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11.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121529

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 09.03.2012 – 6 Sa 608/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.09.2011 - 4 Ca 754/11 - teilweise wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 690,80 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2011 zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

In der Berufungsinstanz verfolgt die geringfügig beschäftigt gewesene Klägerin einen Schadensersatzanspruch, der auf eine unrichtige Handhabung des Arbeitsverhältnisses zurückgeführt wird.

Die Klägerin wurde seit Januar 2007 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 03. Dezember 2009 bei der Beklagten als geringfügig beschäftigte Produktionsmitarbeiterin tätig. Als Beschäftigung waren "voraussichtlich im Monat bis zu sechs Tagen/über sechs Tage" vereinbart. Der Lohn war 7,51 € brutto festgesetzt und ferner vereinbart, dass der Arbeitgeber die Pauschalsteuer trägt. In § 6 des Arbeitsvertrages wurde erklärt, dass derzeit kein weiteres Beschäftigungsverhältnis ohne Lohnsteuerkarte bzw. mit Pauschalversteuerung besteht.

Zugleich war die Verpflichtung aufgenommen, dass bei einer zusätzlichen Tätigkeit eine Meldepflicht gegenüber der Gehaltsbuchhaltung besteht.

In einer Selbstauskunft erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten bei Vertragsschluss, dass sie neben dieser geringfügig entlohnten Beschäftigung keine weitere Beschäftigung habe.

Die Klägerin hatte monatlich schwankende Arbeitszeiten. Ihr wurde mitgeteilt, dass dies durch ein Arbeitszeitkonto geregelt würde. So leistete die Klägerin im März 2010 etwa 134 Arbeitsstunden, erhielt jedoch als Arbeitsvergütung für 52,62 Stunden einen Betrag von 399,98 €. Im April 2010 wurde die Klägerin sodann unter Fortzahlung ihrer Bezüge von 399,98 € nicht zur Arbeitsleistung herangezogen. Von Mai bis Oktober 2010 sammelte die Klägerin auf dem Arbeitszeitkonto 181,79 zusätzliche Stunden an.

Als der Controller der Beklagten feststellte, dass infolge der vereinbarten Arbeitszeitkonten einige geringfügige Beschäftigte in manchen Monaten mehr Arbeitsleistung erbracht hätten, als einem Monatsverdienst von "400,00 € brutto" entsprochen habe, ordnete der Geschäftsführer der Beklagten entsprechende Rückrechnungen an. Am 13. Dezember 2010 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass sie rückwirkend ein Sozialversicherungsarbeitsverhältnis mit der Klägerin anmelden werde. Daraufhin erklärte die Klägerin erstmals, sie arbeite bereits auf Lohnsteuerkarte (Bl. 39 d. A.).

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, für die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelte Leistung sei ein Betrag von 1.381,60 € zu zahlen. Insgesamt stünde ihr nach der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung für die Monate März bis November 2010 ein Betrag von 4.642,18 € zu, worauf die Beklagte tatsächlich lediglich 3.260,64 € bezahlt habe. Die Beklagte habe die illegale Handhabung veranlasst und sei deshalb wegen Verletzung der Fürsorgepflicht schadensersatzpflichtig. Sie - die Klägerin - habe erst am 18. März 2010 in einem weiteren Arbeitsverhältnis Zeitungen ausgetragen und dies Frau W von der Beklagten sofort ausdrücklich mitgeteilt. Frau W habe erklärt, dies sei kein Problem; man werde dies über ein Arbeitszeitkonto abrechnen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.381,60 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung beantragt

und erwidert, angesichts der aufgelaufenen Stunden habe sie bei der Klägerin nicht mehr von einem sozialversicherungs- und steuerrechtlich privilegierten geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ausgehen können.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. September 2011 - 4 Ca 754/11 - Seite 3 bis 6 (= Bl. 68 - 71 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine rückwirkende Belastung mit Steuern- und Sozialversicherungsbeiträgen erscheine pflichtwidrig, weil hier keine der Parteien Anhaltspunkte für eine unberechtigte Prognose der Beklagten zum Verdienst der Klägerin vorgebracht hätte. Eine Pflichtverletzung der Beklagten könne jedoch dahinstehen, da die Klägerin die Höhe ihres Schadens nicht nachvollziehbar dargelegt habe. Einen höheren Lohnsteuerabzug könne ein Arbeitnehmer durch die Antragsveranlagung ausgleichen. Dass gegenüber der Klägerin ein (bestandskräftiger) Steuerbescheid für 2010 ergangen sei, habe sie nicht vorgetragen. Was die Sozialversicherungsbeiträge anbelange, sei nicht vorgetragen, ob und welche Rechtsbehelfe zur Schadensvermeidung (erfolglos) eingelegt worden seien.

Zu den weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das vorbezeichnete Urteil vom 21. September 2011 - 4 Ca 754/11 - Bezug genommen.

Gegen das der Klägerin am 13. Oktober 2011 zugestellte Urteil richtet sich deren am 31. Oktober 2011 eingelegte und am 06. Dezember 2011 begründete Berufung.

Die Klägerin bringt zweitinstanzlich insbesondere vor,

die Beklagte habe weder die Höhe des Schadens der Klägerin bestritten, noch Ausführungen dazu gemacht, dass sie - die Klägerin - im Rahmen ihrer Einkommenssteuererklärung möglicherweise eine Rückforderung habe. Der Schadensersatzanspruch sei schlüssig dargelegt. Es sei gegenübergestellt, was sie - die Klägerin - netto erhalten habe und was ihr nach Versteuerung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge erhalten geblieben sei. Es sei auch nicht erkennbar, dass sie die vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer komplett zurückerhalte und welche sozialversicherungsrechtlichen Rechtsbehelfe hätten eingelegt werden sollen. Aus der in der Anlage beigefügten Berechnung der Einkommenssteuer ergäbe sich eine Nachversteuerung in Höhe von 390,75 € gegenüber einer Steuererstattung in Höhe von 112,70 € bei nicht durchgeführter Besteuerung der Einkünfte. Die Beklagte habe die Handhabung der Stunden in schwächere Monate gesetzeswidrig initiiert und vollzogen. Bei richtiger Handhabung wären die geltend gemachten Summen an Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerbeiträgen nicht entstanden.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. September 2011 - 4 Ca 754/11 - wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.381,60 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat

Zurückweisung der Berufung

beantragt und erwidert, aus dem Schriftsatz vom 10.08.2011 sei nicht zu entnehmen, woraus sich Schadensersatzansprüche ergeben sollen. Die Klägerin könne sich höchstens auf die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge berufen. Vorsorglich seien die Ansprüche der Klägerin dem Grunde und der Höhe nach zu bestreiten, zugleich auch ein Zusammenhang mit dem Handeln der Beklagten. Die Berechnungen der Klägerin seien zu bestreiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 02. Dezember 2011 (Bl. 91 - 93 d. A.) nebst den vorgelegten Unterlagen, sowie den Schriftsatz vom 23. Februar 2012 (Bl. 112 - 113 d. A.) Bezug genommen. Bezüglich der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 24. Januar 2012 (Bl. 107 - 111 d. A.) verwiesen. Zugleich wird auf die Feststellungen der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 09. März 2012 (Bl. 114 - 116 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die statthafte, form- und fristgerechte Berufung der Klägerin ist zulässig und zum Teil auch begründet.

Nach Auffassung der Berufungskammer ist die Beklagte verpflichtet, an die Klägerin 690,80 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05. Februar 2011 zu zahlen.

Basis der Verurteilung bildet die von der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - manifestierte Rechtslage, wonach der Arbeitgeber gemäß § 280 BGB dem Arbeitnehmer auf Schadenersatz haftet, wenn er bei der Einhaltung der Abführung der Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge schuldhaft Nebenpflichten verletzt, dadurch Schäden des Arbeitnehmers verursacht und dem Arbeitnehmer kein Mitverschulden zur Last gelegt werden kann (vgl. Heuermann, Systematik und Struktur der Leistungspflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren S. 149 ff., 151). Dabei hat der Arbeitgeber für die verkehrsübliche Sorgfalt einzustehen (§ 276 BGB). Dies zieht bei unklarer Rechtslage regelmäßig die Notwendigkeit nach sich, eine Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt einzuholen (§ 42 e EStG; BAG Urteil vom 11. Oktober 1989 - 5 AZR 585/88 = NZA 1990, 309).

Nach § 40 a EStG - Pauschalierung der Lohnsteuer für Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte - kann der Arbeitgeber unter Verzicht auf den Abruf von elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen (§ 39 e Abs. 4 Satz 2) oder die Vorlage einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (§ 39 Abs. 3 oder § 39 e Abs. 7 oder Abs. 8) bei Arbeitnehmern, die kurzfristig beschäftigt werden, die Lohnsteuer mit einem Pauschalsteuersatz von 25 % des Arbeitslohns erheben. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber gelegentlich nicht regelmäßig wiederkehrend beschäftigt wird, die Dauer der Beschäftigung achtzehn zusammenhängende Arbeitstage nicht übersteigt und der Arbeitslohn während der Beschäftigungsdauer 62,00 € durchschnittlich je Arbeitstag nicht übersteigt oder die Beschäftigung zu einem unvorhersehbaren Zeitpunkt sofort erforderlich wird.

Der Arbeitgeber wird Selbstschuldner der pauschalen Lohnsteuer (§ 40 a Abs. 5, 40 Abs. 3 EStG). Unter sozialversicherungsrechtlichen Aspekten gilt § 20 SGB IV und dort Abs. 2, wonach eine Gleitzone im Sinne des Gesetzbuches bei einem Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn das daraus erzielte Arbeitsentgelt zwischen 400,01 € und 800,00 € im Monat liegt und die Grenze von 800,00 € im Monat regelmäßig überschritten wird; bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen ist das gesamte erzielte Arbeitsentgelt maßgebend.

Nach Maßgabe der beiden vorstehenden Vorschriften hat die Beklagte durch die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos die Schwellenwerte, die zur Abführung der pauschalen Lohnsteuer und dem Ausschluss zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen führen verletzt. Die oben beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen haben nicht vorgelegen. Nach den tatbestandlich aufgeführten Arbeitsstunden kam es zu einem die Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht auslösenden Überschreiten. Dies erkennend hat die Beklagte auch zutreffend Rückrechnungen vorgenommen und die entsprechenden Beträge an die zuständigen Stellen abgeführt. Zwar ist die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos nach Auffassung der Berufungskammer auch bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen nicht ausgeschlossen (§ 7 b Nr. 5 SGB IV in der Neufassung des SGB IV vom 12. November 2009 (BGB L. I, 3710 ff.); jedoch dürfen die Grenzwerte insgesamt nicht überschritten werden. Dies gilt umso mehr als nach dem Stand des Berufungsverfahrens nicht qualifiziert bestritten wurde, dass die Klägerin bereits im Januar 2010 darauf hingewiesen habe, sie stünde in einem weiteren Arbeitsverhältnis durch das Austragen von Zeitungen habe und man müsse die Stunden entsprechend einrichten.

Die vom Arbeitgeber nachträglich für den Anspruchszeitraum abgeführten Beträge sind der bei der Klägerin kausal eingetretene Vermögensschaden; denn dieser - klagegegenständliche - Betrag wäre der Klägerin bei ordnungsgemäßer Handhabung des Arbeitsverhältnisses als Arbeitsvergütung zugeflossen. Der Anspruch ist allerdings nach Auffassung der Kammer gemäß § 254 BGB wegen Mitverschuldens um die Hälfte zu reduzieren. Der Grund liegt darin, dass die Klägerin nach Auffassung der Berufungskammer über einen längeren Zeitraum von Mai bis Oktober 2010 hingenommen hat, dass es zur monatlichen Überschreitung von Arbeitsstunden bzw. zum Ansammeln von Mehrstunden auf dem Arbeitszeitkonto gekommen ist, die die einkommenssteuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Korrektur durch die Beklagte veranlasst hat. Dass der Klägerin die Grenzen bekannt gewesen sind, wird aus der am 03.12.2009 erteilten Selbstauskunft im Zusammenhang mit dem von der Beklagten vorgelegten Personalfragebogen für geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV deutlich. In ihr hat die Klägerin angekreuzt, dass sie keine weitere Beschäftigung habe und unterzeichnet, dass sie sich verpflichtet, dem Arbeitgeber unaufgefordert und unverzüglich über eine Veränderung über die persönlichen Verhältnisse zu informierten. Die Klägerin hat zugleich ausdrücklich bekundet, dass sie weiß, dass sich durch die Aufnahme oder Beendigung einer Beschäftigung oder Tätigkeit bei der Beurteilung der Versicherungspflicht oder -freiheit grundlegende Veränderungen ergeben können (Bl. 46 d. A.).

Auf die einkommenssteuerrechtliche Situation bei der Klägerin kommt es nicht entscheidungserheblich an. Hierbei handelt es sich um fiktive Überlegungen der Vorinstanz.

II. Der Zinsanspruch hat seine Grundlage in § 246, 247 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

VorschriftenBGB § 241 Abs. 2, BGB § 280, EStG § 42e