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  • · Fachbeitrag · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Ein besonders schwerer Fall: Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 376 AO bei „Altfällen“

    von RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), und RAin Christina Odenthal, LL.M., ROXIN Rechtsanwälte LLP, Düsseldorf

    | Die Prüfung der Verfolgungsverjährung im Zusammenhang mit Steuerstraftaten bereitet in der Praxis häufig Probleme. Insbesondere die Anwendung des § 376 AO bei „Altfällen“ ist nach wie vor Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Missverständnisse, obwohl die Rechtsprechung des BGH zumindest hinsichtlich der täterschaftlichen Begehungsweise eindeutig ist. |

     

    FRAGE DES STEUERBERATERS: Einer meiner langjährigen Mandanten hatte letzte Woche überraschenden Besuch von der Steuerfahndung. Er war bis 2010 Geschäftsführer einer GmbH und soll im Rahmen seiner Tätigkeit im April 2007 eine unrichtige Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2006 abgegeben haben. Ausweislich des Durchsuchungsbeschlusses liegt der mutmaßliche Hinterziehungsbetrag bei 65.000 EUR. Der Steuerfahnder hat meinem Mandanten mitgeteilt, dass die Finanzbehörde erst durch eine Zeugenaussage während einer Hauptverhandlung vor einigen Wochen auf diesen Sachverhalt gestoßen sei.

     

    Mein Mandant soll nach den Ausführungen des Ermittlers eine empfindliche Strafe zu erwarten haben, da bereits wegen der Höhe des Steuerschadens ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren vorliege. Ich frage mich, ob die Aussage des Steuerfahnders zutrifft und nicht möglicherweise auch schon Verfolgungsverjährung eingetreten ist?

     

    ANTWORT DES VERTEIDIGERS: Die Ausführungen des Steuerfahnders sind nicht zutreffend, da das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO zum Zeitpunkt der Tatbeendigung im Jahr 2007 enger gefasst war und - ergänzend zu der von der aktuellen Fassung der Vorschrift vorausgesetzten Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß - das einschränkende Merkmal des Handelns aus grobem Eigennutz enthielt. Dennoch ist keine Strafverfolgungsverjährung eingetreten, da hier die verlängerte Verfolgungsverjährung des § 376 Abs. 1 AO einschlägig ist.

     

    Für den Mandanten ist die Verjährungsfrist von zehn Jahren anzuwenden, da die Tat das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung - Steuerverkürzung in großem Ausmaß - erfüllt. Dem steht nicht entgegen, dass dieses Regelbeispiel erst durch Gesetz vom 21.12.07 (BGBl I 07, 3198, 3209) geändert und dementsprechend zum Zeitpunkt der Tatbeendigung enger gefasst war. Nach der Rechtsprechung des BGH ist allein maßgeblich, dass die Voraussetzungen des § 376 AO erfüllt sind und die Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift (Art. 97 § 23 EGAO) am 25.12.08 noch nicht verjährt war (vergleiche etwa BGH 13.6.13, 1 StR 226/13, PStR 13, 252).

     

    Eine solche Rechtslage ist hier zu bejahen. Hinsichtlich der vermeintlichen Umsatzsteuerhinterziehung war im Dezember 2008 die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten. Daneben erfüllt die Tat mit Blick auf den Hinterziehungsbetrag von 65.000 EUR das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO. Ein großes Ausmaß i. S. des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO liegt bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 EUR vor (BGH 27.10.15, 1 StR 373/15, PStR 16, 63 ff.). An dieser Stelle ist es nicht erforderlich, dass die Tat neben dem großen Ausmaß das Merkmal des groben Eigennutzes (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO a. F.) erfüllt.

     

    Vielmehr kommt die zehnjährige Verjährungsfrist nach § 376 Abs. 1 AO auch bei Sachverhalten zur Anwendung, in welchen die Tat zum Zeitpunkt der Tatbegehung keines der Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 S. 2 AO in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung verwirklicht (BGH 5.3.13, 1 StR 73/13, PStR 13, 136). In Konstellationen wie der vorliegenden ist insofern eine „zweistufige Prüfung“ geboten.

     

    • Auf der „ersten Stufe“ steht die Frage, wie ein Mandant im Falle einer Verurteilung bestraft werden kann. Bei Tatbegehungen vor dem 1.1.08 ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB das für den Betroffenen günstigere Tatzeitrecht und mithin auf der „ersten Stufe“ im Regelfall die alte Fassung des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO anzuwenden. Da in einer Vielzahl von Sachverhalten kein grober Eigennutz zu bejahen sein wird, ist die mögliche Strafe dementsprechend § 370 Abs. 1 AO („einfache“ Steuerhinterziehung) zu entnehmen.

     

    • Auf der „zweiten Stufe“ ist nach der einschlägigen Verjährungsfrist zu fragen. Hier kann es unter den genannten Voraussetzungen dennoch zu einer Anwendung des § 376 Abs. 1 AO und mithin der zehnjährigen Verjährungsfrist kommen, sofern wie vorliegend die Tat am 25.12.08 noch nicht verjährt war und die für die Verjährungsthematik maßgebliche sowie seit dem 1.1.08 geltende Fassung des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO erfüllt ist.

     

    Die vermeintliche Straftat des Mandanten aus dem Jahr 2007 kann daher noch verfolgt werden; sofern es zu einer Sanktionierung kommt, wird der Strafrahmen nach derzeitiger Sachlage jedoch „lediglich“ § 370 Abs. 1 AO zu entnehmen sein.

     

    PRAXISHINWEIS | Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren dauern häufig mehrere Jahre, und es gibt durchaus Fälle, in welchen aufseiten der Ermittlungsbehörden Fehler bei der Berechnung der Verjährung gemacht bzw. unzureichende verjährungsunterbrechende Maßnahmen durchgeführt werden. Dementsprechend sind umfassende Kenntnisse in diesem Bereich unumgänglich, um dem Mandanten eine bestmögliche Verteidigung zu gewährleisten.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Schott, Großes Ausmaß: BGH stellt einheitlich auf einen Hinterziehungsbetrag von 50.000 EUR ab, PStR 16, 63
    Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 49 | ID 44445654