08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 21.02.2001 – 1 K 4885/99
1. Ist in einer Postzustellungsurkunde beurkundet, dass der Steuerbescheid beim zuständigen Postamt niedergelegt wurde und eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt wurde, kann die darin liegende Beweiskraft lediglich dadurch entkräftet werden, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen bzw. einen abweichenden Geschehensablauf darlegen. Die bloße Behauptung, dass eine entsprechende Benachrichtigung nicht im Hausbriefkasten vorgefunden wurde, genügt diesen Anforderungen nicht.
2. Ist davon auszugehen, dass der Steuerbescheid in den Machtbereich des Steuerpflichtigen gelangt ist, reicht eine derartige Begründung auch nicht aus, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
IM NAMEN DES VOLKES
hat der 1. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des … ohne mündliche Verhandlung am 21.2.2001
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin (Klin) ist von Beruf technische Zeichnerin und bezog im Streitjahr 1995 sowohl Einkünfte aus nichtselbständiger als auch aus selbständiger (gewerblicher) Tätigkeit. Mit Schreiben vom 1.12.1995 hatte sie mitgeteilt, dass sie seit 1.5.1995 als Angestellte tätig sei. In der Zeit davor war sie wie in den Vorjahren selbständig tätig (Zeichenbüro). Ihre Wohnung befand sich im Streitjahr in der A-Str. in B.
Nachdem die Klin zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte (Finanzamt -FA-) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 1995 mit Bescheid vom 24.7.1997 auf 9.628 DM fest. Diesem Bescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, lagen geschätzte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 30.000 DM und aus Gewerbebetrieb in Höhe von 20.000 DM zu Grunde. In der Postzustellungsurkunde vom 25.7.1997 ist vermerkt, dass der Postbedienstete bei seinem Zustellversuch niemand angetroffen und deshalb eine Benachrichtigung über die beim Postamt in B vorzunehmende Niederlegung – wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten eingelegt habe. Nachdem die Klin den beim Postamt niedergelegten Bescheid nicht abgeholt hatte, wurde dieser am 27.10.1997 wieder an das FA zurückgesandt.
Dem Einkommensteueränderungsbescheid 1995 vom 8.7.1998 lagen erneut geschätzte Besteuerungsgrundlagen zu Grunde (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit: 35.000 DM, Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 26.000 DM). Hierdurch wurde die Einkommensteuer auf 13.367 DM heraufgesetzt. Auch dieser Bescheid, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, wurde nicht mit normalem Brief, sondern mit Zustellungsurkunde zur Post gegeben. Der Zustellungsversuch in der Wohnung der Klin scheiterte ebenfalls. Wie sich aus der Zustellungsurkunde ergibt, wurde der Bescheid am 9.7.1998 beim Postamt niedergelegt und der Klin eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt. Dieser Bescheid wurde ebenfalls nicht beim Postamt abgeholt. Aus auf dem Umschlag angebrachten Stempelaufdrucken ergibt sich, dass der Bescheid am 10.10.1998 an das FA zurückgesandt wurde und dort am 13.10.1998 einging.
Am 9.11.1998 ging beim FA die Einkommensteuererklärung der Klin ein. Hierin wurden u. a. für die Zeit vom 1.1. – 30.4.1995 Einkünfte aus dem Zeichenbüro in Höhe von ./. 3.154 DM und für die Zeit vom 1.5. – 31.12.1995 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 40.409 DM erklärt. Letzteres entsprach den Angaben in der ebenfalls vorgelegten Lohnsteuerkarte. Die Steuererklärung war wie in den Vorjahren unter Zuhilfenahme des steuerlichen Beraters der Klin (Prozessbevollmächtigter) gefertigt worden. Ebenso hatte die Klin wie in den Vorjahren für die Zeit ihrer selbständigen Tätigkeit Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben.
Daraufhin erließ das FA am 24.11.1998 einen neuen Einkommensteuerbescheid, der nunmehr an den steuerlichen Berater adressiert und mit einfachem Brief bekanntgegeben wurde. In diesem Bescheid wurden zwar die (höheren) Steuerabzugsbeträge angerechnet, die in der Lohnsteuerkarte ausgewiesen sind. Die Festsetzung der Einkommensteuer blieb jedoch unverändert. In den Erläuterungen des Bescheides ist aufgeführt, dass dem Antrag (auf Änderung i. S. der Steuererklärung) nicht stattgegeben werden könne, da die Einspruchsfrist abgelaufen sei.
Wie sich einem Schreiben des steuerlichen Vertreters vom 10.11.1998, mit dem er Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 einlegte und ersatzweise Antrag auf Wiedereinsetzung stellte, entnehmen lässt, wurde ihm vom FA am 27.10.1998 u. a. der Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 per Fax übermittelt. Ferner wurde in diesem Schreiben mitgeteilt, dass die Klin im Jahr 1998 den Arbeitgeber gewechselt habe. Das bisherige Arbeitsverhältnis sei zum 30.8.1998 aufgelöst worden. Freigestellt von der Arbeit sei die Klin jedoch bereits seit 1.5.1998 gewesen. In den Monaten Juli und August 1998 habe die Klin mit Unterbrechungen Urlaub gemacht. Zur Zeit der Niederlegung des Bescheides vom 8.7.1998 habe sie sich nicht in Deutschland aufgehalten (Schreiben vom 8.12.1998). Eine Abholbenachrichtigung sei ihr nicht zugegangen.
Mit Schreiben vom 30.11.1998 erhob der steuerliche Vertreter Einspruch gegen die Ablehnung der beantragten Steueränderung im Bescheid vom 24.11.1998. Mit Schreiben vom 17.1.1999 räumte er die Möglichkeit ein, dass die Benachrichtigung der Post zusammen mit Werbematerial weggeworfen wurde.
Mit der Einspruchsentscheidung (EE) vom 3.11.1999 wurde der Einspruch vom 10.11.1998 als unzulässig abgewiesen und die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt.
Mit der Klage wird vorgetragen, dass das FA rechtswidrig gehandelt habe, als es die Besteuerungsgrundlagen im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 gegenüber dem vorangegangenen Bescheid höher geschätzt habe. Aus den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen habe das FA die zutreffende Höhe der Einkünfte ohne weiteres erkennen können. Rechtliches Gehör sei insoweit nicht gewährt worden. Das FA habe darüber hinaus gegen seine Fürsorgepflicht gegenüber der Klin verstoßen, weil es trotz des Rücklaufs des Steuerbescheides vom 24.7.1997 keinerlei Maßnahmen getroffen habe, um die Bekanntgabe des Bescheides vom 8.7.1998 sicherzustellen. Möglicherweise hätte die nochmalige Übersendung des Bescheides mit einfachem Brief zum Erfolg geführt. Ferner hätte ein einfacher Anruf beim steuerlichen Vertreter dazu geführt, dass rechtzeitig Einspruch eingelegt worden wäre.
Wiedereinsetzung sei zu gewähren, weil die Klin an der Versäumung der Einspruchsfrist kein Verschulden treffe. Mit dem Ergehen des Bescheides vom 8.7.1998 habe sie nicht zu rechnen brauchen. Außerdem habe die Klin nach der Rückkehr von ihrer Reise keine Benachrichtigung über die Niederlegung des Änderungsbescheides in ihrem Briefkasten vorgefunden. Immer wieder komme es vor, dass die Post Briefsendungen falsch zustelle bzw. in den falschen Briefkasten werte. Insbesondere bei Zustellungen in Großstädten sei mit derartigen Vorfällen häufiger zu rechnen. Deshalb sei es eine Unterstellung und gehe an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei, wenn davon ausgegangen werde, dass die Bestätigung der Einlegung der Niederlegungsbenachrichtigung in den Hausbriefkasten in jedem Falle eine korrekte Aussage treffe. In diesem Zusammenhang legte der Prozessbevollmächtigte Unterlagen vor, aus denen sich ergebe, dass ein Schreiben seiner Kanzlei an das Finanzamt B, das am 11.12.2000 abgesandt worden war und das Umsatzsteuervoranmeldungen enthalten habe, am 17.2.2000 mit dem Vermerk wieder zurückgegangen sei, der Empfänger sei unbekannt verzogen.
Im übrigen sei der angefochtene Steuerbescheid nichtig, weil die Besteuerungsgrundlagen wesentlich zu hoch geschätzt worden seien.
Die Klin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 in Gestalt der EE in der Weise zu ändern, dass die in der Einkommensteuererklärung 1995 angegebenen Einkünfte zu Grunde gelegt werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Gründe
II.
Die Klage ist nicht begründet.
1. Das FA hat den Einspruch der Klin gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 zu Recht als unzulässig verworfen.
a) Im Zeitpunkt des Einspruchseinlegung war die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 AO) bereits abgelaufen. Der Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 wurde ausweislich der in den Steuerakten (Bl 15) abgehefteten Postzustellungsurkunde am 9.7.1998 beim zuständigen Postamt niedergelegt. Ferner ist darin durch die Unterschrift des Postbediensteten bestätigt, dass eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung – wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten der Klin eingelegt wurde. Damit gilt der Steuerbescheid am 9.7.1998 als ordnungsgemäß zugestellt (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. 182 ZPO). Die Einspruchsfrist lief am 10.8.1998 ab (§ 108 Abs. 1 und 3 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3 BGB). Der mit Schreiben vom 10.11.1998 (eingegangen beim FA am 16.11.1998) eingelegte Einspruch wurde somit verspätet erhoben.
Die Klin trägt zwar vor, dass sich eine Benachrichtigung über die Niederlegung des angefochtenen Steuerbescheides nicht in ihrem Briefkasten befunden habe und sie deshalb auch keine Kenntnis von der Niederlegung des Bescheides bei der Post habe nehmen können. Dem steht jedoch die Beweiskraft der vom Postbediensteten bestätigten und beurkundeten Einlegung der Benachrichtigung in den Hausbriefkasten der Klin in der A-Str. entgegen. Gem. § 418 Abs. 1 ZPO begründet eine Postzustellungsurkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen.
Ein Gegenbeweis (vgl. § 418 Abs. 2 ZPO) kann nur durch einen Nachweis darüber geführt werden, dass die Benachrichtigung über die Niederlegung nicht in den Briefkasten gelangt ist. Unerheblich ist es deshalb, ob der Steuerpflichtige die Mitteilung über die Niederlegung seinem Briefkasten tatsächlich entnommen oder ob er sie dort tatsächlich vorgefunden hat (vgl. Urteil des BFH vom 2.6.1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170). Zur Führung des Gegenbeweises ist es erforderlich, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen bzw. einen abweichenden Geschehensablauf darlegen. Eine bloße gegenteilige Behauptung reicht dafür ebenso wenig aus wie die Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung (vgl. Beschlüsse des BFH vom 26.2.1992 IX B 88/90, BFH/NV 1992, 755, und vom 27.1.1988 VII B 165/87, BFH/NV 1988, 790).
Der Vortrag der Klin, wonach sie sich zum Zeitpunkt der Niederlegung im Ausland aufgehalten habe und nach ihrer Rückkehr eine Benachrichtigung des Postbediensten in ihrem Briefkasten nicht vorgefunden habe, genügt diesen Anforderungen nicht. Er läßt offen, ob die Benachrichtigung tatsächlich nicht in den Briefkasten gelangte oder ob die Benachrichtigung erst nach dem Einwurf in den Briefkasten abhanden gekommen ist. Durch ein derartiges Vorbringen ist ein Gegenbeweis nicht zu führen (vgl. Urteil des BFH vom 20.2.1992 V R 39/88, BFH/NV 1992, 580). Erforderlich wäre vielmehr, dass der von der beurkundeten Tatsache abweichende Geschehensablauf durch einen entsprechenden Tatsachenvortrag untermauert vorgetragen wird. Dies ist nicht geschehen.
Der mit Schriftsatz vom 28.2.2000 dargestellte Vorgang, wonach eine Postsendung der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten an das Finanzamt B mit dem Vermerk zurückgekommen sei, der Empfänger sei unbekannt verzogen, vermag die in der Zustellungsurkunde ausgewiesene Einlegung in den Briefkasten der Klin nicht zu entkräften. Insoweit handelt es sich nicht um einen Vorgang, der einen Nichtzugang der Benachrichtigung im Briefkasten der Klin nahe legen würde. Auch der Vortrag der Klin, wonach es regelmäßig vorkomme, dass Postsendungen in den falschen Briefkasten geworfen würden, vermag in seiner Allgemeinheit nicht zu bekräftigen, dass es im Streitfall ebenso war. Entgegen der Ansicht der Klin kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass in Großstädten Zweifel an der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache angebracht sind.
Entsprechend den Angaben in der Postzustellungsurkunde geht der Senat deshalb davon aus, dass die Benachrichtigung über die Niederlegung des Steuerbescheides beim Zustellungspostamt in den Hausbriefkasten und damit in den Machtbereich der Klin gelangt ist.
b) Den von der Klin gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FA ebenfalls zu Recht abgelehnt. Gem. § 110 AO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, aus denen sich ergibt, dass der Steuerpflichtige ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. An derartigen Tatsachen fehlt es im Streitfall.
Ist ein Steuerbescheid in den Machtbereich eines Steuerpflichtigen gelangt, ist es grundsätzlich seine Sache, den Posteingang zu kontrollieren und auf den Ablauf der Einspruchsfrist zu achten. Ebenso wie das Verlegen oder Verlieren eines Schriftstücks grundsätzlich nicht entschuldbar ist, begründet ein Übersehen der Mitteilung oder ihre versehentliche Vernichtung keine schuldlose Unkenntnis von der Zustellung. Auch das Vorbringen, den Benachrichtigungsschein im Briefkasten nicht vorgefunden zu haben, reicht allein nicht aus, eine Säumnis der Einspruchsfrist als unverschuldet zu beurteilen (Urteil des BFH vom 13.7.1995 V R 51/94, BFH/NV 1996, 193, und Beschluss des BFH vom 27.1.1988 VII B 165/87, BFH/NV 1988, 790).
Die Klin handelte folglich nicht ohne Verschulden, wenn sie die in ihren Briefkasten eingelegte Benachrichtigung nicht zur Kenntnis nahm oder wenn eine Kenntnisnahme deshalb nicht möglich gewesen sein sollte, weil die Benachrichtigung zwischen das nach dem Auslandsurlaub im Briefkasten vorgefundene Werbematerial gerutscht gewesen sein sollte, wie dies im Schreiben an das FA vom 17.1.1999 angedeutet worden war. Derartige Umstände sind von der Klin zu vertreten. Ein Verschulden kann auch nicht deshalb verneint werden, weil das FA den steuerlichen Vertreter der Klin über die Niederlegung des Steuerbescheides bei der Post hätte informieren müssen. Eine derartige Verpflichtung besteht auch dann nicht, wenn der zuvor ergangene Einkommensteuerbescheid ebenfalls bei der Post niedergelegt und mangels Abholung zurückgesandt worden war. Eine Zustellungsvollmacht war dem Prozessbevollmächtigten wie auch in den Vorjahren nicht erteilt worden. Dies oder eine andere Vorkehrung erscheint jedoch geboten, wenn eine seit Jahren veranlagte Steuerpflichtige Mitte 1998 einen längerfristigen Jahresurlaub antritt und für das Jahr 1995 noch keine Steuererklärung abgegeben und noch keinen Steuerbescheid erhalten hat.
2. Der Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 ist nicht wegen Nichtigkeit i. S. des § 125 AO aufzuheben. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Besonders schwerwiegend ist ein Fehler nur, wenn er den davon betroffenen Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich erscheinen, d. h. mittragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar sein lässt. Aus diesem Grunde ist ein Steuerbescheid nicht schon deshalb nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Frage kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewandt wurden. Ein Steuerbescheid verdient nur dann keine Beachtung und ist deshalb als nichtig anzusehen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (Beschluss des BFH vom 30.11.1987 VIII B 3/87, BStBl II 1988, 183).
Bei Schätzungen sind nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände zu berücksichtigen, die hierfür von Bedeutung sein können. Hierbei ist von einem Sachverhalt auszugehen, der nach Auffassung des Schätzenden der Wirklichkeit möglichst nahe kommt. Schätzungen müssen insgesamt in sich schlüssig und ihre Ergebnisse wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. Urteil des BFH vom 19.1.1993 VIII R 128/84, BStBl II 1993, 594). Hierbei hat es der Steuerpflichtige hinzunehmen, dass die im Wesen einer jeden Schätzung liegende Unsicherheit zu seinen Lasten geht und dass die Finanzbehörde oder das Finanzgericht im Rahmen des einmal als richtig erkannten Schätzungsrahmens je nach Ausmaß der Verletzung steuerlicher Pflichten an die obere Grenze geht (vgl. Urteile des BFH vom 26.4.1983 VIII R 38/82, BStBl II 1983, 618, und vom 9.3.1967 IV 184/63, BStBl lii 1967, 349).
Verlässt die Schätzung den durch die Umstände des Einzelfalles gezogenen oberen Schätzungsrahmen, ist sie damit noch nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern nicht anzunehmen, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen. Die Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids kann allenfalls dann angenommen werden, wenn sich die Finanzbehörde nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt wird oder wenn sich die Schätzung in sonstiger Weise als reine Willkürmaßnahme darstellt (Urteil des BFH vom 1.10.1992, IV R 34/90, BStBl II 1993, 259).
Im Streitfall kann die Nichtigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides vom 8.7.1998 nicht bejaht werden. Im Zeitpunkt der Schätzungen war dem FA mangels vorgelegter Gewinnermittlung nicht bekannt, dass die Klin in den ersten vier Monaten des Streitjahres einen Verlust erzielt hatte. In Anlehnung an die Vorjahresergebnisse war dies auch nicht naheliegend. Die Schätzung eines Gewinns lag demnach noch im Schätzungsrahmen. Ob das FA mit der Höhe des Gewinns (26.000 DM) noch innerhalb des Schätzungsrahmens oder mit der Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit bereits darüber lag, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls geht der Senat davon aus, dass der Schätzungsrahmen nicht in einer Weise überschritten wurde, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen bewusst abweichend von der Höhe des wahrscheinlicherweise erzielten Gewinnes festsetzen wollte. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass die Höhe der geschätzten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit 35.000 DM deutlich unterhalb der tatsächlich erzielten Einkünfte (44.850 DM) lag. Auch die Tatsache, dass das FA den Gewinn der Klin im Einkommensteuerbescheid vom 24.7.1997 zunächst niedriger geschätzt hatte, führt nicht zur Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.