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06.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226215

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 17.11.2021 – 17 Sa 1067/21

Das Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit ist nicht zuschlagpflichtig nach § 10 Nr. 1.2 RTV-Gebäudereinigung


Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.07.2021 - 17 Ca 2580/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision des Klägers wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Erschwerniszuschlags.



Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 01.08.2007 als Reinigungskraft. Auf das Arbeitsverhältnis findet der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31.10.2019 (RTV) Anwendung.



Der Kläger trug in der Zeit von August 2020 bis Mai 2021 auf Anweisung der Beklagten bei der Ausführung der Arbeit eine Medizinische Gesichtsmaske (OP-Maske). Er ist der Auffassung, es handele sich bei einer OP-Maske um eine Atemschutzmaske im Sinne des § 10 Nr. 1.2 RTV; ihm stehe deshalb für den genannten Zeitraum ein Erschwerniszuschlag von 10 v.H. zu.



Mit seiner Klage hat der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung eines Erschwerniszuschlags geltend gemacht. Die Beklagte ist der Klage mit der Auffassung entgegengetreten, ein tariflicher Erschwerniszuschlag sei nicht geschuldet, weil eine OP-Maske nicht zur persönlichen Schutzausrüstung gehöre.



Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein am 13.07.2021 verkündetes Urteil abgewiesen. § 10 Nr. 1.2 RTV knüpfe an das Arbeitsschutzrecht an und sehe daher eine Zuschlagspflicht nur für Atemschutzmasken vor, die als Teil der persönlichen Schutzausrüstung die Beschäftigten vor Gesundheitsgefahren schützten; dies treffe auf OP-Masken nicht zu.



Gegen dieses ihm am 15.07.2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.08.2021 eingelegte Berufung des Klägers, die er mit einem am 14.09.2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.



Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, das Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit führe zu einem Erschwerniszuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV. Eine Auslegung dieser Tarifnorm ergebe, dass allein die Erschwernis, die das Tragen einer Maske bei der Arbeit mit sich bringe, durch den Erschwerniszuschlag von 10 v.H. abgegolten werden solle; die Schutzwirkung der Maske sei demgegenüber unerheblich. Im Übrigen würde eine OP-Maske auch die Gefahr der eigenen Ansteckung verringern; sie sei als Teil der persönlichen Schutzausrüstung anzusehen.



Der Kläger beantragt,



die Beklagte unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.07.2021 - 17 Ca 2580/21 - zu verurteilen, an ihn 1.115,87 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 241,86 EUR seit dem 19.01.2021, auf 509,59 EUR seit dem 09.03.2021, auf 88,88 EUR seit dem 23.03.2021, auf 117,21 EUR seit dem 15.04.2021, auf 74,44 EUR seit dem 15.05.2021 und auf 83,89 EUR seit dem 28.06.2021 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,



die Berufung zurückzuweisen.



Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Eine OP-Maske stelle keine Atemschutzmaske im Tarifsinne dar, weil sie nicht den Beschäftigten, sondern Dritte vor Ansteckung schützen solle; sie gehöre daher nicht zur persönlichen Schutzausrüstung der Beschäftigten. Die Erschwernis, die durch das Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit entstehe, werde daher nicht durch den tariflichen Erschwerniszuschlag abgegolten.



Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 14.09. und 21.10.2021 verwiesen.



Entscheidungsgründe



Die Berufung ist unbegründet.



Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geforderte Erschwerniszuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV nicht zu.



1. § 10 RTV hat - soweit im vorliegenden Fall von Interesse - folgenden Wortlaut:



Erschwerniszuschläge



Der Anspruch auf nachstehende Zuschläge setzt voraus, dass Beschäftigte die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften einhalten.



Beschäftigte haben für die Zeit, in der sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt werden, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereiches.



2. Eine OP-Maske stellt keine Atemschutzmaske im Sinne des § 10 Nr. 1.2 RTV dar. Dies ergibt eine Auslegung dieser Tarifnorm.



a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags hat von dem Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG, Urteil vom 19.06.2018 - 9 AZR 564/17 - AP Nr. 246 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie m.w.N. in ständiger Rechtsprechung).



b) Der Wortlaut des § 10 Nr. 1.2 RTV erlaubt allerdings für sich genommen den Schluss, dass auch das vorgeschriebene Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit zu einem Erschwerniszuschlag von 10 v.H. führt. Eine OP-Maske ist zweifellos eine Atemschutzmaske. Sie schützt vor allem den Atem Dritter vor Krankheitserregern des Maskenträgers, bietet aber auch einen gewissen Eigenschutz des Trägers vor Ansteckung (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckung, medizinischen Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken (FFP-Masken) Nr. 2; DIN EN 14683 Einführungsbeitrag).



c) Der tarifliche Gesamtzusammenhang zeigt jedoch eindeutig, dass nicht die Arbeit mit jeder Atemschutzmaske zuschlagspflichtig sein soll. § 10 Nr. 1.2 RTV erfasst vielmehr lediglich Arbeiten, die mit einer Atemschutzmaske als Teil der persönlichen Schutzausrüstung der Beschäftigten verrichtet werden. Die Tarifvertragsparteien haben nicht für jede erschwerte Arbeit, sondern lediglich für Erschwernisse im Zusammenhang mit dem Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung (§ 10 Nr. 1), dem Arbeiten in/an besonderen Räumen und Einrichtungen (§ 10 Nr. 2) und bei einer Verlängerung der Arbeitszeit (§ 10 Nr. 3) vorgesehen. Ein Zuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV ist deshalb nur geschuldet, wenn die Atemschutzmaske Teil der persönlichen Schutzausrüstung der Beschäftigten ist, die während der Arbeit getragen werden muss. Dies trifft auf eine OP-Maske nicht zu. Eine persönliche Schutzausrüstung ist nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit (PSA-Benutzungsverordnung - PSA-BV) "jede Ausrüstung, die dazu bestimmt ist, von den Beschäftigten benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen, sowie jede mit demselben Ziel verwendete und mit der persönlichen Schutzausrüstung verbundene Zusatzausrüstung". Die OP-Maske ist jedoch - wie ausgeführt - nicht dazu bestimmt, den Beschäftigten vor Ansteckung zu schützen, sondern sie hat den Zweck, Dritte vor Ansteckung zu schützen; dass mit dem Tragen einer OP-Maske auch ein gewisser Eigenschutz verbunden ist, ändert an dieser Zweckbestimmung nichts. Dass die Tarifvertragsparteien unter einer "persönlichen Schutzausrüstung" etwas Anderes gemeint haben, als in der PSA-BV geregelt, ist nicht ersichtlich. Vielmehr muss mangels entgegenstehender Anhaltspunkte angenommen werden, dass sie den gesetzlich festgelegten Rechtsbegriff der "persönlichen Schutzausrüstung" in gleicher Weise verwenden wollten wie der Verordnungsgeber.



Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Die Berufungskammer hat die Revision des Klägers gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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