· Fachbeitrag · Schadenabwicklung
Vollkaskoversicherung zur Vorfinanzierung
| Gründe gibt es viele, warum der Geschädigte in die Situation kommen kann, die Reparaturkosten vorzufinanzieren. Ist er dazu nicht in der Lage, steigt täglich der Ausfallschaden. Da kommt die Vollkaskoversicherung ins Blickfeld, um Liquidität zu schaffen. Aber dadurch entstehen dem Geschädigten auch Nachteile. Erfahren Sie nachfolgend, was für und was gegen die Inanspruchnahme der Kaskoversicherung spricht und unter welchen Voraussetzungen sie tatsächlich genutzt werden kann. |
Gründe für eine Vorfinanzierung
Wie gesagt, Gründe für eine Vorfinanzierung gibt es viele. Regelmäßig beginnt es damit, dass der Haftpflichtversicherer noch nicht zahlt, zum Beispiel, weil er die Ermittlungsakte noch nicht einsehen konnte. Hinzu kommt:
- Der Kunde kann aus eigener Kraft den Schaden nicht vorfinanzieren.
- Eine Kreditaufnahme ist entweder nicht gewünscht oder wegen Erreichen des Limits nicht möglich.
- Die Werkstatt ist nicht mehr bereit, länger auf das Geld zu warten.
- Die Werkstatt gibt das Fahrzeug ohne Geld nicht heraus.
Jedenfalls keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Kasko
Sicher ist: Keinesfalls ist der Geschädigte verpflichtet, auf seine Vollkaskoversicherung auszuweichen, um einen hohen Ausfallschaden zu vermeiden (OLG Dresden, Urteil vom 4.5.2012, Az. 1 U 1797/11, Abruf-Nr. 121908; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2007, Az. I-1 U 52/07, Abruf-Nr. 073123; OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.05.2011, Az. I-1 U 220/10, Abruf-Nr. 112855; OLG Schleswig, Urteil vom 30.8.2012, Az. 7 U 146/11, Abruf-Nr. 132194; LG Görlitz, Urteil vom 10.5.2012, Az. 2 S 133/11, Abruf-Nr. 130522).
Das AG Halle/Saale ist sogar der lebensnahen Auffassung, eine frühzeitige Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung könnte den eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer dazu verführen, Regulierung zu verzögern (AG Halle/Saale, Urteil vom 24.5.2012, Az. 93 C 3280/11; Abruf-Nr. 122122).
Vorsicht: Inanspruchnahme der Kasko ist ein Zähler im HIS
Gegen eine freiwillige Inanspruchnahme der Kaskoversicherung spricht: Die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung wird im Hinweis- und Informationssystem der Versicherer (HIS; „Versicherer-Schufa“) eingetragen. Mehrfache Inanspruchnahme von Sachversicherungen in definierten Zeiträumen bringt den Versicherungsnehmer in diffusen Verdacht. Jedenfalls verschlechtert das dessen Chancen, auch in Zukunft noch günstigen Versicherungsschutz kaufen zu können. Somit ist jede vermiedene Inanspruchnahme eigener Versicherungen ein guter Selbstschutz.
Dennoch: Das Liquiditätsproblem muss gelöst werden
Trotzdem kann die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung die einzig sinnvolle Lösung sein, wenn die Werkstatt berechtigterweise Geld sehen möchte, der Versicherer aber nicht spurt.
Warnpflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB beachten
Im Ergebnis verteuert die fehlende eigene Zahlungsfähigkeit des Geschädigten den Schaden für den eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer. Deshalb muss der Geschädigte den Versicherer zwingend nach § 254 Abs. 2 BGB warnen. Nun mag man einwenden, eine Verzinsung oder der weiterlaufende Ausfallschaden verteuere die Sache ja auch, und das gleiche sich aus. Doch auch wegen der Verzinsung oder des Ausfallschadens muss gewarnt werden.
PRAXISHINWEIS | Kann der Kunde nicht selbst zahlen, ist unter jedem denkbaren Aspekt der Haftpflichtversicherer darüber in Kenntnis zu setzen, wenn sich daraus erhöhte Forderungen ergeben. Im konkreten Fall muss die Warnung lauten, dass der Geschädigte die Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen und die Nachteile auszugleichen fordern wird, wenn nicht bis zum ... ein Ausgleich des Schadens erfolgt. |
Haftpflichtversicherer muss die Nachteile ausgleichen
Unter zwei Voraussetzungen muss der eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer die Nachteile, die sich aus der Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung ergeben, erstatten: Er muss gewarnt gewesen sein und er muss einen Anlass zu diesem Schritt gegeben haben. Käme man auf die Idee, generell erst mit der Vollkaskoversicherung abzurechnen, um stets schnelle Liquidität zu schaffen, wäre die zweite Voraussetzung nicht gegeben.
Wenn der Versicherer aber nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist - manche Gerichte gestehen ihm bis zu sechs Wochen zu, das sollte man also als Wartezeitraum veranschlagen - noch nicht reguliert oder die Regulierung zugesagt und wenn er auf die Frist aus der Warnung auch nicht reagiert hat, ist der Zeitpunkt gekommen, wo der Umweg über die Kasko möglich ist.
Wichtig | Den Rückstufungsschaden und die Selbstbeteiligung (SB) muss der Haftpflichtversicherer dann ebenso ausgleichen wie alle anderen offenen Positionen, insbesondere auch die Gutachterkosten.
Regress im Innenverhältnis
Soweit der Kaskoversicherer gezahlt hat, gehen die Ansprüche des Geschädigten auf den Kaskoversicherer über. Der holt sich nun also die Reparaturkosten (minus SB) vom Haftpflichtversicherer zurück. Für den Kaskoversicherer ist das am Ende eine Nullnummer bezüglich des Schadens und ein minimales Zusatzgeschäft bezüglich der im nächsten Jahr höheren Prämie.
Deshalb kann er sich gegen seine Inanspruchnahme auch nicht wehren mit dem Argument, das sei doch ein Haftpflichtschaden. Er muss in die Regulierung einsteigen.