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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 27.08.2002 – 2 K 40/00

    Der Anspruch auf Kindergeld entfällt nicht wegen Unterbrechung der Berufsausbildung, wenn das Kind sich vom Studium beurlauben lässt, um während der Urlaubssemester ein nach der Prüfungsordnung vorgeschriebenes Praktikum zu absolvieren, gegen Vergütung eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an einer Universität auszuüben und an den für seinen Studiengang notwendigen Prüfungen teilzunehmen. Alle diese Tätigkeiten sind Bestandteile der Berufsausbildung.


    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Finanzrechtsstreitwegen Kindergeld – Prozeßkostenhilfe –

    hat der 2. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 27. August 2002 durch

    Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …

    Richter am Finanzgericht …

    ehrenamtliche Richter …

    für Recht erkannt:

    1. Der Bescheid vom 28. September 2000 sowie die Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2000 werden geändert und das Kindergeld für den Sohn Nenad für die Monate April 1998 bis September 1998 auf 1.320 DM = 674,91 EUR, für April 1999 bis September 1999 auf 1.500 DM = 766,94 EUR festgesetzt.

    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    3. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Anspruch auf Kindergeld wegen Unterbrechung der Berufsausbildung entfallen ist.

    Der am 14. März 1973 geborene Sohn des Klägers studierte seit 1994 an der Universität das mit dem Diplom abschließende Fach Bauingenieurwesen. Während des Sommersemesters 1998, des Wintersemesters 1998/1999 sowie des Sommersemesters 1999 war der Sohn vom Studium beurlaubt. Im Wintersemester 1998/1999 war der Grund für die Beurlaubung die Ableistung eines von der Prüfungsordnung vorgesehenen Praktikums. In der Zeit vom 12. Oktober 1998 bis 20. November 1998 war als Praktikant eingestellt. Vom 1. November 1998 bis 31. März 1999 sowie vom 1. Juni 1999 bis 31. Juli 1999 war der Sohn als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Materialprüfung der Universität gegen eine Vergütung teilzeitbeschäftigt. Außerdem nahm er am 28. August 1999 erfolglos an Prüfungen in den Fächern Technische Mechanik III und IV teil. Die Prüfung im Fach Werkstoffe I am 9. September 1998 bestand er ebenfalls nicht. Die Prüfungen in den Fächern Fertigungstechnik am 18. August 1998, Raumordnung und Umweltplanung am 10. Februar 1999 sowie Vermessungskunde am 22. Februar 1999 bestand hingegen. Im Wintersemester 1999 setzte er sein Studium an der Universität fort.

    Die Familienkasse des beklagten Arbeitsamts hob die Festsetzung des Kindergelds gegenüber dem Kläger für den Sohn durch Bescheid vom 18. Oktober 1999 für die Zeit von April 1998 bis Dezember 1998 sowie Januar 1999 bis Mai 1999 und künftig ab Juni 1999 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf und forderte Kindergeld i.H.v. insgesamt 3.010 DM zurück. Ab Oktober 1999 wurde dem Kläger wieder Kindergeld bezahlt. In einer Anhörung hatte der Kläger zuvor angegeben, wegen unzureichender finanzieller Mittel habe sein Sohn ein Urlaubssemester beantragt, um erwerbstätig sein zu können. Er bereite sich jedoch auf Prüfungen vor und werde diese auch ablegen. Außerdem werde er ein empfohlenes Praktikum ableisten. Trotz der Beurlaubung sei sein Sohn nie exmatrikuliert und praktisch nur mit dem Studium beschäftigt gewesen.

    Zur Begründung des am 18. November 1999 eingelegten Einspruchs legte der Kläger eine Bescheinigung der Universität vom 6. Dezember 1999 vor, in welcher eine nach § 90 des baden-württembergischen Universitätsgesetzes zulässige Beurlaubung des Sohns vom Sommersemester 1998 bis zum Sommersemester 1999 bestätigt und darauf hingewiesen wird, dass der Studierende trotz Beurlaubung seinen studierenden Status beibehält, also nicht exmatrikuliert ist. Er sei berechtigt, während eines Urlaubssemesters die bibliothekarischen Einrichtungen der Universität zu besuchen und Prüfungen abzulegen. Von dieser Berechtigung habe der Sohn des Klägers nachweislich Gebrauch gemacht. Daher handle es sich nicht um eine Unterbrechung der Ausbildung. Durch Entscheidung vom 27. Januar 2000 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück, da die Beurlaubung zu einer Unterbrechung des Hochschulbesuchs und damit den Berufsausbildung geführt habe.

    Zur Begründung der am 21. Februar 2000 erhobenen Klage lässt der Kläger im Wesentlichen folgendes vortragen: Der Sohn habe sich zunächst wegen finanzieller Bedürftigkeit beurlauben lassen. Nachdem die ihm zugesagte Beschäftigung nicht zustande gekommen sei, habe er sich entschlossen, seine Ausbildung fortzusetzen. Die von der Universität genehmigte Beurlaubung habe jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Ein Student könne auch während der Beurlaubung sein Studium fortsetzen. Die Universität habe nach der bereits vorgelegten Bescheinigung bestätigt, dass sein Sohn während der Beurlaubung sein Studium fortgesetzt, d. h. seine Ausbildung nicht unterbrochen habe. Das in der Studienbescheinigung ebenfalls als Urlaubssemester dargestellte Wintersemester 1998/1999 sei von der Universität als fachlich empfohlenes Praktikumsemester genehmigt worden. Außerhalb der für die Prüfung notwenigen Zeit habe sein Sohn nach Beendigung des Praktikums als wissenschaftliche Hilfskraft in der Materialprüfungsanstalt der Universität mitgearbeitet. Diese mit der Ausbildung zum Bauingenieur in Verbindung stehende Tätigkeit habe der Vertiefung des Fachwissens gedient und sei von der Universität ausdrücklich erwünscht worden. Nach der Bescheinigung des Prüfungsamts der Universität vom 19. Januar 2000 habe der Sohn in drei Semestern Prüfungsleistungen erbracht. Obwohl formell beurlaubt, habe er im fraglichen Zeitraum sein Studium folglich nicht unterbrochen, sondern fortgesetzt Auch nach den Vorschriften des EStG stelle die Anmeldung zu Prüfungen und das Bestehen von Prüfungen keine Unterbrechung der Ausbildung dar. Die entschuldigte Nichtteilnahme an Prüfungen wegen Krankheit sei nicht vorwerfbar te Nichtteilnahme an Prüfungen wegen Krankheit sei nicht vorwerfbar und nach dem EStG nicht als schädlich zu berücksichtigen. Im Sommersemester 1999 sei der Sohn wegen Krankheit beurlaubt gewesen. Dies werde durch die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen vom 30. März 1999, 25. Mai 1999 sowie 18. Juni 1999 belegt. Bei dieser belegten Zeit handle es sich um den akuten Verlauf der Viruserkrankung. Dennoch habe sich sein Sohn bemüht, die Prüfungen abzulegen.

    Nach Vorlage einer Bescheinigung der Universität vom 3. Mai 2000 über die Ableistung eines von der Prüfungsordnung vorgeschriebenen Praktikums im Wintersemester 1998/1999 gewährte die Familienkasse durch Änderungsbescheid vom 28. September 2000 für die Zeit von 1. Oktober 1998 bis 31. März 1999 Kindergeld und verminderte den Rückforderungsbetrag auf 1.820 DM. Der Kläger hat den Änderungsbescheid am 18. Oktober 2000 gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und beantragt nunmehr,

    den Bescheid vom 28. September 2000 erneut zu ändern, Kindergeld von April bis September 1998 (6 × 220 DM =) i.H.v. 1.320 DM sowie von April bis September 1999 (6 × 250 DM =) i.H.v. 1.500 DM festzusetzen und die Rückforderung aufzuheben.

    Die Familienkasse beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Soweit sich die Klage nicht durch Teilabhilfe erledigt habe, sei diese unbegründet. Denn Nenad sei während der Sommersemester 1998 sowie 1999 beurlaubt und damit nicht in Berufsausbildung im Sinne des EStG gewesen. Eine Beurlaubung vom Studium sei auch bei fortdauernden Immatrikulation grundsätzlich als tatsächliche Unterbrechung des Studiums anzusehen, es sei denn der Student werde zum Zwecke der Durchführung einer zusätzlichen Maßnahme zur Berufsausbildung, zum Zwecke der Prüfungsvorbereitung oder infolge Erkrankung oder Mutterschaft beurlaubt. Der Kläger habe nicht nachgewiesen dass sein Sohn im Sommersemester 1998 sowie im Sommersemester 1999 aus den vorgenannten Gründen beurlaubt gewesen sei. Den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sei lediglich zu entnehmen, dass der Sohn während des Sommersemesters 1999 mehrere Tage kurzzeitig krank gewesen sei. Von einer Beurlaubung wegen Erkrankung während des gesamten Zeitraums des Sommersemesters 1999 könne daher nicht ausgegangen werden.

    Nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war der Sohn vom 30. März 1999 bis 6. April 1999, vom 21. Mai 1999 bis 1. Juni 1999 sowie vom 18. Juni 1999 bis 28. Juni 1999 krank.

    Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (vgl. Schreiben des Klägers vom 16. März 2001 sowie der Familienkasse vom 2. April 2001).

    Gründe

    Die Klage ist begründet.

    Sie führt wie erkannt zur erneuten Änderung des angefochtenen Änderungsbescheids sowie der Einspruchsentscheidung und Festsetzung des Kindergelds im begehrten Umfang. Entgegen der Auffassung der Familienkasse hat der Kläger in den fraglichen Monaten Anspruch auf Kindergeld, da sein Sohn in diesen Zeiträumen seine Berufsausbildung nicht unterbrochen hatte, sondern weiterhin für seinen Beruf ausgebildet wurde.

    Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und die Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten. Vorliegend ist allein streitig, ob der Kindergeldanspruch entfallen ist, weil der Sohn seine Ausbildung unterbrochen hatte. Dies war jedoch nicht der Fall.

    Unter Berufsausbildung ist die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahmen müssen weder in einer Studienordnung vorgeschrieben sein noch dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen, die für den späteren Beruf zwingend notwendig sind. Auch ist es nicht erforderlich, dass die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BStBl II 2000, 199, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach der nachgewiesenen Rechtsprechung kommt Eltern und Kind bei Gestaltung der Ausbildung ein weiter Entscheidungsspielraum zu.

    Das Studium an einer Universität ist Berufsausbildung (Urteil des BFH vom 23. April 1997 VI R 135/95, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1997, 655). Eine Beurlaubung vom Studium hat nicht zwingend eine Unterbrechung der Ausbildung zur Folge, die den Anspruch auf Kindergeld entfallen lässt (anderer Ansicht Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 5. September 2001 13 K 38/00. Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2002, 333; Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom 15. März 2002 – St I 4 – S 2280 – 101/01, Überarbeitung der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs – DA-FamEStG – 63.3.2.3. Abs. 3 Satz 1, BStBl I 2002, 366 ff., 390). Denn Studierende sind berechtigt, während einer Beurlaubung bibliothekarische Einrichtungen zu benutzen sowie Prüfungen abzulegen (§ 90 Abs. 2 des baden-württembergischen Universitätsgesetzes).

    Vorliegend ist der Sohn des Klägers auf seinen Antrag gemäß § 90 Abs. 1 des baden-württembergischen Universitätsgesetzes für drei Semester beurlaubt worden. Er hat jedoch in dieser Zeit ein von der Prüfungsordnung vorgeschriebenes Praktikum abgeleistet, als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Materialprüfung der Universität Stuttgart gegen Vergütung gearbeitet sowie an für seinen Studiengang notwendigen Prüfungen teilgenommen. Damit hat er während der Beurlaubung sein noch nicht erreichtes Berufsziel ernsthaft und stetig weiter verfolgt und sich deshalb weiterhin in Ausbildung befunden. Bei der weiten Auslegung des Begriffs „berufliche Ausbildung” durch die Rechtsprechung fallen auch die vom Sohn des Klägers während der Beurlaubung ergriffenen Maßnahmen hierunter (vgl. dazu Urteil des Senats vom 26. Februar 2002 2 K 212/01, EFG 2002, 771). Dass die Ableistung des dem Studienziel dienenden Praktikums Berufsausbildung ist, hat die Familienkasse in dem im Klageverfahren ergangenen Änderungsbescheid zwischenzeitlich anerkannt. Auch die Vorbereitung auf und die Teilnahme an den in der Studienordnung der Universität vorgeschriebenen Prüfungen sowie die wissenschaftliche Hilfstätigkeit ist Berufsausbildung. Dies bedarf hinsichtlich der Prüfungsvorbereitung und Prüfungsteilnahme keiner weiteren Begründung. Die gegen Entgelt ausgeübte wissenschaftliche Hilfstätigkeit ist gleichermaßen eine berufsbezogene Maßnahme zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet und für diesen förderlich sind. Denn für die Tätigkeit eines Bauingenieurs sind Kenntnisse über Werkstoffe sowie Erfahrungen mit diesen unerlässlich. Dies ergibt sich schon daraus, dass in der Studienordnung Prüfungen in dem Fach „Werkstoffe” vorgeschrieben sind. Dass die Tätigkeit auch der Sicherung des Selbstunterhalts diente, ist unschädlich. Denn nach der Neuregelung des Kinderleistungsausgleichs kann eine Tätigkeit des Kindes zur Erzielung eigener Einkünfte auch eine berufliches Können vermittelnde Maßnahme sein (Urteil des BFH vom 14. Januar 200 VI R 11/99, a.a.O.). Darauf, in welchem Umfang der Sohn Zeit für sein Studium aufwandte, kommt es nicht an. Denn nach der Rechtsprechung muss die Berufsausbildung Zeit- und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch nehmen.

    Nach alledem war der Sohn auch während seiner Beurlaubung nachweislich und ernsthaft um das Erreichen seines Berufsziels, das Diplom im Studienfach „Bauingenieurwesen”, bemüht. Die Annahme einer Unterbrechung der Berufsausbildung durch die Familienkasse war daher nicht gerechtfertigt.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

    Anschrift: Finanzgericht Baden-Württemberg • Außensenate Freiburg •

    Postfach 52 80 • 9019 Freiburg

    Dienstgebäude: Gresserstraße 21 79102 Freiburg

    Fernsprecher: Vermittlung (07 61) 2 07 24-0 • Telefax (07 61) 2 07 24-2 00

    E-Mail: Poststelle@FGFreiburg.justiz.bwl.de

    VorschriftenEStG 1997 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst a, EStG 1997 § 63 Abs. 1 S. 2