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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    EuGH: Finanzbehörden sind an einmal getroffene Prüfungsentscheidungen gebunden

    von RA, Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur., und RAin Katrin Schwarz, Kanzlei Küffner Maunz Langer Zugmaier (KMLZ), München

    | Ein Urteil des EuGH kann als Rettungsanker dienen, wenn der Fiskus betroffene Umsätze und hierzu vorhandene Unterlagen bereits geprüft und nicht beanstandet hat: Dann darf er die Steuerbefreiung nicht nachträglich versagen. Entschieden hat dies der EuGH anhand einer innergemeinschaftlichen Kfz-Lieferung (igL) einer portugiesischen Firma an eine Privatperson in Spanien. Erfahren Sie, wie sich das Urteil, das als europäisches Recht dem deutschen vorgeht, in der Praxis auswirkt. |

    Ausgangsfall: igL eines hochpreisigen Neufahrzeugs

    Im EuGH-Fall hatte eine portugiesische Firma ein hochpreisiges Neufahrzeug an einen angolanischen Abnehmer nach Spanien verkauft. Der Abnehmer hatte der Verkäuferin im Vorfeld der innergemeinschaftlichen Lieferung einige Unterlagen vorgelegt: U. a. seine spanische Ausländeridentifikationsnummer, eine Bescheinigung der spanischen Behörden über die Eintragung in das Ausländerregister und eine Kopie seines Reisepasses. Nach dem Transport des Fahrzeugs nach Spanien reichte er eine Bescheinigung über die technische Überprüfung sowie die vorübergehende Zulassung in Spanien nach.

     

    Deshalb behandelte die Verkäuferin die Lieferung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Die portugiesischen Behörden prüften die Unterlagen und akzeptierten zunächst die Steuerfreiheit der Lieferung. Da es in den Adressangaben des Abnehmers Abweichungen gab, und die Zulassung in Spanien lediglich eine temporäre war, versagten die portugiesischen Behörden später die Steuerbefreiung. Der Abnehmer habe den innergemeinschaftlichen Erwerb möglicherweise in Spanien nicht versteuert.

    EuGH stellt sich auf die Seite der Verkäuferin

    Der EuGH äußerte sich zunächst zu den Voraussetzungen der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen:

     

    • Für die Steuerbefreiung ist es aus seiner Sicht unschädlich, dass der Abnehmer seinen Wohnsitz nicht im Bestimmungsland hat.
    • Unschädlich ist aus seiner Sicht auch, dass der Abnehmer das Fahrzeug im Bestimmungsmitgliedstaat nur vorübergehend zugelassen hat. Denn die Zulassung als solche ist keine Voraussetzung für die Steuerbefreiung.

     

    Dann wendet sich der EuGH der Frage zu, ob die Steuerbefreiung der Lieferung versagt werden kann, weil im Bestimmungsland Spanien möglicherweise eine Steuerhinterziehung begangen wurde.

     

    In diesem Fall muss ‒ so der EuGH ‒ die Behörde anhand objektiver Umstände beweisen, dass der Verkäufer wusste oder hätte wissen müssen,

    • dass der Umsatz mit einem Steuerbetrug des Erwerbers verknüpft war, und
    • dass er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine Beteiligung an diesem Steuerbetrug zu verhindern.

     

    Die Beurteilung dieser Fragen ist Sache des nationalen Gerichts. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Lieferant die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, um sicherzustellen, dass er sich mit dem bewirkten Umsatz nicht an einem Steuerbetrug beteiligt hatte, kommt es nicht nur auf das Verhalten des Verkäufers an, sondern auch auf das Verhalten der Behörden.

     

    Wichtig | Für den Fall, dass der Verkäufer die Unterlagen für die Steuerbefreiung vorgelegt hat und die zuständige Behörde diese Unterlagen geprüft und akzeptiert hat, gilt der Grundsatz der Rechtssicherheit. Er hindert einen Mitgliedstaat daran, diesen Verkäufer später wegen eines vom Erwerber begangenen Steuerbetrugs, von dem der Verkäufer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer zu verpflichten (EuGH, Urteil vom 14.06.2017, Rs. C-26/16 ‒ Santogal, Abruf-Nr. 195275).

    Bedeutung für die Praxis

    Die Versagung der Steuerbefreiung für igL ist in der Praxis weit verbreitet. Meist, weil aus Sicht der Finanzverwaltung die erforderlichen Nachweise nicht erbracht sind. Oft wird sie auch Lieferanten versagt, bei denen im Vorfeld bereits Umsatzsteuer-Sonderprüfungen stattgefunden haben. Die Umsätze und die Nachweise hierzu wurden geprüft und nicht beanstandet. Jahre später ändert dann das Finanzamt seine Meinung, sodass der Unternehmer Umsatzsteuer und Zinsen teilweise für mehr als zehn Jahre nachzahlen soll.

     

    Nach den Maßstäben des EuGH begründen entsprechende Prüfungshandlungen für den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit. Hat das Finanzamt die Umsätze und die Unterlagen, aufgrund derer der Unternehmer diese Umsätze als steuerfrei behandelt, geprüft und akzeptiert, so kann es später nicht die Steuerbefreiung versagen. Diese Erkenntnis gilt auch jenseits von igL.

     

    Der EuGH macht jedoch auch eine Einschränkung: Auf den Grundsatz der Rechtssicherheit kann sich nicht berufen, wer missbräuchlich handelt. Hatte also der Unternehmer Kenntnis vom Umsatzsteuerbetrug des Abnehmers oder hätte er davon Kenntnis haben müssen, so bieten ihm auch Prüfungshandlungen der Finanzbehörde keine Rechtssicherheit. Dies nachzuweisen, ist jedoch wiederum Aufgabe der Finanzbehörde.

     

    Unternehmer, bei denen die Finanzverwaltung durch entsprechende Handlungen berechtigte Erwartungen geweckt hat, können sich auf das Urteil des EuGH berufen. Nimmt man das Urteil ernst, haben Behördenentscheidungen auch jenseits verbindlicher Auskünfte Bindungswirkung. Unternehmer könnten daher ‒ nach Rücksprache mit ihrem Steuerberater ‒ erwägen, in Einzelfällen eine Prüfungshandlung des Finanzamts anzustoßen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 10 | ID 44793812