25.10.2011 · IWW-Abrufnummer 112965
Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 21.03.2011 – 5 U 175/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln
5 U 175/10
Tenor:
I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 15. November 2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln (1 O 435/09) durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
G r ü n d e:
I.
Die Berufung ist nicht begründet. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 529, 531 ZPO) eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Das Landgericht hat vielmehr zu Recht entschieden, dass die Klägerin berechtigt war, gemäß § 437 Nr. 2 i. V. m. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sowie i. V. m. §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 BGB von dem zwischen den Parteien am 14. August 2009 geschlossenen Kaufvertrag zurückzutreten, und dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 13.774,40 Euro nebst den erstinstanzlich zuerkannten Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des umstrittenen Fahrzeugs sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwalts- und Sachverständigenkosten in Höhe von 1.351,60 Euro zuzüglich der erstinstanzlich zuerkannten Zinsen aus § 437 Nr. 2 i. V. m. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sowie i. V. m. §§ 440, 323, und 326 Abs. 5 sowie 325, 291, 288 BGB zustehen. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht, wird hier zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nicht.
1.
Insbesondere ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der in der "Fahrzeugbewertung" der XXXX vom 2. Juli 2009 [Bl. 54/55 d. A.; von der Beklagten mit Schriftsatz vom 14. April 2010 (Bl. 51/52 d. A.) zu den Akten gereicht] festgestellte Diebstahlschaden einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB darstellt, dass die Beklagte diesen Schaden der Klägerin gegenüber während der Verkaufverhandlungen so, wie er in der genannten "Fahrzeugbewertung" festgestellt worden ist, hätte offenbaren müssen, und dass nicht festgestellt werden kann, dass die Beklagte dieser Offenbarungspflicht nachgekommen ist:
a)
Ein Mangel im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn die Sache nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten durfte. Davon ist hier auszugehen. Denn bei Gebrauchtfahrzeugen muss der Käufer im Allgemeinen lediglich damit rechnen, dass das fragliche Fahrzeug dem Alter und der Laufleistung entsprechende Abnutzungserscheinungen und Gebrauchsspuren aufweist. Ferner muss er damit rechnen, dass es an dem fraglichen Fahrzeug zu Bagatellschäden gekommen sein kann, die für ihn nach Beseitigung keinerlei Bedeutung mehr haben und insbesondere bei vernünftiger Betrachtungsweise den Kaufentschluss nicht beeinflussen können [vgl. hierzu etwa: BGH, NJW 2008, 53, Juris-Rn. 20]. Dabei ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Grenze für Bagatellschäden sehr eng zu ziehen [BGH, a. a. O., Juris-Rn. 20]. Dass Schäden der hier in Rede stehenden Art nicht als Bagatellschäden in diesem Sinne bewertet werden können, kann ernstlich nicht bezweifelt werden. Denn unstreitig sind bei dem Diebstahl die Tür rechts und die Seitenwand rechts mit Innenteil extrem deformiert und aufgebogen, die Türverkleidung mit allen Anbauteilen, beide Airbags, das Steuergerät, der Bedienteil der Klimaautomatik, das Navigationsgerät, das Handschuhfach, die Luftdüsen, der Bedienteil des Schiebedaches, der Sitz vorne rechts komplett und die Sitzbank hinten entwendet sowie die Kabelbäume A-Brett und Hauptkabelbaum zerschnitten worden [vgl. hierzu auch die unstreitigen Feststellungen in der "Fahrzeugbewertung" der XXXX vom 2. Juli 2009 (Bl. 54 f., 55 d. A.)]. Es liegt auf der Hand, dass bei derartig gravierenden Schäden auch nach einer Reparatur mit Originalteilen in ähnlicher Weise wie bei Schäden infolge eines Unfalls der Verdacht aufkommt, dass verborgene Mängel verblieben oder zumindest eine erhöhte Fehler- und Reparaturanfälligkeit vorliegen könnten, dass eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines derartig geschädigten Fahrzeugs besteht, und dass diese Wertdifferenz ähnlich wie der merkantile Minderwert bei Unfallfahrzeugen einen unmittelbaren Sachmangel darstellt [vgl. hierzu etwa; BGHZ 181, 170, Juris-Rn. 16, sowie BGHZ 161, 151, Juris-Rn. 16].
Aus den zutreffenden, von der Beklagten nicht mit Substanz angegriffenen und nicht zuletzt deshalb nicht ergänzungsbedürftigen Gründen von S. 8 – 10 der angefochtenen Entscheidung kann auch nicht festgestellt werden, dass die Parteien eine so genannte "negative Beschaffenheitsvereinbarung" getroffen haben.
b)
Aus den ebenfalls zutreffenden Gründen von S. 10/11 der angefochtenen Entscheidung kann die Beklagte sich nicht auf den in dem Vertrag vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschuss [S. 1 des schriftlichen Vertrages, Bl. 7 f., 7 d. A.] berufen.
Die Beklagte wehrt sich gegen diese Beurteilung ohne Erfolg mit dem Vorbringen, dass sie zur Offenbarung der Feststellungen zu dem Diebstahlschaden in der "Fahrzeugbewertung" der XXXX vom 2. Juli 2009 [Bl. 54/55 d. A.] nicht verpflichtet gewesen sei. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Verkäufer eines Gebrauchtwagens einen Schaden oder Unfall, der ihm bekannt ist oder mit dessen Vorhandensein er rechnet, grundsätzlich auch ungefragt dem Käufer mitteilen, es sei denn, der Schaden oder Unfall war so geringfügig, dass er bei vernünftiger Betrachtungsweise den Kaufentschluss nicht beeinflussen kann [vgl. hierzu etwa: BGH, NJW 2008, 52, Juris-Rn. 20;]. Dabei ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Grenze zu den nicht mitteilungspflichtigen Bagatellschäden bei Personenkraftwagen sehr eng zu ziehen [vgl. hierzu etwa: BGH, NJW 2008, 52, Juris-Rn. 20; BGH, WM 1987, 137, Juris-Rn. 16]. Und es ist insoweit ohne Bedeutung, ob das Fahrzeug fachgerecht repariert worden ist [vgl. hierzu etwa: BGH, NJW 2008, 52, Juris-Rn. 20; BGH, WM 1982, 511, Juris-Rn. 11]. Danach kann es im vorliegenden Streitfall keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, dass der fragliche Diebstahlschaden in dem Umfang, der in der "Fahrzeugbewertung" der XXXX vom 2. Juli 2009 festgestellt worden ist [Bl. 54 f., 55 d. A.], offenbart werden musste. Denn es handelte sich nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Eingriff in die Autoelektronik durch unsachgemäßes Zerschneiden der Kabelbäume um gravierende Mängel [auf diesen Gesichtspunkt hatte bereits das Landgericht zu Recht abgestellt, S. 10 der angefochtenen Entscheidung]. Es liegt auf der Hand, dass ein Gebrauchtwagenkäufer über einen Vorschaden solchen Ausmaßes trotz Reparatur mit Originalteilen insbesondere deshalb informiert werden will und muss, weil dies bei seinem Kaufentschluss bzw. bei der Frage, welchen Preis er zu zahlen bereit ist, von Bedeutung ist. Dies gilt hier umso mehr, als unstreitig einige der entwendeten Fahrzeugteile nicht mit neuen Originalteilen, sondern mit gebrauchten Teilen ersetzt worden sind, was zusätzliche Risiken mit sich bringt, die für die Kaufentscheidung und für die Preisüberlegungen eines Gebrauchtwagenkäufers von Bedeutung sein können.
2.
Ohne Erfolg wehrt sich die Beklagte gegen die angefochtene Entscheidung auch mit dem Vorbringen, die Klägerin hätte von sich aus nachfragen müssen, wenn für ihre Kaufentscheidung die näheren Umstände des Diebstahlschadens von Bedeutung gewesen sein sollten. Denn zum einen beinhaltet die dem Gebrauchtwagenverkäufer in Fällen der hier vorliegenden Art treffende Offenbarungspflicht die Pflicht, den Käufer ungefragt zu informieren [vgl. hierzu etwa: BGH, NJW 2008, 53, Juris-Rn. 20]. Und zum anderen hat die Beklagte letztlich selbst verhindert, dass die Klägerin entsprechende Nachfragen stellt. Denn für die Klägerin bestand infolge der irreführenden Angabe der Beklagten über den Diebstahlschaden keine Veranlassung mehr, näher nach den Umständen des Diebstahls zu fragen:
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist aus den zutreffenden, von der Beklagten nicht mit Substanz angegriffenen und nicht zuletzt deshalb nicht ergänzungsbedürftigen Gründen der angefochtenen Entscheidung davon auszugehen, dass zu dem Diebstahlschaden ausschließlich die auf S. 2 des Kaufvertrages [Bl. 7 f., 8 d. A.] schriftlich festgehaltenen Angaben gemacht worden sind. Und die dort zu dem hier relevanten Diebstahlsgeschehen vermerkte Angabe "Einbruch Navi Diebstahl" über den der Beklagten nach ihrem eigenen Vortrag bekannt gewesenen Diebstahlschaden ist irreführend, weil die Klägerin aufgrund dieser Angabe nicht die Vorstellung gewinnen konnte, dass das Fahrzeug in erheblichem Maße beschädigt worden sein könnte. Sie musste vielmehr die Vorstellung haben, dass bei dem Diebstahl lediglich das Navigationsgerät entwendet und das Fahrzeug nur soweit beschädigt worden ist, wie dies für den Diebstahl eines Navigationsgerätes unvermeidlich ist, wobei man gemeinhin als Spuren eines solchen Diebstahls bei dem betroffenen Fahrzeug in erster Linie zerbrochene Fensterscheiben oder Vergleichbares vermutet. Unstreitig war aber ein neues, funktionierendes Navigationsgerät in dem Fahrzeug installiert, und unstreitig gab es keine zerstörte Fensterscheibe. Unter diesen Umständen konnte die Klägerin aufgrund der irreführenden Angaben der Beklagten den Eindruck gewinnen, dass ausschließlich die Folgen eines "Navi-Diebstahls" zu beseitigen waren, und dass diese in einer Weise beseitigt worden sind, dass keine den Wert des Fahrzeugs mindernden Schäden oder Risiken verblieben sind.
II.
Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung ist auch nicht gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO geboten.
Denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Es geht im vorliegenden Verfahren vielmehr im wesentlichen um Tatsachenfragen und im übrigen um die Anwendung geltenden Rechts sowie der hierzu in Rechtsprechung und Literatur entwickelten und allgemein anerkannten Grundsätze und damit um eine Einzelfallentscheidung. Eine abweichende Beurteilung insoweit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof – soweit ersichtlich – bisher ausdr ücklich von einem merkantilen Minderwert nur im Zusammenhang mit Unfallschäden gesprochen hat. Denn zum einen liegt auf der Hand, dass dies in dem Umstand eine Erklärung finden dürfte, dass gravierende Schäden der hier in Rede stehenden Art im Regelfalle durch Unfälle und nicht durch Diebstahl oder sonstige Ereignisse verursacht werden. Und zum anderen hat der Bundesgerichtshof in den zitierten Entscheidungen bei der Abgrenzung zwischen Bagatellschäden und solchen, die zur Annahme eines Sachmangels führen können, nicht entscheidend auf die Schadensursache abgestellt und er hat auch die Offenbarungspflichten des Gebrauchtwagenverkäufers gegenüber dem Gebrauchtwagenkäufer unabhängig von der Frage postuliert, wie es zu den fraglichen Schäden gekommen ist.
Eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung ist auch weder im Hinblick auf die Fortbildung des Rechts noch im Hinblick auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).