13.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131487
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 26.03.2013 – 9 U 75/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor: Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 29.03.2012 – 24 O 354/11 – abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin aus dem Versicherungsvertrag mit der Vertragsnummer 637.030.0xx.xxx bedingungsgemäßen Kostenschutz für
1. die außergerichtliche Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der T AG (Vertrags-Nr. 64xxxx )gegen die F GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gegen die F2 GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und gegen die D GmbH zu gewähren hat;
2. für das außergerichtliche Schlichtungsverfahren bei Rechtsanwalt E, zur Durchsetzung ihrer Ansprüche im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der T AG (Vertrags-Nr. 64xxxx) gegen die F GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gegen die F2 GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und gegen die D GmbH zu gewähren hat;
3. für die gerichtliche Durchsetzung in I. Instanz im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der T AG (Vertrags-Nr. 64xxxx) gegen die F GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gegen die F2 GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und gegen die D GmbH zu gewähren hat.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
Auf die zulässige Berufung der Klägerin ist das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr für die Interessenwahrnehmung gegenüber den Wirtschaftsprüfern Kostenschutz zu gewähren.
Soweit die Klägerin ihr Feststellungsbegehren in zweiter Instanz erweitert hat, begegnet dies keinen Zulässigkeitsbedenken. Die als Klageänderung zu behandelnde nachträgliche Klagehäufung ist gemäß § 533 ZPO zulässig; sie ist sachdienlich und beruht auf Tatsachen, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung ohnehin zugrunde zu legen hat.
Die Beklagte ist der Klägerin im Rahmen der abgeschlossenen Rechtsschutzversicherung zur Gewährung von Deckungsschutz für die Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer verpflichtet.
1.
Die Klägerin macht gegenüber den Wirtschaftsprüfern Schadensersatzansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen im Rahmen des § 14 Abs. 1 ARB 75 geltend. Diese Interessenwahrnehmung ist gemäß § 26 Abs. 5 a) ARB 75 vom vereinbarten Deckungsumfang umfasst. Der behauptete Verstoß (§ 14 Abs. 1 ARB 75) fällt auch in den versicherten Zeitraum.
2.
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Versäumung der zweijährigen Nachmeldefrist des § 4 Abs. 4 ARB 75 berufen.
a.
Allerdings hat die Klägerin die beabsichtigte Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer der Beklagten erst mit dem Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 28.03.2011 und damit nach Fristablauf gemeldet. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist insoweit nicht auf die Deckungsanfrage vom 14.12.2007 abzustellen. Für die Meldung eines Versicherungsfalles im Sinne des § 4 Abs. 4 ARB 75 reicht es aus, wenn der Versicherungsnehmer einen konkreten Lebenssachverhalt mitteilt und dazu angibt, welche rechtlichen Interessen er insoweit wahrzunehmen beabsichtigt (BGH, NJW 1992, 2233). Die Anfrage vom 14.12.2007 betraf andere rechtliche Interessen als die nunmehr verfolgten, nämlich die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Vorstände und Konzeptanten der H Gruppe. Dass auch eine Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer in Betracht gekommen wäre, konnte die Beklagte dem Schreiben nicht entnehmen.
b.
Der auf die Versäumung der Nachmeldefrist gestützte Einwand der Beklagten verstößt jedoch gegen Treu und Glauben, da die Klägerin an der Fristversäumung kein zurechenbares Verschulden trifft.
Ausschlussfristen in Versicherungsverträgen, die auf die Untätigkeit des Versicherungsnehmers binnen bestimmter Frist abstellen, sind unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben im Interesse des sorgfältigen Versicherungsnehmers einschränkend auszulegen. Der Versicherer kann sich hiernach auf die Versäumung der Ausschlussfrist nicht berufen, wenn den Versicherungsnehmer an der Fristversäumung, was Letzterer zu beweisen hat, kein Verschulden trifft (BGHZ 137, 174; BGH, NJW 1992, 2233; VersR 2011, 1173; st. Rspr.).
aa.
Die Klägerin hat erst mit dem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.03.2011 Kenntnis davon erlangt, dass ihr Schadensersatzansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer zustehen könnten. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Aussagen ihrer zeugenschaftlich vernommenen Bevollmächtigten N. Diese haben glaubhaft bekundet, dass die Mandanten – mit denen, wie auch mit der Klägerin, weit überwiegend schriftlich verkehrt worden sei – erst mit den Ende März 2011 versandten Schreiben über die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer beraten worden seien. Frühere Beratungen hätten zunächst lediglich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die T AG betroffen, im weiteren Verlauf auch die Haftung der Vermittler, Vorstände, Initiatoren und Konzeptanten. Hinreichende Anhaltspunkte für eine erfolgversprechende Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer hätten sich dagegen erst ab Mitte bis Ende 2010 im Zuge der Sichtung umfangreichen Aktenmaterials ergeben.
Da die klägerischen Bevollm ächtigten der Beklagten die beabsichtigte Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer mit Schreiben vom 28.03.2011 gemeldet haben, ist die Nachmeldung auch unverzüglich erfolgt.
bb.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung muss sich die Klägerin die bereits im Laufe des Jahres 2010 eingetretene Kenntnis ihrer Bevollmächtigten nicht nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Die Bevollmächtigten waren vor dem 30.04.2011 im Hinblick auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Wirtschaftsprüfer weder als Wissensvertreter, Repräsentanten noch als Wissenserklärungsvertreter der Klägerin anzusehen.
Wissensvertreter ist, wer in nicht ganz untergeordneter Stellung vom Versicherungsnehmer zumindest in einem Teilbereich damit betraut ist, an dessen Stelle für das Versicherungsverhältnis rechtserhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen (BGH, VersR 2005, 218; Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 28 Rn. 86 ff., m. w. N.). Ein Rechtsanwalt ist nach diesen Grundsätzen als Wissensvertreter des Mandanten anzusehen, wenn dieser ihn mit der Aufklärung des Sachverhalts oder sonst mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber dem Anspruchsgegner beauftragt hat (vgl. zum Verjährungsrecht BGH, NJW 1968, 988; 1989, 2323; 1992, 3034; st. Rspr.; Grothe in: MünchKomm BGB, 6. Auflage, § 199 Rn. 34 m. w. N.; wie hier auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2013, 12 U 157/12, in einer Parallelsache). Mit der Verfolgung der Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer hat die Klägerin ihre Bevollmächtigten unstreitig erst am 30.04.2011 beauftragt. Soweit die Bevollmächtigten zuvor die für eine Haftung der Wirtschaftsprüfer erheblichen Umstände ermittelt haben, ist dies nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme außerhalb der bestehenden Mandatsverhältnisse und im Vorgriff auf erwartete entsprechende Erweiterungen der Mandate geschehen. Angesichts der hohen Anzahl geschädigter Anleger, die von den klägerischen Bevollmächtigten vertreten werden, erscheint eine solche Vorgehensweise auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten plausibel.
Die vom Landgericht angestellte Erwägung, der von der Klägerin erteilte Auftrag sei dahin gegangen, die Wahrnehmung ihrer Interessen unter allen erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, was die Überprüfung einer Inanspruchnahme aller möglichen Schädiger einschließe, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar schuldet der Rechtsanwalt grundsätzlich eine allgemeine, umfassende und möglichst erschöpfende Belehrung des Auftraggebers (BGHZ 171, 261; st. Rspr.). Dies reicht nach den oben genannten Maßstäben jedoch noch nicht aus, um ihn als Wissensvertreter des Mandanten anzusehen. Diese Stellung erlangt er erst, wenn er im Rahmen eines konkreten Mandates mit der Aufklärung des Sachverhaltes oder der Verfolgung von Ansprüchen beauftragt wird.
Die Bevollmächtigten der Klägerin waren hinsichtlich der Verfolgung der Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer auch nicht als deren Repräsentanten anzusehen. Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten und befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutendem Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (BGH, VersR 2005, 218; Prölss, aaO., Rn. 64 ff.). Diese Befugnis kann auch insoweit erst auf der Grundlage eines konkreten Mandatsverhältnisses entstanden sein, das nicht vor dem 30.04.2011 zustande gekommen ist (entsprechend auch OLG Karlsruhe aaO.).
Dementsprechend ist auch eine Einordnung der Bevollmächtigten als Wissenserklärungsvertreter zu verneinen. Mit der Erstattung von Auskünften gegenüber der Beklagten (vgl. Prölss aaO., Rn. 56) sind diese im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Wirtschaftsprüfer erst im Rahmen der betreffenden Mandatserteilung beauftragt worden.
3.
Die Beklagte ist der Klägerin damit zur Gewährung bedingungsgemäßen Kostenschutzes nach § 2 ARB 75 verpflichtet. Dieser umfasst gemäß § 2 Abs. 1 a) ARB 75 auch die im Schlichtungsverfahren angefallenen Kosten der klägerischen Bevollmächtigten (vgl. Bauer in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Auflage, ARB 75 § 2 Rn. 117); die Geschäftsgebühr nach VV RVG Nr. 2303 ist nicht von der Gebühr nach VV RVG Nr. 2300 umfasst. Die Gebühren der Gütestelle hat die Beklagte hingegen nicht zu tragen; diese fallen insbesondere nicht unter § 2 Abs. 1 c) ARB 75, da es sich um kein Schiedsgericht im Sinne dieser Bestimmung handelt (Bauer, aaO. Rn. 116).
III.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 12.299,36 € (Antrag zu 1: 5.271,79 €; Antrag zu 2: 560,26 €; Antrag zu 3: 6.467,31 €).