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· Lockdown | Insolvenzen

Neues Sanierungsgesetz ermöglicht Aufschub zur Restrukturierung „schon vor der Pleite“

Nach Kaufhof, Escada, Laurèl und Wöhrl hat es nun die Adler Modemärkte getroffen: die Ader Modemärkte meldeten im Januar Insolvenz an.
Bild: Adler Moden

von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut

| Seit die Bundesregierung im zweiten Lockdown den Handel wieder zur Schließung gezwungen hat, stehen „50.000 Einzelhandelsgeschäfte vor dem Aus, berichtet der Handelsverband Deutschland (HDE). Die Regierung weiß das und geht in den Wahlkampfmodus über: Neben einem Insolvenzaufschub bis Monatsende ist nun zum Jahreswechsel zusätzlich ein neues Insolvenz- und Sanierungsgesetz wirksam geworden. Damit wird der Insolvenzaufschub in Form einer „Restrukturierungsoption“ regelrecht zementiert. Dennoch: Das Billigmodehaus Adler hat jetzt Insolvenzantrag gestellt. Ist das der Auftakt einer Pleitewelle? |

 

Erst bricht der Umsatz weg, dann folgt die Liquiditätslücke. Wenn dann die Hilfsgelder als Kapitalzufuhr das Loch nicht mehr stopfen können, ist die Insolvenz unausweichlich ‒ selbst dann, wenn Insolvenzen aufgeschoben und damit „verschleppt“ werden dürfen. Aktuell gilt dieser Aufschub bis Ende Januar. Doch für das Wahlkampfjahr 2021 hat die Regierung neue Munition in der Bazooka, um das ganze Dilemma des Shutdowns ‒ so lange es geht ‒ hinauszuzögern. Ein neues Gesetz hat den Weg dafür geebnet.

 

  • Insolvenzfall Adler Modemärkte

Nach Kaufhof, Escada, Laurèl und Wöhrl hat es nun die Adler Modemärkte getroffen. Bei Adler dauert der Niedergang schon länger: Der Finanzinvestor S&E Kapital hatte schon seit Monaten versucht, sein 53-prozentiges Aktienpaket zu verkaufen. Das berichtet das Springer-Nachrichtenportal Welt. 171 Filialen mit 3.350 Mitarbeitern seien nun betroffen. Im ersten Lockdown konnte sich Adler noch mit Kurzarbeit, Kredit und Staatsbürgschaft über Wasser halten: jetzt beginnt die Insolvenz in Eigenverwaltung.

 

Der neue Rettungsanker ‒ nach EU-Richtlinie

Als zentrale Regierungsmaßnahme kam am 22.12.2020 mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) ein neuer Rettungsanker ins Spiel. Noch am 29.12.20 wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist nun gültig. Damit wurde die seit 1999 bestehende Insolvenzordnung gründlich novelliert. Hintergrund ist die europäische Restrukturierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023). Deren Inhalt ist es ‒ lapidar formuliert ‒, drohende Insolvenzen weiter in die Länge zu ziehen. Oder positiv ausgedrückt: Unternehmen sollen nicht von heute auf morgen insolvent gehen. Entweder sie nähern sich ganz langsam einer Insolvenz an oder sie schaffen es, mit Hilfe von Sanierungsinstrumenten schon im Vorfeld, ihr Geschäftsmodell tragfähig zu machen. Damit wird die Sanierung quasi vorverlegt ‒ ein bislang völlig unübliches Vorgehen. So genannte Restrukturierungsgerichte sollen den vorweggenommenen Sanierungsversuch dann rechtlich begleiten. Die Wirkung: Solche Sanierungsfälle werden in der Insolvenzstatistik lange nicht auffällig ‒ die Verfahren können sich nämlich lange hinziehen.

Statistische Wirkung des bisherigen Insolvenzaufschubs

Das Statistische Bundesamt hat von Januar bis Oktober 2020 nur 13.600 Insolvenzen erfasst. Das ist ein deutlicher Rückgang von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch der Rückgang schmilzt ab: bis Dezember waren es nur noch 9 Prozent. Allein im Dezember 2020 wurden 18 Prozent mehr Verfahren eröffnet als im November 2020. Der staatlich verordnete Insolvenzaufschub erreicht damit seine Grenzen. Doch der Verband der Insolvenzverwalter geht davon aus, dass in diesem Jahr das „Insolvenzgeschehen staatlich gelenkt“ bleibt, heißt es bei Welt weiter. Das neue Gesetz ist Teil dieser Lenkungsstrategie, mit der im Zweifel auch Wahlen gewonnen werden.

 

Doch klar ist den Wirtschaftsforschern auch, dass es zu viele Unternehmen gibt, die nur mit Hilfe des Staats noch leben können.

 

 

Zombifizierung der Unternehmen schreitet voran

Nachdem bereits Allianz Research, das Ifo Institut und die FAZ die so genannte Zombifizierung als zentrales Risiko der Corona-Beschränkungen dokumentiert haben, zieht nun auch das IW Institut der deutschen Wirtschaft nach.

 

In einem Kurzbericht vom 28.12.2020 schildert Wirtschaftsexperte Klaus-Heiner Röhl, dass es in diesem Jahr einen Nachholeffekt bei den Insolvenzen geben müsste. Eigentlich wäre eine Zunahme von 15 Prozent plausibel. Der tatsächlich niedrige Rückgang an Insolvenzen ist dem Aufschub geschuldet. Die Folge: Es entstehen Zombieunternehmen, „die wirtschaftlich nicht überlebensfähig, aber noch marktaktiv sind“, so der Autor.

 

Das ist die Prognose des IW Instituts

Bild: IW Institut

Quelle: IW-Kurzbericht 130/2020 | Destatis, 2020, Berechnungen IW

 

Nach bisherigen Marktumfragen wird teilweise ein dramatischerer Anstieg der Insolvenzzahl vorausgesagt. Das Ifo-Institut prognostizierte 2020, dass mit 750.000 ein Fünftel der Unternehmen existenzbedroht wäre. Der Deutsche Industrie- und Handelstag spracht von einem Zehntel (350.000) und Creditreform rechne mit 550.000 überschuldeten Unternehmen, die zu „Zombieunternehmen“ werden könnten ‒ in 2021 sogar bis zu 800.000.

 

  • Fazit

2020 gab es erstaunlich wenig Insolvenzen (bedingt durch das nun auslaufende Insolvenzaufschubgesetz). Der Corona-bedingte Konjunktureinbruch hat stattdessen die Zahl der Zombieunternehmen steigen lassen: aktuell rechnet das IW Institut mit 4.500 solcher eigentlich nicht überlebensfähiger Unternehmen in Deutschland. Grund für diese Entwicklung ist der Insolvenzaufschub und das jetzt installierte Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG). Dieses neue Insolvenzrecht wird dafür sorgen, dass eine Marktbereinigung wohl auch in Zukunft nur zögerlich stattfinden wird.

 

Bei den Prognosen der Institute hatten die Umfrageteilnehmer höchstwahrscheinlich noch nicht auf dem Zettel, dass Insolvenzen nun wie an einem Gummiband hinausgezögert werden können ‒ in der Hoffnung, dass Sanierungsinstrumente bereits im Vorfeld greifen. So wird es der Regierung voraussichtlich gelingen können, im Wahljahr eine gefährliche Wirtschaftskrise als Folge der Pandemie nochmals abzufedern.

 
Quelle: ID 47065008