· Fachbeitrag · Autokauf
Die Neuerungen im BGB zu digitalen Produkten in Kfz: So gehen Autohäuser optimal damit um
von PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit, Erlangen
| Mit Wirkung ab dem 01.01.2022 hat der deutsche Gesetzgeber die Digitale Inhalte-Richtlinie (RL (EU) 2019/770 vom 20.05.2019) umgesetzt. In den neuen §§ 327 ff. BGB finden sich seitdem Bestimmungen für Verbraucherverträge, welche die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen (digitale Produkte) durch einen Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben. ASR erklärt die wichtigsten Inhalte der neuen §§ 327 ff. BGB und erläutert, wie Autohäuser damit umgehen. |
Wo sind Autohäuser konkret von der Neuregelung betroffen?
Die neuen Regelungen sind für die Autohäuser in vielfacher Hinsicht praxisrelevant. Sie betreffen z. B. sog. Connected Car Services, die Software von E-Autos, Fahrassistenzsysteme, Standortdienste wie Navigationssysteme und Diebstahlseinrichtungen sowie Motorsteuerungssoftware. Bei Verbraucherverträgen wie etwa dem Verkauf eines Fahrzeugs mit einem der genannten digitalen Produkte sind die Autohäuser nun nach den §§ 327 ff. BGB verpflichtet, das digitale Produkt bereitzustellen und für die Vertragsmäßigkeit einzustehen. Unter Umständen sind auch Software-Aktualisierungen geschuldet.
Der Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB
Die neuen Vorschriften über die Bereitstellung digitaler Produkte (§§ 327 ff. BGB) gelten für alle Vertragstypen, d. h. nicht etwa nur für Kaufverträge, sondern auch für Miet- oder Leasingverträge. Sie sind anwendbar auf Verträge, die seit dem 01.01.2022 abgeschlossen werden oder bei denen die Bereitstellung des digitalen Produkts ab diesem Datum erfolgt (Art. 229 § 57 EGBGB).
Verbrauchervertrag
Die neuen Vorschriften gelten nur für Verbraucherverträge, dies aber unabhängig vom konkreten Vertragstyp. Für Verträge die keine Verbraucherverträge sind, bleibt es bei den allgemeinen (= bisherigen) Regeln.
PRAXISTIPP | Prüfen Sie stets genau, ob es sich bei Ihrem Vertragspartner um einen Verbraucher (§ 13 BGB) handelt (§ 310 Abs. 3 BGB). |
Digitale Produkte
Der Vertrag muss sich auf ein digitales Produkt beziehen. Digitale Produkte sind digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen (§ 327 Abs. 1 S. 1 BGB).
- Bei digitalen Inhalten handelt es sich um Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB). Bei digitalen Produkten für Kraftfahrzeuge wird es regelmäßig um digitale Inhalte gehen.
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Bei der Bereitstellung von Software, wie z. B. Kartenupdates für Navigationssysteme, handelt es sich um digitale Inhalte. |
- Bei digitalen Dienstleistungen handelt es sich um Dienstleistungen, „die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktion mit diesen Daten ermöglichen“.
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Applikationen, die den Cloud-Zugriff auf digitale Informationen oder Unterhaltungsprogramme gegen Zahlung einer regelmäßigen Gebühr ermöglichen, sind digitale Dienstleistungen. |
Grundsatz: Trennung der einzelnen Teile eines Paketvertrags
Oftmals wird ein digitales Produkt nicht isoliert (z. B. bloßer Software-Kauf) angeboten, sondern direkt beim Autokauf mit bereitgestellt. Auf solche Paketverträge (§ 327a BGB) sind die Neuregelungen ebenfalls anzuwenden. Bei Verträgen, bei denen in einem einzigen Vertrag zwischen denselben Vertragsparteien ein digitales Produkt und eine Sache bzw. andere Dienstleistungen bereitgestellt werden, sind die §§ 327 ff. BGB nur auf die Bestandteile anzuwenden, die die digitalen Produkte betreffen.
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Praxisrelevanter ist der Fall, in dem eine bewegliche Sache verkauft wird, die digitale Produkte enthält. Denn ein modernes Fahrzeug enthält zwangsläufig digitale Produkte, z. B. Motorsteuerungssoftware, Software von Fahrassistenzsystemen oder Software für Navigationssysteme. Auch hier gelten die §§ 327 ff. BGB nur für die Bestandteile des Vertrags, die die digitalen Produkte betreffen (§ 327a Abs. 2 S. 2 BGB).
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Für Waren mit digitalen Elementen gilt das Trennungsprinzip nicht
Von diesem Grundsatz der Trennung der einzelnen Teile eines Paketvertrags macht für den Kaufvertrag § 327a Abs. 3 BGB eine wichtige Ausnahme für sog. Waren mit digitalen Elementen. Dabei geht es um Waren, die
- ohne die digitalen Produkte ihre Funktion nicht erfüllen können (Funktionalitätskriterium) und
- zu denen nach dem Vertrag neben der Sache zugleich auch das digitale Produkt bereitzustellen ist (Vertragskriterium).
Nach der Auslegungsregel des § 327a Abs. 3 S. 2 BGB wird widerleglich vermutet, dass die Verpflichtung des Verkäufers die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen umfasst. Ist also die Ware so eng mit einem digitalen Produkt verbunden, dass die Ware ohne das digitale Produkt nicht mehr funktioniert, sind die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufrechts (§§ 475b, 475c BGB) und nicht die §§ 327 ff. BGB anzuwenden.
Wichtig | Bereits jetzt ist umstritten, auf welche Funktion sich § 327a Abs. 3 BGB bezieht. Einerseits wird davon ausgegangen, dass ein funktionaler Zusammenhang zwischen Ware und digitalem Produkt bereits besteht, wenn eine bestimmte Funktion der Ware nach dem Kaufvertrag geschuldet ist. Andererseits wird angenommen, dass ein funktionaler Zusammenhang zwischen Ware und digitalem Produkt nur dann vorhanden ist, wenn die Grundfunktionen der Ware von einem digitalen Produkt abhängen (z. B. bei Motorsteuerungssoftware). Der Wortlaut des § 327a Abs. 3 BGB und der entsprechenden Bestimmung des Art. 2 Nr. 5b) der Warenkauf-RL sowie Sinn und Zweck der Vorschrift (Abgrenzung zur Warenkauf-RL) sprechen für ein Abstellen auf die Grundfunktionen der Ware aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers.
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Das gekaufte Fahrzeug des Verbraucher-Käufers enthält eine Verkehrs-zeichenerkennung, die aber wegen eines Softwarefehlers nicht funktioniert.
Lösung:
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Gibt es zusätzlich zum mit Standheizung ausgestatteten Fahrzeug eine App, mit der die Standheizung eingeschaltet werden kann, und ist dies auch durch einen Knopf im Fahrzeug möglich, funktioniert die Ware vollumfänglich auch ohne die App.
Lösung: Es handelt sich ‒ auch wenn man von einem weiten Anwendungsbereich des § 327a Abs. 3 BGB ausgehen will ‒ nach beiden Auffassungen um einen Paketvertrag nach § 327 Abs. 2 S. 1 BGB. Für diesen gelten in Bezug auf die App die §§ 327 ff. BGB, während für die Ware (Fahrzeug) die kaufrechtlichen Vorschriften (§§ 433 ff. BGB) gelten. § 327a Abs. 3 BGB greift nicht. |
PRAXISTIPP | Prüfen Sie stets genau, ob es sich um den Kauf einer Ware handelt, die einen so engen Zusammenhang mit einem digitalen Produkt aufweist, dass die Ware ohne digitales Produkt nicht funktionieren würde (Ware mit digitalen Elementen). In einem solchen Fall, der insbesondere bei Betriebssystemen vorliegt, gilt das kaufrechtliche Gewährleistungssystem für die gesamte Ware (§§ 475a, 475b BGB) ‒ und nicht §§ 327 ff. BGB. |
Pflichten in Zusammenhang mit digitalen Produkten
Für Verträge, auf die die §§ 327 ff. BGB anwendbar sind, gelten zwei zentrale Pflichten: Einerseits hat der Unternehmer dem Verbraucher das digitale Produkt bereitzustellen (§ 327b BGB). Andererseits muss das digitale Produkt frei von Produkt- und Rechtsmängeln bereitgestellt werden (§ 327d BGB).
Bereitstellung des digitalen Produkts
§ 327b BGB enthält Regeln zur von der Vorschrift vorausgesetzten Pflicht, digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen bereitzustellen. Besonders bedeutsam ist § 327b Abs. 2 BGB, wonach der Verbraucher die Bereitstellung digitaler Produkte, mangels anderweitiger Vereinbarung, bereits unverzüglich nach Vertragsschluss verlangen kann.
PRAXISTIPP | Soll z. B. ein Cloud-Dienst erst ab der Übergabe eines Fahrzeugs bereitgestellt werden, muss dies so vereinbart werden. |
Mangelfreiheit des digitalen Produkts
Der Verbraucher hat bei einem Mangel des digitalen Produkts Mängelrechte, wie sie in ihren Grundzügen aus dem Kaufvertragsrecht bekannt sind: Er kann Nacherfüllung verlangen und unter zusätzlichen Voraussetzungen den Vertrag beenden und den Preis mindern oder Schadenersatz bzw. Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen (§ 327i BGB).
Wichtig | Für den Übergang zu Sekundärrechten reicht es, wenn die Nacherfüllung nicht innerhalb einer angemessenen Frist ab der Information des Verbrauchers geleistet wird (§§ 327m Abs. 1 Nr. 2 BGB, 327n Abs. 1 S. 1, 327m Abs. 3 S. 1 BGB). Ein Verweis auf den Hersteller ist keine ordnungsgemäße Nacherfüllung nach § 327l BGB. Das Autohaus muss sich vielmehr selbst darum kümmern, den vertragsgemäßen Zustand herzustellen.
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Der Käufer (Privatperson = Verbraucher) teilt dem Verkäufer (Autohaus = Unternehmer) mit, dass sich die Standheizung nur mit der Taste im Pkw und nicht per App einschalten lässt. Es stellt sich heraus, dass der Hersteller vergessen hat, die im Prospekt angekündigte Funktionalität in die App hineinzuprogrammieren. Der Käufer verlangt Nacherfüllung. Das Autohaus verweist auf den Hersteller.
Lösung: Ausreichend für den Übergang zu Vertragsbeendigung und Schadenersatz ist schon eine Verweigerung der ordnungsgemäßen Nacherfüllung (§ 327m Abs. 1 Nr. 5 BGB) ‒ hier durch Verweis auf den Hersteller. Der Ablauf einer vom Verbraucher gesetzten Frist zur Nacherfüllung ist nicht erforderlich. |
Produktmangel oder Rechtsmangel
Voraussetzung für die Geltendmachung von Mängelrechten bei einem Fehler des digitalen Produkts ist das Vorliegen eines Produktmangels (§ 327e BGB) oder eines Rechtsmangels (§ 327g BGB). Ein Mangel des Produkts liegt vor, wenn das digitale Produkt zum maßgeblichen Zeitpunkt (in der Regel Bereitstellung des digitalen Produkts) den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen oder den Anforderungen an die Integration (im Detail § 327e BGB) nicht entspricht.
Besondere Relevanz könnten die objektiven Anforderungen entfalten, wenn es um die Übereinstimmung mit einer Testversion oder Voranzeige geht, die der Unternehmer dem Verbraucher vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat (§ 327e Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB, Beispiel 1) oder wenn es um die Aktualisierungspflicht des § 327e Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BGB (Beispiel 2) geht.
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Das Autohaus stellt im Vorfeld des Vertragsschlusses einen Prospekt zur Verfügung, in dem eine bestimmte Cloud-Funktionalität (z. B. Android Auto oder Apple CarPlay) des Fahrzeugs ohne einschränkende Bemerkung mit Bildern beschrieben ist. Nach dem Kauf zeigt sich, dass die Funktion kostenpflichtig aktiviert werden muss.
Lösung: Es liegt ein objektiver Mangel wegen fehlender Übereinstimmung mit einer Voranzeige vor. Das Autohaus muss die Funktion im Wege der Nacherfüllung freischalten. |
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Die Android Auto oder Apple CarPlay-Schnittstelle funktioniert wegen neuer Handy-Softwareversionen nicht mehr. |
Lösung: Nach § 327f BGB hat der Unternehmer die Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts durch Aktualisierungen sicherzustellen, d. h. durch ein Update. Diese Verpflichtung gilt aber nicht zeitlich unbeschränkt. Die Aktualisierungs-/Updatepflicht besteht für den Zeitraum, den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks des digitalen Produkts und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrages erwarten kann (§ 327f Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB). Die genaue Reichweite der Update-Pflicht ist daher momentan noch weitgehend unklar. Die Rechtsprechung wird diesbezüglich für eine Präzisierung zu sorgen haben. |
Möglichkeiten der Vertragsgestaltung
Die §§ 327 ff. BGB bringen für die Praxis des Autohandels einige Neuerungen. Daher liegt die Frage auf der Hand, inwiefern die Auswirkungen der Regelungen durch abweichende Vereinbarungen abgeschwächt werden können.
§ 327h BGB beschränkt Vereinbarungen über die objektiven Anforderungen an digitale Produkte zu Lasten des Verbrauchers. Diese sind nur wirksam, wenn der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung eigens in Kenntnis gesetzt wurde, dass das digitale Produkt von einem üblicherweise gegebenen Merkmal abweicht. Die negative Beschaffenheitsvereinbarung muss ausdrücklich und gesondert im Vertrag vereinbart werden.
PRAXISTIPP | Weist das bereitzustellende digitale Produkt irgendwelche Einschränkungen der Nutzbarkeit oder eingeschränkte Updates auf, empfiehlt sich ein Vorgehen in zwei Schritten: Der Verbraucher
Eine Vereinbarung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ist nicht zulässig. |
Im Übrigen sind die Bestimmungen der §§ 327 ff. BGB zwingend. Ein Ausschluss der Rechte des Verbrauchers ist nach § 327s BGB nurmehr nach Kenntnis des Verbrauchers vom Mangel, von der unterbliebenen Bereitstellung oder der Inhaltsänderung des digitalen Produkts möglich. Lediglich der Anspruch auf Schadenersatz kann, im Rahmen der allgemeinen Regeln (z. B. über Allgemeine Geschäftsbedigungen) eingeschränkt werden.
Regressregelungen
Der Unternehmer, der sich dem Verbraucher zur Bereitstellung digitaler Inhalte verpflichtet hat (z. B. Autohaus), wird die digitalen Inhalte in der Regel von Dritten (z. B. Hersteller) beziehen. Die §§ 327t und 327u BGB sehen daher Sondervorschriften für den Rückgriff des Unternehmers bei seinem Vertriebspartner vor.
Umsetzung in die Praxis
Mit den Bestimmungen zu Verträgen über digitale Produkte (§§ 327 ff. BGB) hat ein neues, in sich abgeschlossenes Regelungsregime für digitale Inhalte und Dienstleistungen ins deutsche Recht Einzug gehalten. Nicht nur Autohäuser und Fahrzeughändler, Leasing- und Mietwagenunternehmen sowie Werkstätten, sondern alle in der Automobilbranche Tätigen sollten daher prüfen, welche Verträge digitale Inhalte oder Dienstleistungen enthalten. Anschließend können Verträge und insbesondere AGB angepasst werden.
Das neue Regelungsregime veranschaulicht folgende Grafik: