04.03.2021 · IWW-Abrufnummer 220918
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 11.02.2020 – 11 U 5/20
Ein Geschädigter verstößt bei der Ermittlung des Restwertes für sein beschädigtes Fahrzeug nicht gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn der beauftragte Sachverständige den Restwert nach den regionalen Markt am Unfallort ermittelt, nachdem der Geschädigte das nicht mehr fahrbereite Unfallfahrzeug dort belassen hat und zur Abwicklung des Schadensfalls auch von dort aus veräußern will. Der Geschädigte ist dann nicht gehalten, das beschädigte Fahrzeug zunächst zu seinem Wohnort zu überführen, um es auf dem dortigen regionalen Markt zu veräußern.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers zu 1) wird das am 8. November 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts
Bielefeld teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger zu 1) 827,73 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 13.01.2018 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung beider Kläger wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten in 1. Instanz tragen der Kläger zu 1) 67 %, die Klägerin zu 2) 15 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 18 %.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 16 % und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) zu 25 %.
Im Übrigen tragen die Kläger ihre außergerichtlichen Kosten 1. Instanz selbst.
Von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Berufungsverfahren tragen der Kläger zu 1) 71 %, die Klägerin zu 2) 16 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 13 %.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 16 %, im Übrigen tragen die Kläger ihre außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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G r ü n d e
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I.
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Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung des Klägers zu 1) ist nur zu einem geringen Teil begründet, die Berufung der Klägerin zu 2) hat keinen Erfolg.
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Dem Kläger zu 1) steht aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.12.2017 gegen 14.30 Uhr im Kreisverkehr auf der F Straße in J, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach haften, ein höherer Schadensersatzanspruch gemäß §§ 7, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG gegen die Beklagten zu, als ihm das Landgericht zuerkannt hat. Mit Recht macht der Kläger zu 1) mit der Berufung geltend, dass bei der Regulierung seines Fahrzeugschadens nur der Restwert in Abzug zu bringen ist, der dem von ihm erzielten Verkaufspreis für das unfallgeschädigte Fahrzeug entspricht (dazu 1.). Eine höhere Nutzungsausfallentschädigung kann er hingegen nicht verlangen (dazu 2.). Die Berufung der Klägerin zu 2), mit der sie ein höheres Schmerzensgeld erstrebt, ist unbegründet (dazu 3.).
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1.
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Der ersatzfähige Fahrzeugschaden des Klägers beträgt 4.695,12 Euro.
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Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass das Fahrzeug des Klägers unfallbedingt einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt und der Wiederbeschaffungswert zum Unfallzeitpunkt inklusive Mehrwertsteuer ausweislich des Schadensgutachtens des Ingenieurbüros Boese vom 20.12.2017 8.400,-- Euro beträgt. Da der Kläger jedoch vorsteuerabzugsberechtigt ist, steht ihm durch den Vorsteuerabzug ein auszugleichender Vorteil zu, weshalb ‒ bei Differenzbesteuerung ‒ lediglich der Nettobetrag von 8.195,12 Euro berücksichtigungsfähig ist, was auch dem Ansatz der Beklagten zu 2) in ihrer Schadensabrechnung vom 04.01.2018 entspricht.
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Von diesem Wiederbeschaffungswert ist als Restwert der vom Kläger zu 1) erzielte Verkaufserlös in Höhe von 3.500,-- Euro in Abzug zu bringen. Das von der Beklagten zu 2) eingeholte und mit Schreiben vom 04.01.2018 übermittelte verbindliche Kaufangebot der Firma Automobile K über einen Betrag von 5.150,-- Euro brutto findet bei der Bestimmung des Restwerts keine Berücksichtigung.
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a) Zwar ist anerkannt, dass die von den Beklagten gemäß § 249 BGB geschuldete Naturalrestitution auch in der Variante der Ersatzbeschaffung dem Gebot der Wirtschaftlichkeit unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1999 zu VI ZR 219/98, Tz. 22, juris). Daher hat der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeugs bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016 zu VI ZR 673/15, Tz. 8, juris).
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Der Geschädigte genügt dem Wirtschaftlichkeitsgebot jedoch im allgemeinen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. den Nachweis wie vor sowie BGH, Urteil vom 13.10.2009 zu VI ZR 318/08, Tz. 9, juris). In diesem Fall ist der Geschädigte nicht gehalten abzuwarten, um den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zu dem Schadensgutachten Stellung zu nehmen und/oder bessere Restwertangebote vorzulegen. Im Rahmen der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB bleibt dem Geschädigten daher regelmäßig nur dann ein Risiko, wenn er den Restwert ohne hinreichende Absicherung durch ein Gutachten realisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu niedrig erweist (vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2009 zu VI ZR 318/08, Tz. 9 m.w.N., juris).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger kein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorzuwerfen.
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b.1) Die Entscheidung des Landgerichts konnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil auch bei dem Ausgangspunkt, dass der Kläger zu 1) schuldhaft versäumt habe, Vergleichsangebote auf dem regionalen Markt einzuholen, kein Grund für die Annahme besteht, dass nunmehr das von der Beklagten zu 2) vorgelegte Restwertangebot der Fa. K für die Bestimmung des Restwertes maßgeblich sei. Am 04.01.2018, als der Kläger das unfallgeschädigte Auto zu dem von dem Sachverständigenbüro D ermittelten Restwert von 3.500,--Euro an die Firma T in J veräußerte, lag ihm das Angebot der Firma K, welches erst am 08.01.2018 bei den von ihm beauftragten Rechtsanwälten einging, nicht vor. Hätten der Kläger oder die für ihn tätigen Rechtsanwälte jedoch am 04.01.2018 erkennen müssen, dass die bisherige Restwertermittlung des Sachverständigenbüros nicht ausreichend war, so wäre es keinesfalls zwingend, dass sich der Kläger nunmehr an die Beklagte zu 2) gewandt und diese um Abgabe eines Restwertangebotes gebeten und/oder den Eingang eines solchen Angebots abgewartet hätte. Vielmehr hätte es ihm freigestanden, das Sachverständigenbüro D oder einen anderen Sachverständigen auf die unzureichende Restwertermittlung hinzuweisen und eine Ermittlung des Restwerts auf dem zutreffenden regionalen Markt einzuholen. Welches Ergebnis diese Recherche ergeben hätte, ist ohne Einholung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens nicht zu bestimmen. Anhaltspunkte dafür, dass das Angebot der Firma K auf dem einschlägigen regionalen Markt repräsentativ war, bestehen nicht; hierzu tragen die Beklagten auch nicht substanziiert vor. Vielmehr ist zumindest nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Angebot der Firma K um ein außergewöhnliches Angebot außerhalb der üblichen Spanne handelt, welches in eine seriöse Ermittlung des Restwerts auf dem regionalen Markt im Raum E/H nicht eingeflossen wäre. Es erscheint dem erkennenden Senat kaum nachvollziehbar, dass sich bei einem Fahrzeug mit einem Reparaturschaden von 11.791,20 Euro (netto) und einem Wiederbeschaffungswert für ein unbeschädigtes gleichartiges Fahrzeug von 8.195,12 Euro (netto) dieses Geschäft bei einem Ankaufspreis von 5.150,-- Euro (brutto) für den Aufkäufer rechnen sollte.
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b.2) Letztlich kommt es auf diese Gesichtspunkte jedoch nicht an, weil der Kläger das Fahrzeug auf einem tatsächlich einschlägigen regionalen Markt veräußert hat und für diesen Markt eine korrekte Restwertermittlung durch das Sachverständigenbüro D im Gutachten vom 20.12.2017 erfolgt ist, indem von diesem mindestens drei Vergleichsangebote eingeholt wurden.
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Der Bundesgerichtshof hat weder in seinen bereits zitierten Entscheidungen noch sonst den Begriff des regionalen Marktes näher definiert. In der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa die Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG Hamm vom 28.09.2019 zu 9 U 137/16, juris) wurde im Falle eines wohnortnahen Unfalles angenommen, dass der regionale Markt auf eine Entfernung von 40 km vom Wohnort des Geschädigten zu begrenzen sei. Für die Annahme, dass der Wohnort oder Geschäftssitz des Geschädigten jedoch auch dann maßgeblich für die Bestimmung des regionalen Marktes ist, wenn sich der Unfall mehr als 150 km hiervon entfernt ereignet, der Geschädigte das Fahrzeug am Unfallort belässt und schließlich auch dort veräußert, besteht kein sachlicher Grund. Die Entscheidung des Klägers, die Abwicklung des Schadensfalls in J vorzunehmen, entsprach vielmehr wirtschaftlicher Vernunft, weil er andernfalls gehalten sein könnte, das verunfallte und nicht mehr fahrtüchtige Fahrzeug auf Kosten der Beklagten an seinen Wohnort oder ‒ was hier aufgrund der zumindest teilweisen geschäftlichen Nutzung des Fahrzeuges ebenfalls in Betracht kommt ‒ zum Sitz seines Vermessungsbüros im Bundesland Brandenburg zu überführen. Für die Annahme, dass ein wohnort- oder geschäftssitznaher Händler bereit wäre, das Fahrzeug ohne entsprechende Berücksichtigung der dadurch entstehenden Kosten bei der Kalkulation des Ankaufspreises am Unfallort abzuholen, fehlt ebenfalls jede Grundlage, vielmehr liegt dies bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise fern.
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Daher erweist sich die Restwertermittlung des Sachverständigenbüros D, welches drei Angebote in J, M und W und damit in einem Umkreis von 20 km um den Unfallort eingeholt hat, als ausreichend. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlung auf diesem Markt unzureichend gewesen sei und der ermittelte Wert zu niedrig liegen würde, sind nicht vorhanden.
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Zieht man mit der Berechnung der Klageschrift den erzielten Restwert von 3.500,‑‑ Euro von dem ersatzfähigen Wiederbeschaffungswert von 8.195,12 Euro ab, verbleibt ein Betrag von 4.695,12 Euro, welcher den Fahrzeugschaden des Klägers darstellt. Abzüglich der bereits regulierten 3.867,39 Euro verbleibt ein Betrag von 827,73 Euro, wegen dem die Berufung begründet ist.
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2.
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Weiteren Nutzungsausfall über diejenigen Beträge hinaus, welche die Beklagte zu 2) bereits vorprozessual reguliert hat, kann der Kläger zu 1) nicht verlangen. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, welcher der Senat beitritt, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
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Nach dem Gutachten des Sachverständigenbüros D vom 20.12.2017 war eine Dauer von 10 bis 14 Tagen für die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges ausreichend. Soweit der Kläger die ihm mögliche Ersatzbeschaffung deshalb nicht vornahm, weil er bei typgleichen Fahrzeugen ein fehlendes Schiebedach, ein fehlendes Navigationsgerät, eine nicht genehme Farbe, abgefahrene Reifen oder das Fehlen einer Anhängerkupplung beanstandete und deshalb Nutzungsausfall für weitere 85 Tage beansprucht, hat er seine Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB in erheblichem Maße verletzt. Es stand dem Kläger frei, eines der zahlreichen angebotenen Ersatzfahrzeuge zu erwerben und fehlende Zubehörteile nachzurüsten bzw. das Fahrzeug umspritzen zu lassen.
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Darüber hinaus scheitert der Anspruch des Klägers auf Ersatz von Nutzungsausfall aber auch deshalb, weil der Kläger nach dem Ergebnis seiner Anhörung durch den Senat keine fühlbare Beeinträchtigung dadurch erlitten hat, dass er das verunfallte Fahrzeug nicht mehr nutzen konnte. Denn der Kläger verfügte ‒ selbst wenn man den in seinem Betrieb vorhandenen Transporter aufgrund der Nutzung durch seine Mitarbeiter nicht berücksichtigt ‒ über einen Zweitwagen XY, dessen Einsatz ihm zumutbar war. Darüber hinaus bestand für ihn die Möglichkeit, den Wagen AB seiner Schwiegermutter zu nutzen, was er in dem Zeitraum bis zur Anschaffung des Ersatzfahrzeuges auch getan hat.
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3.
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Der Klägerin zu 2) steht kein höheres Schmerzensgeld als 800,-- Euro zu, welches das Landgericht ihr unter Anrechnung der vorprozessual gezahlten 500,-- Euro zugesprochen hat.
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Auch insofern nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die von der Berufung angeführten Entscheidungen anderer Gerichte, nach denen bei erlittenen HWS-Distorsionen höhere Schmerzensgeldbeträge als 800,-- Euro zuerkannt wurden, sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da die Verletzungen der dort Geschädigten umfangreicher und schwerwiegender und ihre Beeinträchtigungen erheblicher waren.
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Der Zinsanspruch des Klägers zu 1) folgt aus §§ 280, 286 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorlagen. Insbesondere beinhaltet die Feststellung des im vorliegenden Fall einschlägigen regionalen Marktes für die Bestimmung des Restwertes eine tatrichterliche Würdigung, welche in einem Revisionsverfahren nicht überprüft werden kann.