07.03.2012 · IWW-Abrufnummer 121073
BGH: Urteil vom 08.02.2012 – IV ZR 287/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. November 2010 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 30. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag auf Zahlung und Beitragsfreistellung in Anspruch.
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Er erlitt im Januar 2006 einen Skiunfall, der zur Berufsunfähigkeit in seinem Beruf als Maler führte. Die Beklagte erbrachte daraufhin Versicherungsleistungen, stellte die Zahlungen jedoch zum 31. Januar 2009 mit der Begründung ein, der Kläger sei nicht länger berufsunfähig. Er hatte im März 2008 eine Tätigkeit als Kaufmann im Einzelhandel (Malerbedarf) aufgenommen, auf welche die Beklagte ihn verweist.
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In den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen (ABV) heißt es in § 1 unter Bezugnahme auf die Bestimmungen zum Tarif BV 10 (TB) unter I. 2. (2.1):
"... Kein schließendes Satzzeichen
Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise Kein schließendes Satzzeichen
a) eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung entspricht; Kein schließendes Satzzeichen
... Kein schließendes Satzzeichen
In den drei zuvor genannten Fällen ist es nicht zumutbar, dass die Tätigkeit zu Lasten der Gesundheit geht oder dass das jährliche Einkommen 20% oder mehr unter dem Einkommen im zuletzt ausgeübten Beruf liegt. ... "
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Zwischen den Parteien ist streitig, ob das jetzige Einkommen des Klägers 20% oder mehr unter dem Einkommen in seinem zuletzt ausg e-übten Beruf liegt und ihm eine Verweisung nach I. 2. (2.1) TB zumutbar ist.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer monatlichen Ber ufsunfähigkeitsrente in Höhe von 525,96 € sowie Beitragsfreistellung verurteilt. Dagegen wendet sie sich mit der Revision, mit der sie Klageabweisung erstrebt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe gegen die Beklagte weiterhin Anspruch auf Leistungen, weil bei der gebotenen Vergleichsbetrachtung auf das jeweilige Bruttoeinkommen abzustellen sei. Der Begriff des "jährlichen Einkommens" in Ziffer I . 2. (2.1) TB sei nicht näher definiert. Nach der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB gelte daher die für den Versicherungsnehmer günstigste Lösung, was hier das Bruttoeinkommen sei. Bei der Ermittlung des Bruttoeinkommens des Klägers in den Jahren 2002 -2005 sei auch das Arbeitslosengeld einzubeziehen und dabei auf den Leistungssatz zuzüglich der bei der Berechnung des Leistungsentgelts vom Bemessungsentgelt vorgenommenen Abzüge abzustellen. Bei einer danach vorgenommenen Berechnung betrage die Einkommensminderung pro Monat 22,35%.
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II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Die Revision wendet sich zu Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte dürfe den Kläger nicht auf seine derzeit konkret ausgeübte Tätigkeit verweisen, weil sein jetzi ges jährliches Einkommen mehr als 20% unter dem Einkommen in seinem zuletzt ausgeübten Beruf liege.
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Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht über § 305c Abs. 2 BGB einen Bruttovergleich vorgenommen und bei Einbeziehung des Arbeitslosengeldes I die vom Bemessungsentgelt vorgenommenen Abzüge hinzugerechnet. Es hat dabei verkannt, dass es bei dem bedingungsgemäß vorzunehmenden Einkommensvergleich entscheidend auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände ankommt. Maßgeblich ist nicht die Festlegung auf eine Berechnungsmethode , sondern nach welcher die zu vergleichenden Lebensstellungen in ihrer wirtschaftlichen/finanziellen Komponente zutreffend abgebildet werden . Dabei können die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB und das damit einhergehende Günstigkeitsprinzip erst zur Anwendung ko mmen, wenn die jeder Kontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorauszugehende Auslegung zu einem objektiv mehrdeutigen Ergebnis führt und mindestens zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind (Senatsurteil vom 5. Juli 1995 IV ZR 133/94, VersR 1995, 951 unter 2 a m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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1. Nach § 1 ABV i.V.m. I. 2. (2.1) Satz 3 a) TB liegt Berufsunfähigkeit dann nicht vor, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung entspric ht. Zur Vergütung legt Satz 4 konkretisierend fest, dass es nicht zumutbar ist, wenn das jährliche Einkommen 20% oder mehr unter dem Einkommen im zuletzt ausgeübten Beruf liegt.
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a) Bei der Auslegung ist vom Wortlaut auszugehen. Danach ergibt § 1 ABV i.V.m. I. 2. (2.1) Satz 4 TB aus Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers zunächst zwar nicht zweifelsfrei, ob zum "Einkommen" auch Arbeitslosengeld zählt und ob das Netto- oder das Bruttoeinkommen zu berücksichtigen ist. Der Begriff "Einkommen" ist insoweit offen. Eine nähere Bestimmung folgt abe r aus dem Zusammenhang mit der Regelung in Satz 3 a), dass die konkret ausgeübte neue Tätigkeit der "bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung" entsprechen muss. Der Versicherungsnehmer kann daraus entnehmen, dass der Begriff des Einkommens abhängig ist von seiner bisherigen Lebenssituation. Bereits das legt ihm nahe, dass maßgeblich nicht nur das im bisher ausgeübten Beruf gezahlte Entgelt ist, sondern weitere Umstände bedeutsam sein können, die seine Lebensstellung prägen. In der Instanzrechtsprechung wird daher zutreffend zugrunde gelegt, dass nicht die Gleichheit des durch Arbeit erzielten Einkommens den Vergleichsmaßstab bildet, sondern die Vergleichbarkeit der Lebensstellung, die sich ein Versicherter aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit verschafft hat oder verschaffen kann (Saarländisches OLG, OLGR Saarbrücken 2006, 902, 903; VersR 2004, 54).
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b) Der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinn und Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Regelung des § 1 ABV in Verbindung mit den Tarifbestimmungen lässt ihn zu der Einsicht kommen, dass wie das Berufungsgericht noch zutreffend angenommen hat bei seinen Einkünften das saisonal bedingt regelmäßig gezahlte Arbeitslosengeld in den Einkommensvergleich einzubeziehen ist.
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Das sogenannte Arbeitslosengeld I ist anders als das Arbeitslosengeld II kein Transfereinkommen, sondern eine Versicherungsleistung, die abhängig von den konkreten Umständen bei der Berechnung d es Einkommens mit zu berücksichtigen ist. Die Berufsunfähigkeitsversicherung soll für den Versicherten erkennbar seinen individuellen und sozialen Abstieg im Berufsleben und in der Gesellschaft verhindern (Kirsch in Verantwortlichkeit im Wirtschaftsrecht S. 95, 99). Die Regelung des § 1 ABV i.V.m. I. 2. (2.1) Satz 4 TB dient dazu, insoweit eine Vergleichbarkeit herzustellen, und zwar der Lebensstellung sowie der Einkommensmöglichkeiten nicht aber der bloßen Einkünfte, die er durch seine berufliche Tätigkeit erzielt. Maßgeblich ist mithin nach den Versicherungsbedingungen nicht die reine Differenz der im Beruf erzielten Einkommensbeträge, sondern die über das erreichte Einkommen hinausgehend zu berücksichtigende Gleichwertigkeit der Lebensstellung.
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Diese Lebensstellung wird durch den jetzt vom Kläger ausgeübten Beruf mit seinen saisonabhängigen wiederkehrenden Zeiten der Arbeitslosigkeit mitgeprägt. Es versteht sich daher, dass auch das in diesen Zeiten gezahlte Arbeitslosengeld, mit dem der Lebensunterhalt bestritten werden kann, in den Vergleich der Lebensverhältnisse einbezogen wird, weil nur so auch die Vergleichbarkeit in wirtschaftlicher/finanzieller Sicht hergestellt wird.
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c) Welche Vergleichsmethode des so zu berücksichtigenden Einkommens dem Maßstab der Gleichwertigkeit am besten gerecht wird, kann nicht generell nach einer bestimmten Methode festgelegt werden, sondern muss stets im Einzelfall entschieden werden . Der Senat hat daher beim Einkommen im Grundsatz einen Vergleich nach der Brutto - wie nach der Nettomethode gebilligt, wenn darüber die tatsächlichen Lebens -stellungen zutreffend abgebildet werden. Bei Berücksichtigung aller relevanten Umstände dürften die beiden Methoden ohnehin nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (Senatsurteil vom 22. Oktober 1997 IV ZR 259/96, VersR 1998 unter 4 b im Anschluss an BGHZ 127, 391, 395 f.; vgl. ferner Senatsurteil vom 17. Juni 1998 IV ZR 215/97, VersR 1998, 1537 unter II 3; Brandenburgisches OLG Urteil vom 7. September 2006 12 U 265/03, [...] Rn. 28; Saarländisches OLG aaO).
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2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Berechnung des Berufungsgerichts, insbesondere seine fiktive Ermittlung des Bruttoarbeitslosengeldes rechtsfehlerhaft. Für die Lebensstellung des Klägers in seinem bisher ausgeübten Beruf war entscheidend, was ihm tatsächlich regelmäßig monatlich an Einnahmen zur Verfügung stand. Dies waren nach den unangegriffenen tatrichterlichen Feststellungen vor allem sein Nettogehalt und das saisonal regelmäßig gezahlte Arbeitslosengeld I. Danach ergibt sich eine Einkommenseinbuße von weniger als 20%, die bedingungsgemäß vom Versicherten hinzunehmen ist . Der Senat stimmt weiterhin mit dem Landgericht überein, dass auch die übrigen Voraussetzungen der Verweisbarkeit gegeben sind .
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III. Da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, kann der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden.
Wendt
Felsch
Harsdorf -Gebhardt
Lehmann
Dr. Brockmöller
Von Rechts wegen
Verkündet am: 8. Februar 2012