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· Fachbeitrag · Bilanz

BFH konkretisiert Anforderungen an die Rückstellungsbildung für die Vertragsnachbetreuung

| Ein Versicherungsvertreter muss Rückstellungen für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen bilden. Das hat der BFH aktuell in mehreren Urteilen entschieden und damit seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2004 bestätigt. Gleichzeitig hat er jetzt die Anforderungen an die Rückstellungsbildung, insbesondere zu deren Höhe, konkretisiert. |

Rückstellungsbildung dem Grunde nach

Nach Ansicht des BFH sind Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstands zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Urteil vom 19.7.2011, Az: X R 26/10; Abruf-Nr. 113419, Urteil vom 28.7.2004, Az: XI R 63/03; Abruf-Nr. 043010).

 

Wesentlichkeit ist kein Kriterium

Auf die „Wesentlichkeit“ der Verpflichtung kommt es dabei nicht an. Denn nach Ansicht des BFH lässt sich den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG keine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Der BFH erteilt damit der Finanzverwaltung eine Absage, die die Nachbetreuung als unwesentliche Verpflichtung abgetan und die Rückstellungsbildung versagt hatte. Im Übrigen hält der BFH die künftigen Betreuungspflichten auch für wesentlich, weil es auf die in der Agentur künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung ankommt und nicht auf die Einzelverpflichtungen.

 

Klare Pflicht zur Nachbetreuung muss bestehen

Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen setzt voraus, dass der Vertreter zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. Der BFH verlangt, dass aus den Vertragsunterlagen des Vertreters klar hervorgeht, ob und in welchem Umfang der Vertreter zur Nachbetreuung verpflichtet ist.

 

WICHTIG | Diese Voraussetzung hat es in sich, wie die Urteile zeigen: Für nicht ausreichend hält der BFH den Hinweis in den Unterlagen, dass der Vertreter keine Folgeprovision für Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen erhält (Urteile vom 19.7.2011, Az: X R 8/10 und X R 9/10; Abruf-Nrn. 113472 und 113473). Auch folgende Formulierung ist dem BFH zu vage, weil sie darauf hindeutet, dass die laufende Kontaktaufnahme dem Abschluss weiterer Verträge dient: „Um die bestehenden Versicherungen zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Versicherungsnehmern, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt.“ (Urteil vom 19.7.2011, Az: X R 26/10; Abruf-Nr. 113419).

 

Praxishinweis |

Gehen Sie wie folgt vor, um diese Hürde zu nehmen: Prüfen Sie, ob sich aus Ihrem Agenturvertrag und Ihren Unterlagen ergibt, dass Sie für bestimmte Sparten die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung, sondern auch für die weitere Betreuung des abgeschlossenen Versicherungsvertrags erhalten. Prüfen Sie außerdem, in welchem Umfang Sie zur Nachbetreuung verpflichtet sind und welche Leistungen Sie erbringen müssen. Sind Ihre Unterlagen nicht konkret genug, bitten Sie Ihre Gesellschaft - mit Verweis auf die neuen Urteile - um ergänzende bzw. klarstellende Schreiben.

Höhe der Nachbetreuungsaufwendungen

Ferner verlangt der BFH, dass die Höhe der Nachbetreuungsaufwendungen im Einzelnen durch detaillierte Aufzeichnungen belegt sein muss. Hierzu hat er folgende Aussagen getroffen:

Ansatz der abgezinsten Einzel- und Gemeinkosten

Nach Ansicht des BFH ist die Nachbetreuungspflicht als Sachleistungsverpflichtung mit den anfallenden Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten. Und sie ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG abzuzinsen.

 

Dabei sind nach Ansicht des BFH nur folgende Leistungen rückstellungsfähig:

 

  • Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge, für die der Versicherungsvertreter keine gesonderte Bestandspflegeprovision mehr erhält.

 

  • Der Aufwand für die künftige Arbeitsleistung der angestellten Mitarbeiter der Agentur.

 

Nicht rückstellungsfähig sind dagegen folgende Leistungen:

 

  • Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden, auch Bestandskunden zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäft).

 

  • Der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Versicherungsvertreters. Folge: Vertreter ohne angestelltes Personal können daher generell keine Rückstellung für Nachbetreuung bilden. Aber auch wenn der Vertreter neben dem angestellten Personal selbst in die Nachbetreuung eingeschaltet ist, kann für den von ihm selbst erbrachten Teil der Nachbetreuungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.

 

Anpassung Jahr für Jahr erforderlich

Ist einmal eine Rückstellung für Nachbetreuung zulässigerweise bilanziert worden, reduziert das nicht den Aufwand für die Folgejahre, betont der BFH Die Rückstellung muss vielmehr jedes Jahr angepasst werden. Es ist also jedes Jahr zu prüfen, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.

 

Detaillierte Aufzeichnungen

Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Nachbetreuung pro Vertrag und Jahr entscheidend. Der BFH verlangt, den voraussichtlichen Zeitaufwand im Einzelnen wie folgt darzulegen:

 

  • Die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten. Die Darstellung muss Finanzamt und gegebenenfalls Finanzgericht in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt.
  • Die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im Einzelfall anfällt.
  • Die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrags zu erbringen ist.
  • Die Höhe der Personalkosten pro Stunde Betreuungszeit.
  • Die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.

 

Für die Bemessung der Rückstellung kommt es auch auf den Stundenlohn der vom Versicherungsvertreter eingesetzten Mitarbeiter an. In einem Urteilsfall hat der BFH den vom Vertreter angesetzten Stundenlohn von zwölf Euro ohne weiteres akzeptiert.

 

Der BFH verlangt außerdem, dass die Aufzeichnungen so konkret und spezifiziert sein müssen, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Die Aufzeichnungen sind „vertragsbezogen“ zu führen. Der Vertreter muss belegen, welche einzelnen Tätigkeiten, zum Beispiel Fälle von Namens- und Adressänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen usw. in welcher Häufigkeit und mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrags typischerweise anfallen.

 

WICHTIG | Der BFH lässt aber eine Erleichterung zu. Der Beleg ist nicht für jeden einzelnen Vertrag erforderlich. Es könnten auch fundierte Stichproben, zum Beispiel für einen bestimmten Prozentsatz der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen. Die Richtigkeit der Aufzeichnungen könne im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision.

 

Praxishinweise |

  • Die Umsetzung der Vorgaben des BFH zieht einen erheblichen zusätzlichen Aufwand für den Vertreter nach sich. Erleichterungen gibt es nur insoweit, als fundierte Stichproben zulässig sind.

  • In den Urteilsfällen sind nun die Finanzgerichte am Zug, anhand der Unterlagen zu prüfen, ob eine Rechtspflicht der Vertreter auf Nachbetreuung überhaupt besteht. Wenn ja, müssen die Vertreter Unterlagen und Zahlen zum Aufwand beibringen, um ihre Argumentation zu untermauern, weil sie die Beweislast tragen.
Quelle: Ausgabe 11 / 2011 | Seite 7 | ID 29749690