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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 04.09.2002 – VI 338/2001

    Der Kirchenaustritt in der ehemaligen DDR war streng formalisiert und nur wirksam, wenn die nach den damaligen gesetzlichen Bestimmungen gültigen formellen Voraussetzungen beachtet wurden.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob das beklagte evang.-luth. Kirchensteueramt zu Recht für das Jahr 1998 Kirchensteuer auch gegenüber dem Kläger festgesetzt hat.

    Der am ... 9. 1966 in A. (Sachsen) in der ehemaligen DDR geborene und am ...02.1967 in der evangelischen Kirche zu B (Sachsen) getaufte Kläger ist seit 1. 8. 1991 in C. in Bayern gemeldet und hier - ebenso wie beim zuständigen Finanzamt D. - „ohne Konfession” erfasst. Seit ... 1998 ist er mit der Klägerin, deren Zugehörigkeit zur Evang.-Luth. Kirche unstreitig ist, verheiratet.

    Mit Anschreiben vom 11. 11. 1999 bat das Kirchensteueramt den Kläger um Mithilfe bei der Klärung seiner Konfessionszugehörigkeit. Auf dem ihm zugesandten Fragebogen teilte der Kläger am 23. 11. 1999 mit, dass er evangelisch getauft sei, heute aber keiner Kirche bzw. Religionsgemeinschaft mehr angehöre. Die Fragen nach einem vollzogenen Kirchenaustritt wurden von ihm nicht beantwortet.

    Aufgrund einer Rücklage des Kirchensteueramtes bei der Evang. Kirchengemeinde zu B. , die ergeben hatte, dass ein Kirchenaustritt des Klägers dort nicht angezeigt sei, bat die Behörde den Kläger mit Schreiben vom 11. 9. 2000 erneut um Angabe, wann und wo der Kirchenaustritt erfolgt sei. Im Antwortschreiben vom 4. 11. 2000 führte der Kläger u. a. folgendes aus: „Soweit mir bekannt, hat mich meine Mutter (im Zusammenhang mit Ablehnung von Religionsunterricht und Konfirmation meinerseits) im Zeitraum von ca. 1980 - 1982, nach Rückfrage beim Pfarramt B. bei der zuständigen Gemeinde (vormals Einwohnermeldeamt) kirchlich abgemeldet. Eine Bescheinigung über den Kirchenaustritt liegt mir daher nicht vor.”

    Nachdem das Kirchensteueramt mit Schreiben vom 28. 11. 1999 den Kläger auf die in der ehemaligen DDR gültigen Rechtsvorschriften über einen Kirchenaustritt hingewiesen hatte, setzte es mit Bescheid vom 10. 1. 2001 die Kircheneinkommensteuer 1998 in Höhe von 754,16 DM fest, ausgehend von der Kirchenzugehörigkeit beider Kläger. Zur Begründung des gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruchs schrieb der Kläger am 8. 3. 2001 u. a. wie folgt: „Desgleichen besprach ich nach 1980 mit meinen Eltern, daß ich eine weitere Kirchenzugehörigkeit ablehne. Meine Mutter versicherte mir, entsprechend behördliche Schritte bei der Gemeinde bzw. der Kirche einzuleiten. Es ist mir unbekannt, inwieweit eine Einzelerklärung bezüglich des Kirchenaustritts abgegeben wurde, bzw. ob meine Eltern eine entsprechende Austrittsbescheinigung erhielten.”

    Der Einspruch der Kläger blieb ohne Erfolg. Nach ausführlicher Darlegung der Rechtslage, unter Hinweis und auszugsweiser Zitierung einer Reihe einschlägiger Gerichtsurteile, wurde er vom Kirchensteueramt mit Einspruchsentscheidung vom 20. 11. 2001 (je eine Ausfertigung den Klägern zugestellt am 24. 11. 2001) als unbegründet zurückgewiesen. Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen.

    Mit ihrer Klage vom 21. 12. 2001 wenden sich die Kläger gegen die für sie festgesetzte Kircheneinkommensteuer 1998. Zur Begründung hat ihre Prozessbevollmächtigte im wesentlichen vorgetragen.

    Der Kläger sei nicht kirchensteuerpflichtig. Frau MZ. , die mittlerweile verstorbene Mutter des Klägers, habe für ihren minderjährigen Sohn im Frühjahr 1980 den Austritt aus der Kirche vor dem zuständigen Beamten in B. (Sachsen), in beglaubigter Form, erklärt. Diese Austrittserklärung könne der Vater des Klägers, Herr VZ. , bezeugen.

    Der fehlende Eintrag des Kirchenaustritts des Klägers in den Kirchenbüchern, wovon der Kläger bis zum Jahr 2000 nichts gewusst habe, könne keine Kirchensteuerpflicht begründen. Der Austritt sei formell ordnungsgemäß erklärt worden. Der Verlust der Austrittserklärung bei den zuständigen Behörden dürfe dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. 9. 1983 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1986, 176) könne die rechtliche Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche auch auf andere Weise als durch Urkunden und Bescheinigungen nachgewiesen werden.

    Hinsichtlich der weiteren Ausführungen der Klägervertreterin, insbesondere zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, dem kirchlichen Besteuerungsrecht in der DDR und dem Datenabgleich hinsichtlich der Religionszugehörigkeit zwischen Meldebehörden und Kirchen (in Thüringen), wird auf ihren Klageschriftsatz vom 21. 12. 2001 Bezug genommen. Nachgetragen hat die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 13. 6. 2002, dass der Zeuge VZ. zwischenzeitlich verstorben sei.

    Der Kläger habe beantragt , unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20. 11. 2001 den Kircheneinkommensteuerbescheid 1998 vom 10. 1. 2001 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Kircheneinkommensteuer auf 356,80 DM herabgesetzt wird.

    Das Kirchensteueramt hat die Abweisung der Klage beantragt und - unter Bezugnahme auf seine Einspruchsentscheidung - insbesondere folgendes ausgeführt:

    Der Kirchenaustritt in der ehemaligen DDR sei streng formalisiert gewesen. Er sei seitens der zuständigen Dienststellen nach dessen rechtswirksamem Vollzug stets mit einer schriftlichen, dem Ausgetretenen als Nachweis ausgehändigten Bescheinigung quittiert worden. Weiterhin sei der Kirchenaustritt auch in der DDR dem Taufpfarramt des Ausgetretenen zum Eintrag in die Kirchenbücher übermittelt worden.

    Im Streitfall deute für das beklagte Kirchensteueramt nichts darauf hin, dass der vorgebliche Kirchenaustritt (in welcher Weise auch immer) rechtswirksam vollzogen worden sei. Denn der Austritt sei weder bei kommunalen oder staatlichen Registern aktenkundig noch in den Kirchenbüchern des Taufpfarramts vermerkt. In jedem Fall fehle auch die bei einem rechtsgültigen Kirchenaustritt ausgehändigte behördliche Bescheinigung. Es erscheine auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der DDR äußerst unwahrscheinlich, dass ein Kirchenaustritt rechtswirksam entsprechend den geltenden Vorschriften vollzogen worden sei und sich nirgendwo irgendwelche Spuren desselben finden ließen. Dieser fehlende Nachweis, der auch nicht durch den als Zeugen benannten Vater ersetzt werden könne, gehe zu Lasten des vorgeblich Ausgetretenen. Das von der Klägerseite zitierte Urteil des BFH vom 27. 9. 1983 sei auf die Zeit nach der Wende nicht mehr vollumfassend anwendbar, weil nunmehr keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Möglichkeiten zur Beschaffung von Beweismitteln aus der ehemaligen DDR mehr bestünden. Es könne auf sämtliche Daten der kommunalen, staatlichen und kirchlichen Organisationen bei Bedarf zurückgegriffen werden. Auch der Zugang zu den eigenen Unterlagen und Dokumenten der Bürger sei nicht mehr eingeschränkt, wie dies bei sog. Republikflüchtigen lange Zeit vor der Wende habe hingenommen werden müssen.

    Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung erklärt (§§ 79a Abs. 3, 4 und 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

    Gründe

    I.

    Die zulässige Klage ist nicht begründet. Zu Recht hat das beklagte Kirchensteueramt auch gegenüber dem im Streitjahr kirchensteuerpflichtigen Kläger Kirchensteuer festgesetzt.

    Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist als Körperschaft de öffentlichen Rechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 des Bayerischen Kirchensteuergesetzes - BayKirchStG - berechtigt, von ihren Angehörigen Kirchensteuer zu verlangen. Wer in diesem Sinne Angehöriger einer steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft ist, bestimmt sich aufgrund des in Art. 140 des Grundgesetzes - GG - i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Verfassung - WRV - verankerten Selbstverwaltungsrechts der Kirchen allein nach innerkirchlichem Recht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Januar 1995 I R 89/94, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1995, 475 und vom 6. Oktober 1993 I R 28/93, BStBl II 1994, 253). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 30, 415, Der Betrieb - DB - 1971, 753, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 931) entspricht es dem Gebot staatlicher Neutralität im kirchlichen Bereich, dass nicht der Staat selbst bestimmen kann, wer einer steuerberechtigten Kirche angehört.

    Nach Art. 2 Abs. 2 BayKirchStG bestimmt sich der Eintritt in eine Religionsgemeinschaft nach dem jeweiligen Satzungsrecht dieser Gemeinschaft. Die im Streitfall maßgebende Grundaussage über die Kirchenmitgliedschaft findet sich in Art. 9 der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern - KVerf - und lautet wie folgt:

    (1) Die Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi gründet sich auf die Heilige Taufe.

    (2) Mitglieder der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sind alle getauften evangelischen Christen und Christinnen, die im Kirchengebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben und weder ihre Kirchenmitgliedschaft nach dem geltenden Recht aufgegeben haben noch Mitglied einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft sind. Damit sind sie zugleich Mitglieder einer ihrer Kirchengemeinden.

    Diese in Art. 9 der Kirchenverfassung verankerten Voraussetzungen für die Kirchenmitgliedschaft - die Heilige Taufe (konfessionelle Beziehung) und der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Bereich der Gliedkirche (räumliche Beziehung) - liegen beim Kläger vor. Unstreitig ist er evangelisch getauft und seit 1. 8. 1991 in C. und damit Bereich der Evangl.-Luth. Kirche in Bayern wohnhaft. Entgegen der von Klägerseite vorgetragenen Rechtsansicht war diese durch die Taufe begründete Zugehörigkeit des Klägers zur evang.-luth. Kirche im Zeitpunkt seines Umzugs von Sachsen nach Bayern nicht durch einen wirksamen Austritt aus der Kirche beendet.

    Wie das Kirchensteueramt zutreffend ausgeführt hat, war das Kirchenaustrittsrecht in der ehemaligen DDR streng formalisiert (vgl. hierzu die rechtskräftigen Urteile des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. März 1995 1 K 58/94, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1995, 1115 und vom 8. November 1995 1 K 61/95, EFG 1996, 289, sowie des Finanzgerichts München vom 16. Oktober 1995 13 K 2055/95, EFG 1996, 491). Nach Art. 47 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 (Gesetzblatt der DDR - GBl - 1949, 5) i. V. m. § 1 der Verordnung über den Austritt aus Religionsgemeinschaften öffentlichen Rechts vom 13. Juli 1950 (GBl 1950, 660) hatte derjenige, der aus einer Religionsgemeinschaft austreten wollte, den Austritt bei dem örtlich zuständigen Gericht zu erklären oder dort als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. Gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung waren Standesbeamte ermächtigt, solche Einzelerklärungen öffentlich zu beglaubigen. Nach § 1 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zur vorgenannten Verordnung (über den Austritt aus Religionsgemeinschaften öffentlichen Rechts) vom 20. März 1952 (GBl 1952, 324) hatten die Amtsgerichte das zuständige Pfarramt von der abgegebenen Kirchenaustrittserklärung umgehend zu unterrichten. Seit 1952 waren für die Entgegennahme und Behandlung von Erklärungen über den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft die Staatlichen Notariate zuständig (§ 3 Abs. 1 Nr. 13 der Verordnung über die Übertragung der Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15. Oktober 1952, GBl 1952, 1057). Nach § 68 Satz 3 der Notariatsverfahrensordnung vom 16. November 1956 (GBl 1956, 1288) hatte das Staatliche Notariat dem betreffenden Bürger den Eingang seiner Austrittserklärung zu bestätigen.

    Eine derartige Austrittserklärung hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht abgegeben. Soweit der Kläger in seinen Schreiben an das Kirchensteueramt vom 4. 11. 2000 und 8. 3. 2001 auf die von seiner Mutter für ihn „im Zeitraum von ca. 1980 - 1982” bzw. „nach 1980” abgegebene Erklärung bezüglich des Kirchenaustritts bei der zuständigen Gemeinde bzw. der Kirche verweist, stellt diese angebliche Erklärung keine Austrittserklärung im Sinne der aufgezeigten gesetzlichen Bestimmungen dar, die Frage, ob diese Erklärung tatsächlich abgegeben wurde, kann somit - weil nicht entscheidungserheblich - dahingestellt bleiben. Soweit die Klägervertreterin in ihrem Klageschriftsatz vom 21. 12. 2001 von einer Austrittserklärung „im Frühjahr 1980 ... vor dem Beamten in B. in beglaubigter Form” spricht, sind diese Präzisierungen mangels jeglichen Nachweises und aufgrund der Widersprüchlichkeit zu den eigenen Angaben des Klägers nicht geeignet, einen wirksamen Kirchenaustritt des Klägers zu belegen. Auch wenn sich die Frage einer Zeugeneinvernahme des zwischenzeitlich verstorbenen Vaters des Klägers nicht mehr stellt, teilt das Gericht die Ansicht des Kirchensteueramtes, dass die Zeugeneinvernahme des Vaters - nicht über sein eigenes Tun, sondern über seine Wahrnehmung bezüglich des Tuns seiner Ehefrau („Zeuge vom Hörensagen”) - nicht geeignet erscheint, alle unstreitig fehlenden schriftlichen Nachweise über den Kirchenaustritt zu ersetzen. Die Frage, inwieweit das BFH-Urteil vom 27. September 1983 II R 178/79 (BFH/NV 1986, 176) auch nach der „Wende” noch anwendbar ist, spielt insofern keine Rolle.

    Die bei der Übersiedlung aus der DDR nach Bayern somit bestehende Konfessionszugehörigkeit des Klägers zur Evangl.-Luth. Kirche hat sich nach der damals gültigen Bestimmung des § 8 Abs. 2 EKD-Kirchenmitgliedschaftsgesetz (heute § 8 Kirchenmitgliedschaftsgesetz) automatisch - in Form der Mitgliedschaft in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern - fortgesetzt. Der Angabe des Klägers „ohne Konfession” bzw. „vd” bei der Meldebehörde, auf der Lohnsteuerkarte und den Steuererklärungen für das Finanzamt kommt insofern nur deklaratorisch (rechtserläuternde) und keine konstitutive (rechtsbegründende) Wirkung zu.

    Als Mitglied der Evang.-Luth. Kirche in Bayern war somit auch der Kläger im Streitjahr nach Art. 6 Abs. 1 BayKirchStG kirchensteuerpflichtig. Die Berechnung der festgesetzten Kircheneinkommensteuer 1998 in Höhe von 754,16 DM ist zutreffend. Die Kläger haben insoweit auch keine Einwendungen vorgebracht.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenGG Art. 140