugen E, nicht mehr bewohnt waren und dass dies bereits Ende 2008 der Fall war. Vor diesem Hintergrund ist die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Wohnung des Mieters E von diesem noch bewohnt wurde oder nicht, unerheblich. Die Nutzung nur einer Wohnung heißt nicht, dass damit das Gesamtobjekt genutzt würde. Trotz der überwiegenden Nicht-Nutzung des Gebäudes hat der Kläger in den ungenutzten Teilen das Wasser nicht abgesperrt.
In diesem Zusammenhang kann der Kläger sich auch nicht darauf berufen, es sei ihm unmöglich gewesen, das Wasser abzusperren, weil er die Leitungen für einzelne Gebäudeteile/Wohnungen nicht separat habe absperren können und weil der Mieter E das Wasser noch benötigt habe. Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten vertraglich dazu verpflichtet, wasserführende Leitungen für einzelne Gebäudeteile in speziellen Situationen abzusperren. Wenn er sich hierzu verpflichtet hatte, musste er auch die diesbezüglichen Vorkehrungen treffen. Es ist nicht ersichtlich, dass dies seine vertraglichen Pflichten überstrapazieren würde. Sofern der Kläger die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung für eine Überstrapazierung hält, hätte er diese Pflicht nicht eingehen dürfen. Nunmehr muss er sich am Vertrag festhalten lassen.
Angesichts der nicht erfolgten Absperrung des Wassers kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kläger oder der Zeuge E das Gebäude kontrolliert haben, nicht an. Denn die Kontrolle ist zusätzlich zur Absperrung des Wassers erforderlich. Die unterlassene Absperrung allein reicht damit bereits aus, um eine Obliegenheitsverletzung zu begründen.
Unstreitig hat der Kläger das Gebäude auch weder beheizt noch die wasserführenden Anlagen abgesperrt, obwohl er hierzu in der kalten Jahreszeit verpflichtet gewesen wäre.
Die Obliegenheitsverletzung ist auch schuldhaft erfolgt. Zwar bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Vorsatz des Klägers. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann allein aus der Formulierung, der Kläger habe davon "abgesehen, Strom und Wasser zum Monatswechsel Dezember 2008/Januar 2009 abzusperren", nicht zwingend auf einen Vorsatz im Sinne einer bewussten Entscheidung gegen die Erfüllung der Obliegenheit geschlossen werden. Es ist vielmehr zweifelhaft, ob der Kläger sich in diesem Zeitpunkt überhaupt Gedanken über seine Obliegenheiten im Verhältnis zur Beklagten gemacht hat.
Der Kläger muss sich aber grobe Fahrlässigkeit vorwerfen lassen, weil er in besonders hohem Maße das außer Acht gelassen hat, was jedem hätte einleuchten. Unbestritten herrschten im Januar 2009 besonders kalte Außentemperaturen. Unstreitig stand das Haus auch überwiegend schon leer. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger damit rechnen müssen, dass bei Nicht-Beheizung des Hauses und gleichzeitigem Nicht-Absperren des Wassers die Gefahr eines Frostschadens besonders war. Gerade in dem Zusammenspiel von Nicht-Beheizung und Nicht-Absperrung liegt die besonders gravierende Pflichtverletzung.
Die Obliegenheitsverletzung war auch ursächlich für den eingetretenen Versicherungsfall. Unstreitig handelt es sich bei dem aufgetretenen Wasserschaden um einen typischen Frostschaden. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat nichts dazu vorgetragen, dass auch bei pflichtgemäßem Beheizen der Wohnung oder Absperren der Wasserleitungen der Dachgeschosswohnung der eingetretene Schaden ausgeblieben wäre.
Aus den o.g. Gründen liegt auch eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß § 81 Abs. 2 VVG vor.
Die vor diesem Hintergrund entsprechend der Schwere des Verschuldens des Klägers vorzunehmende Leistungskürzung ist zu Recht im Umfang von 70 % erfolgt. Angesichts der doppelten Obliegenheitsverletzung, die unter Berücksichtigung der Jahreszeit und der besonderen Kälte umso schwerer wiegt, hält das Gericht eine Kürzung der Leistung um mindestens 70 % für angemessen. Dabei ist entsprechend den Versicherungsbedingungen (§ 26 Nr. 5 VGB 2003) die Mehrwertsteuer nicht ersatzfähig. Vor diesem Hintergrund schuldete die Beklagte jedenfalls nicht mehr als 30 % von der um die Mehrwertsteuer zu kürzenden Summe von 11.856,10 €. Geschuldet waren demnach 30 % von (11.856,10 € - 19 % MwSt.) = 30 % von 9.963,11 € = 2.988,93 €.
Der in dieser Höhe grundsätzlich bestehende Anspruch des Klägers ist erloschen, weil er von der Beklagten durch Zahlung von 3.769,01 € bereits vollständig erfüllt worden ist.
Damit entfallen auch alle weiteren Ansprüche des Klägers.
Die Entscheidung beruht hinsichtlich der Kosten auf § 91 ZPO, hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.