07.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192330
Finanzgericht Münster: Urteil vom 01.12.2016 – 5 K 1275/14 U
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
5 K 1275/14 U
Tenor:
Die USt-Bescheide 2007 bis 2010 vom 30.10.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 werden dahingehend geändert, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 9.987,54 EUR (2007), 36.357,29 EUR (2009) und 11.914,60 EUR (2010) berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 18 v.H. und der Beklagte zu 82 v.H.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand
2
Streitig ist der Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs aus berichtigten Rechnungen und Gutschriften.
3
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin, die Ende 2005 gegründet wurde und ihre Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) versteuert, ist der Betrieb einer Schweinemast und eines Agrarservices. Die Umsatzsteuer (USt)-Jahreserklärungen für die Jahre 2007, 2008 und 2010 standen mit Eingang beim Beklagten (jeweils im zweiten Jahr nach dem Kalenderjahr) einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, die USt 2009 wurde im Einspruchsverfahren gegen den Schätzungsbescheid erklärungsgemäß festgesetzt.
4
Anlässlich einer Betriebsprüfung in 2013 durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N , die die Streitjahre 2007 bis 2010 betraf, stellte der Prüfer u.a. fest, dass die Klägerin teilweise in Rechnungen, aus denen sie den Vorsteuerabzug vorgenommen hatte, nicht als Rechnungsempfängerin benannt worden war (Tz. 2.2.3 und Anlage 1 des Bp-Berichts). Der Prüfer nahm „bei großzügiger Auslegung“ der Rechtsvorschrift des § 15 UStG eine Vorsteuerkürzung (2007: 2.363,14 €; 2008: 1.335,92 €; 2009: 3.140,22 € und 2010: 2.929,13 €) lediglich hinsichtlich der Belege vor, in denen der Rechnungsempfänger nicht eindeutig zuzuordnen war. Demgegenüber ließ er den Vorsteuerabzug bei den Rechnungsbelegen zu, aus denen „irgendwie erkennbar“ war, dass als Rechnungsempfänger die Klägerin gemeint sein könnte, z.B. bei Angabe der Anschrift der gepachteten Ställe oder der Anschrift in A /NL.
5
Des Weiteren stellte der Prüfer fest, dass in den von der Klägerin ausgestellten Gutschriften die nach § 14 Abs. 4 UStG erforderlichen Angaben, nämlich die Steuernummer und/oder USt-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers nicht enthalten waren (Tz. 2.2.4. des Bp-Berichts). Aufgrund dessen kürzte er die von der Klägerin aus den Gutschriften geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von 9.987,54 € (2007), 39.235,90 € (2009) und 12.233,93 € (2010).
6
Hinsichtlich der Einzelheiten sowie der weiteren – vorliegend nicht strittigen – Prüfungsfeststellungen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 9.04.2013 und insbesondere die Anlagen 1 und 2 hierzu Bezug genommen.
7
Entsprechend den Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 30.10.2013 geänderte USt-Bescheide für die Streitjahre, gegen die die Klägerin Einspruch einlegte.
8
Bereits vor Erlass der Änderungsbescheide hatte die Klägerin mit Schreiben vom 27.05.2013 (Eingang bei der Groß- und Konzernbetriebsprüfung N am 3.06.2013) zu Tz. 2.2.3. „berichtigte“ Rechnungen eingereicht von D Agrarservice, Lohnunternehmen G (nur für 2007), S (gesonderte ausgewiesene USt 542,24 EUR) und Q, in denen jeweils unter dem ursprünglichen Rechnungsdatum nunmehr die Klägerin als Leistungsempfängerin ausgewiesen war. Nur die D Agrarservice hatte auf der Rechnung zusätzlich vermerkt „…“. Die X hatte auf die Anfrage der Klägerin um Rechnungskorrektur der ursprünglichen Rechnungen mitgeteilt, dass „die Vorgänge aus 2008 leider buchhalterisch nicht mehr storniert werden können“.
9
Des Weiteren hatte die Klägerin mit dem vorgenannten Schreiben vom 27.05.2013 zu Tz. 2.2.4. „berichtigte“ Gutschriften eingereicht, in denen mit Ausnahme der 7 Gutschriften an die B GmbH alle vom Prüfer beanstandeten und in Anlage 2 aufgeführten Gutschriften nunmehr unter dem ursprünglichen Datum die Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers enthielten. Den berichtigten Gutschriften beigefügt waren ein E-Mailschreiben des Herrn N Y (unpaginiert, nach Bl. 46 Sonderakte „nachgereichte Belege), in dem er seine Steuernummer mitteilte, ein E-Mailschreiben der I N GmbH & Co KG mit deren USt-IdNr. und Steuernummer (Bl. 48 Sonderakte), ein Muster des Briefbogens der H GmbH & Co KG, A-Str. 60 in 00000 Z (Bl. 50 Sonderakte) und ein E-Mailschreiben des I E Schweinemastbetrieb mit Anschrift, Telefon-, Mobiltelefon- und Faxnummer sowie E-Mailadresse, in der die neue, seit 21.04.2011 gültige Steuernummer, die USt-IdNr. sowie die Bankverbindung aufgeführt waren (Bl. 51 Sonderakte). Auf alle mit Schreiben vom 27.05.2013 eingereichten Belege und (E-Mail)Schreiben wird Bezug genommen.
10
Mit Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
11
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und trägt zur Begründung unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung im Urteil Pannon Gép vor, dass die Korrekturen der Rechnungen deutlich vor Erlass der geänderten USt-Bescheide vom 30.11.2013 erfolgt seien.
12
Die Klägerin hat am 8.08.2014 einen Aktenordner mit den ursprünglichen Rechnungen und Gutschriften und den „berichtigten“ Rechnungen und Gutschriften vorgelegt, auf den Bezug genommen wird.
13
Die Klägerin beantragt,
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die USt-Bescheide 2007 bis 2010 vom 30.10.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 dahingehend zu ändern, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 12.350,68 EUR (2007), 1.335,92 EUR (2008), 42.376,12 EUR (2009) und 15.163,06 EUR (2010) berücksichtigt werden,
15
hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
17
die Klage abzuweisen,
18
hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
19
Zur Begründung führt er aus, dass nach seiner Auffassung die Berichtigung einer Rechnung oder Gutschrift durch ein Dokument erfolgen müsse, das spezifisch und eindeutig auf die ursprüngliche Rechnung bezogen sei. Demgegenüber sei es nicht ausreichend, wenn –wie vorliegend- unter dem ursprünglichen Rechnungsdatum ohne Kennzeichnung eine neue „Rechnung“ ausgestellt werde, in der nunmehr der zutreffende Leistungsempfänger eingetragen sei. Bei den nachgereichten berichtigten Gutschriften sei teilweise lediglich die Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer handschriftlich ergänzt worden, nachdem diese entsprechend vom Leistungsempfänger mitgeteilt worden sei. Bei der I E Schweinemast sei zudem per Fax mitgeteilt worden, dass die Nummer ab 21.04.2011 neu sei; auf den Abrechnungen für 2009 und 2010 sei diese dann trotzdem eingetragen worden. Es befänden sich keine Vermerke darauf, dass es sich um berichtigte Rechnungen/Gutschriften handele. Auch sei nicht ersichtlich, ob die ursprünglichen Rechnungen widerrufen und ob die neuen Gutschriften dem Gutschriftenempfänger überhaupt erneut zugestellt worden seien. Im Übrigen habe der BFH im Urteil vom 29.06.2013 (XI R 41/10) entschieden, dass eine Rückwirkung in derartigen Fällen der Rechnungskorrektur nicht anzunehmen sei.
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Sachverhaltsermittlungen des Gerichts haben ergeben, dass die H GmbH & Co KG erst in 2013 nach Z umgezogen ist und im Streitjahr 2009 ihren Sitz unter der in der „berichtigten“ Gutschrift angegebenen Adresse hatte. Die „neue“ in den „berichtigen“ Gutschriften I E Schweinemast aufgeführte Steuernummer ist aufgrund einer internen Umstellung vom Finanzamt (FA) L erteilt worden, Herr I E war zuvor auch schon beim FA L geführt worden.
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In der Sache ist am 1.12.2016 mündlich verhandelt worden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen
22
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden Teil begründet. Soweit der Beklagte den Vorsteuerabzug aus den nachträglich von der Klägerin berichtigten Gutschriften in den Streitjahren nicht zugelassen hat, ist die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
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1. Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind (Eingangsleistungen), als Vorsteuerbetrag abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach § 14 UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), die alle in § 14 Abs. 4 aufgelisteten Angaben zu enthalten hat, u.a. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) und die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG). Eine Rechnung kann nach § 31 Abs. 5 Satz 1 UStDV berichtigt werden, wenn sie nicht alle Angaben nach § 14 Abs. 4 oder § 14a UStG enthält oder Angaben in der Rechnung unzutreffend sind.
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2. Soweit § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug den Besitz einer Rechnung voraussetzt, beruht die Regelung auf Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, für den Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a MwstSystRL (in der in den Streitjahren maßgeblichen Fassung) in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen eine gemäß den Art. 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 MwStSystRL ausgestellte Rechnung besitzen.
26
In Art. 226 MwStSystRL ist geregelt, welche Angaben eine solche Rechnung unbeschadet der in der MwStSystRL festgelegten Sonderbestimmungen mindestens enthalten muss. Nach Art. 219 MwStSystRL als unionsrechtlicher Grundlage des § 31 Abs. 5 UStDV sind einer Rechnung jedes Dokument und jede Mitteilung gleichgestellt, das oder die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist.
27
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) verlangen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz, dass Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist --wie Art. 178 Buchst. a MwStSystRL--, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung finden müssen, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist (z.B. EuGH-Urteil Zita Modes vom 27.11.2003 C-497/01, EU:C:2003:644, Rz 34, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH; vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 23.06.2016 V B 90/15, BFH/NV 2016, 1498).
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3. Zwischenzeitlich hat der EuGH auf das Vorlageersuchen des Niedersächsischen FG vom 3.07.2016 (5 K 40/14, EFG 2015, 80) mit Entscheidung vom 15.09.2016 (C-518/14 Senatex –, (EU:C:2016:691, DStR 2016, 2211) entschieden, dass Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde. Der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist danach formelle, aber nicht materielle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug (Rz 29, 38). Der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf zwingende Angaben – im EuGH-Fall die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer – kommt danach Rückwirkung zu, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, und nicht erst in dem Jahr, in dem sie berichtigt wurde.
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4. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist ebenso wie § 31 Abs. 5 UStDV richtlinienkonform unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung auszulegen.
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Wird zunächst eine Rechnung ausgestellt, die den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG nicht entspricht, und wird diese Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, kann das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. Eine Berichtigung wirkt daher auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.
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Voraussetzung für eine rückwirkende Berichtigung ist aber nach Auffassung des erkennenden Senates, dass die wesentlichen Rechnungsbestandteile, wie z.B. Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer in dem zunächst erteilten (Rechnungs-)Dokument enthalten waren und dieses damit überhaupt berichtigungsfähig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 20.07.2012, V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809).
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5. Im Streitfall sind danach die bereits während der Betriebsprüfung und noch vor Ergehen der geänderten USt-Bescheide eingereichten „berichtigten“ Rechnungen und Gutschriften wie folgt zu würdigen:
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a) Ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen T (in 2007 und 2008), X (in 2008) und Lohnunternehmen G (in 2008, 2009 und 2010) scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin insoweit keine Rechnungen vorgelegt hat, die sie als Leistungsempfängerin ausweisen.
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b) Hinsichtlich der mit Schreiben vom 27.05.2013 im Anschluss an die Betriebsprüfung vorgelegten Rechnungen D Agrarservice, Lohnunternehmen G (nur für 2007), S und Q liegen zwar nunmehr Rechnungen vor, die die gesetzlich geforderten Rechnungsangaben enthalten. Allerdings handelt es sich hierbei um Erstrechnungen und nicht um berichtigte Rechnungen, da in ihnen erstmalig die Klägerin als Leistungsempfängerin aufgeführt ist.
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Anders als in den EuGH-Entscheidungen Pannon Gép (Urteil vom 15.07.2010 Rs. C-368/09, Slg 2010, I-7467, UR 2010, 693), in denen die zunächst ausgestellten Rechnungen unrichtige Daten des Abschlusses der Dienstleistungen aufwiesen, und in der Rechtssache Petroma Transports (Urteil vom 8.05.2013 Rs. C-271/12, MwStR 2013, 272), in der es um Rechnungen mit ungenauen Leistungsbeschreibungen ging, die Leistungsbeziehungen selbst jedoch nicht fraglich waren und der Leistungsempfänger jeweils in den zunächst erteilten Rechnungen bereits zutreffend war, ist vorliegend die Klägerin als Leistungsempfängerin erstmals in den am 27.05.2013 eingereichten Rechnungen aufgeführt. Es liegt aufgrund dessen mit der bisherigen Rechtsprechung des BFH nach Auffassung des erkennenden Senats keine rückwirkende Rechnungsberichtigung vor, denn die in den Streitjahren ausgestellten Rechnungen, die die Klägerin gerade nicht als Leistungsempfängerin auswiesen, sind insoweit nicht berichtigungsfähig. Es handelt sich daher bei den nunmehr vorgelegten Rechnungen um erstmalige Rechnungen, aus denen ein Vorsteuerabzug allenfalls – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – im Jahr 2013 (= Jahr der Ausstellung dieser Rechnungen) möglich ist, nicht jedoch in den Streitjahren. Denn die Angabe des zutreffenden Leistungsempfängers gehört zu den unverzichtbaren Mindestanforderungen, die erfüllt sein müssen, um überhaupt von einer berichtigungsfähigen Rechnung auszugehen.
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Selbst wenn man aber - entgegen der vom Senat vorliegend vertretenen Auffassung - im Hinblick auf die EuGH-Entscheidung Senatex (Urteil vom 15. 9. 2016 C-518/14, DStR 2016, 2211) der vom Sachverhalt her die Ergänzung der zunächst unvollständigen Rechnungen um die Steuernummern betraf und damit einen anderen Sachverhalt als im Streitfall, vorliegend auch bei Austausch des zunächst fehlerhaft benannten Leistungsempfängers eine der Rückwirkung grundsätzlich zugängliche berichtigungsfähige Rechnung annehmen würde, wäre der Vorsteuerabzug nicht zu gewähren, denn die Klägerin hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung weder darlegen noch glaubhaft machen können, dass sie tatsächlich die zutreffende Leistungsempfängerin gewesen ist und dass die Rechnungsaussteller Leistungsbeziehungen zu ihr gehabt haben. Sie hat auch nicht einmal ansatzweise dargelegt und erklärt, warum die ursprünglich erteilten Rechnungen/Dokumente hinsichtlich des Leistungsempfängers falsch gewesen sein sollen und die Leistungsbeziehungen vielmehr zu ihr bestanden haben sollen. Insoweit fehlt es schon am Nachweis der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (vgl. EuGH-Entscheidung Senatex, Rz. 28).
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c) Demgegenüber ist ein Vorsteuerabzug aus den von der Klägerin nachträglich um die Steuernummer bzw. USt-Idenditifikationsnummer ergänzten strittigen Gutschriften (Tz. 2.2.4 und Anlage 2 des) in den Streitjahren wie folgt zu berücksichtigen:
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aa) Hinsichtlich der Gutschriften an die B GmbH (ausgewiesene USt: 2.878,61 EUR in 2009, 319,33 EUR in 2010) kommt ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht, denn in den Gutschriften fehlt die erforderliche Angabe der Steuernummer des leistenden Unternehmers. Diese berichtigungsfähigen Gutschriften sind auch nicht im Nachgang zu den diesbezüglichen Beanstandungen des Prüfers der Klägerin berichtigt worden. Die Klägerin selbst hat auf der Übersicht vermerkt „keine Mitarbeit“. Aufgrund dessen vermochte die Klägerin auch keine nachträgliche Rechnungskorrektur um die fehlende Steuernummer vorzunehmen. Zwar verlangt das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile vom 21.10.2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, EU:C:2010:627, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1.03.2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz, C-280/10, EU:C:2012:107, Rn. 43). Gleichwohl enthalten die Gutschriften nicht alle in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 bzw. § 14 Abs. 4 UStG vorgesehenen Angaben, und damit nicht alle formellen Bedingungen für das Recht auf Vorsteuerabzug. Da die B GmbH vorliegend – trotz Aufforderung von Seiten der Klägerin – an der Erstellung formell ordnungsgemäßer Gutschriften nicht mitgewirkt hat, ihr Schweigen vielmehr auch als mangelnde Zustimmung zum Gutschriftenverfahren insgesamt gedeutet werden kann, ist der Vorsteuerabzug mangels Besitzes einer (ordnungsgemäßen) Rechnung zu versagen.
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bb) Hinsichtlich der Gutschriften an die I E Schweinemast ist der Vorsteuerabzug aufgrund der Vorlage berichtigter Gutschriften in den Streitjahren zu gewähren. Zwar hat die Klägerin eine Steuernummer des leistenden Unternehmers und Gutschriftenempfängers in den berichtigten Gutschriften aufgeführt, die dem leistenden Unternehmer ausweislich seines Fax-Schreibens erst neu seit dem 21.04.2011 vom Finanzamt L erteilt worden ist und damit nach den Streitjahren. Somit handelt es sich bei der von der Klägerin auf den betreffenden Gutschriften aufgeführte Steuernummer nicht um die seinerzeit zutreffende Steuernummer. Da es sich bei der genannten Steuernummer jedoch um eine Steuernummer des leistenden Unternehmers handelt, der Austausch der Steuernummern beim weiterhin für die I E Schweinemast zuständigen Finanzamt allein aus internen Gründen erfolgt ist und anhand der in dem Fax-Schreiben genannten umfassenden Angaben und der neuen Steuernummer auch eine Überprüfung der Rechnungsangaben und Umsätze ohne weitere Probleme möglich, sowie insbesondere auch unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Senatex, wonach die Rechnungsangaben nur formelle Bedingung für den Vorsteuerabzug sind, nicht jedoch materielle Bedingung, ist der Vorsteuerabzug aus diesen Gutschriften gleichwohl zu gewähren.
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cc) Aus den übrigen strittigen Gutschriften lt. Tz. 2.2.4 und Anlage 2 zum Bp-Bericht ist der Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Gutschriften, die um die Steuernummer bzw. USt-IdNr. ergänzt worden sind, für den Besteuerungszeitraum zu gewähren, in dem die jeweilige Gutschrift ursprünglich ausgestellt wurde.
41
Da in allen Fällen – mit Ausnahme der B GmbH –die Gutschriftenempfänger an der Berichtigung der Gutschriften durch Ergänzung ihrer Steuernummern mitgewirkt haben und ihnen bekannt war, dass ihre Steuernummern zwecks Ergänzung der seinerzeit erteilten Gutschriften von der Klägerin angefragt worden sind, kommt es nach Auffassung des erkennenden Senates auch nicht darauf an, ob die um die Steuernummern ergänzten berichtigten Gutschriften nochmals an die einzelnen Gutschriftenempfänger versandt worden sind.
42
II. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
43
III. Die Revision wird zugelassen, da die Folgerungen aus den neuesten EuGH-Rspr. und insbesondere die Frage, welche (Mindest-)Rechnungsanforderungen an ein zunächst erteiltes (Rechnungs-)Dokumente erfüllt sein müssen damit dieses überhaupt berichtigungsfähig ist, bislang nicht geklärt sind.
5 K 1275/14 U
Tenor:
Die USt-Bescheide 2007 bis 2010 vom 30.10.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 werden dahingehend geändert, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 9.987,54 EUR (2007), 36.357,29 EUR (2009) und 11.914,60 EUR (2010) berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 18 v.H. und der Beklagte zu 82 v.H.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
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Tatbestand
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Streitig ist der Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs aus berichtigten Rechnungen und Gutschriften.
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Gegenstand des Unternehmens der Klägerin, die Ende 2005 gegründet wurde und ihre Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) versteuert, ist der Betrieb einer Schweinemast und eines Agrarservices. Die Umsatzsteuer (USt)-Jahreserklärungen für die Jahre 2007, 2008 und 2010 standen mit Eingang beim Beklagten (jeweils im zweiten Jahr nach dem Kalenderjahr) einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, die USt 2009 wurde im Einspruchsverfahren gegen den Schätzungsbescheid erklärungsgemäß festgesetzt.
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Anlässlich einer Betriebsprüfung in 2013 durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N , die die Streitjahre 2007 bis 2010 betraf, stellte der Prüfer u.a. fest, dass die Klägerin teilweise in Rechnungen, aus denen sie den Vorsteuerabzug vorgenommen hatte, nicht als Rechnungsempfängerin benannt worden war (Tz. 2.2.3 und Anlage 1 des Bp-Berichts). Der Prüfer nahm „bei großzügiger Auslegung“ der Rechtsvorschrift des § 15 UStG eine Vorsteuerkürzung (2007: 2.363,14 €; 2008: 1.335,92 €; 2009: 3.140,22 € und 2010: 2.929,13 €) lediglich hinsichtlich der Belege vor, in denen der Rechnungsempfänger nicht eindeutig zuzuordnen war. Demgegenüber ließ er den Vorsteuerabzug bei den Rechnungsbelegen zu, aus denen „irgendwie erkennbar“ war, dass als Rechnungsempfänger die Klägerin gemeint sein könnte, z.B. bei Angabe der Anschrift der gepachteten Ställe oder der Anschrift in A /NL.
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Des Weiteren stellte der Prüfer fest, dass in den von der Klägerin ausgestellten Gutschriften die nach § 14 Abs. 4 UStG erforderlichen Angaben, nämlich die Steuernummer und/oder USt-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers nicht enthalten waren (Tz. 2.2.4. des Bp-Berichts). Aufgrund dessen kürzte er die von der Klägerin aus den Gutschriften geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von 9.987,54 € (2007), 39.235,90 € (2009) und 12.233,93 € (2010).
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Hinsichtlich der Einzelheiten sowie der weiteren – vorliegend nicht strittigen – Prüfungsfeststellungen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 9.04.2013 und insbesondere die Anlagen 1 und 2 hierzu Bezug genommen.
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Entsprechend den Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 30.10.2013 geänderte USt-Bescheide für die Streitjahre, gegen die die Klägerin Einspruch einlegte.
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Bereits vor Erlass der Änderungsbescheide hatte die Klägerin mit Schreiben vom 27.05.2013 (Eingang bei der Groß- und Konzernbetriebsprüfung N am 3.06.2013) zu Tz. 2.2.3. „berichtigte“ Rechnungen eingereicht von D Agrarservice, Lohnunternehmen G (nur für 2007), S (gesonderte ausgewiesene USt 542,24 EUR) und Q, in denen jeweils unter dem ursprünglichen Rechnungsdatum nunmehr die Klägerin als Leistungsempfängerin ausgewiesen war. Nur die D Agrarservice hatte auf der Rechnung zusätzlich vermerkt „…“. Die X hatte auf die Anfrage der Klägerin um Rechnungskorrektur der ursprünglichen Rechnungen mitgeteilt, dass „die Vorgänge aus 2008 leider buchhalterisch nicht mehr storniert werden können“.
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Des Weiteren hatte die Klägerin mit dem vorgenannten Schreiben vom 27.05.2013 zu Tz. 2.2.4. „berichtigte“ Gutschriften eingereicht, in denen mit Ausnahme der 7 Gutschriften an die B GmbH alle vom Prüfer beanstandeten und in Anlage 2 aufgeführten Gutschriften nunmehr unter dem ursprünglichen Datum die Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers enthielten. Den berichtigten Gutschriften beigefügt waren ein E-Mailschreiben des Herrn N Y (unpaginiert, nach Bl. 46 Sonderakte „nachgereichte Belege), in dem er seine Steuernummer mitteilte, ein E-Mailschreiben der I N GmbH & Co KG mit deren USt-IdNr. und Steuernummer (Bl. 48 Sonderakte), ein Muster des Briefbogens der H GmbH & Co KG, A-Str. 60 in 00000 Z (Bl. 50 Sonderakte) und ein E-Mailschreiben des I E Schweinemastbetrieb mit Anschrift, Telefon-, Mobiltelefon- und Faxnummer sowie E-Mailadresse, in der die neue, seit 21.04.2011 gültige Steuernummer, die USt-IdNr. sowie die Bankverbindung aufgeführt waren (Bl. 51 Sonderakte). Auf alle mit Schreiben vom 27.05.2013 eingereichten Belege und (E-Mail)Schreiben wird Bezug genommen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und trägt zur Begründung unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung im Urteil Pannon Gép vor, dass die Korrekturen der Rechnungen deutlich vor Erlass der geänderten USt-Bescheide vom 30.11.2013 erfolgt seien.
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Die Klägerin hat am 8.08.2014 einen Aktenordner mit den ursprünglichen Rechnungen und Gutschriften und den „berichtigten“ Rechnungen und Gutschriften vorgelegt, auf den Bezug genommen wird.
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Die Klägerin beantragt,
14
die USt-Bescheide 2007 bis 2010 vom 30.10.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2014 dahingehend zu ändern, dass weitere Vorsteuern in Höhe von 12.350,68 EUR (2007), 1.335,92 EUR (2008), 42.376,12 EUR (2009) und 15.163,06 EUR (2010) berücksichtigt werden,
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hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung führt er aus, dass nach seiner Auffassung die Berichtigung einer Rechnung oder Gutschrift durch ein Dokument erfolgen müsse, das spezifisch und eindeutig auf die ursprüngliche Rechnung bezogen sei. Demgegenüber sei es nicht ausreichend, wenn –wie vorliegend- unter dem ursprünglichen Rechnungsdatum ohne Kennzeichnung eine neue „Rechnung“ ausgestellt werde, in der nunmehr der zutreffende Leistungsempfänger eingetragen sei. Bei den nachgereichten berichtigten Gutschriften sei teilweise lediglich die Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer handschriftlich ergänzt worden, nachdem diese entsprechend vom Leistungsempfänger mitgeteilt worden sei. Bei der I E Schweinemast sei zudem per Fax mitgeteilt worden, dass die Nummer ab 21.04.2011 neu sei; auf den Abrechnungen für 2009 und 2010 sei diese dann trotzdem eingetragen worden. Es befänden sich keine Vermerke darauf, dass es sich um berichtigte Rechnungen/Gutschriften handele. Auch sei nicht ersichtlich, ob die ursprünglichen Rechnungen widerrufen und ob die neuen Gutschriften dem Gutschriftenempfänger überhaupt erneut zugestellt worden seien. Im Übrigen habe der BFH im Urteil vom 29.06.2013 (XI R 41/10) entschieden, dass eine Rückwirkung in derartigen Fällen der Rechnungskorrektur nicht anzunehmen sei.
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Sachverhaltsermittlungen des Gerichts haben ergeben, dass die H GmbH & Co KG erst in 2013 nach Z umgezogen ist und im Streitjahr 2009 ihren Sitz unter der in der „berichtigten“ Gutschrift angegebenen Adresse hatte. Die „neue“ in den „berichtigen“ Gutschriften I E Schweinemast aufgeführte Steuernummer ist aufgrund einer internen Umstellung vom Finanzamt (FA) L erteilt worden, Herr I E war zuvor auch schon beim FA L geführt worden.
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In der Sache ist am 1.12.2016 mündlich verhandelt worden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen
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Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden Teil begründet. Soweit der Beklagte den Vorsteuerabzug aus den nachträglich von der Klägerin berichtigten Gutschriften in den Streitjahren nicht zugelassen hat, ist die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
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1. Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind (Eingangsleistungen), als Vorsteuerbetrag abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach § 14 UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), die alle in § 14 Abs. 4 aufgelisteten Angaben zu enthalten hat, u.a. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) und die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG). Eine Rechnung kann nach § 31 Abs. 5 Satz 1 UStDV berichtigt werden, wenn sie nicht alle Angaben nach § 14 Abs. 4 oder § 14a UStG enthält oder Angaben in der Rechnung unzutreffend sind.
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2. Soweit § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug den Besitz einer Rechnung voraussetzt, beruht die Regelung auf Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, für den Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a MwstSystRL (in der in den Streitjahren maßgeblichen Fassung) in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen eine gemäß den Art. 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 MwStSystRL ausgestellte Rechnung besitzen.
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In Art. 226 MwStSystRL ist geregelt, welche Angaben eine solche Rechnung unbeschadet der in der MwStSystRL festgelegten Sonderbestimmungen mindestens enthalten muss. Nach Art. 219 MwStSystRL als unionsrechtlicher Grundlage des § 31 Abs. 5 UStDV sind einer Rechnung jedes Dokument und jede Mitteilung gleichgestellt, das oder die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) verlangen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz, dass Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist --wie Art. 178 Buchst. a MwStSystRL--, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung finden müssen, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist (z.B. EuGH-Urteil Zita Modes vom 27.11.2003 C-497/01, EU:C:2003:644, Rz 34, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH; vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 23.06.2016 V B 90/15, BFH/NV 2016, 1498).
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3. Zwischenzeitlich hat der EuGH auf das Vorlageersuchen des Niedersächsischen FG vom 3.07.2016 (5 K 40/14, EFG 2015, 80) mit Entscheidung vom 15.09.2016 (C-518/14 Senatex –, (EU:C:2016:691, DStR 2016, 2211) entschieden, dass Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde. Der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist danach formelle, aber nicht materielle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug (Rz 29, 38). Der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf zwingende Angaben – im EuGH-Fall die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer – kommt danach Rückwirkung zu, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, und nicht erst in dem Jahr, in dem sie berichtigt wurde.
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4. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist ebenso wie § 31 Abs. 5 UStDV richtlinienkonform unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung auszulegen.
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Wird zunächst eine Rechnung ausgestellt, die den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG nicht entspricht, und wird diese Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, kann das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. Eine Berichtigung wirkt daher auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.
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Voraussetzung für eine rückwirkende Berichtigung ist aber nach Auffassung des erkennenden Senates, dass die wesentlichen Rechnungsbestandteile, wie z.B. Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer in dem zunächst erteilten (Rechnungs-)Dokument enthalten waren und dieses damit überhaupt berichtigungsfähig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 20.07.2012, V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809).
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5. Im Streitfall sind danach die bereits während der Betriebsprüfung und noch vor Ergehen der geänderten USt-Bescheide eingereichten „berichtigten“ Rechnungen und Gutschriften wie folgt zu würdigen:
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a) Ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen T (in 2007 und 2008), X (in 2008) und Lohnunternehmen G (in 2008, 2009 und 2010) scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin insoweit keine Rechnungen vorgelegt hat, die sie als Leistungsempfängerin ausweisen.
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b) Hinsichtlich der mit Schreiben vom 27.05.2013 im Anschluss an die Betriebsprüfung vorgelegten Rechnungen D Agrarservice, Lohnunternehmen G (nur für 2007), S und Q liegen zwar nunmehr Rechnungen vor, die die gesetzlich geforderten Rechnungsangaben enthalten. Allerdings handelt es sich hierbei um Erstrechnungen und nicht um berichtigte Rechnungen, da in ihnen erstmalig die Klägerin als Leistungsempfängerin aufgeführt ist.
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Anders als in den EuGH-Entscheidungen Pannon Gép (Urteil vom 15.07.2010 Rs. C-368/09, Slg 2010, I-7467, UR 2010, 693), in denen die zunächst ausgestellten Rechnungen unrichtige Daten des Abschlusses der Dienstleistungen aufwiesen, und in der Rechtssache Petroma Transports (Urteil vom 8.05.2013 Rs. C-271/12, MwStR 2013, 272), in der es um Rechnungen mit ungenauen Leistungsbeschreibungen ging, die Leistungsbeziehungen selbst jedoch nicht fraglich waren und der Leistungsempfänger jeweils in den zunächst erteilten Rechnungen bereits zutreffend war, ist vorliegend die Klägerin als Leistungsempfängerin erstmals in den am 27.05.2013 eingereichten Rechnungen aufgeführt. Es liegt aufgrund dessen mit der bisherigen Rechtsprechung des BFH nach Auffassung des erkennenden Senats keine rückwirkende Rechnungsberichtigung vor, denn die in den Streitjahren ausgestellten Rechnungen, die die Klägerin gerade nicht als Leistungsempfängerin auswiesen, sind insoweit nicht berichtigungsfähig. Es handelt sich daher bei den nunmehr vorgelegten Rechnungen um erstmalige Rechnungen, aus denen ein Vorsteuerabzug allenfalls – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – im Jahr 2013 (= Jahr der Ausstellung dieser Rechnungen) möglich ist, nicht jedoch in den Streitjahren. Denn die Angabe des zutreffenden Leistungsempfängers gehört zu den unverzichtbaren Mindestanforderungen, die erfüllt sein müssen, um überhaupt von einer berichtigungsfähigen Rechnung auszugehen.
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Selbst wenn man aber - entgegen der vom Senat vorliegend vertretenen Auffassung - im Hinblick auf die EuGH-Entscheidung Senatex (Urteil vom 15. 9. 2016 C-518/14, DStR 2016, 2211) der vom Sachverhalt her die Ergänzung der zunächst unvollständigen Rechnungen um die Steuernummern betraf und damit einen anderen Sachverhalt als im Streitfall, vorliegend auch bei Austausch des zunächst fehlerhaft benannten Leistungsempfängers eine der Rückwirkung grundsätzlich zugängliche berichtigungsfähige Rechnung annehmen würde, wäre der Vorsteuerabzug nicht zu gewähren, denn die Klägerin hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung weder darlegen noch glaubhaft machen können, dass sie tatsächlich die zutreffende Leistungsempfängerin gewesen ist und dass die Rechnungsaussteller Leistungsbeziehungen zu ihr gehabt haben. Sie hat auch nicht einmal ansatzweise dargelegt und erklärt, warum die ursprünglich erteilten Rechnungen/Dokumente hinsichtlich des Leistungsempfängers falsch gewesen sein sollen und die Leistungsbeziehungen vielmehr zu ihr bestanden haben sollen. Insoweit fehlt es schon am Nachweis der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (vgl. EuGH-Entscheidung Senatex, Rz. 28).
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c) Demgegenüber ist ein Vorsteuerabzug aus den von der Klägerin nachträglich um die Steuernummer bzw. USt-Idenditifikationsnummer ergänzten strittigen Gutschriften (Tz. 2.2.4 und Anlage 2 des) in den Streitjahren wie folgt zu berücksichtigen:
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aa) Hinsichtlich der Gutschriften an die B GmbH (ausgewiesene USt: 2.878,61 EUR in 2009, 319,33 EUR in 2010) kommt ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht, denn in den Gutschriften fehlt die erforderliche Angabe der Steuernummer des leistenden Unternehmers. Diese berichtigungsfähigen Gutschriften sind auch nicht im Nachgang zu den diesbezüglichen Beanstandungen des Prüfers der Klägerin berichtigt worden. Die Klägerin selbst hat auf der Übersicht vermerkt „keine Mitarbeit“. Aufgrund dessen vermochte die Klägerin auch keine nachträgliche Rechnungskorrektur um die fehlende Steuernummer vorzunehmen. Zwar verlangt das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile vom 21.10.2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, EU:C:2010:627, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1.03.2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz, C-280/10, EU:C:2012:107, Rn. 43). Gleichwohl enthalten die Gutschriften nicht alle in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 bzw. § 14 Abs. 4 UStG vorgesehenen Angaben, und damit nicht alle formellen Bedingungen für das Recht auf Vorsteuerabzug. Da die B GmbH vorliegend – trotz Aufforderung von Seiten der Klägerin – an der Erstellung formell ordnungsgemäßer Gutschriften nicht mitgewirkt hat, ihr Schweigen vielmehr auch als mangelnde Zustimmung zum Gutschriftenverfahren insgesamt gedeutet werden kann, ist der Vorsteuerabzug mangels Besitzes einer (ordnungsgemäßen) Rechnung zu versagen.
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bb) Hinsichtlich der Gutschriften an die I E Schweinemast ist der Vorsteuerabzug aufgrund der Vorlage berichtigter Gutschriften in den Streitjahren zu gewähren. Zwar hat die Klägerin eine Steuernummer des leistenden Unternehmers und Gutschriftenempfängers in den berichtigten Gutschriften aufgeführt, die dem leistenden Unternehmer ausweislich seines Fax-Schreibens erst neu seit dem 21.04.2011 vom Finanzamt L erteilt worden ist und damit nach den Streitjahren. Somit handelt es sich bei der von der Klägerin auf den betreffenden Gutschriften aufgeführte Steuernummer nicht um die seinerzeit zutreffende Steuernummer. Da es sich bei der genannten Steuernummer jedoch um eine Steuernummer des leistenden Unternehmers handelt, der Austausch der Steuernummern beim weiterhin für die I E Schweinemast zuständigen Finanzamt allein aus internen Gründen erfolgt ist und anhand der in dem Fax-Schreiben genannten umfassenden Angaben und der neuen Steuernummer auch eine Überprüfung der Rechnungsangaben und Umsätze ohne weitere Probleme möglich, sowie insbesondere auch unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Senatex, wonach die Rechnungsangaben nur formelle Bedingung für den Vorsteuerabzug sind, nicht jedoch materielle Bedingung, ist der Vorsteuerabzug aus diesen Gutschriften gleichwohl zu gewähren.
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cc) Aus den übrigen strittigen Gutschriften lt. Tz. 2.2.4 und Anlage 2 zum Bp-Bericht ist der Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Gutschriften, die um die Steuernummer bzw. USt-IdNr. ergänzt worden sind, für den Besteuerungszeitraum zu gewähren, in dem die jeweilige Gutschrift ursprünglich ausgestellt wurde.
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Da in allen Fällen – mit Ausnahme der B GmbH –die Gutschriftenempfänger an der Berichtigung der Gutschriften durch Ergänzung ihrer Steuernummern mitgewirkt haben und ihnen bekannt war, dass ihre Steuernummern zwecks Ergänzung der seinerzeit erteilten Gutschriften von der Klägerin angefragt worden sind, kommt es nach Auffassung des erkennenden Senates auch nicht darauf an, ob die um die Steuernummern ergänzten berichtigten Gutschriften nochmals an die einzelnen Gutschriftenempfänger versandt worden sind.
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II. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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III. Die Revision wird zugelassen, da die Folgerungen aus den neuesten EuGH-Rspr. und insbesondere die Frage, welche (Mindest-)Rechnungsanforderungen an ein zunächst erteiltes (Rechnungs-)Dokumente erfüllt sein müssen damit dieses überhaupt berichtigungsfähig ist, bislang nicht geklärt sind.