06.06.2018 · IWW-Abrufnummer 201510
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 26.04.2018 – 4 StR 624/17
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. April 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. September 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Vom Vorwurf einer weiteren vorsätzlichen Brandstiftung hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die nicht ausgeführte Verfahrensbeanstandung ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Rechtsmittel hat aber mit der Sachrüge Erfolg.
I.
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Hirnfunktionsstörung. Von 1987 bis 1993 war er wegen verschiedener Gewalttaten erstmals im Maßregelvollzug untergebracht. Kurz nach seiner Entlassung legte der Angeklagte bei drei Gelegenheiten Ende 1993 Brände, weil er sich nach Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitgeber und seiner Mutter unter Druck gesetzt und frustriert fühlte und sich durch Feuer abreagieren wollte. Bei einer dieser Gelegenheiten zündete er im Waschkeller des Wohnhauses seines Arbeitgebers Wäsche an; das Feuer konnte nach kurzer Zeit gelöscht werden. Durch die Rauchentwicklung entstand ein Schaden von rund 4.000 DM. Aus Anlass dieser Taten wurde der Angeklagte im März 1995 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine erneute Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. In der Klinik geriet der Angeklagte bereits bei geringfügigen Alltagskonflikten erheblich unter Druck, auf den er infolge seiner mangelhaft ausgeprägten Impulskontrolle mit heftigen Auseinandersetzungen mit Mitpatienten und mehrfachen Entweichungen aus der Klinik reagierte. Nach seiner Flucht im September 2003 bestritt der Angeklagte seinen Unterhalt, indem er als Mitglied einer "Drückerkolonne" Spenden sammelte. Als er in einem Mehrfamilienhaus mehrfach schroff zurückgewiesen wurde, steckte er einen im Hausflur aufgestellten Schuhschrank in Brand. Das Feuer griff auf die angrenzende Wohnungstür über, die selbständig brannte. Die alarmierte Feuerwehr löschte den Brand, ehe Menschen verletzt wurden. Anfang Januar 2004 wurde der Angeklagte aufgegriffen, in den Maßregelvollzug zurückgebracht und wegen schwerer Brandstiftung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Nachdem der Angeklagte mehr als elf Jahre und sechs Monate im Maßregelvollzug untergebracht war, wurde die Maßregel mit Wirkung vom 31. August 2015 trotz fortbestehenden Therapiebedarfs für erledigt erklärt und die Vollstreckung der beiden Reststrafen zur Bewährung ausgesetzt.
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2. Nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug bezog der Angeklagte eine Dachgeschosswohnung in einem E. er Mehrfamilienhaus. Am Vormittag des 14. September 2016 wurde seine Wohnung wegen des von einem Arbeitskollegen gegen ihn erhobenen Vorwurfs durchsucht, kinderpornografisches Material zu besitzen; sein Laptop wurde beschlagnahmt. Aus Frustration über die morgendliche Durchsuchung legte er gegen 22.15 Uhr in der im Keller eingerichteten Waschküche Feuer, indem er auf einem Wäschetrockner abgelegte Sitzauflagen und Kissen eines Nachbarn anzündete, die vollständig verbrannten. Während des mindestens 30-minütigen Brandgeschehens bildeten sich in der Waschküche Ruß und ein heißes Gas-Luft-Gemisch. Verkleidungen elektrischer Kabel und Leitungen schmorten durch. Aufgestellte Waschmaschinen und Trockner mussten ebenso ausgetauscht werden wie Hängeschränke, elektrische Leitungen, Wasserhähne und der Putz an Wänden und Decken. Als der Angeklagte gegen 23.00 Uhr zu seiner Dachgeschosswohnung hinaufziehenden Rauch bemerkte, alarmierte er die Mitbewohner des Hauses und die Feuerwehr. Dieser gelang es, letzte Brandgefahren zu beseitigen. Gegen Mitternacht konnten die Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren.
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3. a) Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe den Tatbestand einer Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht, indem er ein fremdes Gebäude durch Brandlegung teilweise zerstörte. Vom Versuch einer schweren Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB sei er strafbefreiend zurückgetreten.
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b) Bei Begehung der Tat sei der Angeklagte aufgrund einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB gewesen, aber nicht schuldunfähig. Die infolge der Hirnschädigung bestehenden kognitiven und affektiven Defizite hätten seine Impulskontrolle eingeschränkt. Trotz seiner rationalen Einsicht habe sich der Angeklagte nicht mehr vollständig steuern können.
II.
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Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Der Schuldspruch begegnet sowohl bezüglich der Annahme einer (vollendeten) Brandstiftung als auch bezüglich der Ablehnung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten durchgreifenden Bedenken.
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a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte ein fremdes Gebäude durch eine Brandlegung teilweise zerstörte (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
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aa) Ein Gebäude ist teilweise zerstört, wenn es für eine nicht unbeträchtliche Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, gänzlich vernichtet werden (BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20; Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 4 StR 344/11, BGHSt 57, 50, 51 f.; vom 16. August 2017 - 4 StR 320/17, StraFo 2017, 474; vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17, Rn. 24; LK/Wolff, StGB, 12. Aufl., § 306 Rn. 13; MüKo-StGB/Radtke, 2. Aufl., § 306 Rn. 56). Dafür genügen brandbedingte Schäden in Kellerräumen eines Wohnhauses, wenn diese wegen der Beeinträchtigungen für einen gewissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10, BGHSt 56, 94, 97; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 578/12, NStZ 2014, 647, 650). Ob ein Zerstörungserfolg vorliegt, muss der Tatrichter nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Nutzungszwecke beurteilen (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 4 StR 344/11, BGHSt 57, 50, 52; vom 14. Januar 2014 - 1 StR 628/13, NJW 2014, 1123, 1124). Er hat objektiv anhand des Maßstabs eines "verständigen Wohnungsinhabers" zu bewerten, ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht. Der Zeitraum muss beträchtlich sein; wenige Stunden oder ein Tag reichen nicht (BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20; Beschlüsse vom 6. Mai 2008 - 4 StR 20/08, NStZ 2008, 519; vom 14. Januar 2014 - 1 StR 628/13, NJW 2014, 1123, 1124).
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bb) Gemessen hieran belegen die Urteilsgründe eine Zerstörung der Waschküche nicht. Nach den Feststellungen mussten als Folge des Brandes elektrische Leitungen, Wasserhähne und der Putz an den Wänden und Decken - ebenso wie die nicht zum Gebäude gehörenden Geräte - ausgetauscht werden. Zwar teilen die Urteilsgründe mit, die erforderlichen Renovierungsarbeiten "am Gebäude" dauerten knapp zwei Monate und kosteten rund 12.300 Euro. Diesen Ausführungen kann der Senat jedoch auch im Gesamtzusammenhang des Urteils (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10, insofern nicht abgedruckt in BGHSt 56, 94) nicht entnehmen, ob und wie lange der Waschkeller während der Renovierungsarbeiten nicht benutzt werden konnte.
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b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB abgelehnt hat, sind widersprüchlich.
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Das Landgericht hat, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen, angenommen, dem Angeklagten fehle aufgrund einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung "teilweise" die Impulskontrolle; trotz rationaler Einsicht habe er sich zum Tatzeitpunkt nicht mehr vollständig steuern können. Demgegenüber enthält das Urteil an mehreren Stellen Ausführungen, die für eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sprechen. Die von ihm geteilte Einschätzung des Sachverständigen hat das Landgericht damit wiedergegeben, der Angeklagte sei "nicht in der Lage" gewesen, entsprechend seiner rationalen Einsicht zu handeln. Zur Gefährlichkeitsprognose hat es ausgeführt, obwohl der Angeklagte die rationale Einsicht habe, dem Impuls widerstehen zu müssen, und auch erkenne, dass er sich schnell frustrieren lasse, könne er die Handlung "doch nicht verhindern". Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Landgericht festgehalten, es gelinge dem Angeklagten "nicht (immer), entsprechend seiner Einsicht zu handeln".
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2. Der Wegfall der Anlasstat einer (vollendeten) Brandstiftung entzieht der am Maßstab des § 63 Satz 1 StGB ausgerichteten Maßregelanordnung die Grundlage. Eine versuchte Brandstiftung liegt wegen des festgestellten Rücktritts nicht vor. Einer Heranziehung der jedenfalls verwirklichten Sachbeschädigung (§ 303 StGB) als Anlasstat steht entgegen, dass weder ein Strafantrag gestellt noch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht worden ist (§ 303c StGB).
III.
15
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
16
Sollte sich der neue Tatrichter - entsprechend den insofern unbedenklich getroffenen Feststellungen - zwar davon, dass der Angeklagte den Brand in der Waschküche legte, nicht aber von einer teilweisen Zerstörung des Gebäudes überzeugen können, wird bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung einer Sachbeschädigung eine am Maßstab des § 63 Satz 2 StGB ausgerichtete Maßregelanordnung zu prüfen sein. Für die Begutachtung der Schuldfähigkeit und der Gefährlichkeit des Angeklagten wird der neue Tatrichter die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Franke
Roggenbuck
Cierniak
Quentin
Feilcke