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  • 12.04.2011 · IWW-Abrufnummer 111268

    Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 03.02.2011 – 5 U 171/10

    1. Prämiennachteile, die einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall durch die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen aus einem Kaskoversicherungsvertrag entstehen, sind keine kongruente Schadensposition, auf deren Erstattung die Versicherungsleistung gerichtet ist. Sie nehmen am sog. Quotenvorrecht des versicherten Geschädigten nicht teil.



    2. Vorgerichtlich beim Geschädigten angefallene Anwaltskosten nehmen am Quotenvorrecht nicht teil, wenn sie nur durch Inanspruchnahme des Unfallgegners und nicht der Kaskoversicherung entstanden sind.


    5 U 171/10

    In dem Rechtsstreit

    1. S. S., ...,

    Beklagte zu 1) und Anschlussberufungsbeklagte zu 1),

    2. A. S., ...,

    Beklagter zu 2), Widerkläger, Berufungskläger und Anschlussberufungsbeklagter zu 2),

    3. A. VersicherungsAG in M., ...,

    Beklagte zu 3) und Anschlussberufungsbeklagte zu 3),

    Prozessbevollmächtigte:

    Rechtsanwälte ..., ...,

    gegen

    1. M. T., ...,

    Kläger, Widerbeklagter, Berufungsbeklagter zu 1) und Anschlussberufungskläger,

    2. L. Versicherungsverein a. G. in M., ...,

    Drittwiderbeklagter und Berufungsbeklagter zu 2),

    Prozessbevollmächtigte:

    Anwaltsbüro ..., ...,

    hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Saathoff, den Richter am Oberlandesgericht Becker und den Richter am Landgericht Endler für Recht erkannt:

    Tenor:
    Auf die Berufung des Beklagten zu 2) und Widerklägers wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 28. September 2010, Az. 1 O 184/09, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert:

    Auf die Widerklage werden der Kläger und Widerbeklagte und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 2) und Widerkläger weitere 527,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Dezember 2009 zu zahlen.

    Kosten des Rechtsstreits erster Instanz:

    Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger 29 %, der Kläger und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner weitere 12 %, die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner 53 % und der Beklagte zu 2) weitere 6 %.

    Die außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 2) zu 36 %.

    Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) trägt der Kläger zu 35 %.

    Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) haben der Kläger zu 29 % und der Kläger und der Drittwiderbeklagte zu weiteren 12 % zu tragen. Im Übrigen tragen die Parteien ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.

    Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz:

    Der Kläger trägt die in der Berufungsinstanz angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 3). Von den Kosten des Berufungsverfahrens im Übrigen haben der Kläger 70 %, der Kläger und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner weitere 20 % und der Beklagte zu 2) 10 % zu tragen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Streitwert für die II. Instanz: bis 3.000 €.

    Gründe
    I. Die Parteien streiten um wechselseitige Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall nach einem Überholvorgang.

    Der Kläger befuhr mit seinem PKW Audi A6, amtl. Kennzeichen ..., die Straße O. in R.. Vor ihm fuhr mit langsamer Geschwindigkeit die Beklagte zu 1) mit dem PKW Honda Jazz, amtl. Kennzeichen ..., dessen Halter der Beklagte zu 2) ist und der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist. Wegen einer Sperrung der Straße suchte die Beklagte zu 1) eine Gelegenheit zu wenden. Der Kläger überholte das Fahrzeug der Beklagten zu 1), weil er davon ausging, dass sie am Fahrbahnrand anhalten wollte. In diesem Augenblick bog die Beklagte zu 1) nach links in einen Feldweg ab und kollidierte mit dem Fahrzeug des Klägers. Ob die Beklagte zu 1) zuvor an den rechten Fahrbahnrand gefahren war und den Blinker betätigt hatte, steht zwischen den Parteien in Streit.

    Der Kläger hat seinen Schaden erstinstanzlich auf 5.610,33 € beziffert. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

    Der Beklagte hat erstinstanzlich folgende Schäden geltend gemacht und zum Gegenstand der (Dritt)Widerklage gemacht:

    Reparaturkosten:
    4.252,05 €

    Minderwert:
    300,00 €

    Sachverständigenkosten
    491,57 €

    Drohende Beitragsmehrbelastung in der Vollkaskoversicherung bis zur Rückführung auf die jetzige Prämienhöhe:
    448,73 €

    vorgerichtliche Anwaltskosten
    546,69 €


    Die Reparaturkosten und der Minderwert wurden dem Kläger von seiner Kaskoversicherung unter Abzug eines Selbstbehalts von 300,00 € erstattet. wegen der Einzelheiten wird auf das Abrechnungsschreiben vom 25. Januar 2010 verwiesen (Bl. 93 d.A.).

    Das Landgericht hat der Klage und der (Dritt) Widerklage entsprechend der festgestellten Quote von ein Drittel (Kläger) zu zwei Drittel (Beklagte) in Höhe des jeweils geltend gemachten Schadens - mit geringen Abzügen - statt gegeben. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gründe im angefochtenen Urteil.

    Gegen das Urteil richten sich die Berufung des Beklagten zu 2) und Widerklägers sowie die Anschlussberufung des Klägers.

    Der Beklagte zu 2) und Widerkläger ist der Ansicht, dass das Landgericht der Widerklage insgesamt hätte stattgeben müssen. Zwar sei die ausgeurteilte Haftungsquote zutreffend. Wegen der Grundsätze zum Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers sei ihm aber ein Ersatzanspruch in der vollen Höhe der von ihm geltend gemachten Schäden verblieben.

    Der Beklagte zu 2) und Widerkläger beantragt, unter Abänderung des am 28. September 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Bückeburg, Az.: 1 O 184/09,

    1. die Widerbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 527,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Dezember 2009 zu zahlen,

    2. festzustellen, dass die Widerbeklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, welche aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der A.VersicherungsAG aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 9. Oktober 2009 resultieren,

    3. die Widerbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 364,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. März 2010 zu zahlen.

    Die Widerbeklagten beantragen insoweit,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Mit der Anschlussberufung hat der Kläger und Widerbeklagte zu 1) zunächst den Antrag verfolgt,

    das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 28. September 2010 abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 1.837,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Dezember 2009 zu zahlen.

    Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger und Widerbeklagte zu 1) die Anschlussberufung zurückgenommen.

    Zur Berufung des Beklagten zu 2) und Widerklägers ist er der Ansicht, dass die Grundsätze des Quotenvorrechts auf diesen Fall keine Anwendung fänden, sondern nur das Innenverhältnis des Widerklägers zu seiner Kaskoversicherung beträfen.

    II. Die Berufung des Widerklägers ist zulässig und hat im erkannten Umfang Erfolg.

    1. Die notwendige Beschwer von 600,00 € nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist erreicht. Der Wert des Antrags zu 1) beträgt 527,71 €, der des Antrags zu 2) 239,32 € (80 % des Leistungsinteresses von 299,15 €, also der vom erstinstanzlichen Urteil nichtzuerkannten restlichen zwei Drittel des Prämiennachteils in Höhe von 448,73 €). Dass der Antrag zu 3) in der Sache nur eine Nebenforderung betrifft, ist deswegen unerheblich.

    2. Die Berufung hat in Höhe von 527,71 € Erfolg. sie war im Übrigen zurückzuweisen.

    a) Zu Recht wendet der Widerkläger ein, dass das Landgericht bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs die zu § 86 VVG (§ 67 VVG a.F.) entwickelten Grundsätze des Quotenvorrechts nicht beachtet hat.

    Wird dem Geschädigten der ihm entstandene Schaden von seiner Kaskoversicherung nicht komplett erstattet, und kann der Geschädigte seinerseits vom Schädiger nur einen Teil seines Schadens erstattet verlangen, so verbleibt dem Geschädigten der Ersatzanspruch gegen den Schädiger bis zur vollständigen Deckung seines Schadens. Nur die Restforderung geht auf den Versicherer über (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 13, 28. BGH VersR 1982, 383).

    Allerdings verbleibt die Ersatzforderung beim Geschädigten nur hinsichtlich derjenigen Schadenspositionen, die ihrer Art nach in den Schutzbereich des Versicherungsvertrags fallen (sog. kongruente Schäden), während die verbleibenden Schadenspositionen nur nach der Haftungsquote, hier in Höhe von einem Drittel, zu erstatten sind (zum Ganzen z.B. PrölssMartin, VVG, 28. Aufl., § 86 Rn. 25 m.w.N.).

    b) Danach ergibt sich im vorliegenden Fall folgende Erstattungspflicht:

    (1). Den Reparaturschaden bzw. die Wertminderung in Höhe der Selbstbeteiligung von 300,00 € kann der Widerkläger insgesamt ersetzt verlangen. Ihm stünde ohne Leistung der Kaskoversicherung ein Ersatzanspruch in Höhe von 1/3 x 4.252,05 € = 1.417,35 € zu, also ein Betrag, der über die Summe von 300,00 € hinausgeht. Damit verbleibt ihm eine Forderung in voller Höhe des Abzugs der Versicherungsleistung von 300,00 €. Dass der Widerkläger den zu ersetzenden Schaden auf die Selbstbeteiligung stützt (Bl. 76 d.A.), dürfte einer sprachlichen Ungenauigkeit geschuldet sein. Ersichtlich ist gemeint, dass der Anspruch wegen des Reparatur/Wertminderungsschadens in Höhe der Selbstbeteiligung bei ihm verblieben ist.

    (2). Ebenfalls in voller Höhe ist dem Kläger die weitere Forderung wegen der Sachverständigenkosten in Höhe von 491,57 € verblieben.

    Zwar war ausweislich des Schreibens der A. Versicherungs AG vom 25. Januar 2010 (Bl. 93 d.A.) die Erstattung der Sachverständigenkosten nicht von der Kaskoversicherung gedeckt. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 1982 (VersR 1982, 383) sind die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens Teil des - kongruenten - Sachschadens, weil sie vor allem aufgewendet werden, um das Ausmaß der Beschädigungen des Kraftfahrzeugs zu ermitteln und deren Beseitigung in einer Werkstatt vorzubereiten. Sie dienen daher der Wiederinstandsetzung und damit der Wiederherstellung des früheren Zustands. Somit gelten sie im Verhältnis zum Schädiger als kongruente Schadenspositionen, selbst wenn der Versicherungsnehmer im Innenverhältnis zur Versicherung die Kosten für das Schadensgutachten selbst tragen muss (BGH aaO.).

    (3.) Die geltend gemachten Anwaltsgebühren in Höhe von 546,69 € sind keine kongruente Schadensposition, die in voller Höhe zu erstatten ist.

    Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts gegenüber der Kaskoversicherung noch als notwendiger Aufwand zur Beseitigung des unmittelbaren Sachschadens angesehen werden kann (für eine Erstattung z.B. OLG Karlsruhe, NZV 90, 431). Der Widerkläger hat nicht schlüssig dargelegt, dass die Inanspruchnahme seines Bevollmächtigten zur Bewirkung der Leistung aus der Kaskoversicherung überhaupt erforderlich war. Die vorgelegte Korrespondenz (Bl. 95 ff. d.A.) betrifft lediglich den Drittwiderbeklagten, also die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, dem gegenüber ohnehin nur der verbleibende, von der Kaskoversicherung gerade nicht gedeckte Schaden geltend gemacht werden konnte.

    Das Landgericht hat dem Widerkläger ein Drittel des Betrags einer 1,3 Gebühr nach einem Streitwert von 5.517,35 € zugesprochen, also 182,23 €. Hierdurch ist der Widerkläger nicht beschwert. Die Gewährung einer 1,3 Gebühr in voller Höhe nach der berechtigten Forderung würde inkl. Kostenpauschale und MWSt einen Betrag von 101,15 € ergeben.

    (4). Die Prämiennachteile aus der Hochstufung der Kaskoversicherung sind kein kongruenter Schaden. Sie folgen vielmehr zwangsläufig der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung nach und sind damit nicht Teil der Schadensforderung, die auf den Versicherungsträger übergehen könnte (BGHZ 44, 382). Der Feststellungsausspruch des Landgerichts zur Erstattungspflicht in Höhe von einem Drittel der aus der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung resultierenden Schäden ist zutreffend.

    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO, die Vollstreckbarkeitserklärung aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor.

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 86 Abs. 1 VVG