27.09.2013 · IWW-Abrufnummer 133040
Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 09.09.2013 – 12 U 95/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Koblenz
09.09.2013
12 U 95/12
In dem Rechtsstreit
...
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ...[A]
gegen
...
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollm ächtigte: Rechtsanwälte ...
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wünsch, den Richter am Landgericht Roll und den Richter am Oberlandesgericht Burkowski auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2013
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 04.01.2012 wie folgt abgeändert:
I.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.042,53 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.04.2011 zu zahlen.
Der Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren des Rechtsanwalts ...[A] in Höhe von 130,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.04.2011 freizustellen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Am 09.12.2010 befuhr der Kläger gegen 10.20 Uhr mit seinem VW Transporter die BAB 61 in nördlicher Richtung. Kurz vor der Abfahrt ...[X] überholte er einen Lkw mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h. Auf der Gegenfahrbahn kam ihm zu diesem Zeitpunkt ein Dienstfahrzeug des Beklagten mit aufgesetztem Schneepflug entgegen, das sich im Räum- und Streueinsatz befand.
Die Parteien streiten darüber, ob der VW Transporter des Klägers durch von dem Räumfahrzeug auf die Gegenfahrbahn geschleuderte Schnee- und Eisbrocken beschädigt worden ist und ob eine ordnungsgemäße Räumung der Fahrbahn durch das von dem Beklagten eingesetzte Fahrzeug auch ohne Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich gewesen wäre.
Der Kläger hat beantragt,
1.
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.042,53 € nebst Zinsen in H öhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2.
den Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren des Rechtsanwalts ...[A] in Höhe von 130,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit seinem am 04.01.2012 verkündeten Urteil hat das Landgericht Mainz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass es bei der Räumung der Autobahn mit Hilfe eines Schneepfluges unvermeidlich sei, dass Schnee- und Eisbrocken aufgewirbelt und auf die Gegenfahrbahn geschleudert würden. Ein Verschulden auf Seiten der Mitarbeiter des Beklagten liege nicht vor. Darüber hinaus habe der Kläger gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen, indem er bei unklarer Verkehrslage zum Überholen angesetzt habe.
Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt,
1.
unter Abänderung des am 04.01.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Mainz, Az. 4 O 77/11, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.042,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus zu zahlen,
2.
unter Abänderung des am 04.01.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Mainz, Az. 4 O 77/11, den Beklagten zu verurteilen, ihn von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren des Rechtsanwalts ...[A] in Höhe von 130,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie durch mündliche Anhörung des Sachverständigen und Vernehmung der Zeugin ...[B]. Bezüglich des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 25.02.2013 Bezug genommen. Bezüglich des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19.08.2013 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Urkunden sowie auf das angefochtene Urteil verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers hat vollumfänglich Erfolg.
Der Kläger hat Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 1.042,53 € aus § 7 StVG.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass durch das von dem Beklagten eingesetzte Räumfahrzeug Schnee- und Eisbrocken auf die Gegenfahrbahn der BAB 61 geschleudert worden sind und dort den Pkw des Klägers in dem von diesem behaupteten Umfang beschädigt haben. Weiter ist der Senat davon überzeugt, dass eine ordnungsgemäße Räumung der BAB 61 am Unfalltag auch ohne Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich gewesen wäre, der Unfall also nicht durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG verursacht worden ist. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers bzw. die Betriebsgefahr des von ihm geführten VW Transporters war nicht in Ansatz zu bringen.
Die Zeugin ...[B] hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2013 ausgesagt, der Kläger habe das Räumfahrzeug erst wahrgenommen, als er sich mit seinem VW Transporter bereits in der Höhe des Lkw auf der Überholspur befunden habe. Das Räumfahrzeug habe Eis- und Schnee hochgewirbelt und auf die Gegenfahrbahn geschleudert. Zu diesem Zeitpunkt sei es, wegen des auf der rechten Fahrspur befindlichen Lkw, nicht mehr möglich gewesen auszuweichen. Es habe dann fürchterlich "gerummst" und man habe zuerst gar nichts mehr sehen können. Danach habe man festgestellt, dass der linke Außenspiegel stark beschädigt gewesen sei. Außerdem habe man im Bereich der Stoßstange Löcher und Risse festgestellt. Die Zeugin war sich auch sicher, dass diese Schäden vorher nicht da gewesen seien. Das Auto sei bis dahin top in Ordnung gewesen. Die Zeugin ...[B] hat dem Senat einen glaubwürdigen Eindruck vermittelt. Der Senat hat keinerlei Anlass an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin ...[B] zu zweifeln.
Aufgrund dieser Aussage steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die hier streitgegenständlichen Schäden an dem VW Transporter des Klägers durch von dem Räumfahrzeug des Beklagten hochgeschleuderte Eis- und Schneebrocken verursacht worden sind. Was die Höhe des geltend gemachten Anspruchs angeht, ist der Beklagte dem diesbezüglichen substantiierten Vortrag des Klägers, belegt durch den Kostenvoranschlag der Autolackiererei ...[C] GmbH vom 09.12.2010 (Anlage K2), nicht entgegengetreten. Es waren somit Reparaturkosten in Höhe von 1017,53 € (netto) in Ansatz zu bringen. Unter Hinzurechnung einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € war damit von einem ersatzfähigen Schaden des Klägers in Höhe von insgesamt 1.042,53 € auszugehen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Unfall auch nicht durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG verursacht worden. Unabwendbar ist ein Ereignis nämlich nur dann, wenn es nicht durch äußerste mögliche Sorgfalt abgewendet werden kann (so mit zahlreichen weiteren Nachweisen Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Rn. 22). Von einem unabwendbaren Ereignis könnte somit nur dann ausgegangen werden, wenn eine ordnungsgemäße Räumung der Fahrspur tatsächlich nur unter zwangsläufiger Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich gewesen wäre. Aus den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ...[D] in seinem Gutachten vom 25.02.2013 ergibt sich für den Senat aber zwingend, dass dies nicht der Fall war. So führt der Sachverständige u.a. aus, dass der Abstand zwischen dem äußeren Bereich der Überholspur in Richtung Süden und dem äußeren Bereich der Überholspur in Richtung Norden ca. 5 m betrage. Untersuchungen von Fahrzeugen im Räumvorgang mit angebautem Schneepflug hätten ergeben, dass durch die Fahrtgeschwindigkeit des Räumfahrzeuges die Abwurfweite und somit auch der Ausdehnungsbereich der vom Pflug aufgenommenen Schneemassen beeinflusst würde. Vom jeweiligen Fahrzeugführer des Räumfahrzeuges könne über die Fahrzeugverglasung die vom Pflug aufgenommene und nach links abgewiesene Schneemasse (Wurfweite) eingesehen werden. Bei übermäßiger bzw. gefahrträchtiger Ausdehnung der Wurfweiten der vom Pflug aufgenommenen Schneemassen könne der Fahrer diese begrenzen, indem von ihm die eingehaltene Geschwindigkeit entsprechend reduziert würde. Weiter sei festgestellt worden, dass bei einer vom Räumfahrzeug eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 30 bis 35 km/h eine Schneewurfweite, bezogen auf den äußeren Schneepflugbereich, von 2,5 m feststellbar gewesen sei. Bei Steigerung der Fahrgeschwindigkeit des Räumfahrzeuges auf einen Geschwindigkeitsbereich oberhalb 40 bzw. 45 km/h seien Schneewurfweiten bezogen auf die Längsachse des Fahrzeuges, von ca. 5 m feststellbar gewesen. Zusammenfassend hält der Sachverständige fest, dass davon auszugehen sei, dass mit dem bei dem Vorfall eingesetzten Räumfahrzeug die Räumung der Überholspur mit nach links eingestelltem Schneepflug bei entsprechender Fahrgeschwindigkeit nicht zwingend dazu hätte führen müssen, dass die Eis- und Schneemassen bis auf die Gegenfahrspur gelangen.
Der Sachverständige hat überzeugend dargestellt, wie er zu diesem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist. Der Senat hat keinerlei Anlass, an der Richtigkeit dieser überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2013 die von ihm in seinem Gutachten gefundenen Ergebnisse auch eindrucksvoll bestätigt. Insbesondere hat er noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass bei der Räumung BAB 61 am Unfalltag mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 bis 40 km/h hätte vermieden werden können, dass Schnee und Eis auf die Gegenfahrbahn geraten wären. Der Senat schließt sich auch diesen Ausführungen des Sachverständigen vollumfänglich an.
Somit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass vorliegend nicht von einer Unfallverursachung durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG ausgegangen werden kann. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ...[D] ergibt sich vielmehr, dass bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, in Form der Räumung der BAB 61 mit einer Geschwindigkeit von lediglich 30 bis 40 km/h hätte vermieden werden können, dass Schnee- und Eismassen auf die Gegenfahrbahn geschleudert wurden.
Die Haftung des Beklagten gemäß § 7 StVG ist somit gegeben.
Entgegen der Auffassung des Beklagten konnte auch nicht von einem anspruchsmindernden Mitverschulden des Klägers beim Zustandekommen des Unfalles ausgegangen werden. Insbesondere lag auf Seiten des Klägers eine unklare Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO, die ein Überholen zum gegebenen Zeitpunkt unzulässig gemacht hätte, nicht vor. Unklar ist eine Verkehrslage dann, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf (so u.a. OLG Koblenz in NZV 2005, 413 [OLG Koblenz 26.01.2004 - 12 U 1439/02]). Dem Senat ist es nicht ersichtlich und solches ist auch von Beklagtenseite nicht substantiiert dargetan worden, aus welchem Grund es dem Kläger zum fraglichen Zeitpunkt verwehrt gewesen sein soll, den Lkw zu überholen. Zum Unfallzeitpunkt herrschte keine Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse. Die von dem Kläger in Anspruch genommene Überholspur war bereits von Eis und Schnee befreit. Auch sonst war ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers hier nicht in Ansatz zu bringen. Aus der oben wiedergegebenen glaubhaften Aussage der Zeugin ...[B] ergibt sich, dass das Räumfahrzeug für den Kläger erst sichtbar war, als sich dieser bereits auf der Überholspur in Höhe des Lkw befand und dieser somit keinerlei Möglichkeit mehr hatte, den hochgeschleuderten Eis- und Schneebrocken auszuweichen.
Der Unfall stellte aus den oben aufgezeigten Gründen für den Kläger ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG dar. Jedenfalls tritt die Betriebsgefahr des von ihm geführten VW Transporters im Hinblick darauf, dass das Räumfahrzeug den Unfall vermeiden konnte, zurück.
Der Kläger hat außerdem Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 130,50 €.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Die in § 543 Abs. 2 ZPO genannten Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.042,53 € festgesetzt.