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  • · Fachbeitrag · Autokauf

    Das VW-Abgasproblem im Autokaufrecht - ein erster Überblick (Stand 12.10.2015)

    von Rechtsanwalt Joachim Otting, Hünxe

    | VW hat ein Abgasproblem bei Dieselmotoren mit der Bezeichnung EA 189. Der folgende Beitrag behandelt das Thema, von dem auch Seat-, Skoda- und Audi-Fahrzeuge betroffen sind, unter rein kaufrechtlichen Gesichtspunkten - beim Neu- und Gebrauchtwagenverkauf. Geschäftspolitische Erwägungen, insbesondere die Frage, ob Händler die Karte „Verjährung“ ziehen sollen, bleiben außen vor. Der Beitrag liefert Antworten auf die Fragen, mit denen der Handel - im Gebrauchtwagen-Segment auch der markenfremde Handel - konfrontiert (werden) wird. |

     

    Wichtig | ASR möchte den Lesern Zeit beim Lesen sparen, die diesen Beitrag in einer früheren Version gelesen haben. Daher sind nachfolgend die Textstellen kursiv, die seit der letzten Version neu hinzugekommen sind.

    Antworten auf zentrale Fragen beim Autokauf

    • 1. Wie ist die Rechtslage, wenn der Käufer eines betroffenen Fahrzeugs bei seinem Kfz-Händler auftaucht und günstigstenfalls Nachbesserung fordert, eventuell aber auch den Kaufpreis mindern oder gar vom Kauf zurücktreten möchte?

     

    • 2. Wie ist die Rechtslage, wenn ein betroffenes Fahrzeug zum Verkauf angeboten wird?

     

    Wichtig | Der Beitrag steht teilweise unter dem Vorbehalt der bis zum Redaktionsschluss bekannten Informationen. Die können sich im Hinblick auf die Nacherfüllungsmöglichkeiten täglich ändern.

    Verkaufte Fahrzeuge

    Bei verkauften Fahrzeugen stellen sich insbesondere folgende Fragen:

     

    • Behält das Fahrzeug die Betriebserlaubnis?
    • Sind Sachmangelansprüche schon verjährt?
    • Leiden die Fahrzeuge unter einem Sachmangel?
    • Welche Rechte hat der Käufer bei einem Sachmangel?
    • Was gilt, wenn die Nachbesserung nicht (zumutbar) gelingt?
    • Hat der Käufer Direktansprüche gegen den Hersteller, auf die er gegebenenfalls sanft umgelenkt werden kann?

     

    Behält das Fahrzeug die Betriebserlaubnis?

    Zuerst die erfreuliche Nachricht: Die Betriebserlaubnis der betroffenen Fahrzeuge ist nicht automatisch erloschen Eine solche Automatik gibt es nur bei nachträglichen Veränderungen. Hier liegt der andere Fall vor: Die Betriebserlaubnis hätte so nicht erteilt werden dürfen und kann von den zuständigen Behörden widerrufen werden.

     

    Fakt ist (das wird von grenznah ansässigen Autohändlern bestätigt): Die betroffenen Fahrzeuge sind zum Beispiel in der Schweiz schon nicht mehr zulassungsfähig.

     

    Eine solche Reaktion ist in Deutschland jedenfalls kurzfristig kaum zu erwarten. Die Behörden werden nicht kurzerhand den „Motor der deutschen Wirtschaft“ abwürgen und das Problem den Käufern aufladen. Als ultima ratio für den Fall, dass es keine technische Lösung geben wird, hat der zuständige Verkehrsminister eine solche Maßnahme allerdings offengehalten. So stehen die betroffenen Fahrzeuge also unter einem Damoklesschwert, das weniger robusten Gemütern Sorge bereiten kann.

     

    Sind Sachmangelansprüche schon verjährt?

    Kaufrechtliche Sachmangelansprüche verjähren in zwei Jahren ab dem Tag der Übergabe. Für Gebrauchtfahrzeuge darf die Sachmangelhaftungsverjährung durch den Kaufvertrag auf ein Jahr verkürzt werden. Das ist aber bekanntlich mit der Standardklausel in den Gebrauchtwagen-Verkaufsbedingungen nicht gelungen (siehe ASR 6/2015, Seite 4).

     

    Es bestehen auch ernste Zweifel, ob die Standardklausel für den Ausschluss der Sachmangelhaftung gegenüber Käufern, die keine Verbraucher sind, Bestand hat. Vorsichtshalber ist also bei den betroffenen Verkäufen vor Verwendung der vom ZDK empfohlenen Zusatzvereinbarung von einer zweijährigen Verjährung auszugehen.

     

    PRAXISHINWEIS | Liegt die Übergabe nach dem Kauf folglich bereits mehr als zwei Jahre zurück, kann der Käufer keine Ansprüche mehr durchsetzen. Der Verkäufer kann die Einrede der Verjährung erheben.

    Allenfalls bei einem durchgreifenden Vorwurf der Arglist wäre die Verjährung auf drei Jahre erweitert. Jedoch müsste der Käufer dem verkaufenden Autohaus nachweisen, das Problem gekannt und verschwiegen zu haben. Das wird nicht gelingen, denn woher soll ein Autohändler wissen, was noch nicht einmal der Vorstandsvorsitzende von VW weiß?

     

    Viele Käufer der problembehafteten Fahrzeuge lassen sich derzeit durch die Ankündigung des Hersteller, die Dinge in Ordnung zu bringen, beruhigen. Andere Käufer kommunizieren direkt mit dem Hersteller. Jeden Tag verjähren also Ansprüche gegenüber dem verkaufenden Händler.

     

    So ist anzunehmen, dass mancher Käufer später sein Glück damit versuchen wird, dass die Berufung des Händlers auf die Verjährung treuwidrig sei. Derartige Äußerungen des Herstellers können aber den Händler nicht binden. Und den außerhalb der Welt der betroffenen Marken stehenden Händler schon gar nicht.

     

    Wichtig | Je näher der verkaufende Betrieb jedoch am Hersteller ist (Stichwort: 100-Prozent-Tochter des Herstellers), desto eher könnte ein Gericht die Berufung auf die Verjährung doch als treuwidrig ansehen.

     

    Manche Käufer erkennen, dass beim Warten auf die Lösung des Herstellers die Ansprüche gegen den Verkäufer verjähren werden. Die fordern dann vom Verkäufer zur Vermeidung eines sofortigen Rechtsstreites, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.

     

    PRAXISHINWEIS | Als Verkäufer muss man in der Situation darauf achten, nicht im Hinblick auf das Fahrzeug insgesamt auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, sondern nur im Hinblick auf die sich aus der Abgasproblematik ergebenden Ansprüche.

    Leiden die Fahrzeuge unter einem Sachmangel?

    Die Fahrzeuge mit dem betroffenen Motor erfüllen nicht die Abgasnorm, wenn sie unter regelgerechten Umständen geprüft werden. Das ist ein Sachmangel. Grundlage dafür ist § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB, der unter anderem auf öffentliche Aussagen des Herstellers oder des Händlers abstellt. Damit werden Angaben in Prospekten, Datenblättern und in der Werbung zu Merkmalen, die das Fahrzeug aufweisen muss, wenn es vertragsgemäß sein soll.

     

    Welche Rechte hat der Käufer bei einem Sachmangel?

    Im ersten Schritt hat der Käufer lediglich Anspruch auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung. Jedenfalls bei Gebrauchtwagen scheidet die Ersatzlieferung aber aus Rechtsgründen aus. Außerdem gibt es ja kein gleichartiges Fahrzeug ohne den Sachmangel.

     

    PRAXISHINWEIS | Folglich stellt sich die Frage der Nachbesserung. Diese kann als gelungen gelten, wenn die Prüferkennungssoftware beseitigt wird, der Motor die vorgeschriebenen Abgaswerte einhält und trotzdem seine sonstigen vereinbarten Eigenschaften, insbesondere Motorleistung und Treibstoffverbrauch behält.

    Zwischenzeitlich hat Volkswagen bekannt gegeben, dass bei vielen Fahrzeugen ein Softwareupdate genügen werde. Das sind wohl die 2-Liter-Motoren. Es wird kritisch zu hinterfragen sein, ob damit alle drei Kriterien (keine Mogelsoftware mehr, Abgaswerte im zulässigen Rahmen, Motorleistung und Motoreigenschaften bleiben erhalten) erfüllt werden.

     

    Dass eine reine Software-Erneuerung zu diesem Ergebnis führt, wäre mehr als überraschend. Denn dann wäre die Mogellösung ja nicht erforderlich gewesen.Dennoch: Gelingt das in einem zumutbaren Zeitfenster, ist die Sache kaufrechtlich erledigt. Als Zeitspanne für die Nachbesserung der Fahrzeuge hat Volkswagen nun das gesamte Jahr 2016 vorgesehen. Das bedeutet, dass einzelne Betroffene mehr als ein Jahr warten müssen.

     

    Wichtig | Ob diese Zeitabläufe bei Streitfällen noch als zumutbar angesehen werden, lässt sich angesichts der riesigen Zahl der Fahrzeuge kaum vorhersagen. Großzügige verwaltungsrechtliche Zeiträume, die die Behörden zur Problemlösung zugestehen, binden das Kaufrecht jedenfalls nicht. Dennoch: Solange kein Sofortnachteil zu befürchten ist, werden die Gerichte voraussichtlich nicht kleinlich sein.

     

    Jedoch: Es kann objektive Gründe geben, dass die genannte Zeitspanne unzumutbar lang ist. Wer sich nämlich von seinem betroffenen Fahrzeug trennen möchte, wird jedenfalls so lange gar nicht oder nur weit unter Wert verkaufen können, wie das Fahrzeug nicht nachgerüstet ist. Wer dann nach Fristsetzung zurücktritt, bekommt vermutlich Recht.

     

    PRAXISHINWEIS | Bedenkt man, dass „Kaufpreis minus Nutzungsentschädigung“ vermutlich einen für den Käufer weit attraktiveren Betrag ergibt, als ein Inzahlungnahmeangebot, droht hier Gefahr. Da empfiehlt es sich, solche „Schmerzpatienten“ sofort zu bedienen, sobald die Lösung dafür am Markt ist.

    Ist keine reine Software-Lösung möglich (es geht wohl um den 1,6-Liter-Motor) und daher - wie von Volkswagen angekündigt - eine technische Umrüstung des Fahrzeugs erforderlich, stellt sich die Frage: Hat der Kunde hinterher noch das Fahrzeug, das vereinbart wurde? Es kommt entscheidend darauf an, welche Änderungen in der Fahrzeugbedienung die Folge sein werden und ob beispielsweise das Hantieren mit Harnstoffzusätzen (AdBlue) als zumutbar angesehen werden wird.

     

    Vorhersagen sind schwierig. Denn zunächst beurteilen dies die Instanzgerichte - möglicherweise unterschiedlich - bis der BGH Klarheit schaffen kann.

     

    Und auch bei der technischen Umrüstung darf die vereinbarte Motorleistung nicht erheblich beeinträchtigt werden. Die Erheblichkeitsschwelle wird bei bis zu fünf Prozent Minderleistung nicht überschritten sein.

     

    Bei der Nachrüstung wird sich das oben dargestellte Problem der Zeitabläufe sicher verschärft stellen. Denn die Nachrüstsätze müssen zunächst entwickelt und dann in großer Zahl erst produziert werden. Wann die Zumutbarkeitsschwelle überschritten ist, ist demnach offen.

     

    Es kann für die Käufer ja auch objektive Gründe zur Eile geben. Zum Beispiel der bevorstehende Verkauf des Fahrzeugs, der nachgerüstet gelingen kann, aber ohne Nachrüstung scheitert.

     

    Was gilt, wenn die Nachbesserung nicht (zumutbar) gelingt?

    Gelingt die Nachbesserung auch bei einem zweiten Versuch nicht oder ist sie gar nicht oder nicht in zumutbarer Zeitspanne möglich, kann der Kunde nach seiner Wahl die Minderung anstreben oder den Rücktritt durchsetzen.

     

    Letzteres wird bei Wenigfahrern extrem teuer, denn bei den betroffenen Fahrzeugklassen wird eine (erwartbare) Gesamtlaufleistung von 200.000 bis 250.000 km unterstellt. Und so zahlen diese Kunden bei der Rückabwicklung nur eine geringe Nutzungsentschädigung.

     

    • Die Rechenformel bei Gebrauchtwagen lautet: Bruttokaufpreis x Gefahrene Kilometer : Erwartbare Restlaufleistung (= Erwartbare Gesamtlaufleistung ./. Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer).

     

    • Bei Neuwagen lautet sie: Bruttokaufpreis x Gefahrene Kilometer : Erwartbare Gesamtlaufleistung.

     

    PRAXISHINWEIS | Zulassungskosten und weitere Verwendungen auf das Fahrzeug sind nach den gleichen Formeln zu erstatten.

    Noch zu verkaufende Fahrzeuge

    Zum Sachmangel als solchem gilt das oben Gesagte.

     

    Offenbarungspflicht

    Es ist zweifellos ungefragt offenbarungspflichtig, wenn das Fahrzeug, welches das Interesse des Käufers findet, den betroffenen Motor hat und noch nicht saniert ist. Verschweigt der Käufer diesen Umstand, erfüllt das den Tatbestand der Arglist.

     

    Die Folge sind

    • eine verlängerte Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis des Mangels (da hilft auch das Zusatzformular oder ein eigentlich wirksamer Gewährleistungsausschluss nicht) und
    • eine insgesamt schärfere Haftung, wenn der Käufer Sachmängel anmeldet.

     

    Die noch schärfere Version der - dann auch strafrechtlich relevanten - Arglist, auf Nachfrage zu leugnen, dass das Fahrzeug betroffen ist, unterstellen wir keinem Kfz-Händler.

     

    Kein Kauf in Kenntnis des Mangels

    Der Verkäufer wird sich nicht auf § 442 BGB berufen können. Danach gilt: Kauft ein Käufer ein Fahrzeug in Kenntnis des Problems und behält sich dabei keine Ansprüche vor, hat er keine Sachmangelansprüche. Ein „Das stand doch in jeder Zeitung“ hilft nicht, denn im VW-Konzern werden so viele verschiedene Motoren und Motorversionen angeboten, dass der Käufer nicht den Überblick haben muss, ob das ins Auge gefasste Fahrzeug betroffen ist.

     

    Rechte des Käufers bei Mängeln

    Kauft der Käufer das Fahrzeug in Unkenntnis, hat er alle oben genannten Rechte. Die einzige Chance ist, das Fahrzeug einem nachweislich aufgeklärten Käufer zu verkaufen und ihm zuzusagen, sofort nach der technischen Klärung kostenlos nachzurüsten. Ob es Käufer gibt, die sich auf diese Variante des derzeit großen Unbekannten einlassen, wird sich zeigen.

    Direktansprüche des Käufers gegen den Hersteller?

    Denkbar ist die Situation, dass die Ansprüche des Käufers gegen den Verkäufer bereits verjährt sind, der Verkäufer selbst deshalb ablehnt, aber dennoch helfen möchte. Denkbar ist auch, dass der Käufer von sich aus lieber den Hersteller in Anspruch nehmen möchte als den Händler.

     

    Einen kaufrechtlichen Direktanspruch gegen den Hersteller hat der Käufer nicht; denn er hat nicht beim Hersteller gekauft.

     

    Nachbesserung

    Als Anspruchsgrundlage kommen aber die derzeitigen öffentlichen Äußerungen des Herstellers in Betracht, dass er die Sache für alle Betroffenen kostenfrei in Ordnung bringen werde. Das kann durchaus als Erklärung mit Rechtsbindungswillen gegenüber den Betroffenen („To whom it may concern“) angesehen werden. Entsprechende Schreiben, die sich dann an den Betroffenen direkt richten, werden folgen.

     

    Diese Erklärung ist aber auf die Nachbesserung gerichtet. Schadenersatzansprüche wegen derzeitiger Unverkäuflichkeit oder aber ein Anspruch auf Minderung ergeben sich daraus nicht.

     

    Schadenersatz

    Die „große Keule“ im Hinblick auf einen Schadenersatzanspruch ist der Schadenersatzanspruch, der dem Opfer einer Straftat gegen den Täter zusteht. Das wäre hier § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Betrug nach § 263 StGB.

     

    Also müsste nicht nur im Talkshow-Sinne, sondern auch im strafrechtlichen Sinne ein Betrug des Herstellers in mittelbarer Täterschaft gegenüber dem Endkunden vorliegen. Das abschließend zu beurteilen, setzt weitere Informationen voraus. Die Durchsuchungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft belegen allerdings, dass auch dort ein Anfangsverdacht gesehen wird. Es spricht einiges dafür, dass die Anspruchsgrundlage §§ 823 Abs. 2 BGB inVerbindung mit § 263 StGB tragfähig sein wird.

     

    Wichtig | Problematisch ist aber der Schadensnachweis, weil auf die Situation beim Kauf abzustellen ist. Es kommt also auf den Nachweis an, dass das Fahrzeug bei Offenlegung der Situation im Verkaufszeitpunkt objektiv unverkäuflich gewesen wäre oder nur zu einem bedeutend niedrigeren Preis an den Mann gebracht worden wäre. Aussichtslos ist auch das nicht.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Update: Berechnung der Nutzungsentschädigung bei Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags“, ASR 9/2013, Seite 17
    • Das (Excel-)Tool „Berechnung der Nutzungsentschädigung bei Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufs“ finden Sie auf asr.iww.de unter Downloads → Rechentools.
    • Die „Rechtsprechungsübersicht zur Gesamtlaufleistung von Fahrzeugen“ finden Sie auf asr.iww.de unter Downloads → Arbeitshilfen/Checklisten → Autokauf
    Quelle: Ausgabe 11 / 2015 | Seite 3 | ID 43629734