17.06.2011 · IWW-Abrufnummer 112033
Amtsgericht Gelsenkirchen: Urteil vom 17.06.2011 – 32 C 436/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
32 C 436/10
Verkündet am17.02.2011
Amtsgericht Gelsenkirchen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX
hat das Amtsgericht Gelsenkirchen
auf die mündliche Verhandlung vom 17.02.2011 durch die Richterin am Amtsgericht XXX für Recht erkannt:
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 25.11.2010 bleibt aufrechterhalten.
Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Am 03.05.2010 gegen 11.00 Uhr kam es auf der XXX-straße in Gelsenkirchen auf dem Parkplatz der Firma XXX zu einem Verkehrsunfallgeschehen, an dem der Kläger mit seinem Fahrzeug und die Beklagte zu 2) mit dem zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu1) haftpflichtversicherten Fahrzeug beteiligt waren. Am klägerischen Fahrzeug ist ein Sachschaden entstanden, der Kläger ließ hinsichtlich der Schäden ein Sachverständigengutachten erstellen. Wegen der Einzelheiten wird auf BI. 13 ff. d. A. Bezug genommen. Die Einstandspflicht der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Kläger ist der Auffassung, den gesamten nach dem Gutachten ermittelten Schadensersatz verlangen zu können, eine Verweisung auf günstigere Alternativfachwerkstätten mit günstigeren Stundenverrechnungssätzen sei nicht zulässig. Insbesondere sei eine Erreichbarkeit nicht unproblematisch. Der Kläger bestreiten mit Nichtwissen, dass die durch die Beklagtenseite genannten Referenzbetriebe die Reparatur günstiger und gleichwertig ausführen könten. Hilfsweise bestreitet der Kläger, dass die angeblich günstigeren Reparaturkosten nicht auf Sonderkonditionen mit der Beklagten beruhten.
Nachdem die Klage den Beklagten am 15.09.2010 zugestellt worden war, hat die Beklagte zu 1) auf den geltend gemachten Schadensersatzbetrag insgesamt 2.045,85 € gezahlt, wobei die Beklagte eine Kürzung der reinen Reparaturkosten in Höhe von 293,62 €, im Hinblick auf die Höhe der Stundenverrechnungssätze, der Verbringungskosten und Achsvermessung vorgenommen hat. In Höhe von 2.045,85 € hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Im Termin am 25.11.2010 haben die Beklagten keinen Antrag gestellt.
Durch Versäumnisurteil wurde der Klage stattgegeben und gegen das am 02.12.2010 zugestellte Versäumnisurteil legten die Beklagten mit Schriftsatz vom 16.12.2010, eingegangen beim Amtsgericht Gelsenkirchen per Fax am 16.12.2010, Einspruch ein.
Der Kläger beantragt,
das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 25.11.2010 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagten beantragen,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, hinsichtlich der geltend gemachten Reparaturkosten seien niedrigere Stundenverrechnungssätze in Ansatz zu bringen und verweisen auf günstigere Alternativwerkstätten, die geeignet seien, gleichwertige und fachlich ordnungsgemäße Reparaturarbeiten durchzuführen. Der Verweis auf die Alternativfachwerkstätten sei auch rechtzeitig erfolgt. Ein Gegenangebot diesbezüglich müsse nicht vorgelegt werden. Fiktiv könnten Verbringungskosten nicht geltend gemacht werden, eine Achsvermessung sei nicht erforderlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Reparaturkosten gem. §§ 7, 17 StVG, 1 ff. Pflichtversicherungsgesetz, 115 VVG.
Der Kläger kann auf der Grundlage des von ihm eingeholten Gutachtens vollumfänglich die geltend gemachten Reparaturkosten verlangen. Die Kürzung der Beklagten zu 1) im Hinblick auf günstigere Stundenverrechnungssätze einer Alternativfachwerkstätte war vorliegend nicht rechtens. Der Kläger muss sich in vorliegenden konkreten Sachverhalt nicht auf günstigere Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Abrechnung einer Alternativfachwerkstätte verweisen lassen. Der Kläger hatte die Gleichwertigkeit der Reparatur in den genannten Fachwerkstätten bestritten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliegt dem Schädiger hinsichtlich der Zumutbarkeit und Gleichwertigkeit der Reparatur die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagten sind ihrer Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Die Beklagte hat unter Hinweis auf ihr eigenes Prüfgutachten gemäß Anlage 3 (BI. 57 ff. d.A.) vorgetragen, dass in den Alternativwerkstätten günstigere Stundenverrechnungssätze in Ansatz gebracht werden. Hierbei handelt es sich jedoch nur um die Zusammenfassung der von der Beklagten zu 1) ermittelten Angaben. Ein solcher pauschaler Prüfbericht bzw. Angaben von lediglich günstigeren Kosten genügt nach hiesiger Auffassung nicht im Rahmen der dem Schädiger obliegenden Darlegungslast. Es genügt nach hiesiger Auffassung im Einklang mit der Instanzenrechtsprechung nicht, dass nur in einem derart groben Prüfgutachten der gegnerischen Versicherung günstigere Stundenverrechnungssätze und günstigere Materialkosten von Alternativfachwerkstätten angegeben werden und entsprechend die Positionen aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten herunter gerechnet werden, um sodann einen günstigeren Reparaturkostenaufwand zu ermitteln.
Der Geschädigte muss sich auch bei fiktiver Abrechnung darauf verlassen dürfen, dass mit dem gleichen Stundenaufwand wie zu dem in einer markengebundenen Fachwerkstatt zu günstigeren Stundenverrechnungssätzen in der Alternativfachwerkstätte tatsächlich gearbeitet wird, ohne befürchten zu müssen, dass ggfs. höhere Kosten anfallen, weil z. B. Arbeiten länger dauern oder zusätzlich anfallen. Darüber hinaus ist es auch gerichtsbekannt, dass in Einzelfällen unterschiedliche Reparaturwege und -möglichkeiten denkbar sind. Ob die genannte Alternativwerkstätte tatsächlich den vom Sachverständigen als richtig beurteilten Reparaturweg einschlägt oder ob nicht durch eine Alternativreparatur letztlich nur kostengünstiger - und damit ggfs. auch geringwertiger -gearbeitet wird und dadurch niedrigere Kosten entstehen, was jedoch nicht den Vorgaben des Sachverständigengutachtens entspricht, kann der Geschädigte nur dann wirksam überprüfen, wenn ihm von der günstigeren Alternativwerkstätte ein vergleichbares, unter Zugrundelegung der Vorgaben des Sachverständigen konkretes Vergleichsangebot vorgelegt wird. Nur dann kann der Geschädigte objektiv entscheiden, ob bezüglich der angebotenen Alternativwerkstatt nur die objektiven Kriterien, die von dem Schädiger genannt wurden, generell vorhanden sind, oder ob in seinem konkreten Fall tatsächlich von einem vergleichbaren konkreten und damit zumutbaren und annehmbaren Angebot ausgegangen werden kann (ebenso für die Erforderlichkeit der Vorlage eines konkreten Gegenangebotes im Rahmen der Darlegungslast: AG Wuppertal, 34 C 492/09 vom 08.11.2010, AG Berlin-Mitte vom 18.01.2011, 3 C 3354/10; LG Rostock, Urteil vom 03.06.2009, 1 S 22/09, AG Gelsenkirchen-Buer vom 22.01.2010, 5 C 521/09, AG Frankfurt am Main, 32 C 290/10, Urteil vom 30.07.2010: AG Gelsenkirchen, 32 C 390/10). Nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat, ist eine differenzierte Betrachtungsweise geboten, die sowohl dem Interesse des Geschädigten an einer Totalreparatur als auch dem Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens angemessen Rechnung trägt. Insoweit muss es dem Geschädigten gerade zumutbar sein, die Alternativfachwerkstätte mit dem angebotenen niedrigeren Stundenverrechnungssätzen in Anspruch zu nehmen. Dies setzt aber gerade nicht nur einen etwaigen kostenlosen Hol- und Bringservice und niedrigere Stundenverrechnungssätze voraus, sondern insbesondere gilt zu Gunsten des Geschädigten auch, dass er sich darauf verlassen darf, dass in der Alternativwerkstätte sein Fahrzeug zu den gleichen Bedingungen, wie es in dem vorgelegten Sachverständigengutachten ausgewiesen ist, zu tatsächlich niedrigeren Endkosten repariert wird. Daher muss sich der Geschädigte nicht nur auf allgemeine Ausführungen und grundsätzliche Erwägungen dergestalt verweisen lassen, dass in der Alternativfachwerkstätte grundsätzlich zu einem niedrigeren Preis repariert werden kann, sondern der Geschädigte muss auch darauf vertrauen dürfen, dass in einer angebotenen Alternativfachwerkstätte realistischer Weise zu einem niedrigeren Kostenaufwand das Fahrzeug zu gleichwertigen Bedingungen, wie in dem Sachverständigengutachten dargelegt, repariert werden kann. Insoweit wird auch keine besonders hohe Anforderung an die Darlegungslast des Schädigers gestellt, denn der Schädiger, der auch mit den Alternativfachwerkstätten kommuniziert, um günstigere Stundenverrechnungssätze zu erfragen und abzuklären, ob die Qualitätsstandards, die nach Auffassung des Bundesgerichtshofs erforderlich sind, auch vorliegen, kann mit einem ebenso geringen Aufwand bei einer etwaigen in Betracht kommenden Alternativwerkstätte ein kurzes, aber aussagekräftiges Gegenangebot im Sinne eines Kostenvoranschlags einholen, um dem Geschädigten die Möglichkeit zu geben, die Reparaturwege und den Gesamtarbeitsaufwand und sonstigen Kostenaufwand miteinander zu vergleichen. Denn grundsätzlich kann aufgrund der bestehenden Darlegungs- und Beweislast letztlich nicht der Geschädigte, wenn er aufgrund fiktiver Reparaturkostenbasis seinen Schadengeltend macht, das Risiko tragen, wenn lediglich unter Zugrundelegung günstigere Stundenverrechnungssätze eines allgemeinen Prüfberichts abgerechnet wird, ohne dass ein konkretes Gegenangebot vorliegt, falls bei Reparatur durch die Alternativfachwerkstatte die Kosten, z. B. wegen höheren Arbeitsaufwandes oder höherer Materialkosten, doch erheblich höher sind als der von dem Schädiger gezahlte Betrag oder, falls die Reparatur zwar entsprechend dem gezahlten Betrag, aber nicht entsprechend den Vorgaben des Gutachtens durchgeführt wird. Ein solches Risiko zu Lasten des Geschädigten, der nach dem zivilrechtlichen Schadensbegriff einen Anspruch auf vollständigen Schadensausgleich hat, kann vermieden werden, wenn die benannte und geeignete Alternativfachwerkstätte ein konkretes und prüfbares Gegenangebot vorlegt, um den Geschädigten aufzuzeigen, dass die Reparatur in der angebotenen Fachwerkstätte tatsächlich ein realistisches alternatives Angebot darstellt und damit eine realistisch günstigere Alternative zu der Reparatur durch eine markengebundene Werkstatt ist.
Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Zahlung der fiktiven Verbringungskosten. Es ist gerichtsbekannt, dass in der Markenfachwerkstatt, deren Preise hier zugrundezulegen sind, keine eigenen Lackierarbeiten generell durchgeführt werden. Da sich der Beklagte nicht auf eine Alternativfachwerkstatt verweisen lassen muss aus oben dargelegten Gründen, hat der Kläger auch gem. Gutachten einen Anspruch auf Zahlung der Verbringungskosten.
Ferner hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für eine Radvermessung. Das Bestreiten der Beklagtenseite hierzu ist im Hinblick auf die Vorgaben des Sachverständigen und die Empfehlung des Sachverständigen nicht hinreichend substantiiert. Die Behauptung, in dem Bereich sei kein Schaden entstanden, ist nicht ausreichend, da gerichtsbekannt ist, dass durchaus im Rahmen von Anstößen auch weitere Folgeschäden, die nicht ohne weiteres mit dem Auge ersichtlich sind, vorliegen können. Wenn der Sachverständige daher eine Vermessung empfohlen hat, hätte es den Beklagten oblegen, konkret vorzutragen, warum eine Radvermessung konkret nicht erforderlich sein könnte. Aus diesem Grunde war auch insoweit der Klage stattzugeben.
Soweit der Kläger den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt hat, war diese einseitige Erledigungserklärung als Antrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt ist, auszulegen. Eine solche KIageänderung ist nach freiwilliger Zahlung nach Rechtshängigkeit zulässig. Es liegt auch ein erledigendes Ereignis vor. Ganz offensichtlich war die Klage in Höhe der freiwilligen Zahlung begründet. Zahlung ist erst nach Rechtshängigkeit. erfolgt. Der Anspruch auf FeststelIung, dass in Höhe des gezahlten Betrages der Rechtsstreit erledigt ist, war daher begründet.
Der Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wird im Hinblick auf die nur einseitige Erledigungserklärung auf insgesamt 2.339,47 € festgesetzt.