· Fachbeitrag · Agenturvertrag
Versicherer muss in vielen Fällen vor fristloser Kündigung des Agenturvertrags abmahnen
von Rechtsanwalt Bernhard Schleicher, Kanzlei Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth & Kollegen München
| Das OLG Düsseldorf hat bestätigt, dass der Versicherer vor einer fristlosen Kündigung eines Agenturvertrags den Vertreter in aller Regel abmahnen muss. |
Zwei Vorwürfe des Versicherers
Der Versicherer hatte dem seit 15 Jahren für ihn tätigen selbstständigen Vertreter fristlos gekündigt und dies mit zwei Vorwürfen begründet:
- 1. Der Vertreter habe unstreitig in einer Vielzahl von Fällen die ersten Beiträge bei Abschluss von Neuverträgen für die Kunden übernommen und damit gegen das Provisionsabgabeverbot verstoßen (§ 81 VAG).
- 2. Er habe viele Versicherungsverträge mit Kunden abgeschlossen, die letztlich gar nicht leistungsfähig gewesen seien. Es sei daher absehbar gewesen, dass die Verträge kurzfristig wieder ins Storno gehen würden.
Keine Abmahnung vor Kündigung
Das OLG Düsseldorf hat die Ansicht des Versicherers nicht geteilt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.9.2012, Az. I-16 U 124/11; Abruf-Nr. 130104).
1. Vorwurf: Verstoß gegen Provisionsabgabeverbot
Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Provisionsabgabeverbot hat das OLG bereits Bedenken, ob § 81 VAG, der dieses Verbot regelt, überhaupt mit europäischem Kartellrecht vereinbar ist. Diese Frage musste es aber nicht abschließend klären, weil in den Bedingungen des Vertretervertrags nur klargestellt war, dass Provisionsabgaben nach den Anordnungen des Bundesaufsichtsamtes verboten seien. Damit wurde kein eigenständiges vertragliches Verbot vereinbart. Die Regelung sei nicht so deutlich, dass der Vertreter erkennen musste, dass er seinen Vertrag riskiert, wenn er hiergegen verstößt.
Wichtig | Letztlich scheitert die fristlose Kündigung in diesem Punkt aber daran, dass der Versicherer den Vertreter nicht zuvor abgemahnt hatte. Gerade die Tatsache kam dem Vertreter hier zugute, dass der offen agierte - er hatte die Überweisungen an den Lebensversicherer explizit mit „Provisionsabtretung“ im Verwendungszweck betitelt. Dieses Verhalten ließ erkennen, dass der Vertreter sich überhaupt nicht bewusst war, etwas Unrechtes zu tun. Das wiederum impliziert, dass er sein Verhalten geändert hätte, hätte ihn der Versicherer durch eine Abmahnung hierauf hingewiesen.
2. Vorwurf: Vertragsschlüsse mit nicht leistungsfähigen Kunden
Der zweite Vorwurf, dass der Vertreter die finanzielle Situation der Kunden grob falsch eingeschätzt hätte, hat vor dem OLG ebenfalls nicht gegriffen:
- Es müsse der Einschätzung des geschäftsfähigen, ordnungsgemäß aufgeklärten Kunden überlassen bleiben, ob er einen Vertrag abschließen möchte und die Prämien aufbringen kann.
- Widersprüchlich sei es, wenn der Versicherer einerseits einen nicht unerheblichen Druck zum Abschluss von Verträgen aufbaue und andererseits im Einzelfall vorwerfe, die Verträge seien mit nicht leistungsfähigen Kunden abgeschlossen worden. Pflichtwidrig sei eine Vermittlung eines Versicherungsvertrags nur, wenn es für den Vertreter offenkundig gewesen sei, dass der Versicherungsnehmer die Prämien auf gar keinen Fall werde zahlen können, der Vertrag also von vornherein zum Scheitern verurteilt sei.
Wichtig | Auch wenn einige Fälle einen Verstoß des Vertreters gegen die ordentlichen Kaufmannspflichten nahelegen, hätte der Versicherer den Vertreter zunächst abmahnen müssen. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Vertreter sein Verhalten nach einer Abmahnung nicht geändert hätte. Gerade weil es vom Versicherer keine klaren Anweisungen gab, in welchen Fällen ein Vertrag nicht vermittelt werden darf, hätte der Versicherer in einer Abmahnung dem Vertreter zunächst die Grenzen aufzeigen müssen, so das OLG.
100.000 Euro Schadenersatz vom Versicherer
Das OLG hat dem Vertreter einen Feststellungsanspruch zugesprochen. Das heißt, es hat die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Versicherers und die Wirksamkeit der darauf erfolgten fristlosen Kündigung des Vertreters durch Urteil festgestellt. Das ist insoweit beachtlich, weil es manche Gerichte gibt, die einen solchen Anspruch verneinen, obwohl er geregelt ist (§ 256 2 ZPO).
Der Vertreter hat aufgrund der unberechtigten fristlosen Kündigung des Versicherers, die wiederum Anlass für seine berechtigte fristlose Gegenkündigung war, einen Schadenersatzanspruch in Höhe von rund 100.000 Euro gegen den Versicherer (§ 89a Abs. 2 HGB).
- Die Höhe berechnete der Vertreter, indem er anhand der Monate vor Ausspruch der Kündigung den Durchschnittsgewinn feststellte und diese auf den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist projizierte. Der entgangene Gewinn wurde also abstrakt und nicht konkret dargestellt, was ausreichend ist, wie das OLG bestätigt hat.
- Der Vertreter musste sich allerdings den geschäftlichen Anteil der Kosten für die Nutzung seines Kraftfahrzeugs und Einnahmen für die Untervermietung seiner vorherigen Geschäftsräume anrechnen lassen.
PRAXISHINWEIS | Erhalten Sie eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung, kann es gut sein, dass diese unwirksam ist. Sie müssen dann allerdings in relativ kurzer Frist (bestenfalls innerhalb von zwei Wochen) reagieren und Ihrerseits fristlos gegenkündigen. Nur damit wird der obige Schadenersatzanspruch ausgelöst und die unsichere Schwebelage beendet, die entsteht, wenn nicht sicher ist, ob nun die fristlose Kündigung des Versicherers wirksam war oder nur als ordentliche Kündigung zum nächsten Kündigungstermin wirkte. |