Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 16.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220556

    Arbeitsgericht Berlin: Urteil vom 05.11.2020 – 38 Ca 4569/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Arbeitsgericht Berlin

    38 Ca 4569/20

    Verkündet am 05.11.2020

    Im Namen des Volkes
     
    Urteil

    In Sachen

    hat das Arbeitsgericht Berlin, 38. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 05.11.2020
    durch den Richter am Arbeitsgericht L. als Vorsitzender
    sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn N. und den ehrenamtlichen Richter Herrn  Dr. F.
    für Recht erkannt:
     
    I.
    Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.03.2020 nicht aufgelöst worden ist.

    II.
    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte bei einem Streitwert in Höhe von 10.236,00 Euro zu tragen.
     
    Tatbestand
     
    Streitig ist die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

    Der Kläger (geboren am …1980) war seit 01.06.2018 bei der D. C. GmbH als Ausbildungslokführer beschäftigt. Mit Arbeitsvertrag vom 27.02.2020 vereinbarten die Parteien die Einstellung des Klägers als „Ausbildungslokführer“ ab dem 01.03.2020. In § 1 wurde geregelt: „Als Eintrittsstichtag gilt der 01.06.2018“. In § 4 wurde ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.312,00 Euro vereinbart. Wegen des weiteren Wortlauts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 16 bis 19 d. A. verwiesen.

    Wegen der „hohen Infektionsgefahr durch das Corona Virus“ teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern durch Schreiben vom 16.03.2020 mit, dass sie beabsichtige, Kurzarbeit einzuführen. Der Kläger erklärte sich hiermit unter Datum 19.03.2020 einverstanden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 22 d. A. verwiesen. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 23.03.2020 gegenüber dem Kläger die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zum 30.04.2020 (Bl. 21 d. A.). Die Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung der Kündigung darauf, dass sie sich entschlossen habe, die berufliche Weiterbildung von Lokomotivführern nicht mehr weiter auszuführen und der Kläger über den notwendigen Führerschein nach der Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV) nicht verfüge.

    Mit der fristgemäß eingelegten Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Das Vorbringen der Beklagten sei für ihn nicht nachvollziehbar. Die Ausbildung des Ausbildungslehrgangs 2018 bis 2021 werde fortgeführt und zum 01.09.2020 seien neue Auszubildende eingestellt worden. Wegen des EU-Triebfahrzeugführerscheins sei ein Klageverfahren gegen das Eisenbahn-Bundesamt beim Verwaltungsgericht Köln anhängig. Der Kläger verfüge nach wie vor über einen VDV-Führerschein für „Regionalbahnen“. Die diesbezügliche Übergangsfrist ende erst am 05.12.2022, wie sich aus dem von der Beklagten eingereichten Unterlage des Eisenbahn-Bundesamtes ergebe (Bl. 79 bis 81 d. A.). Für die Tätigkeit als Ausbilder sei ein EU-Führerschein nicht zwingend erforderlich. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf die Klageschrift und die Schriftsätze vom 25.08.2020 und vom 09.10.2020 verwiesen. Der Kläger beantragt,
    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.03.2020 nicht aufgelöst worden ist.

    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hält die Kündigung für gerechtfertigt. Vom Kläger könne nur die theoretische, nicht aber die praktische Ausbildung vorgenommen werden, weil der Kläger nicht im Besitz des notwendigen Führerscheins nach der Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV) sei. Die Beklagte habe den Bereich Bildung von D. C. GmbH in die Beklagte integriert und deshalb das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sowie mit einem anderen Mitarbeiter (Herrn K.) begründet, mit diesem bereits zum 01.01.2020. Hauptauftraggeber sei die NEF-Norddeutsche E. GmbH gewesen. Aufgrund des Umstandes, dass der ursprünglich für die NEF am Standort Berlin geplante Lehrgang nicht durchgeführt wurde, sei in der der Folge die Entscheidung getroffen worden, den Standort Berlin nicht mehr zertifizieren zu lassen. Der Auftrag sei storniert worden, da die NEF einen eigenen Trainer eingestellt habe. Nachdem sich insoweit für die Beklagte ein Betätigungsfeld im Bereich beruflicher Weiterbildung nicht mehr dargestellt habe, sei die Entscheidung getroffen worden, sich künftig auf die Fort- und Weiterbildung des eigenen Personals zu konzentrieren. Diese werde allein durch den weiteren Mitarbeiter Herrn K. abgedeckt, so dass der Arbeitsplatz des Klägers entfallen sei. Deshalb sei auch Kurzarbeit ausgeschlossen gewesen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 20.07.2020 und vom 22.09.2020 verwiesen.
     
    Entscheidungsgründe
     
    Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die von der Beklagten erklärten Kündigung vom 23.03.2020 nicht wirksam aufgelöst.

    I.

    Obwohl das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten erst mit dem 01.03.2020 begann und damit zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG), bedarf die Kündigung der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG.

    Die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG kann verkürzt oder gänzlich abbedungen werden. Durch eine vertragliche Vereinbarung kann eine an sich nicht anrechnungsfähige frühere Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber oder bei einem anderen Unternehmen auf die Betriebszugehörigkeitsdauer angerechnet werden (vgl. BAG 02.06.2005, 2 AZR 480/04, B I 4 b. aa. der Gründe; BAG 24.11.2002, 2 AZR 614/04, B 3 a. der Gründe).

    Eine solche vertragliche Vereinbarung liegt hier vor. Die Parteien haben explizit in § 1 des Arbeitsvertrages geregelt, dass als „Eintrittsstichtag … der 01.06.2018“ gilt. Damit war zugleich klargestellt, dass das KSchG unmittelbar Anwendung finden sollte. Gegenteiliges hat auch die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nicht geltend gemacht.

    II.

    Die Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, gemäß § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt. Von der Beklagten wären die Tatsachen darzulegen gewesen, die die Kündigung rechtfertigen sollen (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das hat sie nicht in nachvollziehbarer Weise getan.

    1.

    Das Vorbringen der Beklagten soll wohl so verstanden werden, dass sie sich auf eine unternehmerische Entscheidung zur (teilweisen) Schießung des Bereichs Bildung berufen wolle.

    a.

    Solche unternehmerischen Entscheidungen sind gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Allerdings ist von den Arbeitsgerichten zu prüfen, dass eine unternehmerische Entscheidung mit welchem konkreten Inhalt getroffen wurde, diese tatsächlich umgesetzt wurde und ob sich diese dahingehend auswirkt, dass sich der Beschäftigungsbedarf reduziert. Die Organisationsentscheidung muss ursächlich für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs sein (vgl. BAG 23.02.2012, 2 AZR 548/10, Rn. 17; BAG 16.12.2010, 2 AZR 770/09, Rn. 13; BAG 10.07.2008, 2 AZR 1111/06, Rn. 24). Nachzuprüfen ist, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für den einzelnen Arbeitnehmer wirklich entfallen ist (vgl. BAG 24.05.2012, 2 AZR 124/11, Rn. 21; BAG 23.02.2012, 2 AZR 548/10, Rn. 17).

    Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Arbeitsplätze abzubauen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nach dem Gesetz nicht frei, sondern an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich der organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (vgl. BAG 23.02.2012, 2 AZR 548/10, Rn. 18; BAG 16.12.2010, 2 AZR 770/09, Rn. 14).

    b.

    Hier ist schon nicht plausibel, wer genau welche konkrete unternehmerische Entscheidung getroffen haben will. Schriftsätzlich spricht die Beklagte an mehreren Stellen davon, „wurde die Entscheidung getroffen“. Wer diese Entscheidung wann mit welchem konkreten Inhalt getroffen hat, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Zwar unterliegt die unternehmerische Entscheidung keinem Formzwang (vgl. BAG 20.11.2014, 2 AZR 512/13, Rn. 21; BAG 31.07.2014, 2 AZR 422/13, Rn. 35), doch muss jedenfalls erkennbar sein, wer die Entscheidung getroffen und welchen konkreten Inhalt diese hat. Bei einer juristischen Person genügt es, dass derjenige, der dazu die tatsächliche Macht hat, die betreffende Entscheidung endgültig und vorbehaltlos getroffen hat (vgl. BAG 20.11.2014, 2 AZR 512/13, Rn. 22). Hier hat die Beklagte nicht einmal vorgetragen, wer die behauptete unternehmerische Entscheidung getroffen haben will. Zudem ist der konkrete Inhalt dieser unternehmerischen Entscheidung unklar.

    Zudem ist nicht erkennbar, in welcher Weise die behauptete Unternehmerentscheidung tatsächlich umgesetzt worden sein soll. Allein die Kündigung von Arbeitnehmern spricht nicht für eine Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung, weil es gerade um die Frage geht, ob diese Kündigungen sozial gerechtfertigt sind (vgl. zur Betriebsschließung BAG 16.02.2012, 8 AZR 693/10, Rn. 47).

    2.

    Zudem ist eine Kündigung nur dann durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft wegfällt. Ein Wegfall oder Rückgang von Aufträgen stellt nur dann ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung dar, wenn der Arbeitsanfall so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine ‒ kurzfristige ‒ Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Das Vorliegen von nur kurzfristigen Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen (vgl. BAG 23.02.2012, 2 AZR 548/10, Rn. 16, 20, 21; BAG 18.05.2006, 2 AZR 412/05, Rn. 18).

    Hier hat sich die Beklagte darauf berufen, dass der für die NEF geplante Lehrgang „nicht durgeführt wurde“ bzw. die NEF den Auftrag „storniert“ habe. Das dürfte offenbar aufgrund der Entwicklungen durch die Corona/Covid19-Pandemie im Zusammenhang stehen. Welche konkreten Anhaltspunkte im Zeitpunkt der Kündigung dafür vorgelegen haben sollen, dass dauerhaft keine Aus- oder Weiterbildung von Lokomotivführern mehr stattfinden werde, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

    Hinzu kommt Folgendes: Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (vgl. BAG 23.02.2012, 2 AZR 548/10). Die Beklagte hat hier den Kläger noch am 16.03.2020 aufgefordert, die Zustimmung zur Kurzarbeit zu erklären. Das hat dieser am 19.03.2020 getan. Welche neuen Entwicklungen es danach gegeben haben soll, dass wenige Tage später, nämlich mit Schreiben vom 23.03.2020, eine Kündigung erklärt wurde, erschließt sich nicht. Die Beklagte hat hierzu nichts Konkretes vorgetragen.

    Der Hinweis der Beklagten auf den fehlenden Führerschein nach der Triebfahrzeugführerscheinverordnung hilft nicht weiter. Die Beklagte hat in Kenntnis dieses Umstandes am 27.02.2020 mit dem Kläger einen Arbeitsvertrag als „Ausbildungslokführer“ mit Wirkung ab dem 01.03.2020 vereinbart. Weshalb drei Wochen später aus diesem Grund eine Kündigung gerechtfertigt sein soll, erschließt sich nicht.


    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den Streitwert ergeht gemäß § 46 Abs. 2, § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 ZPO. Maßgeblich war die dreifache Bruttomonatsvergütung, so wie im Vertrag mit der Beklagten vereinbart. Die vom Kläger mit der Klage eingereichte Abrechnung vom Februar 2020 betrifft den vorherigen Arbeitgeber.

    Rechtsmittelbelehrung

    xxx