07.09.2012 · IWW-Abrufnummer 123026
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 20.06.2012 – IV ZR 150/11
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandgerichts vom 22. Juni 2011 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
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I. Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers aus einer bei der Beklagten seit Juli 2007 gehaltenen Versicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Verbu ndene Gewerbe-Gebäudeversicherung (VGGB 2006) in der Fassung 08/2006 zugrunde liegen.
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Versicherte Gefahren sind Feuer, Leitungswasser, Sturm und Hagel. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers und eines Mitversicherungsnehmers wies der Versicherungsschein als Betriebsart "Hausverwaltung (reiner Bürobetrieb)" aus. Tatsächlich stand das Gebäude bis auf zwei Kellerräume seit Erwerb des Anwesens durch die Versicherungsnehmer bis zum Eintritt des Schadenfalles leer. Am 29. Oktober 2007 beantragten die Versicherungsnehmer für das Anwesen bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung der "Nutzungsänderung eines Gewerbebetriebes in bordellähnlichen Betrieb und gewerblicher Zimmervermietung" unter Beifügung von Planungsentwürfen eines Architekten. Die Renovierungs- und Umbauarbeiten waren bei Eintritt des Schadens noch nicht vollständig abgeschlossen. Inzwischen wird das Anwesen als Bordell genutzt.
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Am 15. Juni 2008, einem Sonntag, drangen Unbekannte in das Gebäude ein und öffneten unter anderem im Dachgeschoss die Wasserentnahmestellen und Eckventile, durch die Leitungswasser austrat und sich von dort aus auf die darunter liegenden Flächen verteilte. Es kam zu einer starken Durchfeuchtung von Decken und Wänden, teilweise brachen Deckenteile aus Gipskartonplatten herunter. Nachdem der Beklagten im Juni 2008 der Schaden gemeldet worden war, erklärte sie im Juli 2008 die fristlose Kündigung des Vertrages und berief sich auf Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung, weil eine Anzeige der andauernde n umfangreichen Umbauma ßnahmen und die beabsichtigte Nutzung als Bordell nicht erfolgt seien.
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II. Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Versicherungsschutz für den Leitungswasserschaden stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger W iederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in dem sehr sorgfältigen Urteil und der Revision kommt dem Verfahren keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu.
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a) Diese ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dann anzunehmen, wenn eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2010 II ZR 156/09, NJW -RR 2010, 978 Rn. 3; vom 27. März 2003 V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; jeweils m.w.N.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Lite ratur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 aaO; Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 IV ZR 319/02, VersR 2004, 225 unter 2 a und b; jeweils m.w.N.).
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b) Danach ist eine grundsätzliche Bedeutung nicht e rsichtlich. Es gibt zur Frage des Zeitpunkts des Vorliegens einer Gefahrerhöhung keine divergierende Rechtsprechung und auch keine unterschiedlichen Literaturansichten, und zwar auch nicht im Zusammenhang mit einer geänderten Gebäudenutzung. Thematisiert wird diese Frage in der Literatur bisher insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten Brandreden, Bombendrohungen und Erpressungen. Anerkannt ist, dass allein die Absichten des Versicherungsnehmers oder von Dritten regelmäßig nicht ausreichen, sondern von einer realen Gefahrerhöhung nur dann gesprochen werden kann, wenn ein Umstand unter Berücksichtigung möglicher Kausalverläufe die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles ex ante steigert. Ein Beobachter, der die fraglichen Umstände kennt, muss allein aufgrund dieser Kenntnis eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles feststellen können. Die Gefahrerhöhung beginnt mit dem Anfang eines vorprogrammierten Geschehens, in dessen Verlauf es zu einer gefahrerhöhenden Bedrohung kommt (grundlegend Prölss, VersR 2004, 576, 577 f.; Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 23 Rn. 22; in ähnliche Richtung: MünchKomm -VVG/ Wrabetz/Reusch, § 23 Rn. 184; Looschelders in Looschelders/Pohlmann, VVG § 23 Rn. 9 f.; Bruck/Möller/Matusche-Beckmann, VVG 9. Aufl. § 23 Rn. 6 ff.).
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Es kommt mithin stets maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles an, wann sich die Absichten eines Versicherungsnehmers im Hinblick auf eine Gefahrerhöhung derart verdichtet haben, dass ihre Umsetzung bereits begonnen hat. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall der Plan der Versicherungsnehmer durch die Beantragung der Nutzungsänderung bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde Ende Oktober 2007 sowie der Durchführung der Umbauarbeiten bereits in die Tat umgesetzt worden sei und zum Zeitpunkt des Schadenereignisses eine Gefahrerhöhung vorgelegen habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Versicherungsnehmer hatten Fakten geschaffen, die nicht mehr nur im Bereich ihrer inneren Vorstellungen blieben, sondern nach außen hin sichtbar wurden und die Aufmerksamkeit Dritter auf sich ziehen konnten.
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2. Es liegen auch keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler vor. Beweiserhebungen zur Frage der Gefahrerhöhung durch einen Borde llbetrieb waren ebenso wenig notwendig wie zu der Frage, ob sich die beabsichtigte Nutzung als Bordell bereits herum gesprochen hatte.
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a) Nach ständiger Senatsrechtsprechung soll durch die Be stimmungen der §§ 23 ff. VVG das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung aufrechterhalten bleiben: Der Versicherer soll nicht gezwungen sein, sich an einem Versicherungsvertrag festhalten zu lassen, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass nach den Erkenntnissen der Versicherungsm athematik und den Grundsätzen der Versicherungstechnik die Erhebung einer höheren Prämie geboten gewesen wäre. Von einer Gefahrerhöhung kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn nachträglich eine Gefahr enlage eingetreten ist, bei welcher der Versicherer den in Frage stehenden Versicherungsvertrag entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte. Es kommt nicht auf einzelne Gefahrumstände an, sondern darauf, wie sich die Gefahrenlage im Ganzen seit der Antragstellung entwickelt hat. Dabei sind alle aus dem Parteivortrag ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen (BGHZ 79, 156, 158 m.w.N.; Senatsurteil vom 8. Juli 1987 IVa ZR 19/86, VersR 1987, 921 unter 2). Dass eine geänderte Gebäudenutz ung eine Gefahrerhöhung darstellen kann, entspricht gefestigter Rechtsprechung und ganz herrschender Ansicht (BGH VersR 1966, 721; Loacker in Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG 2. Aufl. § 23 Rn. 18). Ebenfalls ist es anerkannt, dass die Änderung der gewerblich en Nutzung von Räumlichkeiten zur Nutzung als Bordell anzeigepflichtig ist. Die Anzeigepflicht beruht auf der Annahme, dass mit dieser Nutzungsänderung eine Gefahr -erhöhung einhergeht, insbesondere wegen des damit oft verbundenen kriminellen Milieus (Senatsurteil vom 15. Januar 1989 IVa ZR 333/87, VersR 1989, 398, 399; OLG Düsseldorf r+s 1996, 147; OLG Köln r+s 1991, 138; Langheid/Wandt, MünchKomm VVG 2010 § 19 Rn. 74; soweit Loacker aaO der Ansicht ist, dass dies die Richtigkeit der Hypothese voraussetze, dass es in Bordellbetrieben statistisch häufiger zu Bränden kommt, ist dies nicht maßgeblich, weil V ersicherer dieses Risiko jedenfalls entweder gar nicht oder zu deutlich höheren Tarifen versichern).
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b) Das Berufungsgericht konnte daher rechtsfehle rfrei ohne Beweiserhebung annehmen, dass die Nutzungsänderung eine Gefahrerh ö-hung darstelle und die Beklagte bei Kenntnis der beabsichtigten Nutzungsänderung den Versicherungsvertrag gar nicht oder jedenfalls zu deutlich anderen Bedingungen abgeschlossen h ätte. Die Beklagte hat glaubhaft vorgetragen, dass sie bei Kenntnis der Nutzung des Gebäudes als Bordell den Versicherungsvertrag überhaupt nicht abgeschlossen hätte. An der Plausibilität der Annahme von Versicherungsunternehmen, der Betrieb eines Bordells stelle aufgrund des damit oft verbundenen kriminellen Milieus eine Gefahrerhöhung dar, hat sich auch nichts durch den Versuch des Gesetzgebers geändert, Prostitution zu entkriminalisieren. Das Berufungsgericht hat schließlich auch sämtliche Umstände gewürdigt. Eine Gefahrkompensation der Nutzungsänderung zum Betrieb eines Bordells durch Vermietung zweier Kellerräume während der Zeit des Umbaus ist nicht erkennbar. Dieser Umstand hätte allenfalls Bedeutung erlangen können, soweit auf eine Gefahrerhöhung dur ch den mehrere Monate andauernden Leerstand während des Umbaus abgestellt worden wäre, was das Berufungsgericht jedoch nicht getan hat.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.