· Weiterbildung? Abgelehnt!
Lebenslanges Lernen adé: Die fatale Entwicklung Geringqualifizierter in Deutschland
von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut
| Was ist los im Land der Dichter und Denker? Das Thema „Lebenslanges Lernen“ durchdringt die Gesellschaft nur unzureichend. Vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommen erschreckende Zahlen: Danach zeigen geringqualifizierte Menschen oft wenig Interesse, sich fortzuentwickeln. Ähnlich hat es das Institut auch für Arbeitslose 2014 diagnostiziert. |
Null-Bock-Mentalität und phlegmatische Arbeitsmoral scheinen das Land in einigen Gesellschaftsschichten zu erschüttern. Statt die berufliche Herausforderung durch Engagement in Weiterbildung zu suchen, dominieren oft Desinteresse und Ignoranz.
Den jüngsten Beleg hat das IAB mit einem Diskussionspapier (Abruf-Nr. 45450232) auf der Grundlage einer Online-Befragung im August 2018 vorgelegt. Schon eine frühere Analyse aus dem Jahr 2014 (Abruf-Nr. 45450234) hat den gleichen fatalen Trend bei Arbeitslosen sichtbar gemacht. Es ist höchste Zeit, diesen Trend zu bewerten und zu diskutieren.
Argumente gegen Weiterbildung
2 bis 3 Gründe fallen den Arbeitnehmern in der Regel ein, um Fortbildungsangebote auszuschlagen. Auffällig: Beschäftigte ohne Berufsausbildung nennen eher 3 Gründe; Absolventen mit Hochschulabschluss höchstens einen. Statistisch „hoch signifikant“ sei diese Aussage, so das IAB. Hier die wichtigsten Begründungen:
1. Grund: ... will mehr Geld, sonst keine Bereitschaft
Weil „keiner garantiert“, dass sich eine Weiterbildung auch in Euro und Cent auszahlt, werden Angebote weder gesucht noch wahrgenommen. „Etwa die Hälfte der Befragten ohne Berufsabschluss vertrat diese Ansicht“, schreiben die IAB-Autoren Christopher Osiander und Gesine Stephan in Ihrer Analyse.
TIPP | Wenn Sie innerbetriebliche Weiterbildung anbieten, sollten Sie immer aufzeigen, warum es sich lohnt, das Angebot zu nutzen. Das müssen keine finanziellen Anreize sein. Jahresgespräche eignen sich hervorragend, um mit den Kollegen Entwicklungsperspektiven auszuloten. |
2. Grund: ... habe verlernt, wie lernen geht
36 Prozent sagen der Studie zufolge, dass sie nicht mehr gewöhnt sind, wie Lernen geht. Auffällig auch hier: Zwei Drittel derer ohne Berufsabschluss sind nicht motiviert, sich dem Thema „Lernen“ zu stellen.
TIPP | Analysieren Sie in Ihrem Mitarbeiterkreis die Lernbereitschaft. Agieren Sie dann gezielt und in Abhängigkeit zum betrieblichen Erfordernis. Bei fehlender Motivation können Sie auch Pflichtteilnahmen „verordnen“. Eröffnen Sie aber auch die Perspektive, dass sich die Weiterbildung lohnt, indem Sie die „erworbenen Fähigkeiten“ im Berufsalltag dann auch anfordern = So können Sie Selbstmotivation auslösen. |
3. Grund: ... bin klug genug, also unnötig
Ein Drittel der Geringqualifizierten hält sich für ausreichend schlau und würde deswegen auch Weiterbildungen ablehnen. „Das verweist auf die auch in anderen Untersuchungn vielfach diskutierte Problematik, dass gerade geringqualifizierte Personen, für die eine Weiterbildung besonders sinnvoll sein könnte, sich dessen am wenigsten bewusst sind“, schreibt das IAB. Knapp ein Viertel gab zudem an, insgesamt „genug gelernt zu haben“ und nicht immer Neues anfangen zu wollen.
TIPP | Neues anzupacken, ist eine Herausforderung, der sich jedes Unternehmen laufend stellen muss. Wenn Sie in Ihrem Unternehmen Mitarbeiter ausmachen, die Verweigerungshaltungen vortragen, müssen Sie handeln! Denn dieses Verhalten färbt ab ‒ auf andere Kollegen und jede geplante Veränderung: Sei es die Anschaffung neuer Technik, eine veränderte Ressourcen-Planung etc. ‒ solche Kollegen werden Sie immer wieder herausfordern.
Setzen Sie daher vor Veränderungsprozessen auf kleine Schulungseinheiten für alle Beteiligten (auch kleine Inhouse-Veranstaltungen), um notwendige Fähigkeiten für veränderte Workflows aufzubauen und fordern Sie danach die konsequente Umsetzung ein ‒ so gelingt der Veränderungsprozess. |
Einordnung / Gesellschaftliche Bedeutung
These 1: Fortbildung ist Jobsicherung. Doch das interessiert offenbar viele nicht mehr. Ist die soziale Absicherung zu komfortabel?
- Einordnung:
- Fort-/ und Weiterbildung ist eigentlich der Schlüssel, um auf Dauer an der Wertschöpfungskette teilnehmen zu können.
- Wer darauf keinen Wert legt, fühlt sich offenkundig „sicher“ genug.
- Jobverlust wird nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen.
These 2: Der Gesetzgeber weitet die Arbeitnehmerrechte stetig aus, statt „lebenslanges Lernen“ einzufordern. Er nennt das „Flexibilisierung“.
- Einordnung:
- Die Politik hat den Begriff völlig missverstanden! „Flexibilisierung“ heißt eigentlich: Arbeitnehmer agiler und beweglicher machen. Sie sollen so den Herausforderungen des Marktes gewachsen sein.
- Immer neue Arbeitnehmerrechte induzieren ein falsches gesellschaftliches Anspruchsdenken.
Aktuelle Beispiele sind ...
- Per Gesetz verordneter Mindestlohn ‒ er induziert:
- Für das Geld kann keiner erwarten, „dass ich mich auch noch fortbilde“.
- Unterhalb dieses Lohniveaus „muss ich keinen Finger krumm machen“.
- Per Gesetz geplantes Rückkehrrecht aus der Teilzeit ‒ es induziert:
- „Wenn ich mal eine Auszeit brauche, arbeite ich eben nur halbtags.“
- „Mein Job ist mir sicher, ich kann ja jederzeit wieder Vollzeit arbeiten. “
FAZIT | Die politischen Entscheidungen für Mindestlohn und Brückenteilzeit sind nur zwei Beispiele, die die Fehlentwicklung zu einer falschen Eigenwahrnehmung befördern. Sie unterstützen das Gefühl, dass „Nichtstun auch nicht bestraft wird“. In den Augen vieler Arbeitgeber ist das gesetzlich manifestierter Populismus. |
Weiterführende Links
- IAB-Diskussionspapier zur Frage „Warum lehnen Beschäftigte Weiterbildung ab? auf der Grundlage einer Online-Befragung von 800 Erwerbstätigen im August 2018 ‒ Abruf-Nr. 45450232
- IAB-Kurzbericht zur Frage „Warum lehnen Arbeitslose Weiterbildung ab?a“ ‒ Abruf-Nr. 45450234
Autor | Osiander, Christopher; Stephan, Gesine (2018): Gerade geringqualifizierte Beschäftigte sehen bei der beruflichen Weiterbildung viele Hürden, In: IAB-Forum 2. August 2018, https://www.iab-forum.de/gerade-geringqualifizierte-beschaeftigte-sehen-bei-der-beruflichen-weiterbildung-viele-huerden/, Abrufdatum: 14. August 2018