21.04.2006 · IWW-Abrufnummer 061120
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 19.07.2005 – 4 U 35/04
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 U 35/04
Anlage zum Protokoll
vom 19. Juli 2005
Verkündet am 19. Juli 2005
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2005 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers, Richterin am Oberlandesgericht Bourmer-Schwellenbach und Richter am Oberlandesgericht Schlemm
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 5. November 2004 - 15 0 529/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.216,09 ¤ nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.08.2003 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge tragen der Kläger zu 3/5 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/5.
Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung entsprechende Sicherheit leistet.
Gründe:
I.
Wegen der Feststellungen der tatsächlichen Verhältnisse wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen die Parteien ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Ziel auf Zahlung vollen Schadensersatzes weiter.
Er rügt sowohl die Rechtsansicht des Landgerichts zur Frage des Anscheinsbeweises als auch die Beweiswürdigung des Landgerichts.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagten und Berufungsbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 8.514,22 ¤ nebst 5 % Jahreszinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.08.2003 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Sachverständigen P zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 03.06.2005 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem erkannten Umfang begründet.
Die Beklagten sind als Gesamtschuldner gemäß §§ 7, 17 StVG, 3 PflVG, 426 BGB verpflichtet, dem Kläger 2/5 seines unfallbedingten Schadens zu ersetzen, weil der Verkehrsunfall zwischen dem Kläger als Fahrer seines Landrovers und dem Beklagten zu 1) als Fahrer seines PKWs Volvo überwiegend vom Kläger selbst verursacht und verschuldet worden ist.
Bereits der Beweis des ersten Anscheins spricht für alleiniges oder jedenfalls weit überwiegendes Verschulden des Klägers.
Denn dieser hatte sich gemäß § 10 StVO bei der Ausfahrt aus seinem Grundstück so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Mit dieser Formulierung legt das Gesetz demjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt, die Verantwortung für die Gefahrlosigkeit seines Verhaltens im wesentlichen allein auf, so dass der Anschein gegen ihn spricht, wenn es bei diesem Fahrmanöver zu einer Kollision mit einem Verkehrsteilnehmer des fließenden Verkehrs kommt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Auflage, § 10 StVO Rnr. 11).
Ein solcher Fall liegt hier vor, selbst wenn der Kläger entsprechend seiner Darstellung ca. 2 - 3 Minuten in der Position gestanden hat, in der es zu dem Unfall gekommen ist.
Denn der Vorgang des Einfahrens aus einem Grundstück auf eine öffentliche Straße ist erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (Hentschel a. a. O. Rnr. 4 ).
Aufgrund der von den Polizeibeamten festgestellten und dokumentierten unfallbedingten Spuren auf der Fahrbahn hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt, dass das Fahrzeug des Klägers ca. 1.10 m in die nur insgesamt 5,70 m breite L-Straße hineinragte, als es zum Unfall kam, er also die Fahrspur des Beklagten zu 1) fast zur Hälfte blockierte. Der Kläger hatte also mit dem Einfahren auf die L-Straße begonnen und diesen Vorgang nicht beendet. Allein der Umstand, dass er diesen Vorgang für ca. 2 -3 Minuten unterbrochen haben will, um seine Ehefrau, die Zeugin L, einsteigen zu lassen, hat den Einfahrvorgang nicht beendet, sollte ihn auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht beenden. Die Anscheinslage besteht während des gesamten Vorgangs, also auch während kurzfristiger Unterbrechungen, wie sie auch ständig vorkommen z. B. beim Warten auf eine Lücke im fließenden Verkehr. Die kurze Unterbrechung hat auch die Gefährlichkeit des Vorgangs nicht herabgesetzt, sie hat sie im Gegenteil durch eine zeitliche Verlängerung eher erhöht.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der gegen den Kläger sprechende Anschein allerdings insoweit entkräftet, als von einem maßgeblichen Mitverschulden des Beklagten zu 1) auszugehen ist.
Nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen ist aufgrund des Verlaufs der vom Fahrzeug des Klägers stammenden Abriebspur davon auszugehen, dass das Fahrzeug des Klägers im Augenblick der Kollision gestanden hat, ohne dass der Sachverständige Anhaltspunkte dafür hatte, wie lange der Kläger bereits gestanden hat. Selbst wenn er erst unmittelbar vor der Kollision angehalten hätte, könnte ihn dies nicht entlasten, weil dieses Anhalten im letzten Augenblick den Unfall nicht mehr hätte verhindern können. Bei seiner Anhörung hat der Sachverständige allerdings erläutert, dass der Verlauf der Abriebspur nicht anders als tatsächlich vorgefunden ausgesehen hätte, wenn der Kläger mit seinem automatikgetriebenen Fahrzeug langsam mit dem bei derartigen Automatikgetrieben im Stand bei gelösten Bremsen üblichen leichten Vortrieb nach vorne gerollt wäre. Es ist aber nach aller auch vom Sachverständigen be- stätigten Erfahrung ausgeschlossen, dass sich das Fahrzeug des Klägers in einer deutlichen Vorwärtsbewegung befunden haben kann, selbst wenn er das Fahrzeug nicht abgebremst hätte. Denn die Ausfahrt aus seinem Grundstück ist verhältnismäßig steil zur L-Straße ansteigend und der Landrover des Klägers ist ein verhältnismäßig schweres Fahrzeug, so dass der automatische Vortrieb bei gelösten Bremsen aller Wahrscheinlichkeit nach nur dazu geführt hätte, dass das Fahrzeug nicht rückwärts gerollt wäre. Eine gleichwohl möglicherweise denkbare Vorwärtsbewegung kann auch nach den Ausführungen des Sachverständigen nur äußerst geringfügig gewesen sein, so dass sie insbesondere in Verbindung mit der Aussage der Zeugin L nach der Überzeugung des Senats keine für das Unfallgeschehen erhebliche Bedeutung gehabt hat.
Nach der Aussage der Zeugin L ist der Senat auch davon überzeugt, dass das Fahrzeug des Klägers bereits 2 - 3 Minuten vor der Kollision gestanden hat.
Zwar hat die Zeugin als Ehefrau des Klägers ein persönliches und wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Gleichwohl hält der Senat ihre Aussage für glaubhaft.
Sie hat nicht nur das Geschehen vor und nach dem Unfall, sondern auch das Unfallgeschehen selbst derart detailreich und anschaulich beschrieben, dass der Senat davon überzeugt ist, dass sie tatsächlich Erlebtes geschildert hat. Danach muss das Fahrzeug des Klägers schon ca. 2 - 3 Minuten vor dem Unfall in der Unfallposition gestanden haben. Denn diese Zeit hat sie zumindest benötigt, um das Tor wie beschrieben wieder zu schließen. Auch musste der Kläger ein Stück in die L-Straße hineinfahren, damit Platz genug zum Schließen des Tores war.
Wenn die Zeugin hier das Hineinragen des Fahrzeugs in die Straße nur mit ca. 60 - 70 cm, statt wie vom Sachverständigen festgestellt mit 1.10 m angegeben hat, beeinträchtigt das nicht die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage im übrigen.
Wie der Sachverständige festgestellt hat, h ätten 60 - 70 cm ausgereicht, um das Tor schließen zu können, so dass es glaubhaft ist, wenn die Zeugin meint, normalerweise ziehe der Kläger nur diese 60 - 70 cm vor. Sie hatte am Unfalltag auch keinen Anlass, gezielt darauf zu achten, ob der Kläger an diesem Tag das Fahrzeug vielleicht etwas weiter vorgezogen hatte. Zudem stand das Fahrzeug des Klägers schräg gerichtet in der Ausfahrt und zwar dergestalt, dass die Fahrzeugecke vor der Beifahrerseite, also vor ihrer Sitzposition, weniger weit in die Fahrbahn hineinragte. So hat sie auf Vorhalt auch eingeräumt, es könne durchaus möglich sein, dass die Fahrzeugecke vor dem Fahrersitz weiter in die Fahrbahn hineinragt hat.
Es ist auch glaubhaft, wenn die Zeugin bekundet, der Kläger sei während des Torschließens nicht weiter vorgefahren. Denn dafür gibt es keinen vernünftigen Grund, schließlich hat er darauf gewartet, dass die Zeugin noch zu ihm in das Fahrzeug einsteigt.
Nach der anschaulichen Beschreibung der Zeugin ist der Senat auch davon überzeugt, dass sich die Kollision ereignete, während die Zeugin gerade in das Fahrzeug einstieg. Unter diesen Umständen ist es unwahrscheinlich, dass das Fahrzeug sich im Kollisionszeitpunkt nach vorne bewegte.
Insofern kommt es auch nicht mehr auf die Aussage des Zeugen C an, der bestätigt hat, dass an dem Fahrzeug des Klägers die Bremslichter leuchteten.
Bereits nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens in Verbindung mit der Aussage der Zeugin L ist der Senat davon überzeugt, dass das Fahrzeug des Klägers in der Unfallposition bereits 2 - 3 Minuten vor dem Unfall so gut wie fast gestanden hat.
Die Aussage der Zeugin M ist für den Unfallhergang unergiebig, da sie erst durch den Unfall selbst auf das Geschehen aufmerksam geworden ist, also nicht beobachtet hat, wie es zu dem Unfall gekommen ist.
Wenn aber feststeht, dass das Fahrzeug des Klägers bereits 2 - 3 Minuten vor dem Unfall 1.10 m weit in die Fahrbahn des Beklagten zu 1) hineinragend so gut wie gestanden hat, trifft den Beklagten zu 1) trotz seines Vorranges ein Mitverschulden.
Die Fotografien, die der Sachverständige vom Straßenverlauf und den Sichtmöglichkeiten gemacht hat, zeigen, dass der Beklagte zu 1) das Fahrzeug des Klägers deutlich hätte sehen können, selbst wenn die wilden Triebe am Fuß des Straßenbaums, der neben der Grundstücksausfahrt des Klägers steht, noch nicht weggeschnitten waren. Die vom Beklagten zu 1) selbst eingereichten Fotografien zeigen, dass diese Triebe das Fahrzeug des Klägers nicht verdeckt haben können. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Beklagte zu 1) das Fahrzeug des Klägers also bemerken müssen, zumal er wegen der kurz hinter der Grundstücksausfahrt querenden Straße an einem Stop-Schild hätte anhalten müssen und von daher nicht mit hoher Geschwindigkeit gefahren sein kann.
Außerdem war die Straße im Augenblick der Kollision frei, es herrschte keinerlei Gegenverkehr, so dass der Beklagte zu 1) dem Fahrzeug des Klägers auch hätte ausweichen können.
Der Unfall beruht also auch auf der Unaufmerksamkeit des Beklagten zu 1), die daher rühren kann, dass auf dem Rücksitz seines Fahrzeugs seine Ehefrau sich mit seinem Enkelkind beschäftigte, oder auch darauf, dass er sich bereits auf das herannahende Stop-Schild konzentrierte.
Eine Abwägung dieser Unaufmerksamkeit des Beklagten zu 1) einerseits und dem gefahrenträchtigen Ausfahrmanöver des Klägers, der in erster Linie für die Gefahrlosigkeit seines Verhaltens verantwortlich war und das Fahrzeug des Beklagten zu 1) bei gehöriger Aufmerksamkeit für den fließenden Verkehr ebenso hätte bemerken können wie umgekehrt der Beklagte zu 1) das Fahrzeug des Klägers hätte wahrnehmen können, führt nach Ansicht des Senats zu einer Bewertung der unfallursächlichen Beteiligungen im Verhältnis von 2/5 zu 3/5 zugunsten des Beklagten zu 1).
Die Beklagten haben dem Kläger somit 2/5 seines unfallbedingten Schadens zu ersetzen.
Diesen Schaden hat der Kläger mit insgesamt 8.514,22 ¤ beziffert einschließlich der bestrittenen Position des Nutzungsausfallschadens für 28 Tage, obwohl die eigentliche Reparatur seines Fahrzeugs nur 10 Tage gedauert hat.
Der Kläger hat sein Fahrzeug unmittelbar nach dem Unfall zur Reparatur zur Firma Auto A gebracht, bei der er es gekauft hat und die ihre Reparaturen von der Fa. D durchführen ließ. Nach der Aussage des Zeugen D ist das Fahrzeug dort aber erst am 07.07.2003 angekommen. Diese Verzögerung scheint darauf zu beruhen, dass die Firma A kurz darauf insolvent wurde. Dies konnte der Kläger vorher nicht wissen und er durfte sein Fahrzeug auch zu seiner angestammten Vertragswerkstatt bringen, so dass ihm diese anfängliche Verzögerung nicht angelastet werden kann. Da nach der Aussage des Zeugen D im Anschluss an dessen Reparaturarbeiten noch weitere Arbeiten durchzuführen waren, die früher von der Fa. A erledigt wurden und für die schätzungsweise ein Tag hätte ausreichen können (Vermessen, Klimaanlage nachfüllen) hätte sich der Kläger insoweit darum kümmern können und müssen, dass weitere Verzögerungen vermieden worden wären. Der Senat hält es daher für angemessen, den erforderlichen Nutzungsausfall auf 22 Tage zu begrenzen, also auf 1.738,00 ¤ ( 22 x 79 ¤). Dies reduziert die Klageforderung von 8.514,22 ¤ um 474,00 ¤ (6 x 72 ¤) auf 8.040,22 ¤.
Hiervon haben die Beklagten 2/5, also 3.216,09 ¤ zu erstatten und diesen Betrag wegen Verzugs zu verzinsen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert, § 543 ZPO.
Berufungswert: 8.514,22 Euro