19.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142422
Landgericht Oldenburg: Urteil vom 16.09.2013 – 5 O 2544/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Oldenburg
Geschäfts-Nr.:
5 O 2544/12
Verkündet am:
16.09.2013
Gruner, Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes!
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn Y D, 27749 Delmenhorst,
Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Teßmar und Partner, Oldenburger Str. 131, 27753 Delmenhorst,
gegen
Versicherung AG,
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Dr. Göhmann und Partner, Landschaftstr. 6, 30159 Hannover,
wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Datenschutz)
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 02.09.2013 durch den Richter am Landgericht Klattenhoff als Einzelrichter
für R e c h t erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 500,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2011 zu zahlen sowie den Kläger von der außergerichtlichen Gebührenforderung seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2011 freizustellen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Tatbestand
Die Parteien streiten um Folgeansprüche aus einem Verkehrsunfall und dem Regulierungsverhalten der beklagten Versicherung.
Der Kläger wurde mit seinem PKW am 28.04.2011 in einen Verkehrsunfall verwickelt, für dessen Schadensfolgen die Beklagte unstreitig in voller Höhe einzustehen hat. Der beschädigte VW Sharan war am 06.08.2009 erstmalig zugelassen worden und hatte 55829 gefahrene Kilometer aufzuweisen. Der Sachverständige stellte drei unreparierte Altschäden fest. Beim Unfall erlitt das Auto einen Streifschaden an beiden rechten Türen. Der Reparaturaufwand wurde mit 6.119,24 € netto angegeben. Die Beklagte glich den vom Kläger geforderten Schadensersatz mit Ausnahme des merkantilen Minderwerts vollständig aus.
Der Kläger beauftragte am 04.05.2011 den Sachverständigen Sch in Delmenhorst mit der Schadensfeststellung. Nachdem er am 10.05.2011 unter Vorlage des Gutachtens seine Ansprüche bei der Beklagten angemeldet hatte, wurde am 27.05.2011 eine Mitarbeiterin der Fa. Car-expert GmbH beim Kläger vorstellig und bat im Auftrag der Beklagten um eine Nachbesichtigung des Pkws. Nachdem der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Einwände geäußert hatte (Schreiben vom 27.05.2011, Anlage B1) und einen unabhängigen Sachverständigen forderte, erstattete die Fa. Car-expert nach Aktenlage das Gutachten vom 26.05.2011 (Anlage B2). Nunmehr befasste die Beklagte auf den Vorschlag des Kläger-Vertreters hin einen Sachverständigen Ripken aus Wolfenbüttel mit dem Vorgang. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers monierte durch Schreiben vom 08.07.2011, das die Beklagte ohne die Zustimmung des Klägers persönliche Daten weiter gegeben habe.
Die Fa. Car-expert ist für die Beklagte ständig im Wege der Auftragsdatenverarbeitung tätig. Die dazu geschlossene Rahmenvereinbarung ist als Anlage B7 am 22.02.2013 und erneut als Anlage B9 am 11.03.2013 vorgelegt worden. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen.
Der Kläger meint, aufgrund der Beschädigung sei eine Wertminderung des Fahrzeugs im Sinne eines merkantilen Minderwerts in Höhe von 500,- € eingetreten. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Unfallschilderung des Klägers und dessen sonstige persönliche Daten ohne dessen Zustimmung an die Fa. car-expert und den Sachverständigen Ripken weiterzugeben. Er behauptet, die Beklagte habe die Rahmenvereinbarung nicht vollständig vorgelegt. Diese sei auch nicht ordnungsgemäß unterschrieben.
Die ursprünglich vor dem Landgericht Hannover erhobene Klage wurde von dort an das Amtsgericht Delmenhorst und - nachdem der Kläger im Schriftsatz vom 16.08.12 einen weiteren Antrag ankündigte - von dort weiter an das Landgericht Oldenburg verwiesen. Diesen Antrag zu 7. und den ursprünglichen Auskunftsantrag zu 2) haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 500,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2011 zu zahlen sowie den Kläger von der außergerichtlichen Gebührenforderung seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 301,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2011 freizustellen.
2. die Beklagte zu verurteilen, es zukünftig zu unterlassen, die nach Erteilung der Auskunft ermittelten Daten des Klägers ohne dessen vorherige Einwilligung an Dritte, insbesondere andere Sachverständigenorganisationen weiterzugeben und die gespeicherten Daten, auch bei der Fa. car-expert, unwiederbringlich zu löschen.
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ord¬nungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die vereinbarte Auftragsdatenvereinbarung durch die Fa. Car-expert beruhe auf einer wirksamen vertraglichen Grundlage.
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien, den Hinweisbeschluss vom 21.03.2012 sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 19.11.2012, 25.02.2013 und 02.09.2013 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
Der Kläger hat gemäß § 115 Abs. 1 VVG i.V.m. § 249ff, BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiterer 500,- € zum Ausgleich des merkantilen Minderwerts, den sein Fahrzeug durch den Unfall erlitten hat. Das Gericht folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Sch in seinem Gutachtem vom 04.05.2011. Es handelte sich um ein noch eher junges Fahrzeug mit durchschnittlicher Laufleistung. Die vorhandenen Altschäden waren in ihrer Intensität nicht mit den Schäden zu vergleichen, die durch das haftungsauslösende Ereignis verursacht wurden. Die pauschale Ablehnung durch den Sachverständigen R überzeugt daher nicht.
II.
Ein Unterlassungs- und Löschungsanspruch wegen unerlaubter Datenverarbeitung steht dem Kläger hingegen nicht zu.
Die Kammer hat in ihrem Hinweisbeschluss vom 21.03.2013 ausgeführt:
Nach Auffassung des Gerichts ist - unter Berücksichtigung der Version der Rahmenvereinbarung nebst Anlagen zwischen der Beklagten und der Fa. carexpert gemäß Schriftsatz vom 11.03.2013 - die Weitergabe der personenbezogenen Daten des Klägers an die Fa. carexpert im Rahmen einer Auftragsdatenverarbeitung nach § 11 BDSG erfolgt. Nach § 3 Abs. 8 S. 3 BDSG ist die Fa. carexpert daher nicht als Dritte für die Übermittlung der durch die Beklagte erhobenen Daten des Klägers anzusehen, so dass eine unzulässige Datenverarbeitung nach § 3 Abs. 4 Nr. 3 a BDSG durch die Weitergabe der Daten an die Fa. carexpert nicht gegeben ist. Vielmehr bleibt die Beklagte als Auftraggeberin nach § 11 Abs. 1 S 1 BDSG „Herrin der Daten“ und ist sie als solche für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen verantwortlich. Ein Unterlassungsanspruch des Klägers analog § 1004 BGB scheidet daher in Bezug auf die Fa. carexpert mangels Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere des aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG folgenden Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers wegen fehlender unzulässiger Datenweitergabe aus.
Eine Auftragsdatenverarbeitung im Sinne des § 11 BDSG liegt zwischen der Beklagten und der Fa. carexpert in Form der Rahmenvereinbarung von Oktober 2006, die inhaltlich die Erbringung von in Anlage I Punkt 10.2 näher umschriebenen Dienstleistungen vorsieht, vor. Die Vereinbarung ist auch schriftlich getroffen und entspricht damit den Formvorgaben des § 11 Abs. 2 BDSG. Insbesondere sind die im Katalog des § 11 Abs. 2 S 2 BDSG enthaltenen Mindestvorgaben in der Vereinbarung enthalten, vor allem in der Anlage II Punkt 11.4 „Anlage Datenschutz und Datensicherheitsbestimmungen (DuD-B)“. Gegenstand und Dauer des Auftrags sind in den Ziffern 2 und 8 der Rahmenvereinbarung festgelegt, wobei sich aus der Anlage I Ziffer 10.2 eine genaue Beschreibung der von der Fa. carexpert zu erbringenden Dienstleistungen ergibt. Ziffer 2.3 Absatz 4 der Rahmenvereinbarung enthält den Hinweis, dass die zur Bearbeitung notwendigen Daten von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden, deren Verarbeitung durch die Fa. carexpert nach Anlage II § 1 Ziff. 1 nur im Rahmen der Weisungen der Beklagten erfolgen darf - damit ist auch im Sinne des § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 9 BDSG etwas über den Umfang der seitens des Auftraggebers vorbehaltenen Weisungsbefugnisse gesagt, die hier bei der Beklagten vollumfänglich und uneingeschränkt bestehen. Die Art der Daten und der Kreis der Betroffenen ergibt sich dabei zum einen aus dem Zweck der Vereinbarung (Schadensbegutachtung, Kostenkalkulation) und aus § 1 Ziff. 1 der Anlage II Punkt 11.4 („personenbezogene Daten des Auftraggebers“). Die Anforderungen des § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BDSG werden durch § 2 Ziff. 7 der Anlage II erfüllt, korrespondierend mit entsprechenden Kontrollpflichten der Beklagten als Auftraggeberin gemäß § 3 Ziff. Anlage II, die zusammen mit den weiteren in § 2 Ziffer 1 geregelten Kontrollpflichten die Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 BDSG abdecken. Die nach § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 BDSG vorgesehenen Kontrollpflichten der Fa. carexpert als Auftragsnehmerin finden sich in der Regelung des § 2 Ziff. 2 der Anlage II 11.4, die Mitteilungspflichten nach §§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 BDSG im § 2 Ziff. 5 und 6 der gleichen Anlage. Die Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 10 BDSG schließlich haben Berücksichtigung gefunden in § 2 Ziffer 3 der Anlage II Punkt 11.4 der Rahmenvereinbarung.
Entgegen der Auffassung des Klägers beinhaltet die Rahmenvereinbarung dabei auch keine „Funktionsübertragung“ von Aufgaben der Beklagten an die Fa. carexpert, vielmehr ist diese nur ausführender Arm der Beklagten bei der Bearbeitung von Schadensfällen. Die Annahme einer Auftragsdatenverarbeitung nach § 11 BDSG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Auftragnehmer ein über das in der Regel gegebene finanzielle Interesse an der Durchführung des Auftrags hinausgehendes Eigeninteresse hat (s. Gola/Schomerus, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 11. Auflage 2012, § 11, Rn. 7a). Der Bereich der Auftragsdatenverarbeitung wird dann verlassen, wenn dem Service-Unternehmen eine eigenständige „rechtliche Zuständigkeit“ für die Aufgabe, deren Erfüllung die Datenverarbeitung oder die Nutzung dient, zugewiesen wird - dann kann ein Fall einer „Funktionsübertragung“ vorliegen. Insbesondere die Frage, ob ein Outsourcing-Projekt im datenschutzrechtlichen Sinne eine Auftragsdatenverarbeitung oder aber eine - die Datenübermittlung an Dritte implizierende - Funktionsübertragung darstellt, lässt sich nur anhand einer Einzelfallbetrachtung entscheiden, wobei wichtigstes Abgrenzungskriterium die Entscheidungsbefugnis über die Daten und damit die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit ist (vgl. Gola/Schomerus, aaO, § 11, Rn. 9). Voraussetzung für eine Auftragsdatenverarbeitung ist ein weisungsgebundenes, abhängiges Tätigwerden des Auftragnehmers für den Auftraggeber, der weiterhin „Herr der Daten“ bleibt und die wesentlichen Entscheidungen über die betroffenen personenbezogenen Daten, Zweckbestimmung, Umfang der Verarbeitung und Auswahl der eingesetzten Mittel und Systeme selbst treffen muss (Hartung, „Datenschutz und Verschwiegenheit bei Auslagerungen durch Versicherungsunternehmen“, VersR 2012, S. 400). Bei Würdigung der in der Rahmenvereinbarung zwischen der Beklagten und der Fa. carexpert getroffenen Bestimmungen wird deutlich, dass es sich bei der an die Fa. carexpert ausgelagerten Schadensprüfung um eine Hilfs- oder Unterstützungsfunktion f ür die Beklagte handelt. Die Fa. carexpert erbringt ihre Dienstleistungen auf Grundlage der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen und berechnet Schäden im Einzelfall nach - dabei handelt es sich nach hiesiger Auffassung jedoch um eine Hilfsfunktion insoweit, als die Nachberechnung vorbereitend ist für die entscheidende Frage, ob und in welchem Umfang ein Haftpflichtschaden durch die Beklagte reguliert wird - diese Entscheidung fällt jedoch die Beklagte nach wie vor selbst. Dass es sich um eine reine Unterstützungsfunktion handelt, wird auch daraus deutlich, dass nach dem Vortrag der Beklagten keinesfalls in jedem Schadensfall eine Nachberechnung und Überprüfung des geltend gemachten Schadens erfolgt, sondern nur dann, wenn hierzu ein konkreter Anlass besteht. Letzteres war beim Kläger wegen der unstreitig am klägerischen Pkw vorhandenen Vorschäden der Fall.
Bei Annahme einer Auftragsdatenverarbeitung ist die Beklagte als „Herrin der Daten“ auch passiv legitimiert hinsichtlich des nunmehr vom Kläger gestellten Antrags auf Löschung auch der bei der Fa. carexpert gespeicherten Daten des Klägers. Da insoweit selbst die Rahmenvereinbarung in § 2 Ziffer 3 S. 3 der Anlage II Punkt 11.4 eine Löschung der Daten nach Abschluss der Arbeiten durch die Fa. carexpert - alternativ zur einer Datenrückgabe an die Beklagte - vorsieht, dürften Aufbewahrungsfristen einer Löschung insoweit nicht entgegenstehen. Ein rechtlicher Grund für einen Anspruch des Klägers auf Löschung dieser Daten ist jedoch nicht ersichtlich.
Mit der Übermittlung der Daten an Herrn Ripken als unabhängigen Sachverständigen war der Kläger einverstanden.
III.
Aus Verzug kann der Kläger im übrigen Verzinsung des Zahlbetrages und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage eines Streitwerts von 500,- € verlangen.
Die übrigen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 92, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
Klattenhoff