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  • · Fachbeitrag · Ausfallschaden

    Interimsfahrzeug bei längerer Überbrückung: Eine sinnvolle Alternative zum Mietwagen

    | Ein Spezialfall: Der Geschädigte hat bereits vor dem Unfall einen Neuwagen mit einer gewissen Lieferzeit bestellt. Kann er nun bis zu dessen Lieferung einen Mietwagen nehmen oder gibt es Alternativen? Die Entscheidungskriterien und Möglichkeiten lernen Sie in diesem Beitrag kennen. |

    Geschädigter kann einen Anspruch auf Mietwagen haben

    Das AG Hamburg-Harburg hat die Mietwagenkosten bei viermonatiger Wartezeit und einem sehr moderaten Mietpreis zugesprochen (AG Hamburg-Harburg, Urteil vom 19.02.2021, Az. 643 C 164/20, Abruf-Nr. 220814). Dabei handelt es sich aber um eine Entscheidung im Einzelfall.

     

    Anmietung eines Fahrzeugs birgt ein Risiko

    Das Problem in solchen Fällen liegt in der Abschätzung, welcher zugesagte Liefertermin nah genug am Unfalldatum ist. Dabei kommt es auf den avisierten Termin an. Wenn sich die Lieferung später verzögert, verwirklicht sich damit ein vom Schädiger zu tragendes Risiko. In einem BGH-Fall waren es neun Wochen (BGH, Urteil vom 18.12.2007, Az. VI ZR 62/07, Abruf-Nr. 080195). Doch wie wäre es bei fünf Monaten? Und: Würde jedes Gericht die vier Monate als zeitnah betrachten? Das ist schwer vorhersehbar.

     

    Was ist die Alternative?

    Daher ist es manchmal ratsam, über eine Alternative nachzudenken: Ein „Interimsfahrzeug“, also ein Fahrzeug zur Überbrückung zwischendurch. Der Geschädigte kauft einen Gebrauchten und verkauft ihn nach der Nutzungszeit wieder. Das ist allerdings mit einem Vermarktungsrisiko verbunden, das der Geschädigte aber nicht tragen soll. Der BGH sagt dazu:

     

    „Nach diesen Grundsätzen kann dem Geschädigten über den vom Sachverständigen veranschlagten Zeitraum hinaus bis zur Lieferung des bereits vor dem Unfall bestellten Fahrzeugs Nutzungsausfallentschädigung zuzubilligen sein, soweit diese die wirtschaftlichen Nachteile, die durch den Ankauf und Wiederverkauf eines Zwischenfahrzeugs zusätzlich entstehen würden, nicht wesentlich übersteigt. In einem solchen Fall kann dem Geschädigten Aufwand und Risiko, die mit dem An- und Verkauf eines Gebrauchtwagens verbunden sind, nicht zugemutet werden.“

     

    Das bedeutet: Der Zeitraum ist nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Höhe der Mietwagenkosten. Im Harburger Fall waren das ca. 25 Euro am Tag. Pro Monat also etwa 750 Euro, bei den vier Monaten ca. 3.000 Euro. Wäre das Gericht kleinlicher gewesen, wäre der Geschädigte auf einem erheblichen Teil davon sitzen geblieben.

    Die Sicht des Autohauses bei Interimsfahrzeugen

    Die Interimslösung ermöglicht es dem Autohaus, einen schwer verkäuflichen Gebrauchtwagen zu ‒ wenn auch vorübergehender ‒ Liquidität zu machen. Der Wiederbeschaffungswert des verunfallten Fahrzeugs steht insoweit zur Verfügung. Daraus bezahlt der Geschädigte den Gebrauchten, das Autohaus verpflichtet sich, das Fahrzeug später zurückzukaufen.

     

    PRAXISTIPP | Die Vertragspartner können dabei auch bereits die Eckdaten fixieren: Pro Monat der Nutzung bei einem vereinbarten Kilometerkontingent wird der Rückkaufpreis im Verhältnis zum Verkaufspreis um einen definierten Betrag reduziert. Der wird auch daran bemessen, dass das Fahrzeug dann einen Halter mehr aufweist, wenn es danach wieder vermarktet werden soll. Die Differenz zwischen Verkaufs- und Rückkaufspreis muss dabei erkennbar niedriger sein als die ansonsten entstehenden Mietwagenkosten. Denn sonst ist das alles nicht sinnvoll.

     

    Ist das Geld aus der Vermarktung des verunfallten Fahrzeugs zum Restwert plus der Zuzahlung des Versicherers bis zum Wiederbeschaffungswert an eine finanzierende Bank geflossen und soll das Interimsfahrzeug nicht auch finanziert werden, bietet es sich an, den Kaufpreis zu stunden und lediglich die bereits vereinbarte Differenz fällig zu stellen. Man muss dabei darauf achten, dass das keine faktische Vermietung wird. Ein Kaufvertrag mit Stundungsvereinbarung muss her.

    Den Versicherer in die Entscheidung einbeziehen

    Sinnvoll ist es also, den Versicherer von vornherein mit einzubeziehen. Einen Warnhinweis nach § 254 Abs. 2 BGB, dass sich der Schaden in ungewöhnlicher Weise erweitert, muss er ohnehin bekommen. Er wird nun vor die Alternative gestellt, entweder das Risiko der Vermarktung des Interimsfahrzeugs zu übernehmen oder die verlängerte Mietwagendauer zu akzeptieren. In dieser Einbeziehung des Versicherers steckt bereits der Warnhinweis.

     

    Ihm wird die Interimslösung vorgeschlagen. Die dabei entstehenden Kosten (Wertverlust, An- und Abmeldekosten nebst Kennzeichen) werden beziffert. Und nun soll er entscheiden, ob er diesen Konditionen und damit dieser Schadenposition „Vermarkungsverlust“ zustimmt oder nicht.

     

    Stimmt er nicht zu, kann er sich hinterher nicht darauf berufen, der Mietwagen sei zu lange in Anspruch genommen worden. Denn der Geschädigte muss nicht auf eigenes Risiko ein Interimsfahrzeug anschaffen (LG Augsburg, Urteil vom 10.11.2016, Az. 101 O 1089/16, Abruf-Nr. 193130; bestätigt durch OLG München, Hinweisbeschluss vom 27.03.2017, Az. 24 U 4527/16, Abruf-Nr. 200031).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Textbaustein 446: Interimsfahrzeug ‒ Abstimmung mit Versicherer (H) → Abruf-Nr. 45023896. Diesen haben wir um das Modul „Interimsfahrzeug bei Bestellung vor Unfall (H)“ erweitert. Allerdings sollten Interimsfälle Anwaltssache sein. Der Baustein sollte also nur bei hartnäckigen Anwaltsverweigerern eingesetzt werden.
    Quelle: Ausgabe 04 / 2021 | Seite 16 | ID 47241161