15.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130045
Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 02.10.2012 – 12 U 99/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Karlsruhe, 02.10.2012
12 U 99/12
Die Baurisikoklausel in der Rechtsschutzversicherung (§ 3 Abs. 1 b bb) ARB 2002 erfasst auch Ansprüche auf Schadensersatz wegen angeblich betrügerischer Schädigung des Bauherrn.
Tenor:
1.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22.5.2012 (3 O 12/12) wird zurückgewiesen.
2.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger begehren von der Beklagten Deckungsschutz aus einer Rechtsschutzversicherung.
Die Klägerin zu 1 unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, die den Kläger zu 2 als mitversicherte Person einschließt. Dem Vertrag liegen die ARB 2002 zugrunde, die unter § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 folgende Ausschlussklausel vorsehen:
"Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit der Planung oder Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles, der sich im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindet oder das dieser zu erwerben oder in Besitz zu nehmen beabsichtigt".
Die Kläger erwarben unter Vermittlung von Herrn ... ein Grundstück in ... Mit Vereinbarung vom 14.4.2011 beauftragte der Kläger zu 2 Herrn ... als Inhaber des Büros "...und Projektentwicklung" mit der "Erstellung einer Doppelhaushälfte" auf dem erworbenen Grundstück. Auf Aufforderung des Rohbauunternehmers, der Firma ... GmbH, erteilten die Kläger Herrn ... Vertretungsvollmacht. Bei Vertragsschluss gingen die Kläger davon aus, dass ... die Bauleistungen in eigener Person erbringen werde. Tatsächlich schuldete ... aus der Vereinbarung vom 14.4.2011 lediglich die Erbringung von Planungs- und Betreuungsleistungen. Ohne Kenntnis der Kläger beauftragte ... namens der Kläger die ... GmbH mit den Rohbauarbeiten. Sowohl ... als auch die ...GmbH forderten von den Klägern Teilzahlungen orientiert am Baufortschritt, die von den Klägern bis auf einen Restbetrag aus den Rechnungen der ... GmbH bezahlt wurden. Auf Anfrage der Kläger nach dem Inhalt seiner Leistungspflicht und der Verrechnung der Zahlungen auf die Werkleistung teilte ... mit, das Projekt lediglich geplant und bauleitend begleitet zu haben.
Mit der Begründung, systematisch von .. und dem Geschäftsführer der ...GmbH über den Inhalt der Leistungspflicht von ... getäuscht worden zu sein, ersuchten die Kläger die Beklagte um Bewilligung von Versicherungsschutz zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen ... und den Geschäftsführer der ...GmbH, was die Beklagte unter Hinweis auf die Ausschlussklausel nach § 3 Abs. 1 b) bb) der Versicherungsbedingungen ablehnte.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Ausschlussklausel erfasse nicht die Rechtsangelegenheit, da Gegenstand der Schadensersatzansprüche nicht der bauvertragliche Leistungsaustausch, sondern ein Betrugsgeschehen sei, welches nicht in einem inneren Zusammenhang mit den typischen Risiken der Planung und Erstellung eines Gebäudes stehe.
Die Kläger haben beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, € 6.060,23 nebst Zinsen hierauf von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Kläger zu 1. und 2. zu zahlen;
2.
festzustellen, dass die Beklagte den Klägern zu 1. und 2. gegenüber verpflichtet ist, alle darüber hinausgehenden Kosten aus deren Rechtsstreit gegen Herrn ... und Herrn ... im Zusammenhang mit den Rechnungen des Herrn ... vom 27.05.2011 ("Beginn der Erdarbeiten"), vom 27.05.2011 ("Beginn der Bauarbeiten"), vom 30.06.2011 ("Betonieren der Bodenplatte"), vom 08.07.2011 ("Herstellen der Kellergeschossaußenwände"), vom 15.07.2011 ("Herstellen der Erdgeschossaußenwände") und vom 11.08.2011 ("Abdichten der Kellergeschossaußenwände") zu tragen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, hinsichtlich der von den Klägern angestrebten Schadensersatzklage bestehe ein zeitlicher sowie innerer sachlicher Zusammenhang zu einem nicht versicherten Baurisiko, da die Auslegung und Durchführung der geschlossenen Bauverträge im Streit sei.
Mit Urteil vom 22.5.2012, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, hat das Landgericht die Klage unter Hinweis auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes nach § 3 Abs. 1 b) bb) ARB abgewiesen. Gegenstand der Auseinandersetzung sei die Auslegung der Bauverträge sowie die Frage, ob die Bauleistungen ordnungsgemäß abgerechnet worden seien, womit aber das typische Baurisiko betroffen sei, das nach der Ausschlussklausel vom Versicherungsschutz ausgenommen werde.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen. Das Landgericht habe das maßgebliche Rechtsschutzinteresse der Kläger verkannt, das sich auf einen Betrugsvorwurf stütze und nicht von der Ausschlussklausel umfasst sei. Den Klägern gehe es nicht um die Abwicklung des Vertrages sondern darum, dass Herr ... Leistungen abgerechnet habe, die nicht von ihm, sondern von der Firma ... GmbH erbracht worden seien. Eine Auslegung des Vertrages sei zur Feststellung des Betruges nicht erforderlich. Aber selbst wenn die Feststellung des Betruges von der Auslegung des Vertrages abhinge, erhielte das verfolgte Interesse nicht das Gepräge eines typischen Baurechtsstreits, da es nicht um den bauvertraglichen Leistungsaustausch und typischerweise damit verbundene Störungen gehe. Der allein vorgebrachte Vorwurf des Betruges stehe vielmehr, wie sich aus den Entscheidungen des BGH vom 10.11.1993 (BGH Urt. v. 10.11.1993 - IV ZR 87/93) und vom 19.2.2003 (BGH Urt. v. 19.2.2003 - IV ZR 318/02) ergebe, außerhalb des mit der Baurisikoklausel verfolgten Zwecks.
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die zur Akte gereichten Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte ist den Klägern nicht zur Gewährung von Deckungsschutz aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag verpflichtet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung unter die Ausschlussklausel nach § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 fällt und daher vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.
1. Versicherungsbedingungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch -auf seine Interessen an (BGH VersR 2001, 489 [BGH 21.02.2001 - IV ZR 259/99]; BGH VersR 2003, 454 [BGH 19.02.2003 - IV ZR 318/02]). Bei Risikoausschlussklauseln - wie vorliegend bei § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 der Fall - geht das Interesse des Versicherungsnehmers regelmäßig dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel es gebietet. Ihr Anwendungsbereich darf nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung des wirtschaftlichen Ziels und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (BGH VersR 2001, 489 [BGH 21.02.2001 - IV ZR 259/99]; BGH VersR 2003, 454 [BGH 19.02.2003 - IV ZR 318/02]).
2. Dabei verfolgt die Ausschlussklausel § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 den - auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren - Zweck, die erfahrungsgemäß besonders kostenträchtigen und im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum kalkulierbaren rechtlichen Streitigkeiten um Baumaßnahmen aller Art und die sie unmittelbar begleitenden Vorgänge von der Versicherung auszunehmen, weil nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherungsnehmer ein solches Risiko entstehen kann (BGH VersR 2003, 454 [BGH 19.02.2003 - IV ZR 318/02]).
3. Hinsichtlich ihres sachlichen Anwendungsbereichs stellt die Klausel auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes ab. Maßgebend ist, ob die vom Versicherungsnehmer angestrebte Rechtsverfolgung der Planung und Errichtung eines Gebäudes zuzuordnen ist. Der geforderte Zusammenhang muss dabei nicht nur zeitlich bestehen, sondern es muss darüber hinaus auch ein innerer sachlicher Bezug gegeben sein (BGH VersR 2003, 454 [BGH 19.02.2003 - IV ZR 318/02]). Entscheidend ist dabei die Rechtsnatur des geltend gemachten Rechtsschutzinteresses (BGH VersR 1986, 132 [BGH 16.10.1985 - VIa ZR 49/84]). Dieses muss sich als typisches Baurisiko darstellen. Dafür sind Auseinandersetzungen charakteristisch, die über die anlässlich eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen geführt werden. Es geht um die Wahrung der rechtlichen Interessen, die der Bauherr an der Planung und Errichtung eines mangelfreien Gebäudes hat. Nur das offenbart sich dem verständigen Versicherungsnehmer bei unbefangener Lektüre der streitbefangenen Klausel. Es erschließt sich ihm hingegen nicht, dass er keinen Deckungsschutz für die Durchsetzung von Ansprüchen haben soll, die zu dem Bauvorhaben selbst in keinem unmittelbaren Bezug stehen (BGH VersR 2003, 454).
4. Ausgehend vom verfolgten Rechtschutzinteresse der Kläger und dem Zweck der Ausschlussklausel ergibt die Auslegung, dass die geltend gemachten Schadensersatzansprüche das Baurisiko betreffen und daher vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Der Vorwurf des Betrugs lässt nicht den erforderlichen qualifizierten Bezug zu der Baurisikoklausel entfallen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die dem Betrugsvorwurf zugrundeliegenden Umstände mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes in dem erforderlichen Zusammenhang stehen oder einen die Gebäudeplanung und -errichtung unmittelbar begleitenden Vorgang betreffen.
a. Das Rechtsschutzbegehren der Kläger steht in ursächlichen Zusammenhang mit der Beauftragung des Herrn ... mit der Erstellung und Planung eines Gebäudes durch Vereinbarung vom 14.4.2011 und der ihm erteilten Vollmacht. Die Kläger stützen ihr Schadensersatzbegehren darauf, dass Herr ... sie bei Vertragsschluss sowie bei Abrechnung der Bauleistungen bewusst im Unklaren über den Inhalt seiner Leistungspflicht gelassen hat, wozu der Geschäftsführer der ...GmbH Beihilfe geleistet habe. Ihr Vorwurf einer unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 2BGB i.V.m. § 263 StGB sowie eines Verschuldens bei Vertragsschluss nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB betrifft dabei die bewusste Irreführung über Art und Umfang der Verpflichtung zu Planung und Errichtung eines Gebäudes sowie die Erfüllung dieser Verpflichtungen. Betroffen ist damit aber eine Streitigkeit, die den erforderlichen qualifizierten Bezug zu der Baurisikoklausel aufweist. In diesem Fall wird aber der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung erkennen, dass die beabsichtigte Interessenwahrnehmung vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.
b. Die Baurisikoklausel ist bei verständiger Würdigung der Klausel auch nicht auf Risiken der Abwicklung von Verträgen über Planungs- und Bauleistungen betreffend Gebäude oder Gebäudeteile beschränkt. Vielmehr wird der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer erkennen, dass der innere sachliche Zusammenhang mit dem Interesse des Bauherrn, an der Errichtung und Planung eines mangelfreien Gebäudes auch dann betroffen ist, wenn es schon um die Eingehung einer solchen Verpflichtung zur Errichtung und Planung eines Gebäudes geht und das Rechtsschutzbegehren gerade an den vertraglich festgelegten Inhalt dieser Leistungspflichten anknüpft, indem der Vorwurf erhoben wird, über Art und Umfang der Leistungspflichten getäuscht worden zu sein. Auch soweit die Kläger den Betrugsvorwurf daran knüpfen, Bauleistungen doppelt bezahlt zu haben, betrifft dies einen Vorgang, der die Planungs- und Baumaßnahme unmittelbar begleitet und mit dieser in dem geforderten qualifizierten, bautypischen Zusammenhang steht.
c. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Der Entscheidung vom 19.2.2003 hinsichtlich der Eintrittspflicht der Rechtsschutzversicherung bei Streitigkeiten aus einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds (Urteil v. 19.2.2003 - IV ZR 318/02 - VersR 2003, 454) kann nicht entnommen werden, dass ein innerer Zusammenhang des Rechtsschutzbegehrens mit dem Baurisiko schon dann nicht besteht, wenn ein Betrugsgeschehen den Gegenstand des Rechtsschutzbegehren bildet. Vielmehr wurde in der zitierten Entscheidung ein innerer Zusammenhang mit dem Baurisiko deshalb verneint, weil die dem Betrugsvorwurf zugrundeliegenden Umstände keine Vorgänge betroffen haben, die eine Baumaßnahme unmittelbar begleitet oder mit dieser in einem für Baurisiken charakteristischen Zusammenhang gestanden haben. Der BGH sah nach dem Rechtsschutzbegehren der Erwerber vielmehr das von der Ausschlussklausel nicht umfasste Erwerbsrisiko als betroffen an. Auch nach der Entscheidung vom 11.10.1993 (Urteil vom 11.10.1993 - IV ZR 87/93 - VersR 1994, 44), die den Fall einer arglistigen Täuschung über Eigenschaften des zu bebauenden Grundstücks betraf, ist für den Anwendungsbereich der Baurisikoklausel allein maßgeblich, ob das wahrzunehmende Interesse aus dem Erwerbsvorgang in dem von der Baurisikoklausel geforderten qualifizierten Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes steht.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Zöller Vors. Richter am Oberlandesgericht
Lampel-Meyer Richterin am Oberlandesgericht
Wunderlich Richterin am Landgericht
Verkündet am 02. Oktober 2012