15.12.2011 · IWW-Abrufnummer 121336
Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 14.09.2011 – 2 K 786/09
1. Fahrzeuge, deren Ladefläche die der Personenbeförderung dienende Fläche übersteigt, sind für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer grundsätzlich als LKW zu qualifizieren.
2. In die der Lastenbeförderung dienende Fläche ist auch der hintere Teil der Doppelkabine eines Pick-up einzubeziehen, wenn das Fahrzeug lediglich über zwei zugelassene Sitzplätze (einschließlich des Fahrersitzes) verfügt und der hintere Kabinenteil ausschließlich für den Gütertransport nutzbar ist. Dem steht eine fehlende feste Trennwand und Verblechung der hinteren Seitenfenster nicht entgegen.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 2. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. September 2011 durch den Vizepräsidenten des Finanzgerichts … als Vorsitzender, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht Pohl, den ehrenamtlichen Richter … und den ehrenamtlichen Richter …
für Recht erkannt:
Unter Abänderung des Bescheides vom 9. August 2005 und des Einspruchsbescheides vom 17. November 2005 wird die Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen BLK-L 889 auf jährlich 172,– EUR herabgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Einstufung eines Fahrzeugs des Typs Mitsubishi L 200 (mit Doppelkabine und offener Ladefläche) als PKW oder als LKW.
Der Kläger ist seit dem 28. Juni 2005 Halter eines Fahrzeugs des vorstehend genannten Typs mit dem amtlichen Kennzeichen … Das zulässige Gesamtgewicht des Fahrzeugs beträgt 2.830 kg. Das Fahrzeug besitzt ausweislich der vom Kläger in Fotokopie vorgelegten Zulassungsbescheinigung Teil I lediglich zwei Sitzplätze einschließlich des Fahrersitzes. Wie den vom Kläger vorgelegten Fotos des Fahrzeugs zu entnehmen ist, sind die Seitenfenster des hinteren Teils der Doppelkabine nicht verblecht; außerdem befindet sich zwischen den beiden Sitzen des Fahrzeugs und dem hinteren Teil der Doppelkabine keine feste Trennwand, sondern lediglich eine Abtrennung mittels eines Netzes. Die zulässige Zuladung des Fahrzeugs beträgt höchstens 1.005 kg, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 142 km/h. Unter Zugrundelegung der Fahrzeugart PKW hat der Beklagte (FA) das Fahrzeug mit Bescheid vom 9. August 2005 für die Zeit ab 28. Juni 2005 einer Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von jährlich 683,– EUR unterworfen.
Zur Begründung der dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass das Fahrzeug des Klägers unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände als LKW einzustufen sei. Insbesondere übersteige die der Lastenbeförderung dienende Fläche des Fahrzeugs erheblich die der Personenbeförderung dienende Fläche; dabei sei der hintere Teil der Doppelkabine der Lastenbeförderung dienenden Fläche zuzurechnen. Damit mache die der Lastenbeförderung dienende Fläche fast 2/3 der gesamten Grundfläche des Fahrzeugs aus (3,45 m² von insgesamt 5,27 m²). Der zur Personenbeförderung dienende vordere Teil der Doppelkabine sei von dem zur Lastenbeförderung dienenden hinteren Teil der Doppelkabine durch ein durchgehendes fest eingebautes Fangnetz dauerhaft abgetrennt.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Bescheides vom 9. August 2005 und des Einspruchsbescheides vom 17. November 2005 die Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … auf jährlich 172,– EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA steht auf dem Standpunkt, dass die Zugrundelegung der Fahrzeugart PKW für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer vorliegend zutreffend sei. Der hintere Teil der Doppelkabine sei der der Personenbeförderung dienenden Fläche des Fahrzeugs zuzurechnen; damit übertreffe die der Lastenbeförderung dienende Fläche des Fahrzeugs vorliegend nicht die der Personenbeförderung dienende Fläche. Zudem fehle es für die Einordnung als LKW an einer Verblechung der hinteren Seitenfenster der Kabine sowie an einer Trennwand zwischen den Sitzplätzen und dem hinteren Teil der Doppelkabine.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Zu Unrecht ist das FA davon ausgegangen, dass es sich bei dem Fahrzeug des Klägers um einen Personenkraftwagen im Sinne von § 8 Nr. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) handelt, für welches sich die Steuer nach § 9 Absatz 1 Nr. 2 KraftStG bemisst. Vielmehr handelt es sich bei dem Fahrzeug des Klägers um ein „anderes Fahrzeug” mit einem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht von höchstens 3.500 kg gemäß § 8 Nr. 2 KraftfStG, für welches sich die Steuer nach § 9 Absatz 1 Nr. 3 KraftStG bemisst. Im Einzelnen:
Die Unterscheidung zwischen PKW und anderen Fahrzeugen – zu denen insbesondere LKW zählen – ist nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, anhand der Bauart und der Ausstattung und Eignung des Fahrzeugs zur Personenbeförderung bzw. zur Lastenbeförderung vorzunehmen (BFH-Entscheidungen vom 26. August 1997 VII B 103/97, BFH/NV 1998, 87 und vom 26. Juni 1997 VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810). Dabei ist die objektive Beschaffenheit des Fahrzeugs unter Berücksichtigung aller Merkmale in ihrer Gesamtheit vom Tatsachengericht zu bewerten; zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die erreichbare Höchstgeschwindigkeit, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung des Fonds mit Sitzen und Sicherheitsgurten oder für deren Einbau geeigneten Befestigungspunkten, das Fahrgestell, die Motorisierung und die Gestaltung der Karosserie (BFH-Urteil vom 01. Oktober 2008 II R 63/07, BStBl. II 2009, 20).
Zu den Merkmalen, denen nach der Rechtsprechung des BFH bei der Zuordnung eines Fahrzeugs zur Fahrzeugart PKW bzw. LKW besonderes Gewicht beizumessen ist, gehören die Größe der Ladefläche des Fahrzeuges und die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, weil diese Merkmale von besonderer Bedeutung dafür sind, ob die Möglichkeit einer Benutzung des Fahrzeuges zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat. Somit kommt der Größe der Ladefläche bzw. ihrem Verhältnis zu dem der Personenbeförderung dienenden Innenraum des Fahrzeugs zwar keine allein entscheidende aber doch eine wesentliche Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 01. August 2000 VII R 26/99, BStBl. II 2001, 72). In diesem Zusammenhang ist es im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen gerechtfertigt, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 26/99, a.a.O.).
Diese Rechtsprechung hat der BFH in seinem Urteil vom 08. Februar 2001 VII R 73/00, BStBl. II 2001, 368 fortgeführt und dargelegt, dieser Maßstab gelte auch bei den oftmals als Pick-up bezeichneten Fahrzeugen mit offener Ladefläche und geschlossener, der Personenbeförderung dienender Kabine. Auch bei derartigen Fahrzeugen sei eine Einordnung als LKW grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Ladefläche die zur Personenbeförderung dienende Bodenfläche übertreffe. Denn nur dann sei im Allgemeinen die Annahme gerechtfertigt, das Fahrzeug sei (zumindest überwiegend) für die Güterbeförderung konzipiert.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist der Senat der Auffassung, dass Fahrzeuge, deren der Lastenbeförderung dienende Fläche die der Personenbeförderung dienende Fläche übertrifft, grundsätzlich als LKW zu qualifizieren sind. Denn der Umstand, dass die Ladefläche die der Personenbeförderung dienende Fläche übersteigt, führt zu dem Schluss, dass das Fahrzeug überwiegend gerade zum Gütertransport bestimmt und geeignet ist. Für diese Schlussfolgerung spricht im Übrigen auch die Vorschrift des § 2 Abs. 2a Satz 3 KraftStG. Nach dieser Vorschrift gelten die dort erwähnten Fahrzeuge dann als PKW, wenn sie vorrangig zur Personenbeförderung ausgelegt und gebaut sind. Letzteres ist nach der zitierten Vorschrift insbesondere dann der Fall, wenn die zur Personenbeförderung dienende Bodenfläche größer ist als die Hälfte der gesamten Nutzfläche des Fahrzeuges.
Im Streitfall macht der Laderaum mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche des Fahrzeugs aus, so dass davon auszugehen ist, dass das Fahrzeug des Klägers überwiegend der Lastenbeförderung dient und damit als LKW einzustufen ist. Die der Lastenbeförderung dienende Fläche des Fahrzeugs macht nämlich fast 2/3 der gesamten Grundfläche des Fahrzeugs aus (3,45 m² von insgesamt 5,27 m²). Dabei geht der Senat davon aus, dass nicht nur die offene Ladefläche sondern in gleicher Weise der hintere Teil der Doppelkabine des Fahrzeugs der Lastenbeförderung dient. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat, obwohl sich zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil keine fest eingebaute Trennwand befindet und obwohl die hinteren Seitenfenster der Fahrerkabine nicht verblecht sind. Ausschlaggebend war für den Senat vorliegend vielmehr, dass das Fahrzeug – trotz der Doppelkabine – ausweislich der vom Kläger vorgelegten Zulassungsbescheinigung lediglich über zwei zugelassene Sitzplätze (einschließlich des Fahrersitzes) verfügt. Damit ist der hintere Teil der Doppelkabine offenkundig zur Beförderung von Personen ungeeignet und – im Gegenschluss – ausschließlich zum Transport von Gütern nutzbar. Die im Rahmen einer jeweils erforderlichen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden übrigen Merkmale des Fahrzeugs (erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das Fahrgestell, die Motorisierung und die Gestaltung der Karosserie) führen zu keinem anderen Ergebnis; Gleiches gilt für die im Verhältnis zu zulässigen Gesamtgewicht des Fahrzeugs von 2.830 kg nicht unbeträchtliche zulässige Zuladung von 1.005 kg.
Die Steuer für das Fahrzeug des Klägers war demnach gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG auf jährlich (abgerundet) 172 EUR herabzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO); die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i. V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.