17.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226482
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 13.12.2021 – 2 Sa 488/21
Quarantäne hindert den Verbrauch von Urlaub nicht.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.07.2021 - 2 Ca 504/21 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Nachgewährung von fünf Urlaubstagen aus dem Jahr 2020.
Die Klägerin ist seit dem April 2013 bei der Beklagten beschäftigt. Sie hat Anspruch auf jährlich 30 Urlaubstage. In der Zeit vom 30.11. bis 12.12.2020 hatte die Klägerin Erholungsurlaub beantragt, der ihr gewährt wurde.
Am 27.11.2020 verfügte die Stadt E die Absonderung bzw. häusliche Isolierung der Klägerin als Kontaktperson ersten Grades ihres mit dem Corona-Virus infizierten Kindes. Die Klägerin behauptet, ab dem 01.12.2020 habe auch bei ihr ein positives Corona-Testergebnis vorgelegen. Bei der Klägerin waren Symptome nicht feststellbar. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt die Klägerin nicht. Die Isolierungsanordnung endete mit dem 07.12.2020. Im Anschluss daran setzte die Klägerin ihren Urlaub fort. Sie vertritt die Ansicht, dass für die Zeit vom 01.12.2020 bis einschließlich 07.12.2020 fünf Urlaubstage ihrem Urlaubskonto gutgeschrieben werden und nachgewährt werden müssten. Die Klägerin vertritt zuletzt die Ansicht, dass sich dies unmittelbar aus § 9 BUrlG ergebe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und hierbei ausgeführt, dass § 9 BUrlG eng auszulegen sei. Eine behördlich angeordnete Isolation oder Quarantäne entspreche nicht der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit. Es müsse zwischen Arbeitsunfähigkeit und Erkrankung unterschieden werden.
Hiergegen wendet sich die Klägerin und vertieft ihre Rechtsansicht, dass der Begriff der Arbeitsunfähigkeit nicht auf die persönliche Leistungseinschränkung aufgrund von Krankheit reduziert werden dürfe. Auch dann, wenn die Ansteckungsgefahr für andere im Betrieb so hoch sei, dass der Arbeitgeber kein Interesse an der ansonsten möglichen Arbeitsleistung habe, handele es sich um einen Fall der Arbeitsunfähigkeit.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie vertritt die Ansicht, dass die Klägerin nicht wegen der im Übrigen von ihr bestrittenen Tatsache, dass sie Virusträgerin gewesen sei, an der Arbeitsleistung gehindert gewesen sei. Vielmehr sei ihr dies durch die behördliche Anordnung verboten gewesen. Ob die Beklagte die arbeitsfähige Klägerin ohne die Urlaubsgewährung und ohne das behördliche Verbot hätte arbeiten lassen, sei hypothetisch. Die Frage stelle sich gerade deshalb nicht, weil die Klägerin Urlaub gehabt habe.
Die Klägerin vertritt darüber hinaus die Ansicht, der Urlaub sei auch aus europarechtlichen Gründen nach zu gewähren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und fristgerechte Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Zurecht unterscheidet das Arbeitsgericht zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit. Es kann unterstellt werden, dass die Klägerin Virusträgerin des Corona-Virus während ihres Urlaubs war. Damit wäre die Definition einer Erkrankung erfüllt, denn die Infektion als solche stellt bereits einen regelwidrigen körperlichen Zustand dar. Nicht jede Krankheit führt aber auch gleichzeitig zur Arbeitsunfähigkeit. So sei nur beispielsweise auf Diabetes oder Bluthochdruck hingewiesen. Beide Zustände sind sicherlich Erkrankungen. Sie können im Einzelfall auch zur Arbeitsunfähigkeit führen, welches dann gesondert festzustellen ist. An einer ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wegen der symptomlosen Infektion fehlt es vorliegend.
Die Klägerin wäre durch ihre Erkrankung nicht gehindert gewesen, ihren Arbeitsplatz auszufüllen, hätte sie nicht Urlaub gehabt. Allein durch das behördliche Verbot war ihr die Arbeit nicht möglich. Hätte die Klägerin einen Heimarbeitsplatz innegehabt, so wäre unzweifelhaft gewesen, dass die Erkrankung, also die Virusträgerschaft, nicht zur Unmöglichkeit der Verrichtung der Arbeitsleistung geführt hätte. Der gewährte Urlaub hätte dann die Verpflichtung zur Arbeitsleistung aufgehoben. Denn die Klägerin war körperlich nicht eingeschränkt, ihre Arbeit zu verrichten. Genau diesen Fall deckt die Quarantäneanordnung der Kommune ab. Der Klägerin war es trotz Erkrankung möglich aber verboten, mit anderen zusammenzuarbeiten. Auf eine Arbeitsleistung im Homeoffice hätte die Quarantäneanordnung keine Auswirkung gehabt, wenn eine solche Arbeit möglich gewesen wäre. Damit steht die Quarantäneanordnung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gerade nicht gleich.
Die erkennende Kammer folgt damit der, soweit ersichtlich, bisher ständigen Rechtsprechung, wonach eine Arbeitsunfähigkeit lediglich dann gegeben ist, wenn körperliche oder andere Symptome, die in der Person der Erkrankten gegeben sind, die Arbeitsleistung unmöglich machen. Weder die Zurückweisung der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber wegen der Ansteckungsgefahr für andere Mitarbeiter noch die Weigerung anderer Mitarbeiter, wegen der Ansteckungsgefahr mit der Klägerin zusammen zu arbeiten, erfüllen den Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit. Beides war aber gerade deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin ohnehin von der Arbeitsleistung auf Grund Urlaubs befreit war. Damit ist die Voraussetzung des § 9 BUrlG nicht gegeben.
Die erkennende Kammer folgt auch der bisherigen Rechtsprechung, wonach der Tatbestand des § 9 BUrlG eng auszulegen und nicht auf andere Sachverhalte auszudehnen ist. Insbesondere die individuelle Nutzbarkeit des Urlaubs ist kein Kriterium für eine Nachgewährung. Nicht einmal eine Inhaftierung, die stärkste Einschränkung der Nutzbarkeit des Urlaubs, führt zur Nachgewährung von Urlaub.
Da die Klägerin nicht arbeitsunfähig war, konnte sie auch keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Im Übrigen hätte eine ärztliche Behandlung, gegebenenfalls auch im Krankenhaus erfolgen können und müssen, wenn die Klägerin behandlungsbedürftige Symptome entwickelt hätte. In diesem Fall hätte sie ohne weiteres einen Arzt konsultieren können oder ein Krankenhaus aufsuchen können. Die Erkrankung mit dem Corona-Virus führt also nicht dazu, dass die Klägerin unter keinen Umständen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erlangt hätte. Dass sie diese nicht erhalten hat, lag ausschließlich daran, dass sie symptomfrei und damit arbeitsfähig war.
Die Nachgewährung von Urlaubstagen ist auch nicht aus europarechtlichen Erwägungen erforderlich. Die Klägerin hat nichts dafür vorgetragen, dass die gewährten fünf Urlaubstage, um die hier gestritten wird, den gesetzlichen Mindesturlaub betreffen. Bei 30 Urlaubstagen im Jahr steht es dem deutschen Gesetzgeber ohnehin frei, Regelungen zu treffen, die den gesetzlichen Mindesturlaub nicht betreffen.
Damit bleibt es dabei, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.12. bis 07.12.2020 fünf Urlaubstage erhalten hat, die nicht nachgewährt werden müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Revision wurde zugelassen, da angesichts der Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen eine obergerichtliche Klärung wünschenswert erscheint.