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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Das Finanzamt darf Ihnen den Vorsteuerabzug nur bei nachgewiesener Betrugsabsicht versagen

    von Diplom-Finanzwirt Rüdiger Weimann, Dozent und Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Partner der kmk Steuerberatungs-GmbH, Dortmund

    | Zugunsten eines Autohauses hat das FG Münster entschieden, dass der Vorsteuerabzug aus einer Eingangsrechnung nur dann versagt werden darf, wenn das Finanzamt dem Autohaus eine konkrete Betrugsabsicht nachweisen kann! Die Kenntnis dieses Beschlusses kann insbesondere bei Betriebs- und Sonderprüfungen „bares Geld wert“ sein. Denn bislang konnten es sich die Prüfer recht einfach machen und sich darauf berufen, dass Sie beweisen müssen, ohne Betrugsabsicht gehandelt zu haben. |

    Vorlieferant unzuverlässig - Fiskus versagt Vorsteuerabzug

    Im Verfahren vor dem FG Münster (Beschluss vom 12.12.2013, Az. 5 V 1934/13 U, Abruf-Nr. 140266) ging es um folgenden Sachverhalt:

     

    • Sachverhalt vor dem FG Münster

    Ein deutsches Autohaus (A) verkaufte 2009 Neu- und Gebrauchtfahrzeuge. Neben eigenen (direkten) Re-Importen von polnischen Lieferanten handelte A auch mit VW-Neufahrzeugen, die zuvor von Dritten aus Polen nach Deutschland re-importiert worden waren. Letztere kaufte A von der N-GmbH (N), deren Geschäftsführer ausweislich des Handelsregisters Herr O war. Der Erstkontakt mit N kam zustande, als sich A über das Internetportal „mobile.de” für einen VW Passat interessierte, der von der Firma X angeboten worden war, welche den Verkauf aber für N lediglich vermittelte.

     

    Ende 2009 führte das Finanzamt bei N eine Umsatzsteuer-Nachschau durch, weil N bislang keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben hatte. Dabei wurde festgestellt, dass N unter der Geschäftsadresse weder ansässig noch bekannt war. Auch ein eigener Briefkasten war nicht vorhanden. Zu finden war lediglich der Briefkasten eines „Büroservice C” und eine Liste der von C betreuten Kunden, in der auch „N-GmbH / O” aufgeführt war. C hatte auf dem Gelände Räumlichkeiten angemietet; Anschrift oder Telefonnummer von C konnten vor Ort nicht ermittelt werden. Laut Aussage eines Gebäudehandwerkers wurde der Briefkasten ein- bis zweimal pro Woche geleert.

     

    Das Finanzamt versagte daraufhin dem A den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von N. Der in Eingangsrechnungen angegebene Sitz des Rechnungsausstellers müsse der Mittelpunkt dessen wirtschaftlicher Tätigkeit sein und sowohl bei Ausführung der Leistung als auch bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden haben. Als Sitz käme ein „Briefkasten-Sitz“ mit bloßer postalischer Erreichbarkeit jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn besondere, detaillierte Feststellungen die Annahme eines „Scheinsitzes“ rechtfertigen - so wie im Streitfall.

     

    Die Einwendungen von A, von alldem doch gar nichts gewusst zu haben, akzeptierte das Finanzamt nicht, weil A dies nicht beweisen könne.

     

    FG Münster nimmt die Finanzbehörden in die Pflicht

    Regelmäßig sieht das Finanzamt - wie im Streitfall und im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH - den Rechnungsempfänger hinsichtlich des guten Glaubens in der Beweislast. Das FG Münster jedoch teilt diese Rechtsauffassung nicht und gewährte im Streitfall dem Autohaus den Vorsteuerabzug. Es stellt sich damit gegen die Rechtsprechung des BFH.

     

    Dies aber aus gutem Grund, nämlich unter konsequenter Auswertung der Rechtsprechung des EuGH. Denn nach Ansicht des EuGH trifft den Erwerber keine Pflicht zur Verifizierung von Eingangsrechnungen. Eine solche Pflicht besteht dort, wo sich einem Autohaus die Unregelmäßigkeiten des Vorlieferanten quasi „aufdrängen“ (EuGH, Urteil vom 21.6.2012, Rs. C-80/11 u. C-142/11 - Mahagében und Dávid, Randnummern [Rn.] 60 und 61; Abruf-Nr. 122133).

     

    Vielmehr nimmt der EuGH die Steuerbehörden in die Pflicht: Es sei grundsätzlich deren Sache, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Steuerpflichtigen, der diese Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen. Die Steuerbehörde würde ihre eigenen Kontrollaufgaben auf die Steuerpflichtigen übertragen, wenn sie die oben genannten Maßnahmen aufgrund der Gefahr der Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts den Steuerpflichtigen auferlegt (EuGH, Urteil vom 21.6.2012, Rn. 62 und 65; Abruf-Nr. 122133).

     

    PRAXISHINWEIS I Der Rechnungsempfänger darf also von der Finanzverwaltung nicht mittelbar zu Nachprüfungen bei seinem Vertragspartner verpflichtet werden.

     

    Finanzverwaltung verzichtet auf den Gang zum BFH

    Das FG Münster hat die Beschwerde zum BFH zugelassen. Die Finanzverwaltung hat darauf - soweit ersichtlich - verzichtet.

     

    PRAXISHINWEISE |  

    • Der Verzicht der Finanzverwaltung auf den Gang zum BFH hat große Aussagekraft! Rechnet die Finanzverwaltung nämlich mit einer für sie negativen Entscheidung des BFH, vermeidet sie gerne, dass ein Streitfall „hochgekocht“ wird. Sie verzichtet auf Rechtsmittel und wendet ihre - wahrscheinlich falsche, aber profiskalische - Rechtsauffassung weiter an. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wie schnell sich die neue Rechtsauffassung des EuGH durchsetzt.
    • Das sollte Sie und Ihre Berater aber nicht hindern, bei Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung über den Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen mit dem Beschluss des FG Münster und der dahinter stehenden - verbindlichen - EuGH-Rechtsprechung zu argumentieren. Erfolg werden Sie allerdings nur haben, wenn keine Anzeichen von Unregelmäßigkeiten vorgelegen haben. Sind solche vorhanden, dürfen Sie nicht einfach die Augen schließen.
     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 4 | ID 42739784