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  • 09.05.2003 · IWW-Abrufnummer 031070

    Bundesgerichtshof: Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 393/02

    Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens die vom Sachverständigen
    geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren läßt und weiter nutzt. Die Qualität der Reparatur spielt jedenfalls so
    lange keine Rolle, als die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen.


    BUNDESGERICHTSHOF
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL

    VI ZR 393/02

    Verkündet am:
    29. April 2003

    in dem Rechtsstreit

    Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 9. Oktober 2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Von Rechts wegen

    Tatbestand:

    Der Kläger begehrt Ersatz seines restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in vollem Umfang einzustehen hat. Die für die Reparatur des PKW des Klägers erforderlichen Kosten schätzte der KFZ-Sachverständige D. inklusive der gesetzlichen Mehrwertsteuer auf 24.337,24 DM. Für die verbleibende Wertminderung des PKW veranschlagte er 1.500 DM; den Wiederbeschaffungswert schätzte er auf 30.300 DM und den Restwert auf 8.000 DM. Der Kläger, der Karosseriebaumeister ist, reparierte das Fahrzeug selbst. Seinen Schaden rechnet er auf der Grundlage des Gutachtens ab und verlangt unter Einbeziehung der Kosten für den Sachverständigen, das Abschleppen und die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges sowie allgemeiner unfallbedingter Auslagen insgesamt 31.028,83 DM. Die Beklagte erstattete unter Berücksichtigung ihres Restwertangebotes in Höhe von 10.000 DM vorprozessual 25.611,59 DM.

    Der Kläger verlangt weitere 5.417,24 DM nebst Zinsen. Er behauptet unter Berufung auf ein Schreiben des KFZ-Gutachters D., daß er das Fahrzeug als Karosseriebaumeister ordnungsgemäß in Eigenregie instandgesetzt habe und die Schäden zwischenzeitlich beseitigt seien.

    Das Amtsgericht hat die Klage in voller Höhe zugesprochen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Klagabweisung.

    Entscheidungsgründe:

    I.

    Das Berufungsgericht legt der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Schadensberechnung durch den Kläger eine Vergleichsbetrachtung zwischen den Reparaturkosten und den Kosten der Wiederbeschaffung des Fahrzeuges zugrunde, ohne den Restwert des Fahrzeugs zu berücksichtigen. Zur Begründung beruft es sich auf die neuere Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (DAR 2001, 125 = ZfS 2001, 111 ff.), wonach der Geschädigte Reparaturkosten auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens in dieser Weise abrechnen dürfe, wenn die Höhe der geschätzten Reparaturkosten einschließlich der Wertminderung unter dem Wiederbeschaffungswert ohne Berücksichtigung des Restwerts liege und der Geschädigte sein reparaturwürdiges Fahrzeug in Weiterbenutzungsabsicht in einer Weise instandgesetzt habe, daß es im Straßenverkehr sicher benutzt werden könne. Der Geschädigte müsse sein besonderes Integritätsinteresse an dem beschädigten Fahrzeug nur dann durch eine vollständige und fachgerechte Reparatur nachweisen, wenn die beanspruchten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 % überstiegen.

    Dies sei vorliegend nicht der Fall. Da der Kläger durch die Beseitigung von Schäden an seinem PKW dessen Verkehrs- und Betriebssicherheit wiederhergestellt und danach das Fahrzeug jedenfalls mehrere Wochen selbst genutzt habe, sei er berechtigt, seine Reparaturkosten auf der Grundlage des Gutachtens in voller Höhe abzurechnen.

    II.

    Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Schadensberechnung des Berufungsgerichts verletzt entgegen der Ansicht der Revision weder das nach schadensrechtlichen Grundsätzen zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot noch läßt sie das Bereicherungsverbot außer Betracht.

    1. Nach § 249 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Dabei ist der Geschädigte nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes Herr des Restitutionsgeschehens. Er bleibt es auch in dem Spannungsverhältnis, das durch den Interessengegensatz zwischen ihm und dem Schädiger bzw. dessen Versicherer besteht (vgl. Senatsurteil BGHZ 143, 189, 194). Diese Stellung findet Ausdruck in der sich aus § 249 Satz 2 BGB a.F. (nunmehr § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) ergebenden Ersetzungsbefugnis und der freien Wahl der Mittel zur Schadensbehebung. Der Geschädigte ist aufgrund der nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann (vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88 - VersR 1989, 1056 f. m.w.N.; Weber, VersR 1990, 934, 938 ff.; Steffen NZV 1991, 1, 2; ders. NJW 1995, 2057, 2059 f.). Er ist weder dazu verpflichtet, sein Fahrzeug zu reparieren noch es zur Reparatur in eine Kundendienstwerkstatt zu geben, deren Preise in der Regel Grundlage der Kostenschätzung sind. Es bleibt vielmehr ihm überlassen, auf welche Weise er sein Fahrzeug wieder instandsetzt (vgl. Senatsurteile, BGHZ 54, 82, 86; vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88 - VersR 1989, 1056 m.w.N. und vom 17. März 1992 - VI ZR 226/91 - VersR 1992, 710).

    Verursacht allerdings bei mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne von § 249 Satz 2 BGB a.F. zur Herstellung erforderlich (vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 368; 115, 375, 378 jeweils m.w.N.; vom 5. März 1985 - VI ZR 204/83 - VersR 1985, 593; vom 21. Januar 1992 - VI ZR 142/91 - VersR 1992, 457; vom 17. März 1992 - VI ZR 226/91 - VersR 1992, 710). Der zu gewährende Schadensausgleich wird außerdem begrenzt durch das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, das besagt, daß der Geschädigte zwar vollen Ersatz verlangen kann, an dem Schadensfall aber nicht "verdienen" soll (vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88 - aaO).

    Diese schadensrechtlichen Grundsätze lassen sich nicht isoliert verwirklichen. Sie stehen vielmehr zueinander in einer Wechselbeziehung (vgl. Steffen, NJW 1995, 2057, 2059 f.). Demzufolge darf in Verfolgung des Wirtschaftlichkeitspostulates das Integritätsinteresse des Geschädigten, das aufgrund der gesetzlich gebotenen Naturalrestitution Vorrang genießt, nicht verkürzt werden. Die Schadensrestitution darf nicht beschränkt werden auf die kostengünstigste Wiederherstellung der beschädigten Sache; ihr Ziel ist vielmehr, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne Schadensereignis entspricht (vgl. BGHZ 115, 375, 378 m.w.N.).

    2. Hiernach kann der Kläger die vom Sachverständigen D. geschätzten Reparaturkosten in voller Höhe beanspruchen. Entgegen der Ansicht der Revision wird sein Anspruch im Streitfall nicht durch die Kosten des Wiederbeschaffungsaufwandes (d.h. Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) begrenzt. Der erkennende Senat hat die zugrundeliegende Frage, ob Reparaturkosten auf Gutachtensbasis in voller Höhe auch dann verlangt werden können, wenn die Reparatur nicht in vollem Umfang den Anforderungen des Sachverständigen entspricht, sondern das Fahrzeug nur in einen funktionstüchtigen Zustand versetzt wird, in dem es weiter benutzt werden kann, bisher nicht entschieden. Die Frage wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht einheitlich beantwortet.

    a) Die überwiegende Anzahl der Gerichte spricht Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands zu. Für eine darüberhinausgehende Inanspruchnahme des Schädigers müsse der Geschädigte das Fahrzeug zum Zwecke der Weiterbenutzung fachgerecht instandsetzen. Dies gebiete das sich aus § 249 Satz 2 BGB a.F. ergebende Wirtschaftlichkeitspostulat und das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, weil der Restwert des Fahrzeuges trotz des Schadens im Vermögen des Geschädigten verbleibe (vgl. OLG Nürnberg, NZV 1990, 465; OLG München, ZfS 1991, 303; bisher OLG Düsseldorf, NZV 1995, 232; OLG Saarbrücken, MDR 1998, 1346; OLG Karlsruhe, MDR 2000, 697; OLG Hamm, VersR 2000, 1122; OLG Köln, ZfS 2002, 74; OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2002, 81).

    b) Die Gegenmeinung billigt dem Geschädigten Reparaturkostenersatz bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts unter Ausklammerung des Restwerts zu. Sie begründet dies damit, daß mit der Berücksichtigung des Restwerts bei der Berechnung des Schadensersatzes in die Ersetzungsbefugnis und die Dispositionsfreiheit des Geschädigten eingegriffen würde. Hinzu komme, daß die Bestimmung eines fiktiven Restwerts die Schadensabrechnung mit weiterer Unsicherheit belaste und im allgemeinen verzögere (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 2001, 125 m.w.N.; LG Wiesbaden, ZfS 2000, 250; Eggert, DAR 2001, 20; zum Restwert: Senatsurteil, BGHZ 143, 189; vgl. auch die Empfehlung des 28. VGT NZV 1990, 103, die Grenze bei 70 % des Wiederbeschaffungswerts zu ziehen).

    c) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Auch wenn die geschätzten Kosten der Instandsetzung den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen, steht dies mit den Grundsätzen des Schadensrechts im Einklang. Der Senat hat bereits im Urteil vom 15. Oktober 1991 (vgl. BGHZ 115, 364, 371 ff.) entschieden, daß in den Fällen, in denen der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug tatsächlich repariert, bei der für die Ermittlung der Wirtschaftlichkeitsgrenze einer Reparatur erforderlichen Vergleichsbetrachtung zwischen den Reparaturkosten und den Kosten der Ersatzbeschaffung auf Seiten der letzteren eine Kürzung des Wiederbeschaffungswerts um den Restwert im allgemeinen unterbleibt. Dieser Grundsatz gilt auch hier, ohne daß es insoweit auf die Qualität der Reparatur ankommt. Wird der PKW vom Geschädigten tatsächlich repariert und weiter genutzt, so stellt sich der Restwert lediglich als hypothetischer Rechnungsposten dar, den der Geschädigte nicht realisiert und der sich daher in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf.

    Erst die Unverhältnismäßigkeit bildet bei einer möglichen Naturalrestitution die Grenze, ab welcher der Ersatzanspruch des Geschädigten sich nicht mehr auf Herstellung (Naturalrestitution), sondern allein noch auf den Wertausgleich des Verlustes in der Vermögensbilanz (Kompensation) richtet (Senatsurteil, BGHZ 115, 364, 367). Hiervon hat der Senat eine Ausnahme gemacht, wenn der Geschädigte bei einem besonderen Integritätsinteresse an dem Erhalt des ihm vertrauten Kraftfahrzeugs das Fahrzeug mit einem Aufwand bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts instandsetzen läßt (vgl. Senatsurteil, BGHZ 115, 364, 371 mit Anmerkung von Lipp, NZV 1992, 70 ff.; Senatsurteile vom 17. März 1992 - VI ZR 226/91 - und vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - VersR 1999, 245). Ob es für diesen Zuschlag auf die Qualität der Reparatur ankommt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil hier die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nicht übersteigen.

    3. Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht zu Recht dem Geschädigten die Schadensabrechnung auf der Grundlage der geschätzten Reparaturkosten ohne Begrenzung auf den Wiederbeschaffungsaufwand zugebilligt. Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen im Berufungsurteil ist durch die Reparaturmaßnahmen des Klägers die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs wiederhergestellt worden. Der Kläger hat das Fahrzeug auch weiter genutzt. Zu weiterer Aufklärung der Art und Qualität der Reparatur war das Berufungsgericht nach § 287 ZPO nicht verpflichtet, nachdem die Beklagte nicht bestritten hat, daß das Fahrzeug in dem vom Sachverständigen D. bestätigten Umfang repariert worden ist. Die Beklagte hat auch nicht in Frage gestellt, daß die geschätzten Reparaturkosten der Höhe nach grundsätzlich gerechtfertigt sind.

    4. Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

    RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 249 Hb