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27.09.2011 · IWW-Abrufnummer 112792

Oberlandesgericht Bremen: Beschluss vom 27.06.2011 – 2 U 21/11

1. Auch EDV-Softwareprogramme können zu den in § 86a Abs. 1 HGB aufgeführten Unterlagen zählen. Die dortige Aufzählung ist nicht abschließend.



2. Für die Frage der Erforderlichkeit i.S.d. des § 86a Abs. 1 HGB ist auf die Aufgabe des Handelsvertreters und Branchenüblichkeit abzustellen. Es kommt nicht auf den Umfang des Einsatzes durch den Handelsvertreter sondern u.a. darauf an, wie lang die Unterlagen ihm bereits zur Verfügung standen und ob auch die anderen Außendienstmitarbeiter über sie verfügen.


2 U 21/11
In dem Rechtsstreit
[...]
Verfügungskläger und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte [...]
gegen
[...]
Verfügungsbeklagte und Berufungsklägerin
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte [...]
hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch die Richter Blum und Dr. Schnelle sowie die Richterin Witt am 27. Juni 2011 beschlossen:
Tenor:
1. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Der Streitwert für die Berufung wird auf € 10.000,00 festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verfügungskläger (Kläger) war bei der Verfügungsbeklagten (Beklagten) als Handelsvertreter tätig. Seit dem 07.12.2010 sperrte die Beklagte dem Kläger den Zugriff auf die ihm wie auch anderen Außendienstmitarbeitern seit 2001 zur Verfügung gestellte Kundenverwaltungssoftware "M.". Mit Beschluss vom 4. Januar.2011 hat das Landgericht Bremen - 2. Kammer für Handelssachen - der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung antragsgemäß aufgegeben, dem Kläger Zugang zur EDV per VPN-Verbindung zu gewähren. Die Beklagte hat Widerspruch eingelegt, worauf das Landgericht mit Urteil vom 20. Januar 2011 die einstweilige Verfügung vom 04.01.2011 bestätigt hat. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zugang zur EDV der Beklagten aus § 86a Abs. 1 HGB zu.
Gegen dieses Urteil hat sich die rechtzeitig eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten gerichtet. Sie hat die Notwendigkeit der Softwareunterlagen bestritten und im Übrigen behauptet, das Verfügungsverfahren habe dem Kläger nur als Mittel zum Zweck gedient, sich von der Beklagten abzukehren. Das Vorgehen des Klägers sei daher rechtsmissbräuchlich.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.01.2011 hat der Kläger das Handelsvertreterverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß, gekündigt. Die Beklagte hat der fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 24.02.2011 widersprochen und gleichzeitig ebenfalls das Handelsvertreterverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß, gekündigt. Beide Parteien gehen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass ihr Vertragsverhältnis beendet ist.
Mit Schriftsatz vom 26.05.2011 hat der Kläger daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Erklärung hat sich die Beklagte angeschlossen. Beide Parteien stellen wechselseitige Kostenanträge.
II.
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss zu entscheiden (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dies führt dazu, dass die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen sind.
Die Beklagte hätte den Rechtsstreit ohne das erledigende Ereignis - die beidseitige Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses - aller Voraussicht nach auch im Berufungsrechtszuge verloren und hätte damit nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten beider Instanzen tragen müssen.
Zu Recht hat das Landgericht dem Anspruch des Klägers die Vorschrift des § 86a Abs. 1 HGB zugrunde gelegt, wonach der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen muss. Das EDV-Programm "M." gehört zu solchen Unterlagen (vgl. OLG Köln VersR 2006, 407). Die Aufzählung in § 86a Abs. 1 HGB ist nicht abschließend.
Was für die Tätigkeit des Handelsvertreters i.S.d. § 86a Abs. 1 HGB "erforderlich" ist, ist eine Frage des Einzelfalls, richtet sich nach der Aufgabe des Handelsvertreters und der Branchenüblichkeit (Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., Rn. 5 zu § 86a). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger das EDV-Programm seit 2001, also viele Jahre, zur Verfügung gestanden hatte; die Jahre davor hatte er von der Beklagten eine Vorgängersoftware erhalten. Weiter ist der Umstand von Bedeutung, dass auch die anderen Außendienstmitarbeiter über das Programm "M." verfügten. Das alles weist bereits darauf hin, dass die hier in Rede stehende Software zu der notwendigen Ausstattung gehörte. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er die Software benötigte, u.a. um Angebote zu schreiben und sich Zugang zu Preisübersichten zu verschaffen. Mithin war die Software für seine Tätigkeit erforderlich; zumindest führte ihr Fehlen zu einer Erschwernis seiner Tätigkeit. Auf den tatsächlichen Umfang ihres Einsatzes durch den Kläger, der wie die Beklagte behauptet, nur "sporadisch" erfolgt sei, kommt es demgegenüber nicht an.
Umstände, die es dem Kläger nach Treu und Glauben verwehren könnten, sich auf seine Rechte aus § 86a HGB zu berufen, hat die Beklagte nicht hinreichend konkret dargetan. Insbesondere können sie nicht aus der Tatsache gefolgert werden, dass der Kläger am 20.01.2011 das Handelsvertreterverhältnis fristlos kündigte. Das Schreiben vom 20.01.2011 stützt sich nicht nur auf die Nichtgewährung der EDV-Software, sondern führt darüber hinaus noch verschiedene andere Kündigungsgründe auf, die - ohne dass diesen im Einzelnen nachzugehen war - jedenfalls auch für sich allein genommen Gründe für eine fristlose Kündigung durch den Handelsvertreter liefern könnten. Bei diesen Gegebenheiten besteht daher kein hinreichender Anhaltspunkt für die Annahme, der Kläger hätte etwa das Verhalten der Beklagten nur zum willkommenen Anlass genommen, seinen "Abkehrwillen" in die Tat umzusetzen und nunmehr durch die Erklärung der fristlosen Kündigung zu verwirklichen.

RechtsgebietHGBVorschriften§ 86a Abs. 1 HGB