09.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221002
Finanzgericht Münster: Urteil vom 29.09.2020 – 6 K 3607/17
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 16.06.2016 für die Kraftfahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX YY 1 und XX YY 2 und insoweit die Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 werden aufgehoben.
Der Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 16.06.2016 für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX YY 3 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 wird nach Maßgabe der Gründe geändert. Die Berechnung der festzusetzenden Kraftfahrzeugsteuer wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2
Streitig ist, ob die auf den Kläger zugelassenen Fahrzeuge nach § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) befreit sind.
3
Der Kläger betreibt ein Unternehmen unter der Firma „UG“, das den Patiententransport zum Gegenstand hat. Der Kläger ist Halter der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX YY 3, XX YY 1 und XX YY 2. Es handelt sich um Fahrzeuge der Marke O, Typ Kombi, die jeweils nach entsprechendem Umbau als „Patiententransportfahrzeug“ zugelassen wurden. Ausweislich der vorliegenden Zulassungsbescheinigungen sind die Fahrzeuge jeweils u.a. mit einem Liegeplatz, Vorrichtungen für einen Tragestuhl sowie mit einer ausklappbaren Auffahrrampe ausgestattet. Zudem steht auf allen ‒ in weißer Farbe gehaltenen ‒ Fahrzeugen die Aufschrift „…transporte“ (Kennzeichen XX YY 1 und XX YY 2) bzw. „Fahrzeug“ (XX YY 3). Der Kläger führt keine Rollstuhlfahrten durch. Die beförderten Personen werden entweder liegend oder sitzend befördert.
4
Ausweislich der von dem Kläger exemplarisch vorgelegten ärztlichen Verordnungen bezüglich der abgerechneten Krankenbeförderungen können folgende Gründe für die Beförderung vorliegen: voll-/teilstationäre Krankenhausbehandlung, vor-/nachstationäre Behandlung, ambulante Operation, Vor-/Nachbehandlung bei ambulanter Operation und Fahrten zu ambulanten Behandlungen. Unter den genehmigungspflichtigen Fahrten zu ambulanten Behandlungen werden folgende Gründe ausdrücklich aufgeführt: hochfrequente Behandlung (Dialyse, onkologische Chemo- oder Strahlentherapie) und dauerhafte Mobilitätsbeeinträchtigung (Merkzeichen „aG“, „Bl“, „H“, Pflegestufe 2 bzw. 3) und vergleichbarer Ausnahmefall bzw. Grund.
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Ferner steht der Kläger in Vertragsbeziehungen zu verschiedenen Krankenkassen und der Bundesknappschaft, mit denen er Rahmenverträge über die Durchführung und Vergütung von Krankenfahrten abgeschlossen hat. Zu den Krankenkassen zählen u.a. die Krankenkasse 1, Krankenkasse 2, Krankenkasse 3, Krankenkasse 4, Krankenkasse 5, Krankenkasse 6, Krankenkasse 7 und die Krankenkasse 8.
6
Mit Kraftfahrzeugsteuerbescheiden vom 16.06.2016 setzte der Beklagte für die streitgegenständlichen Fahrzeuge jeweils Kraftfahrzeugsteuer fest. Für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX YY 3 wurde Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von X € jährlich ab dem 03.12.2015, für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX YY 1 in Höhe von X € jährlich ab dem 02.12.2015 und für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX YY 2 in Höhe von X € jährlich ab dem 01.12.2015 festgesetzt. Die Kraftfahrzeugsteuerbescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
7
Gegen die Kraftfahrzeugsteuerbescheide legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Unter Krankenbeförderung sei ausschließlich die Beförderung erkrankter Menschen zu verstehen. Dabei müssten dringende Soforteinsätze vorliegen, durch welche akuten Notständen, in denen unmittelbar Gefahr für Leib und Leben bestehe, abgeholfen werden solle. Dies seien insbesondere Notfallrettungen sowie Krankentransporte unter fachgerechter Betreuung („qualifizierte Krankentransporte“). Neben den vorgenannten Einsatzzwecken seien vom Begriff „Krankenbeförderung“ auch Transporte umfasst, die ausschließlich zur Beförderung von geistig oder körperlich behinderten Menschen zu speziellen Einrichtungen im Rahmen der fürsorgerischen Betreuung, insbesondere zu Tagesheimen, Sonderschulen, Sonderkindergarten oder Behindertenwerkstätten erfolgten. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Streitfall jedoch nicht erfüllt. Die Fahrzeuge würden eher wie Taxis im „funktionalen Sinne“ verwendet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 Bezug genommen.
8
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Steuerbefreiung seiner Fahrzeuge. Er ist der Ansicht, dass für die streitrelevanten Fahrzeuge die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG zu gewähren sei. Er trägt vor, dass sein Unternehmen ausschließlich Personen befördere, die einer ärztlichen oder medizinischen Behandlung bedürften. Soweit diese nach Entlassungen aus dem Krankenhaus abgeholt würden, seien die Fahrten von der Krankenhausstation angeordnet worden, weil ein normales Taxi ungeeignet sei. Fahrten, die nicht mit einer ärztlichen oder medizinischen Behandlung in Zusammenhang stünden, würden nicht durchgeführt. Vorübergehend gehbehinderte Personen würden ebenfalls entweder zur ärztlichen Behandlung gefahren oder von dort aus wieder nach Hause bzw. ins Seniorenheim gefahren. Für Transportfahrten, bei denen z.B. demenzkranke Personen zur Einrichtung befördert würden, werde ein anderes Fahrzeug verwendet, das nicht Gegenstand des Klageverfahrens sei. Weiter trägt der Kläger vor, dass sein Unternehmen die Patienten zur Dialysebehandlungen, Chemotherapien, stationären Behandlungen und ambulanten Behandlungen befördere. Darüber hinaus erfolgten Fahrten zu Kliniken, Physiotherapien, Ergotherapien und zur Krankengymnastik.
9
Zur weiteren Begründung hat der Kläger insgesamt sieben Ordner mit einer Vielzahl von ärztlichen Verordnungen aus dem Jahr 2017, Abrechnungsbelegen, Einsatzprotokollen, Beförderungsgenehmigungen, Aufstellungen über die beförderten Personen sowie mit weiteren Belegen, die mit den Abrechnungen über die durchgeführten Fahrten im Zusammenhang stehen, dem Gericht vorgelegt. Auf den Inhalt der Unterlagen wird Bezug genommen. Die Unterlagen sind dem Beklagten zur Einsicht vorgelegt worden. Der Beklagte ist gebeten worden, zum Inhalt der Unterlagen Stellung zu nehmen.
10
Zu den Einwendungen des Beklagten nimmt der Kläger mit Schreiben vom 10.03.2020 Stellung. Er trägt u.a. vor, dass der Patient E sich in einer Kurzzeitpflege im Altenheim befunden habe. Die Verordnung enthalte keine Angaben unter 1., da diese Beförderungskosten nicht die Krankenkasse, sondern die Pflegeversicherung übernehme. Das Unternehmen des Klägers sei nicht berechtigt, mit der Pflegeversicherung unmittelbar abzurechnen. Weiter könne es für die Frage der Steuerbefreiung keinen Unterschied machen, ob es sich um die Beförderung von Dauerpatienten handele oder um eine einmalige Beförderung. Fahrten könnten auch über einen längeren Zeitraum verordnet und genehmigt werden. Hinsichtlich der Patientin N könne das Unternehmen keine Angaben zur Krankheit machen. Aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse könne jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Erkrankung nicht vorgelegen habe. Es könne insbesondere sein, dass aufgrund der Erkrankung eine Beförderung notwendig sei. Innerhalb der ersten vierzehn Tage werde diese z.B. beim Transport vom Krankenhaus nach Hause übernommen, ab dem fünfzehnten Tag aber nicht mehr. Dies entspreche den Regelungen im Sozialrecht und den Bestimmungen der Krankenkasse. Dies habe aber nichts damit zu tun, ob aufgrund der Erkrankung selbst die Beförderung akut notwendig sei. Die Angaben zu 1. in den Verordnungen treffe der Arzt. Das Unternehmen des Klägers könne die Gründe für die Beförderungen nicht überprüfen oder beurteilen.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Klägers vom 10.03.2020 Bezug genommen.
12
Die Kläger beantragt sinngemäß,
13
die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 16.06.2016 für die Kraftfahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX YY 3, XX YY 1 und XX YY 2 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 aufzuheben und für die genannten Fahrzeuge die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG zu gewähren.
14
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
16
Er verbleibt bei seiner Rechtsauffassung und verweist zur Begründung auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend macht er geltend, dass von einer „gewissen Dringlichkeit“ nicht mehr gesprochen werden könne, wenn zwischen dem Ausstellungsdatum der ärztlichen Verordnung und dem Tag der ausgeführten Fahrt mehrere Arbeitstage oder Wochen vergangen seien. Im Streitfall sei dies bei mehreren Patienten der Fall, bei denen die Genehmigung der Krankenkasse über Fahrtkosten für ein Jahr im Voraus erteilt worden sei. Es sei insoweit fraglich, ob der Patient nur aufgrund seiner Mobilitätseinschränkung befördert worden sei oder ob eine akute Erkrankung vorgelegen habe. Weiter seien in den vorgelegten Ordnern des Klägers Unterlagen zu finden, wonach eine Fahrt vom Altenheim zur Wohnung im Tragestuhl stattgefunden habe. Eine Verordnung liege zwar vor. Jedoch sei keine Angabe zu 1. enthalten. Auch bei zwei weiteren Verordnungen sei ein Grund für die Beförderung nicht angegeben worden.
17
Im Einzelnen rügt der Beklagte folgende Fahrten:
18
Fahrzeug
Datum
Patient
Einwendung
1.
XX YY 2
08.03.2017
J
Fahrt zum Vertragsarzt zur ambulanten Behandlung; Verordnung liegt vor; Genehmigung der Krankenkasse für ein Jahr im Voraus
2.
XX YY 3
13.03.2017
S
Genehmigung zur ambulanten Physiotherapie-Behandlung für ein Jahr im Voraus, Verordnung liegt nicht vor
3.
XX YY 3
14.03.2017
E
Fahrt vom Altenheim zur Wohnung im Tragestuhl; keine Angabe zu 1. in Verordnung; Patient Selbstzahler
4.
XX YY 2
15.03.2017
B
Fahrten zur Wohnung und Arztpraxen; Verordnung und Genehmigung für ein Jahr im Voraus, keine Angabe zu 1. in Verordnung; Tragestuhl
5.
XX YY 3
16.03.2017
N
Fahrt zwischen Wohnung und Arztpraxis; keine Angabe zu 1. in Verordnung; Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten Bezug genommen.
20
Das Verfahren hat zunächst im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen III R 10/18 geruht. Dieses Verfahren ist mit Urteil des BFH vom 13.09.2018 abgeschlossen worden.
21
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
22
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23
A. Die Klage ist zulässig.
24
Die Klage, die nach ihrem Wortlaut der Klageschrift von der UG erhoben wurde, ist als solche des Herrn U, der im Streitzeitraum Halter der streitgegenständlichen Fahrzeuge war, auszulegen.
25
I. Für die Beteiligtenstellung ist nach der Rechtsprechung des BFH die Bezeichnung in der Klageschrift nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. In diese Beurteilung ist auch das tatsächliche Vorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens miteinzubeziehen (Urteile des BFH vom 10.03.2016 VI R 58/14, BFHE 253, 243, BStBl II 2016, 621, und vom 14.11.1986 III R 12/81, BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178). Bei unrichtiger äußerer Bezeichnung ist grundsätzlich die Person als Beteiligter anzusprechen, die erkennbar durch die Beteiligtenbezeichnung betroffen werden soll (BFH-Urteile in BFHE 253, 243, BStBl II 2016, 621 und BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178, und vom 07.07.1987 VII R 94/84, BFHE 150, 492, BStBl II 1987, 804; BFH-Beschlüsse vom 25.09.1985 IV R 180/83, BFH/NV 1986, 171; vom 06.05.1998 IV B 108/97, BFH/NV 1999, 146; vom 31.08.1999 VIII B 29/99, BFH/NV 2000, 442, und vom 08.11.2005 VIII B 3/96, BFH/NV 2006, 570). Auch bei scEbar eindeutiger Erklärung hängt die Bestimmung des Klägers von allen dem Finanzamt und dem Finanzgericht als den Empfängern der Klageschrift bekannten oder erkennbaren Umständen tatsächlicher oder rechtlicher Art ab (BFH in BFHE 253, 243, BStBl II 2016, 621, und BFH-Urteil vom 08.01.1991 VII R 61/88, BFH/NV 1991, 795).
26
II. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall davon auszugehen, dass die Klage ‒ entgegen ihrem Wortlaut ‒ von Herrn U erhoben worden ist. Die Klagebezeichnung war entsprechend zu korrigieren. Denn Bekanntgabe- und Inhaltsadressat der angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide und der Einspruchsentscheidung ist Herr U als Halter der streitrelevanten Fahrzeuge. Dieser hat die Fahrzeuge dem Unternehmen UG lediglich zur Nutzung überlassen, ohne dass diese Halterin der Fahrzeuge ist. Daher ist auch nur Herr U durch die angefochtenen Bescheide beschwert, nicht aber die UG. Das Einspruchsschreiben vom 18.07.2016 weist Herrn U als Absender auf. Dieser hat den Einspruch auch unterschrieben. Die Klage richtet sich inhaltlich gegen die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer. Schuldner der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 7 Nr. 1 KraftStG bei einem inländischen Fahrzeug die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist. Dies ist der Halter. Denn mit der Zulassung hat der Halter das Recht erlangt, das Fahrzeug „auf öffentlichen Straßen ... in Betrieb“ zu setzen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13.08.2019 III B 2/19, BFH/NV 2019, 1362; BFH-Urteil vom 18.04.2012 II R 32/10, BFHE 240, 413, BStBl II 2013, 516, Rz 9, m.w.N.). Bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts der Klageschrift im Zusammenhang mit den angefochtenen Bescheiden ist sinnvoller Kläger allein Herr U. Hierauf sind die Beteiligten mit den gerichtlichen Schreiben vom 20.09.2018 und vom 22.06.2020 hingewiesen worden. Einwendungen gegen die Auslegung durch das Gericht wurden von den Beteiligten nicht erhoben.
27
B. Die so ausgelegte Klage ist ganz überwiegend begründet und in geringem Umfang unbegründet.
28
I. Die gegen die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 16.06.2016 für die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX YY 1 und XX YY 2 gerichtete Anfechtungsklage ist begründet.
29
Die vorgenannten Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 16.06.2016 und die Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 ‒ soweit sie diesbezüglich ergangen ist ‒ sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
30
Der Kläger hat einen Anspruch auf Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG für die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX YY 1 und XX YY 2 mit der Folge, dass die angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide aufzuheben sind.
31
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG unterliegt der Kraftfahrzeugsteuer das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist nach § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG u.a. das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet werden. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist nach § 3 Nr. 5 Satz 2 KraftStG weiterhin, dass die Fahrzeuge äußerlich als für diese Zwecke bestimmt erkennbar sind und dass sie, sofern sie nicht für eine der in § 3 Nr. 5 Satz 3 KraftStG aufgeführten Körperschaften zugelassen sind, nach ihrer Bauart und Einrichtung dem Verwendungszweck angepasst sind.
32
Die Krankenbeförderung setzt bereits begrifflich voraus, dass kranke Menschen befördert werden (BFH-Urteile vom 13.09.2018 III R 10/18, BFHE 262, 532, BFH/NV 2019, 352, und vom 10.06.2019 III R 47/18, BFHE 265, 466, BFH/NV 2019, 1448; Urteil des Finanzgerichts ‒FG‒ Berlin-Brandenburg vom 26.09.2019 8 K 8023/18, EFG 2019, 1917; vgl. Hessisches FG, Urteil vom 26.10.1971 V 31/70, EFG 1972, 145).
33
a. Der Begriff der Krankheit ist im Gesetz nicht definiert, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt und der Begriff im jeweiligen Rechtszusammenhang und individuellem Fall gebraucht wird. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Krankheit ein „anomaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand ist, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf“ (BFH in BFHE 262, 532, BFH/NV 2019, 352, und in BFHE 265, 466, BFH/NV 2019, 1448, BFH-Urteile vom 28.07.2005 III R 30/03, BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495, Rz 25; vom 18.06.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, Rz 9, jeweils zu § 33 des Einkommensteuergesetzes; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.2015 B 3 KR 14/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 48, Rz 29, m.w.N.). Dieser Krankheitsbegriff gilt auch für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer. Der Begriff der Behinderung (vgl. § 2 Abs. 1 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch) ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der Krankheit (BFH in BFHE 262, 532, BFH/NV 2019, 352, und in BFHE 265, 466, BFH/NV 2019, 1448).
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b. Die Behandlungsbedürftigkeit impliziert eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung, wie sie auch den übrigen Merkmalen des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG (Feuerwehrdienst, Katastrophenschutz, ziviler Luftschutz, Unglücksfälle, Rettungsdienst) immanent ist. Diese Auslegung entspricht auch den Grundsätzen des Urteils des BFH vom 22.08.1989 VII R 9/87 (BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936). Das Gesetz verlangt jedoch keinen dringenden Soforteinsatz. Vielmehr müssen nach der Rechtsprechung des BFH die beförderten Personen behandlungsbedürftig sein und die Beförderung muss mit „der“ Behandlung im Zusammenhang stehen (BFH in BFHE 262, 532, BFH/NV 2019, 352, und in BFHE 265, 466, BFH/NV 2019, 1448). Behandlungsbedürftigkeit i.S. des sozialversicherungs-rechtlichen Krankheitsbegriffs liegt vor, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen über eine bestimmte Bandbreite individueller Verschiedenheit hinaus in solchem Maße eingeschränkt sind, dass ihre vollständige oder doch teilweise Wiederherstellung ohne ärztliche Hilfe nicht erreichbar erscEt (FG Berlin-Brandenburg in EFG 2019, 1917). Die ärztliche Behandlung muss demnach erforderlich sein, um die Gesundheitsstörung zu erkennen, sie zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (FG Berlin-Brandenburg in EFG 2019, 1917; Lang in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Aufl. 2018, § 27 Rn. 31; Steege in Hauck/Noftz, SGB V, § 27 Rn. 49).
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Der erkennende Senat schließt sich diesem Begriffsverständnis mit der Maßgabe an, dass kraftfahrzeugsteuerrechtlich auch solche Behandlungen vom begünstigten Zweck umfasst sind, die durch besonderes medizinisch bzw. therapeutisch geschultes Personal durchgeführt werden, z.B. Physiotherapien, Reha-Maßnahmen und vergleichbare Behandlungen.
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Ferner versteht der erkennende Senat die Vorgabe des BFH, eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall EStG setze einen Zusammenhang der Beförderung der kranken Person mit „der“ Behandlung voraus, dahingehend, dass der Tatbestand des § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall EStG nicht lediglich eine generelle Behandlungsbedürftigkeit der kranken Person erfordert, sondern eine „bestimmte“ ‒ wenn auch nicht notwendig eilbedürftige oder akute ‒ Behandlungsbedürftigkeit, welche zugleich Anlass der konkreten Fahrt ist. Erst diese „bestimmte“ Behandlungsbedürftigkeit indiziert die „gewisse Dringlichkeit“ der Beförderung. Demgegenüber indiziert allein die Krankheit einer Person noch keine Dringlichkeit der Beförderung, da nach dem Verständnis des erkennenden Senats eine Person krank sein kann, ohne dass sie ständig oder in der jeweils zu beurteilenden Situation ärztlich oder medizinisch behandelt werden muss.
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2. Überträgt man diese Rechtsgrundsätze auf den Streitfall, sind in Bezug auf die Fahrzeuge mit den Kennzeichen XX YY 1 und XX YY 2 die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG erfüllt.
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a. Die Fahrzeuge des Klägers werden im Rahmen des Unternehmens des Klägers nach Überzeugung des erkennenden Senats ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet.
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aa. Denn nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers werden mit den Fahrzeugen ausschließlich kranke Personen jeweils zum Zweck einer bestimmten medizinischen Behandlung befördert. Die Fahrten stehen mit der Krankheit und bestimmten Behandlungsbedürftigkeit der Personen im Zusammenhang. Denn die kranken Personen werden nur aufgrund einer ärztlichen Verordnung jeweils befördert. Soweit für einzelne Fahrten ärztliche Verordnungen dem Gericht nicht vorliegen, liegen diese nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers lediglich deshalb nicht vor, weil insoweit die Krankenversicherungen jeweils (Dauer-) Genehmigungen für die entsprechenden Fahrten ausgestellt hätten. Dies gilt insbesondere für Personen, die als „Dauerpatienten“ regelmäßig und mehrfach pro Jahr zu ambulanten Behandlungen befördert werden.
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bb. Ausweislich der exemplarisch vorgelegten ärztlichen Verordnungen aus dem Jahr 2017 ‒ die aufgrund des Umfangs und von den Beteiligten unbestritten eine Übertragung deren Inhalts auf den gesamten Streitzeitraum zulassen ‒ stehen die Beförderungen im Zusammenhang mit einer voll- bzw. teilstationären Krankenhausbehandlung, einer ambulanten Behandlung in einer Arztpraxis bzw. mit einer ärztlich verordneten Krankengymnastik. Diese Verordnungsgründe implizieren zum einen, dass sich die beförderten Personen in einem „anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand befinden, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf“. Zweck der Beförderung ist jeweils die Ermöglichung einer solchen notwendigen ärztlichen bzw. medizinischen Behandlung. Zum anderen impliziert der genannte Grund eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung, weil nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Krankheitszustand der Personen ohne Behandlung nicht verbessert oder ohne Behandlung sogar verschlimmert. Die Erteilung einer ärztlichen Verordnung ist in jedem Einzelfall nur bei Vorliegen eines in der Verordnung jeweils aufgeführten Grundes möglich.
41
cc. Der Einwand des Beklagten, dass bei einzelnen vorliegenden Verordnungen kein Grund für die verordnete Fahrt angegeben worden sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn der gesamte Inhalt der vorgelegten ärztlichen Verordnungen stellt gewichtige Indizien dar, die für oder gegen eine Krankenbeförderung sprechen können. Die Vollständigkeit der ordnungsgemäßen Dokumentation in den Verordnungen hat demgegenüber nicht den Charakter eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG. Dem Kläger kann insoweit nicht zu seinen Ungunsten angelastet werden, dass die Ärzte in Einzelfällen den Beförderungszweck (z.B. stationäre oder ambulante Behandlung) nicht oder nicht vollständig angegeben haben, wenn sich der begünstigte Zweck ‒ wie im Streitfall (siehe sogleich) ‒ aus anderen Umständen herleiten lässt.
42
So liegt es auch im Streitfall. In den vom Beklagten aufgegriffenen Fällen zu 4. und 5. in der im Tatbestand aufgeführten Tabelle lässt sich die Behandlungsbedürftigkeit der beförderten Personen bereits daran ablesen, dass die Beförderungen nachweislich von Ärzten verordnet worden sind, und dass die Fahrten selbst nach dem Vortrag des Beklagten jeweils zwischen Wohnung und Arztpraxis erfolgten. Dies ist in den Verordnungen auch entsprechend durch Ankreuzen des Ziels „Arztpraxis“ dokumentiert. Das Ziel „Arztpraxis“ spricht bereits für sich dafür, dass die Person zum Zweck einer (ambulanten) ärztlichen Untersuchung oder Behandlung zu einer Arztpraxis befördert worden ist. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die Verordnungen von Ärzten ausgestellt wurden, die demnach eine Behandlung in einer anderen Arztpraxis für geboten hielten. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Hausarzt des Patienten eine bestimmte Behandlung nicht selbst vornehmen will und den Patienten an einen Facharzt oder Kollegen verweist. Hierunter fallen nach Auffassung des erkennenden Senats auch medizinische Behandlungen wie Physiotherapien.
43
b. Der Beklagte geht in seiner Einspruchsentscheidung ebenfalls davon aus, dass im Streitfall die Fahrzeuge für Beförderungen kranker Menschen nach ärztlicher Verordnung genutzt werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auch gesunde Menschen mit den oben genannten Fahrzeugen transportiert, haben sich nach Aktenlage nicht ergeben. Für die von dem Unternehmen des Klägers durchgeführten Beförderungen von lediglich gehbehinderten Personen verwendet das Unternehmen nach dem Vortrag des Klägers, den der Beklagte nicht bestritten hat, andere Fahrzeuge.
44
c. Anders als der Beklagte meint, ist die Steuerfreiheit auch dann nicht zu versagen, wenn zwischen dem Datum der Ausstellung der ärztlichen Verordnung und dem Tag der tatsächlichen Ausführung der verordneten Krankenfahrt mehrere Wochen oder gar Monate verstrichen sind. Denn nach dem Verständnis des erkennenden Senats muss eine gewisse Dringlichkeit im Zeitpunkt der Fahrt bestehen. Das Gericht geht in Überstimmung mit dem FG Berlin-Brandenburg (Urteil in EFG 2019, 1917) davon aus, dass jede medizinisch angezeigte (indizierte) Behandlungsmaßnahme zu einer „gewissen Dringlichkeit“ i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG führt und damit keine weitere Einschränkung des Befreiungstatbestands vorliegt. Die Behandlung muss weder zwingend notwendig noch eilbedürftig sein. Damit sind insbesondere auch medizinische Rehabilitationsmaßnahmen als Krankenbehandlung und damit in Verbindung stehende Fahrten erfasst. Diese können bereits einige Zeit vor tatsächlicher Ausführung ärztlich verordnet werden (vgl. FG Berlin-Brandenburg in EFG 2019, 1917). Es kann von den zu befördernden Personen nicht erwartet werden, die notwendige ärztliche Verordnung für die Beförderung erst unmittelbar vor Antritt der anstehenden Fahrt einzuholen, da eine solche Vorgehensweise aus Gründen, die in der Organisation des allgemeinen Gesundheitssystems liegen, weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Regel tatsächlich möglich ist.
45
d. Schließlich sind die streitrelevanten Fahrzeuge (XX YY 1 und XX YY 2) auch äußerlich als für den Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ bestimmt erkennbar und nach ihrer Bauart und Einrichtung jeweils diesem Verwendungszweck angepasst. Denn die Fahrzeuge sind ausweislich der vorgelegten Lichtbilder in heller Farbe gehalten, haben die Form eines Transportfahrzeugs und sind u.a. mit den Worten „…transporte“ äußerlich beschriftet. Weiter sind sie für die Beförderung von Menschen, die krank und behandlungsbedürftig sind, entsprechend ausgerüstet. Die Fahrzeuge sind mit einer Liege für die zu befördernden Patienten und mit einem Tragestuhl sowie mit einer ausfahrbaren Auffahrrampe ausgestattet. In den dem Gericht vorliegenden Zulassungsbescheinigungen Teil I sind die streitrelevanten Fahrzeuge sogar als „Patiententransportfahrzeug“ zugelassen.
46
II. Die gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 16.06.2016 für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX YY 3 gerichtete Klage ist ganz überwiegend begründet und im Übrigen in lediglich geringem Umfang unbegründet.
47
Der vorgenannte angefochtene Kraftfahrzeugsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit der Beklagte die Kraftfahrzeugsteuer über einen Monat hinaus festgesetzt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
48
Für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX YY 3 ist für die Zeit von einem Monat ab dem 14.03.2017 Kraftfahrzeugsteuer festzusetzen, weil die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung aufgrund zweckfremder Verwendung vorübergehend weggefallen ist.
49
1. Wird ein Fahrzeug, dessen Halten von der Steuer befreit ist, vorübergehend zu anderen als den begünstigten Zwecken benutzt (zweckfremde Benutzung), so dauert die Steuerpflicht, solange die zweckfremde Benutzung währt, mindestens jedoch einen Monat (§ 5 Abs. 2 Satz 4 KraftStG).
50
2. So liegt es auch im Streitfall.
51
a. Zwar ist das Halten des Fahrzeugs des Klägers mit dem Kennzeichen XX YY 3 grundsätzlich von der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG befreit. Zur Begründung wird auf die Ausführungen zu den anderen streitrelevanten Fahrzeugen unter B.I.1. und 2.a. bis c. vollumfänglich verwiesen. Lediglich in Bezug auf die vom Beklagten gerügte Einzelfahrt vom 14.03.2017, bei der Herr E befördert wurde, treffen die oben genannten Ausführungen nicht zu.
52
b. Der Einwand des Beklagten, es sei bezüglich der Fahrt vom Altenheim zur Wohnung eine Behandlungsbedürftigkeit nicht ersichtlich, greift vorliegend durch. Dem Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass gegen eine Behandlungsbedürftigkeit sprechende Indizien vorliegen.
53
aa. Zum einen handelt es sich beim Altenheim nicht um eine mit einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis vergleichbare Einrichtung, in der Personen medizinisch und ärztlich behandelt werden. Vielmehr steht in Altenheimen die allgemeine Betreuung und Versorgung hilfsbedürftiger Personen im Vordergrund. Eine ärztliche Behandlung erfolgt in der Regel nur, wenn diese akut notwendig wird. Zum anderen ist im Streitfall die Fahrt nach dem Vortrag des Klägers nicht durch die Krankenkasse, sondern von der Pflegeversicherung erstattet worden.
54
bb. Ferner ist vorliegend die Fahrt vom Altenheim zur Wohnung ohne Angabe einer konkreten Behandlungsart (z.B. stationäre oder ambulante Behandlung) verordnet worden, so dass nicht ersichtlich ist, inwieweit diese Fahrt mit einer Behandlungsbedürftigkeit im oben dargestellten Sinne des Herrn E im Zusammenhang stand.
55
Zwar litt Herr E ausweislich der dem Gericht vorliegenden Verordnung vom 13.03.2017 unter einer nicht näher bezeichneten vaskulären Demenz (ICD Code F01.9). Weiter war er hilfsbedürftig wegen eingeschränkter Mobilität (ICD Code Z74.0). Demenz ist eine Krankheit, da bei ihr die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen über eine bestimmte Bandbreite individueller Verschiedenheit hinaus in solchem Maße eingeschränkt sind, dass die vollständige oder doch teilweise Wiederherstellung der Funktionen ohne ärztliche Hilfe nicht erreichbar erscheint. Dabei lässt der erkennende Senat dahingestellt bleiben, ob Demenz überhaupt heilbar ist oder nicht. Eine Demenz ist nach dem Verständnis des Senats jedenfalls behandlungsbedürftig, um eine Verschlimmerung der Demenz zu verhüten oder zumindest zu verzögern. Dabei unterliegt die Behandlungsbedürftigkeit über die Zeit gesehen unterschiedlicher Intensität.
56
Gleichwohl ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Beförderung des Herrn E mit einer bestimmten Behandlung der Krankheit des Herrn E im Zusammenhang stand. Der Arzt im Streitfall ‒ hier: in der Praxis der Fachärzte für Innere Medizin D und P ‒ hat die Fahrt vom Altenheim in die Wohnung verordnet, ohne eine konkrete Behandlungsbedürftigkeit zu dokumentieren. Damit ist ein medizinischer Bezug der Fahrt nicht zweifelsfrei hergestellt. Ein Zusammenhang mit der Behandlungsbedürftigkeit des Patienten ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend auch nicht zwingend daraus, dass der Aufenthalt im Altenheim nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers der Kurzzeitpflege diente.
57
Die Notwendigkeit einer Kurzzeitpflege indiziert zwar, dass die Person in unterschiedlicher Intensität betreut und gepflegt werden muss. Dies reicht für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG nach der Rechtsprechung des BFH ‒ wie bereits oben dargestellt ‒ jedoch nicht aus, wonach die beförderten Personen behandlungsbedürftig sein müssen und die Beförderung jeweils mit der Behandlung im Zusammenhang stehen muss (BFH in BFHE 262, 532, BFH/NV 2019, 352, und in BFHE 265, 466, BFH/NV 2019, 1448; vgl. auch Strodthoff, KraftStG, § 3 Rz. 48; entgegen Urteil des FG Berlin-Brandenburg zur Beförderung pflegebedürftigen Personen zu Tagespflegestellen 8 K 8214/18, UVR 2020, 171, juris, Revision eingelegt: Aktenzeichen des BFH IV R 40/19).
58
cc. Der erkennende Senat schließt sich zwar auch der Ansicht an, dass der Aufenthalt in der Tagespflegestätte durch unterstützende Maßnahmen wie Gymnastik, Gruppen- und auch Einzelbetreuung der Aufrechterhaltung eines lebenswerten Daseins der betreuten Personen dienen und dabei helfen solle, die negativen Auswirkungen der körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen zu mildern, ihnen entgegen zu wirken und damit auch zugunsten des Pflegebedürftigen zu behandeln, um den krankheitsbedingten Zustand zu verbessern (vgl. Urteil des FG Berlin-Brandenburg 8 K 8214/18, UVR 2020, 171, juris). Jedoch lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senat daraus nicht ohne weiteres die von der Rechtsprechung des BFH geforderte Behandlungsbedürftigkeit und die daraus resultierende „gewisse Dringlichkeit“ herleiten (vgl. auch Strodthoff, KraftStG, § 3 Rz. 48). Das Gericht weicht daher insoweit im Ergebnis von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg zur Beförderung pflegebedürftiger Personen zu Tagespflegestellen (Aktenzeichen: 8 K 8214/18) ab.
59
c. Für das Fahrzeug XX YY 3 ist die Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 5 Abs. 2 Satz 4 KraftStG) für die Zeit von einem Monat ab dem 14.03.2017 (Datum der Fahrt) neu festzusetzen.
60
Anhaltspunkte für weitere zweckfremde Fahrten sind nicht ersichtlich und wurden vom Beklagten auch nicht substantiiert behauptet. Für Transportfahrten, bei denen z.B. demenzkranke Personen zu Einrichtungen befördert würden, wird nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers ein anderes Fahrzeug verwendet, das nicht Gegenstand des Klageverfahrens ist. Der Senat geht daher davon aus, dass es sich bei der vom Beklagten gerügten Fahrt vom 14.03.2017 im Streitfall um eine Ausnahme gehandelt hat.
61
d. Für den übrigen Streitzeitraum ist das Fahrzeug steuerbefreit, da ‒ wie bereits dargestellt ‒ die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 Satz 1, 6. Fall KraftStG erfüllt sind.
62
Das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX YY 3 ist auch äußerlich als für den Verwendungszweck „zur Krankenbeförderung“ bestimmt erkennbar und nach seiner Bauart und Einrichtung diesem Verwendungszweck angepasst. Denn es ist ausweislich der vorgelegten Lichtbilder in heller Farbe gehalten, hat die Form eines Transportfahrzeugs und ist mit dem Wort „Fahrzeug“ äußerlich beschriftet. Weiter ist es nach dem für die Beförderung von Menschen, die krank und behandlungsbedürftig sind, entsprechend ausgerüstet. Es verfügt u.a. über eine Liege für die zu befördernden Patienten, einen Tragestuhl sowie seitlichen Trittstufen. Ausweislich der Zulassungsbescheinigungen Teil I ist das Fahrzeug als „Patiententransportfahrzeug“ zugelassen.
63
C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
64
D. Die Revision wurde zur Fortbildung des Rechts gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da die Voraussetzungen der Krankenbeförderung nicht abschließend geklärt sind (Begriff der Behandlungsbedürftigkeit, Behindertenbeförderung als Krankenbeförderung, Kurzzeitpflege als Zweck der Beförderung).