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· Überstunden / Aufzeichnungspflichten

LAG Niedersachsen: „Stechuhr-Urteil“ des EuGH ohne Konsequenzen im Überstundenprozess

Bild: © Peter Atkins - stock.adobe.com

| Der Europäische Gerichtshof ( EuGH) hatte mit Urteil vom 14.5.2019 (Az. C-55/18 ) Arbeitgeber der Mitgliedstaaten verpflichtet, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem jeder Arbeitnehmer seine tägliche Arbeitszeit messen kann“ ‒ also quasi eine Stechuhrpflicht postuliert. Nun hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen eine vielbeachtete Entscheidung des Arbeitsgericht (ArbG) Emden zur Umsetzung des „Stechuhr-Urteils“ des EuGH aufgehoben. Nach Ansicht des LAG hat das Urteil des EuGH keine unmittelbaren Konsequenzen für die Frage der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. |

 

 

ArbG Emden unterstellte unmittelbare Wirkung des Urteils

Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils hatte ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Überstundenklage vor dem ArbG Emden eine Überstundenvergütung geltend gemacht. Er tat dies auf Basis technischer Zeitaufzeichnungen des Arbeitgebers. Weitere Arbeitszeitnachweise hatte der Arbeitgeber nicht geführt. Das ArbG Emden gab der Klage des Arbeitnehmers statt: Nach dem „Stechuhr-Urteil“ des EuGH sei der Arbeitgeber aufgrund europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB (Fürsorgepflicht des Arbeitgebers) zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers verpflichtet gewesen. Angesichts des Versäumnisses, Arbeitszeitnachweise zu führen, müsse er deshalb die technischen Aufzeichnungen als Indiz der geleisteten Arbeitszeit gegen sich gelten lassen. Diese Indizien hätte der Arbeitgeber nicht ‒ z. B. durch Darlegung von Pausenzeiten ‒ entkräften können (ArbG Emden, Teilurteil vom 09.11.2020, Az. 2 Ca 399/18).

LAG kassiert Urteil des ArbG: „Stechuhr-Urteil“ des EuGH wirkt nicht

Der Arbeitgeber ging dagegen in Berufung ‒ und hatte damit Erfolg: Nach Auffassung des LAG Niedersachsen wirkt sich das Urteil des EuGH zur Zeiterfassung nicht auf die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess aus. Die vom Arbeitsgericht Emden zitierte EuGH-Entscheidung (14.5.19, C 55/18) vermöge die traditionellen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess nicht zu modifizieren. Es fehle dem EuGH die Kompetenz, die nationale Rechtsordnung zu ändern. Es würden weiterhin die bekannten und tradierten Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gelten.

 

Im konkreten Fall seien die Darlegungen des Arbeitnehmers bezüglich der von ihm geleisteten Arbeitszeit nicht ausreichend gewesen.

Revision zum BAG zugelassen

Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen. Es ist also damit zu rechnen, dass das BAG über die Frage entscheiden wird, ob aus der EuGH-Rechtsprechung eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur umfassenden Zeiterfassung folgt. Das Damoklesschwert einer umfassenden Zeiterfassung ist für Arbeitgeber also noch nicht vom Tisch.

 

PRAXISTIPP | Sicher ist es nicht verkehrt, wenn Sie als Arbeitgeber jetzt ihre Zeiterfassungssysteme überprüfen und ggf. nachbessern, um sich vor bösen Überraschungen bei der Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess zu schützen. Denn Prognosen, wie das BAG entscheidet, sind schwierig. Außerdem sollten Sie sich darauf einstellen, schon bald Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit Ihrer Arbeitnehmer erfassen zu müssen. Eine solche Erfassung wird voraussichtlich durch die zu erwartende Novellierung des Arbeitszeitgesetzes verpflichtend.

  

(Ke)

 

Quellen

  • LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021, Az. 5 Sa 1292/20).
  • LGP Löhne und Gehälter professionell (iww.de/lgp)
Quelle: ID 47699496