Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

10.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130104

Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 28.09.2012 – I-16 U 124/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Düsseldorf

I-16 U 124/11

Tenor:

Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die Berufung des Klägers das am 22.07.2011 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Krefeld teilweise abge-ändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100.501,80 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juli 2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20. Mai 1994 nicht durch Kündigung der Beklagten vom 18. September 2009 fristlos mit sofortiger Wirkung, sondern durch außerordentliche Kündigung des Klägers vom 15. Oktober 2009 beendet worden ist.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 88% und der Klä-ger zu 12% zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe

I.

Der Kläger war aufgrund des Vertretungsvertrages vom 13./20. Mai 1994 (Anl. K 1, Bl. 21 ff. GA) seit Juli 1994 zunächst für die A...AG und nach Abspaltung im Jahre 2006 für die Beklagte als Versicherungsvertreter tätig. Er hält die von der Beklagten mit Schreiben vom 18. September 2009 ohne vorherige Abmahnung erklärte fristlose Kündigung für unwirksam und begehrt entgangene Provisionen für die Zeit von Mitte September 2009 bis Ende Juni 2010, die er - unter Abzug ersparter Aufwendungen - mit 109.501,80 € beziffert.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei berechtigt gewesen, das Vertragsverhältnis ohne vorherige Abmahnung fristlos zu kündigen, weil der Kläger seine Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag nachhaltig verletzt habe. Er habe nicht nur gegen das Provisionsabgabeverbot verstoßen, indem er seit 2004 in einer Vielzahl von Fällen für Kunden die ersten Beiträge der Versicherungslaufzeit übernommen habe; dieser seit Jahren systematische und in einer Vielzahl von Fällen zumindest grob fahrlässig begangene Verstoß rechtfertige allein indessen die sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht. Entscheidend sei, dass der Kläger in mehreren Fällen die Kunden durch die Provisionsweitergabe zum Abschluss von Verträgen bewogen habe, obgleich er gewusst oder zumindest für wahrscheinlich gehalten habe, dass diese Verträge wegen mangelhafter Beratung, Zahlungsunwilligkeit oder Zahlungsunfähigkeit der Kunden storniert werden würden, was nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe; der Beklagten sei es aufgrund dieser massiven Vertragspflichtverletzungen nicht zuzumuten, die angesichts des immerhin 15 Jahre dauernden Vertragsverhältnisses verhältnismäßig kurze Frist von 9 Monaten bis zum 30. Juni 2010 für eine ordentliche Kündigung einzuhalten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertritt die Ansicht, das Provisionsabgabeverbot diene allgemein den Interessen des Verbraucherschutzes und den finanziellen Interessen des Versicherungsvermittlers, weswegen ein Verstoß gegen dieses Verbot eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen könne. Das Landgericht hätte daher keinen Beweis erheben dürfen, weil Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit einer fristlosen außerordentlichen Kündigung alleine der zum Gegenstand der Kündigung gemachte und in ihr genannte Grund sei. Da die Kündigung selbst nicht begründet worden sei und die Begründung vom 28. September 2009 auf Verstoß gegen das - ihm unbekannt gewesene - Provisionsabgabeverbot laute, sei maßgeblich alleine der Umstand gewesen, dass er Provisionen abgetreten habe. Das Landgericht habe die Aussagen der Zeugen P..., H..., W... und J... unzutreffend gewürdigt und nicht berücksichtigt, dass diese Zeugen Zielgruppe der Riesterverträge gewesen seien und die Beklagte ihm zu keinem Zeitpunkt untersagt habe, mit Geringverdienern und Hartz IV-Empfängern Riesterverträge abzuschließen. Einem wichtigen, die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Grund stehe entgegen, dass seine Verfahrensweise der Beklagten bei einer hinreichenden Überwachung des Überweisungsverkehrs spätestens seit 2007 hätte bekannt gewesen sein können und müssen; es könne nicht zu seinen Lasten gehen, dass die Beklagte seine Vorgehensweise in dem fraglichen Zeitraum nicht beanstandet habe. Sollte die Beklagte hiervon keine Kenntnis gehabt haben, wobei es auf die Kenntnis der zur Überprüfung zuständigen Stelle ankommen dürfte, läge ein Organisationsverschulden vor. Eine längere Duldung bzw. laue Beanstandungspraxis folge auch aus den niemals abgehaltenen Schulungen bzw. versandten Mitteilungen zum Thema Provisionsabgabeverbot. Er sei 15 Jahre lang für die Beklagte erfolgreich - als Ausschließlichkeitsvertreter - tätig gewesen, habe in dieser Zeit mehrere Auszeichnungen gewonnen und sei vom Haupt- zum Generalvertreter befördert worden. Darüber hinaus sei die vereinbarte 9-monatige Kündigungsfrist verhältnismäßig kurz. Als Vater von 3 minderjährigen Kindern und alleinigen Ernährer der Familie treffe ihn die Kündigung schwer, zumal die Entscheidung des Landgerichts einem faktischen Berufsverbot gleichkomme, da er aufgrund der von der B.. den Versicherern auferlegten Zuverlässigkeitsprüfung von keinem deutschen Versicherer mehr beschäftigt werden dürfe. Ein etwaiges Kündigungsrecht sei zudem verwirkt, da die Beklagte aufgrund der mit der Bemerkung "Provisionsabtretung" versehenen Überweisungsträger ab 2007 hiervon Kenntnis hätte haben müssen, jedenfalls aber spätestens im Juli 2009 Kenntnis gehabt habe. Der zuständige Vertriebsbereichsleiter habe Ende Juli 2009 - bereits Ende Juli/Anfang August 2009 abgeschlossene - Ermittlungen angestellt und insbesondere die im Rahmen der Beweisaufnahme vernommenen Zeugen persönlich aufgesucht und zu den näheren Umständen der Vertragsschlüsse befragt, so den Zeugen K... und dessen Verwandte am 30. Juli 2009. Die mehr als 8 Wochen hiernach ausgesprochene Kündigung habe die nach § 314 Abs. 3 BGB zu wahrende Frist nicht gewahrt. Schließlich habe das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main kürzlich die das Provisionsabgabeverbot regelnde Rechtsverordnung als zu unbestimmt angesehen und für nicht anwendbar erklärt, weswegen Provisionsabgaben nunmehr grundsätzlich zulässig seien.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 109.501,80 € nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juli 2010 zu zahlen;

festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20 Mai 1994 fristgerecht zum 30. Juni 2010 beendet wurde,

hilfsweise, festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20 Mai 1994 nicht durch Kündigung der Beklagten vom 18. September 2009 fristlos mit sofortiger Wirkung beendet worden ist, sondern durch außerordentliche Kündigung des Klägers vom 15. Oktober 2009 beendet worden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie die Klage auch mit den Klage erweiternd im Rechtsmittelverfahren eingebrachten Feststellungsanträgen abzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des Sachverhaltes im Übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Der Senat hat terminsvorbereitend Hinweise erteilt (Bl. 714 ff. GA), zu welchen die Parteien Stellung genommen haben. Nach mündlicher Verhandlung und Wiedereröffnung hat der Senat im Einverständnis der Parteien im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet; teilweisen Erfolg hat auch die zweitinstanzliche Klageerweiterung. Die Beklagte schuldet dem Kläger nach § 89a Abs. 2 HGB, § 280 BGB Schadensersatz in Höhe von 100.501,80 €, weil die von ihr erklärte außerordentliche Kündigung mangels vorheriger Abmahnung unwirksam ist. Deswegen kann der Kläger auch die Feststellung verlangen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20. Mai 1994 nicht durch Kündigung der Beklagten vom 18. September 2009 fristlos mit sofortiger Wirkung, sondern durch außerordentliche Kündigung des Klägers vom 15. Oktober 2009 beendet worden ist.

1. Teil:

Die Beklagte schuldet dem Kläger nach § 89a Abs. 2 HGB, § 280 BGB Schadensersatz in Höhe von 100.501,80 €.

A.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist für den Zeitraum ab dem 15. Oktober 2009 § 89a Abs. 2 HGB.

I.

Der Kläger hat das zwischen den Parteien bestehende Handelsvertretervertragsverhältnis mit seinem Schreiben vom 15. Oktober 2009 wirksam außerordentlich i.S.d. § 89a Abs. 1 S. 1 HGB gekündigt. Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches durch den Kläger bestand das Vertragsverhältnis (noch). Das Vertragsverhältnis war nicht durch die zuvor seitens der Beklagten mit Schreiben vom 18. September 2009 erklärte fristlose Kündigung beendet worden. Denn die außerordentliche Kündigung der Beklagten war unwirksam, weil kein wichtiger Grund i.S.d. § 89a Abs. 1 S. 1 HGB hierfür vorlag.

Gemäß § 89a HGB (i.V.m. § 92 Abs. 2 HGB) kann das Vertragsverhältnis von jedem Teil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Dem entspricht die Regelung in Nr. 803 der Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Vertretungsvertrages gewordenen Allgemeinen Vertragsbestimmungen für hauptberufliche Vertreter (Anl. HNH2, Bl. 111 ff. GA). Ein solcher wichtiger Grund liegt nach der Legaldefinition in § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (BGH, Urt. vom 29.06.2011 - VIII ZR 212/08, [...] Rn. 17; Urt. vom 10. November 2010 - VIII ZR 327/09, [...] Rn. 19; Oberlandesgericht München, Urteil vom 29. Juli 2010 - 23 U 4893/09 -, [...]; Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2001 - 16 U 84/00 -, [...]; Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2008, § 89a Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen). Dass geringfügige Vertragsverletzungen keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung sein können, ergibt sich bereits aus dem auf die Umstände des Einzelfalles bezogenen Begriff des wichtigen Grundes. Im Handelsvertreterrecht ist die Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung auf schwerwiegende Vertragsverletzungen in besonderer Weise geboten, weil das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB den Verlust des Ausgleichsanspruchs zur Folge hat (vgl. BGH, Urt. vom 10. November 2010 - VIII ZR 327/09, [...] Rn. 24). Für die Zumutbarkeit des Abwartens fallen die Nähe des nächsten ordentlichen Kündigungstermins, zu erwartende Folgen der außerordentlichen Kündigung, eine langjährige erfolgreiche Tätigkeit für den Unternehmer und eine längere Duldung ins Gewicht (vgl. Baumbach/Hopt, aaO, § 89a Rn. 7 m.w.N.). Die tatsächlichen Voraussetzungen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung sind von demjenigen darzulegen und zu beweisen, der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft (Baumbach/Hopt, aaO, § 89a Rn. 11). Schließlich ist grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich, die nur dann entbehrlich ist, wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (BGH, Urt. v. 16.12.1998, VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539; Beschluss vom 21.02.2006 - VIII ZR 61/04, NJW-RR 2006, 755, 756; allgemein für Dauerschuldverhältnisse jetzt § 314 Abs. 2 BGB).

II.

Dies zugrunde gelegt, rechtfertigt die wiederholte Weitergabe von Provisionen durch den Kläger an Versicherungsnehmer der Beklagten ohne vorherige Abmahnung keine fristlose Kündigung, wie das Landgericht im angefochtenen Urteil völlig zutreffend ausgeführt hat.

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Provisionsweitergabe unabhängig von der Wirksamkeit der Regelung des § 81 VAG (i. V. m. der für den jeweiligen Versicherungszweig geltenden Verordnung, u.a. der Bekanntmachung des Reichsaufsichtsamtes für des Privatversicherungswesen vom 8. März 1934 betreffend Lebensversicherungen [Anl. NNH 5, Bl. 123 GA], des BAV v. 17.8.1982 [Anl. NNH 3, Bl. 114 f. GA]) vereinbart sei, trifft dies nicht zu. In Nr. 5.50 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten für hauptberufliche Vertreter (Anl. HNH2, Bl. 111 ff. GA) heißt es hierzu: "Provisionsabgaben und Sondervergütungen an Versicherungsnehmer in mittelbarer oder in unmittelbarer Form sind nach den Anordnungen des Bundesaufsichtsamtes verboten." Damit wird nicht ein eigenständiges Verbot selbständig vertraglich vereinbart, sondern es wird (nur) auf ein bestehendes Verbot aufgrund anderweitiger Anweisung Bezug genommen.

Gegen die Wirksamkeit des § 81 a VAG hinsichtlich der Sondervergütungen bestehen Bedenken. Es spricht einiges für die Annahme, dass die Anordnung mit europäischem Kartellrecht unvereinbar und deshalb ihrerseits nichtig ist, weil das hoheitliche Provisionsabgabeverbot eine unternehmerische Kartellabsprache verstärkt (vgl. EuGH, Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-2/91, Meng, Slg. 1993, I-5791 Rn. 10 ff; KG VersR 1995, 445, 446 f; Dreher WuW 1994, 193; ders. VersR 1995, 1, 3 ff und 2001, 1 ff; Winter VersR 2002, 1055, 1056 f; Winter VerR 2012, 66; jetzt auch VG Frankfurt, Urt. v. 24.10.2011, 9 K 105/11, VersR 2012, 356; offengelassen von BGH, Urt. v. 17.6.2004, III ZR 271/03, BGHZ 159, 334).

Unabhängig von der Wirksamkeit dieser Regelung war die Beklagte jedenfalls nicht ohne eine vorhergehende Abmahnung zur fristlosen Kündigung gem. § 89a HGB berechtigt (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall OLG Köln, Urt. vom 08.12.2006 - 19 U 96/06, [...] Rn. 41). Die Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass durch die Weitergabe von Provisionen die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien in so schwerwiegender Weise erschüttert war, dass sie nicht durch eine erfolgreiche Abmahnung hätte wiederhergestellt werden können. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger, der bereits seit 1994 mit großem Erfolg für die Beklagte als Vermittler tätig war, auf eine Abmahnung der Beklagten hin sein Verhalten nicht geändert hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht verdeckt handelte, sondern die Erstbeiträge von seinem Agenturkonto überwiesen und dabei als Verwendungszweck explizit eine "Provisionsabtretung" angab, ihm daher offensichtlich die Tragweite seines Handeln nicht bewusst war und auch die Beklagte, die auf das Verbot in keiner Schulung oder Informationsschrift hinwies, demzufolge ein abweichendes Verhalten nicht als grundsätzlichen Anlass für die sofortige unumstößliche Beendigung einer Zusammenarbeit mit dem Versicherungsvertreter ansah.

Sofern der Kläger bei seiner von der Beklagten vorgenommenen Anhörung am 3. September 2009 zunächst wahrheitswidrig erklärt haben sollte, die Kunden hätten die später von seinem Provisionsskonto auf die Verträge überwiesenen Zahlungen an ihn in bar gezahlt, lässt dies nicht den Schluss auf ein vorsätzliches Handeln des Klägers zu; nicht auszuschließen ist, dass der Kläger aus dem von der Beklagten für ihn völlig überraschend erhobenen Vorwurf, er habe Versicherungsbeträge für Versicherungsnehmer aus eigenen Mitteln aufgebracht, in diesem Moment den - zutreffenden - Schluss gezogen hat, dieses Vorgehen sei nicht erlaubt gewesen, und er daraufhin den wenn auch nicht gerechtfertigten, so doch nachvollziehbaren Versuch unternommen hat, diesem Vorwurf durch eine unzutreffende Sachverhaltsdarstellung entgegenzutreten. Auf dieser Grundlage kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung, die dem Kläger deutlich die Konsequenzen eines erneuten gleichartigen Verstoßes vor Augen geführt hätte, erfolglos geblieben wäre; vielmehr sprach viel dafür, dass sich der Kläger nach einer Abmahnung an das Provisionsabgabeverbot gehalten hätte.

III.

Nichts anderes gilt, soweit der Kläger einige Verträge vermittelt hat, von deren alsbaldiger Stornierung/Kündigung er ausgehen musste. Zwar durfte das Landgericht diesen Kündigungsgrund berücksichtigen (nachfolgend zu 1.); auch ist die fristlose Kündigung nicht verfristet (nachfolgend zu 2.). Schließlich geht auch der Senat aufgrund des Ergebnisses der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass der Kläger in einigen Fällen die ihm bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen obliegenden Pflichten verletzt hat (nachfolgend zu 3.). Gleichwohl ist die außerordentliche Kündigung mangels nicht entbehrlicher Abmahnung unwirksam (nachfolgend zu 4.).

1.

Entgegen der Ansicht des Klägers durfte das Landgericht diesen Kündigungsgrund berücksichtigen. Die Gründe für eine außerordentliche Kündigung brauchen bei deren Ausspruch nicht genannt zu werden. Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 89a HGB hängt nicht davon ab, dass der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits mitgeteilt worden ist (BGH, Urt. vom 29.06.2011 - VIII ZR 212/08, [...] Rn. 28; Urt. vom 7. Juli 1988 - I ZR 78/87, [...] 14 mwN). Hier hat die Beklagte in ihrer Kündigung überhaupt keinen Grund genannt. Selbst wenn man das Schreiben der Beklagten vom 28. September 2009 (Anl. K5, Bl. 48 GA = 594 GA) mit dem Kündigungsschreiben als Einheit ansehen wollte, sind gleichwohl nicht nur die in dem vorgenannten Schreiben vom 28. September 2009 angegebenen Gründe zu berücksichtigen. Auch Gründe, die bei Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen, die dem Kündigenden aber bis dahin unbekannt waren, sind bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung zu beachten (Baumbach/Hopt a.a.O. Rdn. 14). Sollten der Beklagten das nun von ihr beanstandete Vorgehen des Klägers bei ihrer fristlosen Kündigung von September 2009 bereits bekannt gewesen sein, ergäbe sich nichts anderes. Die Bezugnahme auf einen bestimmten wichtigen Grund in der Kündigungserklärung bedeutet im Zweifel nicht, dass die ausgesprochene Kündigung nur auf diesen Grund gestützt werden soll und andere bekannte oder unbekannte Gründe nicht zu ihrer Rechtfertigung dienen sollen. Der außerordentlich Kündigende will sein Kündigungsrecht im Zweifel auf alle tatsächlich gegebenen Gründe stützen, sofern er nicht unmissverständlich Gegenteiliges und damit den Willen zum Verzicht auf mögliche Rechte auf Grund der sonstigen Kündigungsgründe zum Ausdruck bringt (vgl. Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Auflage 2008, § 89a Rn. 56), was hier nicht der Fall ist.

2.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine außerordentliche Kündigung, auch diejenige nach § 89a HGB, nach Kenntnis des Kündigungsgrundes, wenn auch nicht sofort, so doch in angemessener Zeit ausgesprochen werden. Die eine Zweiwochenfrist bestimmende Norm des § 626 Abs. 2 BGB wird durch die speziellere Vorschrift des § 89a HGB verdrängt und findet daher auf Handelsvertreterverträge keine Anwendung (BGH, Urt. vom 29.06.2011 - VIII ZR 212/08, [...] Rn. 19 mwN). Vielmehr ist dem zur Kündigung Berechtigten eine angemessene Überlegungszeit zuzugestehen, deren Dauer sich nach den Umständen des jeweiligen Falles richtet. Sie ist regelmäßig kürzer als zwei Monate, denn ein zweimonatiges Zuwarten kann in der Regel nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen angesehen werden, weil es darauf hindeutet, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis selbst nicht als so schwerwiegend empfunden hat, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem anderen Teil bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar ist (BGH aaO).

Dies zugrunde gelegt, ist die von der Beklagten unter dem 18. September 2009 erklärte fristlose Kündigung weder verfristet noch verwirkt. Selbst wenn die Beklagte bereits früher Kenntnis von den hier in Rede stehenden Überweisungsträgern des Klägers mit dem dort eingetragenen Verwendungszweck "Provisionsabtretung" gehabt haben sollte, musste sich ihr hieraus nicht zwingend der Verdacht aufdrängen, dass der Kläger in den zu Grunde liegenden Fällen die Kunden durch die Provisionsweitergabe zum Abschluss von Verträgen bewogen hat, obgleich er gewusst oder zumindest für wahrscheinlich gehalten hat, dass diese Verträge wegen mangelhafter Beratung, Zahlungsunwilligkeit oder Zahlungsunfähigkeit der Kunden storniert werden würden. Davon abgesehen ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte und dort deren Entscheidungsträger Kenntnis von den Überweisungsträgern vor August 2009 hatten. Die Überweisungsträger waren nicht an die Beklagte, sondern an die A...L... AG gerichtet; selbst wenn die Beklagte sich deren Kenntnis zurechnen lassen müsste, ist nicht ersichtlich, dass Entscheidungsträger der A... L... AG Kenntnis von diesen Überweisungsträgern hatten oder hätten haben müssen. Nach dem detaillierten Vorbringen der Beklagten auf Seite 19 ihrer Klageerwiderung (Bl. 106 GA) waren ihr erst aufgrund von Prüfungen des Geldwäschebeauftragten im August 2009 Provisionsweitergaben aufgefallen, woraufhin die Revision der A... D... AG informiert wurde, die umgehend mit den entsprechenden Ermittlungen begann, woraufhin nach Zusammentragung der notwendigen Informationen das - zwischen den Parteien außer Streit stehende - Gespräch mit dem Kläger am 3. September 2009 geführt und nach Erstellung des Prüfungsberichts durch die Revision am 14. September 2009 die Kündigung erklärt wurde. Von diesem Sachvortrag hat der Senat auszugehen, weil der Kläger ihn in erster Instanz nicht in Abrede gestellt hat und sein insoweit zweitinstanzlich neues Vorbringen, die Beklagte habe Kenntnis spätestens seit Juli 2009, allerspätestens seit 21. Juli 2009 davon gehabt, dass von seinem Bankkonto Überweisungen getätigt wurden, mangels Zulassungsgrund nicht zu berücksichtigen ist, zumal die von dem Kläger insoweit in Bezug genommene Strafanzeige der Beklagten vom 21. September 2009 hierfür nicht ansatzweise etwas hergibt.

3.

Der Senat teilt die vom Landgericht nach Beweisaufnahme getroffene Feststellung, dass der Kläger in einigen Fällen seine Pflichten als ordentlicher Kaufmann nicht ordnungsgemäß wahrgenommen hat, als er Kunden Versicherungsverträge vermittelt hat, von deren alsbaldiger Kündigung/Stornierung er ausgehen musste.

a)

Auch die Beklagte behauptet nicht, dem Kläger konkrete Vorgaben hinsichtlich der Bonität der Versicherungsnehmer und/oder ihrer Überprüfung gemacht zu haben. Die Beklagte hat das klägerische Vorbringen nicht in Abrede gestellt, ihm zu keinem Zeitpunkt untersagt zu haben, mit Geringverdienern und Hartz IV-Empfängern Riesterverträge abzuschließen. Hiernach kann dem Kläger daher nicht vorgeworfen werden, gegen konkrete Anordnung der Beklagten verstoßen zu haben; einen derartigen Verstoß macht die Beklagte auch nicht geltend.

Mangels konkreter Vorgaben muss es grundsätzlich der Einschätzung des geschäftsfähigen, ordnungsgemäß aufgeklärten Versicherungsnehmers überlassen bleiben, ob er den Versicherungsvertrag abschließen möchte und die insoweit anfallenden Versicherungsprämien wird aufbringen können. Es kann dahin stehen, ob und inwieweit der jeweilige Versicherungsvertreter die Versicherungsvermittlung von der - positiven - Prognoseentscheidung abhängig zu machen hat, dass der Kunde voraussichtlich seine Prämien zahlen - können - wird. Es liegt in der Natur einer solchen Prognoseentscheidung, dass diese mit Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet ist; sollte der Versicherungsvertreter Kunden mit finanziell beschränkten Möglichkeiten nur sehr zurückhaltend Verträge vermitteln, wird er unter Umständen die von der Beklagten an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen können. Pflichtwidrig wird die Vermittlung eines Versicherungsvertrages daher nur dann sein, wenn es für den Versicherungsvertreter offenkundig ist, dass der Versicherungsnehmer die Prämien auf gar keinen Fall wird bedienen können, der Vertrag also von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

b)

Dies zu Grunde gelegt, teilt der Senat die vom Landgericht nach Beweisaufnahme getroffene Feststellung, dass der Kläger in einigen Fällen seine Pflichten als ordentlicher Kaufmann nicht ordnungsgemäß wahrgenommen hat, als er diesen Kunden Versicherungsverträge vermittelt hat, weil er davon ausgehen musste, dass die Versicherungsnehmer die Prämien nicht werden zahlen können und den Vertrag daher kündigen bzw. stornieren werden.

aa)

Hinsichtlich des der Zeugin J... vermittelten Vertrages geht der Senat, wie in seinem Hinweis vom 16. April 2012 auf Seite 4 (Bl. 717 GA) ausgeführt, von einem Sparvertrag mit weltweitem Unfallversicherungsschutz aus. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass dieser Vertrag für die Zeugin (bzw. die durch den Vertrag Begünstigte, deren Tochter) keinen Sinn machte. Dieser Vertrag war nach den eigenen Angaben der Zeugin (Schreiben Anl. K 54, Bl. 428 GA) als "Absicherung" für ihre im Ausland (in Israel) lebende Tochter bestimmt. Nach dem nicht substantiiert in Abrede gestellten Vorbringen des Klägers sicherte dieser Vertrag für die Tochter der Zeugin Risiken ab und hatte gleichzeitig eine Sparfunktion (Bl. 414 GA). Nicht ersichtlich ist, dass der Unfallversicherungsschutz, wie die Zeugin gemeint hat, wertlos sein soll, weil die Tochter der Zeugin überwiegend im Ausland lebt.

Indessen musste der Kläger bei Vermittlung dieses Vertrages davon ausgehen, dass die Zeugin nicht in der Lage sein wird, die Jahresprämie für diese Versicherung von etwa 4.750 € zu tragen; dies war der Zeugin aus eigenen Mitteln nicht möglich, weil die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zumindest 75-jährige Zeugin damals bereits Rentnerin war und eine monatliche Rente - im Jahr 2011 - von ca. 900 € erhielt, sie also zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keinesfalls eine höhere Rente erhielt und es bereits vor dem Vertragsschluss immer wieder vorgekommen war, dass ihr Konto nicht gedeckt war und sie deswegen Versicherungsbeiträge i.H.v.30 oder 35 € im Monat (die Zeugin unterhielt weitere Versicherungen bei der A..., und zwar Kfz-Haftpflicht-, Haftpflicht- und Hausratversicherung) in bar an den Kläger abgeführt und sie bereits häufiger Mahnungen der Beklagten erhalten hat (Bl. 354, 483 GA). Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände der Kläger gemeint haben kann, eine solche Versicherung könne zumindest über einen gewissen Zeitraum Bestand haben und originär von der Zeugin bedient werden. Die Berufungserwiderung der Beklagten weist zu Recht darauf hin, dass die Ungenauigkeiten in der Aussage der älteren Zeugin (betreffend den Zeitraum der Bekanntschaft mit dem Kläger und ihre, Erklärung, sich nicht genau an den Vertragsschluss erinnern zu können) an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussage nichts zu ändern vermögen.

Dagegen lässt sich nicht sicher feststellen, dass der Kläger die Zeugin im Übrigen unzutreffend beraten hat. Soweit die Zeugin bekundet hat, der Kläger habe alles immer so schnell gemacht, habe alles schnell in seinem Computer geschrieben, so dass sie gar nicht mitgekommen sei, steht nicht fest, dass der Kläger dies realisiert hat. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zutreffen sollte, dass die Tochter der Zeugin bereits einen umfassenden Auslandsversicherungsschutz genoss (Bl. 451 GA), ist jedenfalls nicht dargetan, dass dies dem Kläger bewusst war bzw. hätte sein müssen. Selbst wenn man jedoch hiervon auszugehen hätte, ist nicht ersichtlich, dass der Vertrag, der wie ausgeführt, auch einen Spar-Charakter hatte, nicht gleichwohl Sinn gemacht hat; jedenfalls lässt sich das Gegenteil nicht feststellen.

bb)

Der Kläger hat den Zeugen H... vor dem Abschluss einer Riester-Rente zutreffend darüber belehrt, dass ein Vertrag über eine Riester Rente beitragsfrei gestellt werden kann; dies allein ist keine Pflichtverletzung. Auch hat die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme entgegen der Ansicht des Beklagten nicht ergeben, dass der Kläger den Zeugen überhaupt nicht belehrt hat. Vielmehr hat der Zeuge bei seiner Vernehmung vom 5. Mai 2011 bekundet, sich an die Einzelheiten des damaligen Gesprächs nicht mehr erinnern zu können. Daran vermag nichts zu ändern, dass der Kläger den Zeugen ausweislich seiner Bekundungen am 19. Juli 2011 spontan auf den Riester-Vertrag angesprochen hat, der Zeuge auf einen derartigen Vertrag sich noch nicht vorbereitet hatte und es sich nach Einschätzung des Zeugen um eine unüberlegte Sache von ihm handelte. Indessen hätte der Kläger angesichts der Gesamtumstände den Zeugen auf die Möglichkeit eines späteren Vertragsschlusses verweisen müssen, statt ihn bereits jetzt vertraglich zu binden unter gleichzeitiger Übernahme der Erstprämie.

cc)

Auch soweit der Kläger der Zeugin W... am 28. November 2007 einen Riester-Vertrag mit einem Jahresbeitrag von 72 € vermittelt hat, der vom Kläger am 28. Dezember 2007 für 2008 gezahlt wurde, hat er seine ihm obliegenden Pflichten als Versicherungsvertreter verletzt. Auch der Senat folgt der Schilderung der Zeugin, wonach diese dem Kläger 2007 mitteilte, sie könne die Prämien für den Riester-Vertrag nicht zahlen, weil sie den Offenbarungseid abgegeben habe und bei der SCHUFA eingetragen sei. Es spricht Einiges dafür, dass die Zeugin mit dem Offenbarungseid die eidesstattliche Versicherung meinte; soweit beim Amtsgericht Krefeld unter dem Namen der Zeugin eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis am 10. Mai 2011 nicht ermittelt worden ist (Anlage K 51, Bl. 425 GA), weckt dies keine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage, da Anschrift und Geburtsdatum der Zeugin bei der Anfrage beim Amtsgericht nicht angegeben wurden und deswegen nicht auszuschließen ist, dass ein Eintrag der Zeugin nicht ermittelt werden konnte; ebenso wenig ist ausgeschlossen, dass das Amtsgericht zum Zeitpunkt der von dem Kläger im Jahre 2011 getätigten Anfrage eine Eintragung im Hinblick auf einen eventuell sehr lange zurückliegenden Eintragungszeitpunkt nicht mehr mitteilen musste/nicht mehr mitgeteilt hat. Auch wenn hiernach von den Angaben der Zeugin auszugehen ist, hat der Kläger hier zwar einen Kunden zum Abschluss eines Versicherungsvertrages bewogen, indem er die Erstprämie übernimmt, aber eben auch nicht mehr. Hier hat der Kläger mit der Übernahme der Erstprämie - in diesem Fall erfolgreich - versucht, Kunden zu akquirieren in der Hoffnung, diese würden den Versicherungsvertrag in der Folgezeit selbst bedienen. Dies war trotz der entgegenstehenden Erklärung der Zeugin keineswegs ausgeschlossen oder zumindest völlig fernliegend, bediente doch die Zeugin mehrere andere bei der Beklagten unterhaltene Versicherungen beanstandungsfrei (vgl. die Bekundungen der Zeugin Bl. 340 GA sowie die von der Beklagten nicht in Abrede gestellte Darstellung des Klägers auf Seite 11 seines Schriftsatzes vom 6. Juni 2011, Bl. 411 GA). Gleichwohl ist dieses Vorgehen des Klägers auch aus Sicht des Senats eindeutig zu beanstanden und muss auch nach Einschätzung des Senats von der Beklagten keineswegs hingenommen werden.

dd)

Hinsichtlich des der Zeugin P... vermittelten Riester-Vertrags hatte die Zeugin nach eigenen Bekundungen bei Abschluss des Riester-Vertrags damit gerechnet, wieder arbeiten zu können; die Zeugin hielt es für möglich, zum maßgeblichen Zeitpunkt - Mai 2007 - einen 1-Euro-Job gehabt zu haben. Soweit die Zeugin bekundet hat, sie hätte den Vertrag nicht abgeschlossen, wenn der Kläger die Erstprämie nicht übernommen hätte, weil sie das Geld damals nicht hatte, ging die Zeugin gleichwohl damals davon aus, die Folgeprämie zahlen zu können. Unter diesen Umständen stellt es jedenfalls keine grobe Pflichtverletzung dar, der Zeugin einen für diese grundsätzlich geeigneten Riester-Vertrag zu vermitteln; im Gegenteil hätte die Beklagte dem Kläger nicht ausreichende Vertriebsbemühungen vorwerfen können, hätte er den Wunsch der Zeugin abschlägig beschieden, mit ihr einen Riester-Vertrag abzuschließen.

Der Kläger hat die Zeugin ordnungsgemäß aufgeklärt; nach deren Angaben hat der Kläger ihr gesagt, sie müsse die Folgeprämie zahlen; dies war der Zeugin klar und sie war damit einverstanden. Mag auch die Zeugin entsprechend den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sehr einfach strukturiert sein, hat die unstreitig geschäftsfähige Zeugin die Aufklärung doch offenkundig verstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die eigene Einschätzung der Zeugin, sie werde in der Lage sein, die Folgeprämien zu entrichten, für den Kläger ersichtlich so unvertretbar war, dass er den Versicherungsvertrag ihr entgegen ihrem Wunsch nicht hätte vermitteln dürfen. Zwar mag es sein, dass die Einschätzung der Zeugin im Mai 2007, sie werde wieder eine Arbeitsstelle finden, nur geringe Chancen auf Realisierung hatte; die Gesamtumstände (die Zeugin ist nach den Feststellungen des Landgerichts geistig sehr einfach strukturiert und deutlich übergewichtig, sie betrat das Landgericht jeweils mit einem Rollator im Beisein ihres Ehemannes, den sie seit einigen Jahren pflegt) mögen dagegen gesprochen haben. Es ist indes nicht ersichtlich, dass die Zeugin als Hartz IV-Empfängerin nicht auch ohne entgeltliche Beschäftigung den monatlichen Beitrag hätte aufbringen können. So unterhielt die Zeugin bereits im Mai 2007 verschiedene weitere Versicherungen bei der Beklagten bzw. anderen Konzerngesellschaften, und zwar eine Hausrat-, eine Haftpflicht- und eine Glaszusatzversicherung, die sie nach ihren Angaben, die von der Beklagten nicht in Abrede gestellt werden, laufend bedient hatte und bedient. Die Beklagte zeigt nicht nachvollziehbar auf, weswegen es der Zeugin als Hartz IV-Empfängerin - entgegen deren eigener Einschätzung - auf gar keinen Fall möglich war, den Riester-Vertrag zu bedienen. Das spätere Verhalten der Zeugin spricht eher dagegen; seit September 2009 zahlt sie auf den - wenn auch in vermindertem Umfang - reaktivierten Riester-Vertrag monatlich 6,83 €, offenbar auch ohne zwischenzeitlich Arbeit gefunden zu haben. Die Differenz von monatlich allenfalls elf Euro - bereits unter Berücksichtigung der ab dem 1. Januar 2008 vorgesehenen Prämienerhöhung des Riester-Vertrags - ist nicht so immens, dass ein Hartz IV-Empfänger sie keinesfalls aufbringen kann. Der Umstand allein, dass die Zeugin die erste Jahresprämie nicht bedienen konnte, spricht nicht zwingend dagegen, dass es der Zeugin auch zukünftig nicht möglich sein wird, diese zu bedienen, da die Zeugin betont hat, sie habe das Geld ja "damals" nicht gehabt, sie aber davon ausging, die Folgeprämie zahlen zu können.

Es mag rückschauend so sein, dass der Kläger möglicherweise der Zeugin eher hätte davon abraten sollen, einen Riester-Vertrag abzuschließen. Da ein solcher Vertrag zunächst aber einmal im Interesse der Beklagten lag - der erste Jahresbeitrag wurde vollständig entrichtet (wenn auch vom Kläger), seit mittlerweile mehr als zwei Jahren zahlt die Zeugin wiederum auf den wenn auch verminderten Riester-Vertrag - und die Zeugin auch nicht etwa vom Kläger übervorteilt oder gar geschädigt wurde, vermag der Senat eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers insoweit nicht festzustellen.

ee)

Der Zeuge K... hat bekundet, der von dem Kläger ihm vermittelte Riester-Vertrag sei gut für ihn; er habe vorgehabt, den Vertrag laufend zu bedienen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger - nach Übernahme der ersten Rate durch ihn selbst - diese Selbsteinschätzung des Zeugen für völlig unrealistisch halten musste und er deswegen davon hätte absehen müssen, dem Zeugen einen Riestervertrag zu vermitteln. Auch dieser Zeuge unterhielt bei der Beklagten weitere Verträge, so eine Hausrat-, eine Haftpflicht- und eine Glasversicherung, die der Zeuge nach seinen Angaben laufend bedient. Obwohl der Zeuge den hier in Rede stehenden Vertrag zeitnah nach seinem Abschluss gekündigt hat, hat er - wenn auch möglicherweise auf Betreiben des Klägers hin - im November 2009 um Fortführung des Vertrages gebeten und bedient diesen seitdem. Gerade bei geringen Haushaltseinkommen wird es teilweise von Zufällen abhängen, ob eine Versicherung bedient wird oder nicht. Die Hintergründe der zeitnah nach Abschluss des Vertrags von dem Zeugen durch Unterzeichnung einer vom Kläger vorgeschriebenen Erklärung erfolgten Kündigung des Riester-Vertrags blieben offen, so dass der Senat insoweit hierzu nichts zulasten des Klägers festzustellen vermag.

ff)

Der Zeuge B... war zwar seit 2003 arbeitslos und will dem Kläger bei Abschluss des Riester-Vertrags gesagt haben, er sei arbeitslos und könne die Prämien nicht zahlen; gleichwohl hat dieser Zeuge nach eigenen Bekundungen den Vertrag bewusst und gewollt unterschrieben, weil er, obgleich bezüglich anderer Versicherungsverträge mit Prämien zum Teil im Kleinstbereich wiederholt in Rückstand geraten, davon ausging, die Prämien mit dem Entgelt von der ARGE würde zahlen können, was ihm nach seiner Aussage letztlich aber nur aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse - Rechnung der Stadtkasse K.. sowie Bußgeldbescheid über insgesamt 1.300 € - nicht möglich war. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht sicher festzustellen, dass der Kläger zwingend davon ausgehen musste, der Zeuge werde einen zusätzlichen Versicherungsvertrag in einer Jahresprämie von 84 € nicht bedienen können.

gg)

Hinsichtlich des Zeugen O... vermag der Senat eine Pflichtverletzung des Klägers nicht festzustellen. Dieser Zeuge, der damals einen Kiosk betrieb und zusätzlich in einer Firma arbeitete, war bei Abschluss der - für ihn sinnvollen - Unfallversicherung im Dezember 2008 unstreitig wirtschaftlich leistungsfähig; er unterhielt damals 7 bzw. 9 Versicherungen bei der Beklagten und bediente diese. Erst als der Zeuge sich von seiner Ehefrau trennte, er Ansprüchen des Finanzamts ausgesetzt war und erkrankte, sah er die Unfallversicherung nicht mehr als notwendig an und kündigte diese bzw. bediente sie nicht mehr.

hh)

Den Aussagen der Zeugen G... ist keine Pflichtverletzung des Klägers zu entnehmen.

4.

Es kann dahinstehen, ob die zuvor aufgezeigten Pflichtverletzungen in drei Fällen eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten. Denn jedenfalls war eine Abmahnung nicht entbehrlich.

a)

Wie bereits ausgeführt, ist grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich, die nur dann entbehrlich ist, wenn Kündigungsgrund ein Umstand ist, auf welchen der zu Kündigende nicht Einfluss nehmen kann oder welchen er in angemessener Zeit nicht abstellen kann - beides ist hier nicht der Fall - oder wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 21.02.2006 - VIII ZR 61/04, NJW-RR 2006, 755, 756; Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, aaO, § 89a Rn 21). An den letztgenannten Ausnahmetatbestand sind strenge Anforderungen zu stellen. Er kann bei grobem Fehlverhalten des zu Kündigenden vorliegen, durch welches das notwendige Vertrauensverhältnis bei objektiver Würdigung aus der Sicht des Kündigenden endgültig sowie unreparabel zerstört worden ist und eine positive Prognose nicht mehr gestellt werden kann, wie bei strafbaren Handlungen oder bei der Annahme von Schmiergeldern (vgl. Löwisch aaO).

b)

Letztgenannte Fallgestaltungen liegen hier nicht vor. Von dem Kläger begangene strafbare Handlungen hat die Beklagte nicht nachvollziehbar aufgezeigt, auch nicht in ihrem Schriftsatz vom 25.04.2012 auf S. 11 (Bl. 743 GA). Schriftsätzlich vorgetragen hat die Beklagte in erster Instanz lediglich, dass dem Kläger Abschlussprovisionen von insgesamt 281,37 € zugeflossen sind, nicht aber, dass diese dem Kläger endgültig verblieben. Der Kläger hat bereits in erster Instanz (Schriftsatz vom 14. Juli 2011 auf Seite 10, Bl. 473 GA) darauf hingewiesen, dass es im Provisionsbereich bei Stornierungen zu einer Rückbelastung kommt; dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten, sondern hat dies selbst genau so auf Seite 2 ihrer Strafanzeige vom 21.09.2009 (Anl. BK8, Bl. 605 GA) dargestellt. Nichts anderes gilt, sofern man in der vorübergehenden Gutschrift von Abschlussprovisionen einen Vermögensvorteil sehen und die Auffassung der Beklagten teilen wollte, der Kläger habe bei der Vermittlung der Verträge konkludent zum Ausdruck gebracht, es läge ein tatsächliches Interesse der Versicherungsnehmer am jeweiligen Vertrag vor und der potentielle Versicherungsnehmer sei nach seiner, des Klägers, Einschätzung zur Vertragserfüllung in der Lage. Hinsichtlich der Zeugin J... hat die Beklagte nicht dargetan, dass dem Kläger eine Abschlussprovision zugeflossen ist. Hinsichtlich der Zeugen H..., W..., P..., B.... und K... lässt sich, wie oben ausgeführt, zumindest der für eine Straftat notwendige (bedingte) Vorsatz des Klägers nicht feststellen. Soweit das Landgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme ein vorsätzliches Verhalten des Klägers angenommen hat, besteht zu einer erneuten Vernehmung der Zeugen keine Veranlassung. Der Senat versteht die protokollierten Aussagen nicht anders als die Vorinstanz und wertet sie auch nicht anders. Der Senat vermag lediglich den vom Landgericht - unabhängig von dem persönlichen Eindruck der Zeugen - gezogenen Schluss auf ein vorsätzliches bzw. pflichtwidriges Verhalten des Klägers nicht (durchgehend) zu teilen.

c)

Eine Abmahnung war nicht deswegen entbehrlich, weil hier eine Störung des Vertrauensbereichs in Rede steht, wie die Beklagte meint, denn hier ging es um Störungen des Leistungsbereichs. Unter Störungen des Leistungsbereichs ist die Schlechterfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu fassen, wozu beispielsweise verschuldet hohe Stornoquoten zählen (vgl. Evers/Oberst, VW 2008, 1931, [...]); nichts anderes kann die für die Vermittlung nicht belastungsfähiger Versicherungsverträge gelten. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgehen wollte, die hier in Rede stehenden Störungen im Leistungsbereich hätten auch zu einer Störung im Vertrauensbereich geführt, weil die dem Kläger vorgeworfenen Handlungen über eine bloße Schlechterfüllung vertraglich übernommener Pflichten hinausgehen und sie Anlass geben, an seiner Integrität ihr gegenüber zu zweifeln, wäre die Abmahnung gleichwohl nicht entbehrlich gewesen. Auch im Vertrauensbereich ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Vertrauensgrundlage auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Urt. vom 29.04.2008 - 10 U 233/07, VersR 2009, 218; OLG Saarbrücken, Urt. vom. 25.01.2006, [...] Rn. 36; OLG Celle, Urt. vom 02.10.2008 - 11 U 82/08, zit. nach Evers/Oberst, aaO; Senat, Urt. vom 16.03.2001 - 16 U 168/99, HVR Nr. 952; LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 07.05.2007 - 4 Sa 1/07, [...] Rn. 33; Löwisch, aaO; Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 89 a Rz. 10; Evers/Oberst, aaO), was hier nicht der Fall ist, zumal die Abgrenzung zwischen Störung im Vertrauens- und Leistungsbereich ohnehin unscharf ist (Löwisch sowie Evers/Oberst, aaO).

d)

Eine als "verwerflich zu bezeichnende(n) Grundhaltung des Klägers", die jede Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm zerstört hat, wie die Beklagte auf Seite 9 ihres Schriftsatzes vom 26. Mai 2011 (Bl. 398 GA) meint, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies wäre ggf. der Fall bei einem planvollen Vorgehen des Klägers dergestalt, dass er bewusst Verträge herein holt, von deren zeitnaher Kündigung oder Stornierung er ausgeht, und er die auf die Verträge entfallenden Prämien aus eigener Tasche entrichtet, um die in dem jeweiligen Versicherungsbereich in Rede stehende Geschäftsplanbonifikation zu erhalten; bei einem solchen Verhalten des Klägers dürfte die Beklagte als Unternehmerin womöglich davon ausgehen, dass sich der Kläger auch nach einer Abmahnung nicht regelgerecht verhalten wird; vielmehr wäre es ihr dann wohl unzumutbar gewesen, den Vertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist mit ihm fortzusetzen.

Ein solches planvolles Vorgehen des Klägers ("Geschäftsmodell") ist indessen eher fern liegend; jedenfalls hat die insoweit beweisbelastete Beklagte es nicht bewiesen. Gegen ein von dem Kläger betriebenes "Geschäftsmodell" spricht deutlich bereits die sehr geringe Anzahl von Kunden, auf welche sich die Beklagte in diesem Zusammenhang bezogen hat; von diesen wenigen Kunden vermag der Senat zudem, wie oben ausgeführt, lediglich bei dreien (J..., H... und P...) überhaupt positiv festzustellen, dass der Kläger die betreffenden Vertrage nicht hätte vermitteln dürfen. Da letztlich bei jedem vermittelten Vertrag aus einer Versicherungssparte, in welcher die Beklagte eine Geschäftsplanbonifikation vergibt, nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Versicherungsvertreter diesen Vertrag nur vermittelt hat, um die Bonifikation zu erreichen, rechtfertigt die Vermittlung eines solchen Vertrages allein auch dann nicht die Annahme, der Versicherungsvertreter habe nur um der Bonifikation willen diesen Vertrag vermittelt, wenn dieser Vertrag später storniert wird. Dies kommt, was dem Senat aus einer Vielzahl von Fällen bekannt ist, durchaus häufig vor und kann auf vielerlei für den Versicherungsvertreter nicht voraussehbaren Umständen beruhen. Hier sprechen zudem mehrere Umstände deutlich gegen das von der Beklagten vermutete, planvolle Vorgehen des Klägers. Zum einen liegt die Stornoquote des Klägers weit unter dem Durchschnitt der Versicherungsvertreter der Beklagten und ist eine der niedrigsten im Konzern. Zum anderen ist der Kläger gerade nicht heimlich vorgegangen, sondern hat die Provisionsweitergabe in seinen Überweisungsträgern offen ausgewiesen; er hatte keinerlei Veranlassung anzunehmen, dass die Überweisungsträger der Beklagten nicht bekannt werden würden, zumal dies später auch geschehen ist; ohnehin ist bereits im Vertretungsvertrag klargestellt, dass die Gesellschaften der A...-Gruppe die zur Durchführung des Vertretervertrages erforderlichen Daten wie Provisions- und Leistungsdaten untereinander übermitteln. Der Kläger musste in Rechnung stellen, dass die Beklagte Provisionsweitergaben und Kündigungen/Stornierungen in Beziehung setzt und ein etwaiges planvolles Vorgehen des Klägers erkennt. Gegen einen planvolles Vorgehen des Klägers spricht deutlich dessen ganz erhebliche Provisionsweitergaben in Versicherungssparten, in welchen er für das betreffende Geschäftsjahr überhaupt keine oder nur eine erheblich unter seinen weitergegebenen Provisionen liegende Bonifikation erhalten hat. So hat der Kläger von der Beklagten im Jahr 2007 keine Bonifikation in der Sparte Unfallversicherung erhalten, aber allein für 3 Versicherungsnehmer Beitragszahlungen i.H.v. 2.850,13 € erbracht; in der Sparte Unfallversicherung hat er im Geschäftsjahr 2006 eine Bonifikation von 459 € erhalten, aber allein für 3 Versicherungsnehmer insgesamt 3.898,64 € aufgewandt (für B... 611,41 €, für O... 977,15 € und für K... 2.310,08 €). Dem dahingehenden Vortrag des Klägers auf S. 8 seiner Replik vom 10. November 2010 (Bl. 135 GA) ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, auch nicht mit ihrem Vorbringen, der Kläger habe exakt soviel an Prämien eingezahlt wie benötigt, um die Geschäftsplanbonifikation dauerhaft zu verdienen, weil sich dieses Vorbringen lediglich auf das Geschäftsjahr 2007 und den Bereich Lebensversicherung und das Geschäftsjahr 2008 und den Bereich Unfallversicherung bezieht, nicht also auf die gerade genannten Geschäftsjahre und Versicherungssparten. Hat der Kläger aber Erstprämien geleistet, obgleich er in der betreffenden Sparte in dem betreffenden Jahr überhaupt keine Geschäftsplanbonifikation oder eine unterhalb der Höhe der geleisteten Erstprämien liegende erhalten hat, ist nicht ersichtlich, dass er diese Prämien aufgebracht hat, um eine Geschäftsplan-Bonifikation zu erhalten. Dies spricht wiederum dagegen, dass der Kläger in den Jahren, in denen er eine Geschäftsplan-Bonifikation erhalten hat, die Erstprämien aufgewandt hat, um diese zu erlangen. Indiziell belegt wird der klägerische Vortrag, er habe durch die Übernahme der Erstprämie Anreize für Kunden zum Abschluss neuer Verträge mit der Beklagten schaffen wollen, durch die Aussage des Zeugen O.... Obgleich dieser Zeuge, wie oben ausgeführt, bei Abschluss der - für ihn sinnvollen - Unfallversicherung im Dezember 2008 unstreitig wirtschaftlich leistungsfähig war, übernahm der Kläger die Erstprämie i.H.v. 910,32 € (Bl. 135 GA).

Die Annahme, der Kläger hätte sich in jedem Fall über eine Abmahnung der Beklagten hinweggesetzt, rechtfertigt sich auch nicht aus den Einlassungen des Klägers im hiesigen Prozess. Zum einen geht er bereits von einem anderen Sachverhalt als die Beklagte aus und beurteilt die Aussagen der vernommenen Zeugen - teilweise - als unzutreffend, was keinen Rückschluss auf sein Verhalten nach einer Abmahnung zulässt. Zum anderen liegt es auf der Hand, dass der Kläger im hiesigen Verfahren versucht, in jedem Einzelfall sein Vorgehen zu rechtfertigen, stehen doch für ihn im Hinblick auf die von der Beklagten erklärte fristlose Kündigung nicht nur die hier eingeklagten entgangenen Provisionen, sondern - wenn auch erstinstanzlich noch ohne Bindungswirkung - auch sein Ausgleichsanspruch auf dem Spiel. Eine vollkommen falsche Berufsauffassung kann aus seinen Einlassungen im hiesigen Verfahren und den Kontaktaufnahmen zu einigen Zeugen ebenso wenig hergeleitet werden wie das Fehlen jeglicher Einsicht; insbesondere lässt sein Verhalten nicht den Schluss darauf zu, dass eine Abmahnung erfolglos geblieben wäre.

IV.

Der Kläger seinerseits hatte einen wichtigen Grund für die von ihm ausgesprochene fristlose Kündigung.

Die unberechtigte außerordentliche Kündigung eines Vertragsteils - hier der Beklagten - kann nach allgemeiner Auffassung für den anderen Vertragsteil - hier den Kläger - einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen (BGH, Urteil v. 14.11.1966 - VII ZR 112/64, NJW 1967, 248, 249; Urteil v. 11.10.1990 - I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156, 157; Urteil v. 1.12.1993 - VIII ZR 129/92; Urteil v. 25.11.1998 - VIII ZR 221/97, NJW 1999, 946, 947; Beschluss v. 21.2.2006 - VIII ZR 61/04, NJW-RR 2006, 755, 756; Hopt, a.a.O., § 89a Rdnr. 36; Löwisch, a.a.O., § 89a Rdnr. 42; jew. m.w.Nw.). Hier gilt nichts anderes. Dem Kläger war bei Abwägung aller Umstände ein Zuwarten auf eine ordnungsgemäße Vertragsbeendigung nicht zuzumuten. Denn die Beklagte hatte durch ihre unberechtigte Kündigung die Vertrauensbasis für das Vertragsverhältnis grundlegend zerstört. Es bedurfte keiner vorhergehenden Abmahnung durch den Kläger. Zum einen war die Vertrauensbasis für die Vertragsbeziehung nachhaltig zerstört und konnte eine Abmahnung somit keine Abhilfe schaffen. Zudem war nicht damit zu rechnen, dass die Beklagte auf eine Abmahnung hin die ihrerseits ausgesprochene Kündigung zurücknehmen und die bereits getroffenen Maßnahmen auch zur faktischen Beendigung der Vertragsbeziehung rückgängig machen würde. Der Kläger hat der Kündigung widersprochen und die Beklagte aufgefordert, diese zu begründen. Nachdem die Beklagte hieraufhin eher nichts sagende Angaben machte und insbesondere den von ihr nun als maßgeblich herausgestellten Kündigungsgrund trotz ihrer bereits erfolgten Strafanzeige (Abschluss von Scheinverträgen) noch nicht einmal erwähnte, war nicht zu erwarten, dass die Beklagte auf eine Abmahnung hin die ihrerseits ausgesprochene Kündigung zurücknehmen wird.

V.

Die wirksame Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Kläger war gemäß § 89a Abs. 2 HGB durch ein Verhalten veranlasst, das die Beklagte zu vertreten hat. Der in einer unberechtigten Kündigung liegende Kündigungsgrund ist verhaltensbedingt. Zu vertreten hat die Beklagte Vorsatz und Fahrlässigkeit, wobei sie für ihre Erfüllungsgehilfen einzustehen hat, §§ 276, 278 BGB. Da das Verhalten der Beklagten eine Vertragspflichtverletzung darstellt, muss sie sich nach dem allgemeinen Grundsatz des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten. Gründe, die ihr Verhalten entschuldigen könnten, sind weder ersichtlich noch dargetan; ihr Rechtsirrtum, der Sachverhalt rechtfertige eine fristlose Kündigung des Klägers ohne vorherige Abmahnung, war vermeidbar.

B.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch für den Zeitraum vor dem 15. Oktober 2009 ist § 280 BGB. Wie ausgeführt, war die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam und hat die Beklagte hierdurch den Handelsvertretervertrag mit dem Kläger schuldhaft verletzt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 11.10.1990 - I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156, 157).

C.

Der dem Kläger hiernach zustehende Schadensersatzanspruch beläuft sich auf 100.501,80 €.

I.

Der Kläger kann entgangene Provisionen in der Zeit nach der unwirksamen fristlosen Kündigung der Beklagten bis zum 30. Juni 2010 verlangen, dem Tag, an dem die vorsorgliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. September 2009 wirksam geworden wäre (vgl. BGH, Urt. vom 11.10.1990 - I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156).

1.

Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt unter anderem der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Danach ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, nicht erforderlich; es genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er gemacht worden wäre; dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen dennoch nicht erzielt worden wäre (BGH, Urt. vom 30.05.2001 - VIII ZR 70/00, [...] Rn. 8).

Demnach ist es zulässig, dass der Kläger den entgangenen Gewinn abstrakt unter Heranziehung der Provisionen der vergangenen Monate bemisst. Es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die in dem vergleichbaren Zeitraum vor Ausspruch der fristlosen Kündigung erwirtschafteten Provisionen auch in dem hier maßgeblichen Zeitraum erzielt hätte; die Beklagte trägt nichts dafür vor, dass der von dem Kläger zum Vergleich herangezogene Zeitraum atypisch gelagert war. Insoweit ist von den von dem Kläger errechneten Betrag von 97.122,60 € (Seite 17 der Klageschrift, Bl. 18 BA) auszugehen.

2.

Angesichts der Hochrechnung der Beklagten von 6/2009 für Bonus 2009 (Anl. K 36, Bl. 215) spricht weiterhin eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger auch im Jahre 2009 eine Bonifikation erhalten hätte; dass diese niedriger ausgefallen wäre als diejenige im Jahr 2008, die abzüglich einer berechtigten Korrektur insgesamt 16.500 € betrug (Seite 17 der Klageschrift), ist nicht ersichtlich.

3.

Dass bei der vorzunehmenden Vorteilsanrechnung der geschäftliche Anteil der Kosten für die Nutzung des Kraftfahrzeuges mehr als 4.120,80 € betrug, hat die insoweit darlegungsbelastete Beklagte nicht dargetan.

4.

Die Beklagte legt ebenfalls nicht dar, welche sonstigen Aufwendungen, die dem Kläger im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Beklagte entstanden wären, zu berücksichtigen sind.

5.

Der Kläger, der die von ihm angemieteten Geschäftsräume untervermietet hat, muss sich die diesbezüglichen Einnahmen anrechnen lassen, da er sie nicht erzielt hätte, wäre das Vertretungsverhältnis mit der Beklagten fortgesetzt worden. Ausweislich der von dem Kläger zur Akte gereichten Anl. K5 (Bl. 807 GA) haben der Untermieter D... S... und der weitere Untermieter W... die Miete vollständig entrichtet. Der Kläger hat mithin in dem Zeitraum von Oktober 2009 bis Juni 2010 - entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht auf September 2010 abzustellen, dem Datum, zu welchem der von dem Kläger mit dem Untermieter D... S... ab Oktober 2009 abgeschlossene Mietvertrag befristet war - insgesamt 9 x 1.000 €, also insgesamt 9.000 € erzielt. Die von dem Kläger seinerseits entrichtete Miete ist hiervon nicht in Abzug zu bringen, da der Kläger diese bei fortbestehendem Vertretervertrag ebenfalls hätte aufwenden müssen.

6.

Die insoweit darlegungsbelastete Beklagte hat eine Verletzung des Klägers gegen seine Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB (vgl. BGH, Urt. vom 16.07.2008 - VIII ZR 151/05, [...] Rn. 19) nicht dargetan. Der Kläger hat durch die nach Hinweis des Senats zur Akte gereichten Absageschreiben hinreichend seine Bemühungen aufgezeigt, erneut eine Anstellung zu finden. Zudem hatte der Kläger bereits erstinstanzlich unwidersprochen auf die der Beklagten veranlasste AVAD-Eintragung "Verdacht auf Betrug" (Bl. 9 und 64 GA) und die hierdurch bedingten gravierenden Auswirkungen für eine weitere Tätigkeit (Bl. 182 GA) hingewiesen. Unter Berücksichtigung dessen ist ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Klägers nicht ersichtlich.

7.

Insgesamt ergibt sich danach ein dem Kläger zustehender Schadensersatzanspruch von:

entgangene Provisionen: 97.122,60 €

entgangene Bonifikation: 16.500,00 €

abzüglich Kosten des Kraftfahrzeuges: 4.120,80 €

abzüglich erzielte Büromiete:9.000,00 €

100.501,80 €.

8.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beklagte befindet sich aufgrund des Schreibens des Klägers vom 24. Juni 2010 seit dem 8. Juli 2010 in Verzug. § 288 Abs. 2 BGB findet hingegen keine Anwendung. Keine Entgeltforderungen iSd § 288 Abs. 3 BGB sind Schadensersatzansprüche (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, Aufl., § 288 Rn. 8 i.V.m. § 286 Rn. 27).

2. Teil: Feststellung

I.

Die zweitinstanzlich neuen Feststellungsanträge sind zulässig.

1.

Selbst wenn es sich bei der von dem Kläger erstmalig in zweiter Instanz begehrten Feststellung um eine § 533 ZPO unterfallende Klageänderung und nicht um ein § 264 Nr. 2 ZPO unterfallendes Vorgehen handeln sollte, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen von § 533 ZPO jedenfalls erfüllt. Der Senat erachtet die Klageänderung für sachdienlich; zudem ist das Vorbringen der Beklagten auf Seite 21 ihrer Berufungserwiderung als Einwilligung zu verstehen; die Klageänderung kann auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

2.

Der Kläger hat ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Dauer des Vertretervertrages. Die Unsicherheit, ob der Handelsvertretervertrag durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit sofortiger Wirkung beendet worden ist oder erst durch seine fristlose Kündigung, wird durch das Urteil beseitigt.

II.

Die begehrte Feststellung ist nur teilweise begründet.

1.

Der Antrag festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20 Mai 1994 fristgerecht zum 30. Juni 2010 beendet wurde, ist unbegründet, weil das Handelsvertreterverhältnis, wie oben ausgeführt, durch die fristlose Kündigung des Klägers vom 15. Oktober 2009 zu diesem Zeitpunkt sein Ende gefunden hat.

2.

Begründet ist hingegen, wie oben ausgeführt, der hilfsweise gestellte Antrag festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag vom 13./20. Mai 1994 nicht durch Kündigung der Beklagten vom 18. September 2009 fristlos mit sofortiger Wirkung, sondern durch außerordentliche Kündigung des Klägers vom 15. Oktober 2009 beendet worden ist.

3. Teil

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 711 Satz 2 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 114.501 €.

Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Wie oben ausgeführt, weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur fristlosen Kündigung bei von Arbeitnehmern begangenen Vermögensdelikten ab, weil der Senat kein von dem Kläger begangenes Vermögensdelikt festzustellen vermag.