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  • · Fachbeitrag · Restwert

    Profi-Restwertentscheidung des BGH: Voller WBW gegen Übernahme des Unfallfahrzeugs?

    | Die Entscheidung des BGH zur Restwertermittlung bei Fahrzeugen, die solchen Geschädigten gehören, die typischerweise nicht von einer klassischen Inzahlunggabe Gebrauch machen (siehe UE 9/2019, Seite 7 ), hat insbesondere unter Schadengutachtern Wellen geschlagen. Mehrfach wurden wir auf die darin enthaltene Passage zur Restwertbehandlung insgesamt angesprochen, die da lautet: |

     

    „Der Schädigerseite bleibt es im Übrigen, worauf der Senat bereits hingewiesen hat (Senatsurteil vom 27. September 2016 ‒ VI ZR 673/15, NJW 2017, 953 Rn. 12), unbenommen, im Rahmen einer möglichst frühzeitigen Kontaktaufnahme etwa durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt ...“ (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470, Rz. 14).

    Voller WBW gegen Übernahme des Unfallfahrzeugs

    Nun wird gerätselt, was der BGH den Versicherern damit sagen möchte. Das ist recht einfach zu entschlüsseln.

     

    Die Soft-Variante würde lauten: „Lieber Geschädigter, wir zahlen Ihnen den ungekürzten Wiederbeschaffungswert aus, wenn Sie uns im Gegenzug den Restwert für die Verwertung überlassen.“ Und sollte das nicht ausreichen, kann noch eine Schippe aufgelegt werden: „Lieber Geschädigter, wir zahlen Ihnen den ungekürzten Wiederbeschaffungswert plus einen Zuschlag darauf aus, wenn Sie uns im Gegenzug den Restwert für die Verwertung überlassen.“

     

    Das ist so simpel, dass man sich fragt, warum Versicherer das nicht längst so machen. Insbesondere die etwas hilfloseren Geschädigten wären vielleicht sogar froh, wenn sie mit dem kaputten Fahrzeug nichts mehr zu tun hätten.

     

    Die wesentliche Hürde in Bezug auf den Geschädigten

    Zunächst einmal würde das voraussetzen, dass der Geschädigte über das beschädigte Fahrzeug verfügen kann. Bei den Privaten könnten also überhaupt nur diejenigen angesprochen sein, denen das Fahrzeug uneingeschränkt gehört. Denn bei einem Sicherungseigentum einer finanzierenden Bank ist der Geschädigte nicht kurzfristig handlungsfähig. Bei den Fahrzeugen der Privaten ist der finanzielle Hebel groß, denn es geht um die Marge zwischen dem örtlichen Markt und dem Spezialistenmarkt.

     

    Bei Leasingfahrzeugen ist ‒ der typischen Lastenverteilung im Leasingvertrag folgend ‒ auf den Leasinggeber abzustellen. Der ist Eigentümer des Fahrzeugs und könnte auf das Ansinnen positiv reagieren. Da allerdings ist der Hebel nicht mehr so groß, denn das sind durch die aktuelle BGH-Rechtsprechung ohnehin in Zukunft wohl Restwertbörsenfälle.

     

    Das entspräche sogar dem Grundgedanken des Schadenersatzrechts

    Schadenrechtlich zulässig wäre ein solches Verfahren. Denn nach dem Grundgedanken des § 249 Abs. 1 BGB soll ja der Schädiger den Schaden eigenhändig beseitigen. Allerdings darf der Geschädigte das dankend ablehnen und die Schadenbeseitigung selbst in die Hand nehmen, bestimmt § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Denn er soll nicht gezwungen sein, den Schädiger in die Schadenbeseitigungsmaßnahmen einzubeziehen, weil der ja seine ganz eigenen Interessen verfolgt.

     

    Der Versicherer kann eine solche Maßnahme also nicht erzwingen. Das bestätigt der BGH, wenn er darauf abzielt, „durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt.“

    Welcher Spieler auf dem Spielfeld hat welche Interessen?

    Der Streit um den Restwert wird unübersehbar auch von den Interessen sonstiger Beteiligter geprägt.

     

    Für Anwälte gilt: Je niedriger der Restwert, desto höher der Entschädigungsbetrag, der die Grundlage für den Gegenstandswert und damit die Gebührenhöhe bildet. Wenn der WBW ungekürzt ausgezahlt würde, wäre das der Idealfall: Mehr Gebühren bei völlig wegfallendem Streit um den Restwert. Allerdings entfiele dann auch die Ertragschance aus Prozessen um den Restwert.

     

    Für die Schadengutachter ist die Restwertbestimmung ein ‒ mit der aktuellen Entscheidung des BGH zunehmendes ‒ Regressrisiko. Das entfiele völlig. Andererseits ist die Restwertermittlung auch ein Baustein der Honorarrechnung.

     

    Für das Autohaus oder die Werkstatt ist das verunfallte Fahrzeug völlig legitim ein beliebtes Objekt für eine Ertragschance, die sich aus der Handelsspanne zwischen dem örtlichen Markt und dem Spezialistenmarkt ergibt. Für den Fahrzeughandel wäre eine solche Verfahrensweise „WBW gegen Fahrzeug“ weit überwiegend von Nachteil.

    Versicherungsaufsichtsrechtliche Hindernisse

    Auf dem Gebiet des Versicherungsaufsichtsrechts sind wir bei der UE keine Spezialisten. Doch ist es wohl so, dass ein solcher Fahrzeughandel für den Versicherer ein versicherungsfremdes und damit aufsichtsrechtlich brisantes Geschäftsfeld wäre. Zwar gibt es das bei gestohlenen und nach Ablauf eines Monats wiedergefundenen Fahrzeugen, die in das Eigentum des Teilkaskoversicherers übergehen, auch. Doch das ist nur eine Nische.

     

    Nur, wenn der Versicherer einen Dienstleister fände, der das alles für ihn erledigte, wäre das ‒ und das ist keine neue Erkenntnis ‒ ein gangbarer Weg. Vermutlich gibt es da aber eine Abwägung: Solange sich viele Geschädigte von den Behauptungen der Versicherer, sie dürften ohne Rücksprache mit dem Versicherer nicht verkaufen, beeindrucken lassen und nur wenige Geschädigte Gegenwehr leisten wollen, lohnt der organisatorische Aufwand nicht.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 9 | ID 46138900