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  • 30.11.2011 · IWW-Abrufnummer 112897

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 09.06.2011 – I-28 U 12/11

    Eine erhöhte Kohlendioxidemission ist neben erhöhtem Kraftstoffverbrauch kein gesonderter Fahrzeugmangel.


    Tenor:
    Die Berufung des Klägers gegen das am 3. Dezember 2010 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe
    I.

    Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.

    II.

    Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückabwicklung des am 24. Juni 2008 mit der Beklagten, die mit Kraftfahrzeugen handelt, geschlossenen Kaufvertrags über das Neufahrzeug "G" (§ 346 Abs. 1, § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1, § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB).

    1.a)

    Der im Datenblatt, welches in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug lag, mitgeteilte Kraftstoffverbrauch gehörte zu der Beschaffenheit, die der Käufer erwarten durfte (§ 434 Abs. 1 Satz 3 i.V. mit § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Die Angabe eines Kraftstoffverbrauchs von 7,1 Liter auf 100 Kilometer im kombinierten Betrieb bezog sich allerdings nicht auf das konkret erworbene Einzelfahrzeug in der Fahrweise des individuellen Käufers, sondern wurde unter Laborbedingungen festgestellt. Im Datenblatt heißt es unmissverständlich:

    "Die angegebenen Werte wurden nach den vorgeschriebenen Messverfahren (RL 80/1268/EWG in der gegenwärtig geltenden Fassung) ermittelt. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken zwischen den verschiedenen Fahrzeugtypen."

    Ein solcherart formulierter Hinweis ist nach der Pkw-Energieverbrauchskennzeichungsverordnung (Pkw-EnVKV) zulässig und dient der Vorbeugung vor Missverständnissen (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl., Rn. 302). Die vorgenannte Rechtsverordnung dient der Umsetzung der Richtlinie 1999/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über die Bereitstellung von Verbraucherinformationen über den Kraftstoffverbrauch und Kohlendioxidemissionen beim Marketing für neue Personenkraftwagen (ABl. EG 2000 Nr. L 12 S. 16).

    b)

    Gemäß § 47d StVZO sind die Kohlendioxidemissions- und Kraftstoffverbrauchswerte für Kraftfahrzeuge, die - wie hier - dem Anwendungs-bereich der Richtlinie 80/1268/EWG des Rates vom 16. Dezember 1980 über die Kohlendioxidemissionen und den Kraftstoffverbrauch von Kraftfahrzeugen (ABl. EG Nr. L 375 S. 36) unterfallen, gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie zu ermitteln. Entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung folgt aus der Richtlinie 80/1268/EWG (in der zuletzt maßgeblichen Fassung) nicht, dass es auf den Kraftstoffverbrauch des individuellen Fahrzeugs im jeweiligen Betrieb durch den Käufer ankommt. Das ergibt sich auch nicht daraus, dass auf das "betriebsbereite" Fahrzeug abgestellt wird. Das bezieht sich nicht auf das vom jeweiligen Käufer erworbene und von ihm gefahrene Fahrzeug, sondern auf ein näher bestimmtes Prüffahrzeug, das bestimmte Prüfbedingungen erfüllen muss. Die Angabe des Kraftstoffverbrauchs im Datenblatt bedeutet somit nicht, dass diese Werte von dem konkreten Fahrzeugerwerber in seiner eigenen, täglichen Fahrpraxis erreichbar sein müssen. Die Herstellerangaben, die auf der vorgenannten EG-Richtlinie aufbauen, sind nicht am alltäglichen Betrieb, sondern ihrerseits nur an EG-Richtlinien zu messen (OLG Karlsruhe, NZV 2008, 414 [OLG Karlsruhe 01.02.2008 - 1 U 97/07]; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 2 U 1487/09, BeckRS 2011, 00451; Reinking/Eggert, aaO, Rn. 306).

    c)

    Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger kein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag zu. Der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige hat festgestellt, dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug im kombinierten Betrieb 7,7 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer verbraucht. Der Mehrverbrauch gegenüber 7,1 Litern beläuft sich damit auf 8,45%. Eine solche Abweichung stellt zwar einen Fahrzeugmangel dar, berechtigt den Käufer jedoch nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es eine nur unerhebliche Pflichtverletzung, wenn der Kraftstoffverbrauch eines verkauften Neufahrzeugs um weniger als 10 % von den Herstellerangaben abweicht (BGH, Beschluss vom 5. August 2007 - VIII ZR 19/05, NJW 2007, 2111, zu § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB; siehe bereits Urteil vom 18. Juni 1997 - VIII ZR 52/96, BGHZ 136, 94, zu § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.).

    d)

    Unbeschadet dessen kommt hinzu, dass das erstinstanzliche Sacherständigengutachten einen Irrtum enthält, der sich zugunsten des Klägers auswirkt, so dass die Abweichung tatsächlich geringer als 8,45% ausfällt. Dies hat sich bei der Anhörung des vom Senat beauftragten Sachverständigen herausgestellt. Der erstinstanzliche Gutachter hat nicht allein auf Herstellerangaben abgestellt, sondern, wie im Senatstermin erörtert worden ist, ein "Mittelding" zwischen den Herstellerparametern und den tatsächlichen Fahrzeugparametern zugrunde gelegt.

    2.

    Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gutachters bewegt sich die Kohlendioxidemission nicht bei 169 g/km, sondern bei 178 g/km. Dies berechtigt den Kläger ebenfalls nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag.

    a)

    Zwar ist es entgegen der Ansicht der Beklagten unschädlich, dass der Kläger diesen Umstand nicht bereits in der Rücktrittserklärung mit Anwaltsschreiben vom 18. März 2009 angeführt, sondern mit Schriftsatz vom 3. November 2010 "nachgeschoben" hat, nachdem das erstinstanzliche Sachverständigengutachten vorlag. Denn eine Rücktrittserklärung bedarf keiner Angabe des Rücktrittsgrundes (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1986 - VIII ZR 349/85, BGHZ 99, 182, 192, Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 349 Rn. 1). Daher ist ein "Nachschieben" von Rücktrittsgründen, das heißt die spätere Benennung weiterer, zum Zeitpunkt der Erklärung des Rücktritts bereits vorhandener Rücktrittsgründe, grundsätzlich zulässig (Staudinger/Otto/Schwarze, BGB [2009], § 323 Rn. D 16, m.w.N.).

    b)

    Die Kohlendioxidemission stellt jedoch keinen vom Kraftstoffmehrverbrauch gesonderten Mangel dar. Beides geht vielmehr, wie im Senatstermin erörtert worden ist, technisch und mathematisch Hand in Hand. Der Verbrauch des Fahrzeugs wird dadurch ermittelt, dass allein die Abgase aufgefangen und analysiert werden. Daraus errechnet sich der Kraftstoffverbrauch. Ein höherer Kohlendioxidanteil führt, wie der vom Senat beauftragte Sachverständige ausgeführt hat, zwingend zu höheren Verbrauchswerten.

    3.

    Die in der Rücktrittserklärung vom 18. März 2009 angeführten Startschwierigkeiten berechtigen den Kläger bereits aus formellen Gründen nicht zur Rückabwicklung des Kaufvertrags. Zwar hat der Kläger der Beklagten am 11. Dezember 2008 insoweit Gelegenheit zu einem Nachbesserungsversuch gegeben. Die Nachbesserung gilt jedoch gemäß § 440 Satz 2 BGB erst nach dem zweiten erfolglosen Versuch als fehlgeschlagen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger der Beklagten einen zweiten Nachbesserungsversuch gewährt hat. Das Nachbesserungsverlangen Anfang Februar 2009 bezog sich ausweislich der "Garantie-Rechnung" der Beklagten vom 5. Februar 2009, die im Senatstermin erörtert worden ist, nur auf "übermäßigen Kraftstoffverbrauch". Die Beklagte hat unwiderlegt bestritten, dass sich dieses Nachbesserungsverlangen auch auf die vom Kläger behaupteten Startschwierigkeiten bezog.

    4.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

    Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

    RechtsgebieteBGB, Pkw-EnVKVVorschriftenBGB § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 323 Abs. 5 Satz 2; Pkw-EnVKV; RL 1999/94/EG; RL 80/1268/EWG