09.08.2013 · IWW-Abrufnummer 132541
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 08.03.2013 – 20 U 218/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln
20 U 218/12
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 10. Oktober 2012 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 88/12 – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Mitversicherung unter der Versicherungsnummer KV00767xxxx-xxx für die versicherte Person I , geboren am 00. November 1991, wohnhaft: F 15, I2, zum 31. Dezember 2011 erloschen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gr ünde
I.
Zwischen den Parteien besteht eine Krankheitskostenversicherung, in welche der inzwischen volljährige Sohn des Klägers als mitversicherte Person einbezogen wurde. Im November 2011 kündigte die Beklagte dem Kläger an, dass der Beitrag für seinen Sohn wegen der Umstufung auf den Erwachsenentarif zum 01.01.2012 von 180,58 € auf 397,91 € erhöht werde. Daraufhin kündigte der Kläger die Versicherung für seinen Sohn mit Schreiben vom 27.11.2011 zum 31.12.2011. Die Beklagte bestätigte den Eingang des Kündigungsschreibens und teilte dem Kläger mit, dass die Kündigung erst wirksam werde, wenn ein Nachweis über eine Anschlussversicherung des Sohnes vorgelegt werde; bis dahin werde der Vertrag weitergeführt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.12.2011 ließ der Kläger den Anwälten seines Sohnes mitteilen, dass die Beklagte die Kündigung bestätigt habe, und forderte diesen auf, eine neue Versicherung abzuschließen und einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Der Sohn des Klägers schloss in der Folgezeit keinen neuen Krankenversicherungsvertrag ab.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei der Kündigung der Versicherung eines volljährigen Mitversicherten sei kein Nachweis über eine Anschlussversicherung im Sinne von § 205 Abs. 6 VVG erforderlich. Das volljährige Kind sei nicht schutzwürdig, da es sich selber versichern könne. Die Versicherung für seinen Sohn sei erloschen.
Der Kläger hat beantragt,
1 festzustellen, dass die Mitversicherung unter der Versicherungsnummer KV00767xxxx-xxx für die versicherte Person I, geboren am 00.11.1991, wohnhaft: F 15, I2, zum 31.12.2011 erloschen ist;
2 die Beklagte zu verurteilen, an ihn den vorgerichtlichen Gebührenschaden in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.01.2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Kündigung der Versicherung für den Sohn des Klägers sei gemäß § 205 Abs. 6 VVG vom Abschluss und Nachweis einer Anschlussversicherung abhängig. Zudem sei die Kündigung gemäß § 207 Abs. 2 S. 2 VVG unwirksam, da der Kläger sie gegenüber seinem Sohn nicht angezeigt habe.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung sei nicht wirksam geworden, da die Versicherung für den Sohn des Klägers eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfülle und daher gemäß § 205 Abs. 6 VVG erst dann wirksam gekündigt werden könne, wenn eine neue Versicherung abgeschlossen worden sei. § 205 Abs. 6 VVG solle die Beachtung der allgemeinen Versicherungspflicht des § 193 Abs. 3 S. 1 VVG sicherstellen und eine nahtlose Weiterversicherung gewährleisten. Dieses Ziel des Gesetzgebers gelte auch für volljährige Mitversicherte. Dem Versicherer sei auch nicht zuzumuten, im Einzelfall zu überprüfen, ob sein Versicherungsnehmer gegebenenfalls aus unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet sei, die Mitversicherung weiter aufrechtzuerhalten. Ob die Kündigung auch gemäß § 207 Abs. 2 VVG unwirksam sei, könne dahinstehen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Er macht geltend: Zu Unrecht habe das Landgericht das Erfordernis einer Anschlussversicherung bejaht. Der Gesetzeswortlaut des § 193 Abs. 3 S. 1 VVG beziehe sich nur auf den Versicherungsnehmer selbst und die von ihm vertretenen Personen. Zu diesen gehöre sein volljähriger Sohn nicht. Aus dem Zusammenspiel von § 193 und § 207 VVG ergebe sich, dass die Wirksamkeit der Kündigung einer Mitversicherung lediglich davon abhänge, dass die versicherte Person von der Kündigung in Kenntnis gesetzt werde. Anderenfalls wäre auch nicht ersichtlich, welchen Anwendungsbereich § 207 Abs. 2 VVG noch haben sollte. Auf das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und versicherter Person komme es nicht an.
Die Beklagte verteidigt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.
Die Kündigungserklärung vom 27.11.2011 hat die auf den Sohn des Klägers genommene Krankenversicherung mit Wirkung zum 31.12.2011 gemäß § 205 Abs. 4 VVG wirksam beendet. Die Wirksamkeit der Kündigung hängt nicht gemäß § 205 Abs. 6 VVG von dem Nachweis ab, dass der Sohn des Klägers bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist.
1.
Gemäß § 205 Abs. 6 VVG kann der Versicherungsnehmer eine Versicherung, die eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, nur dann kündigen, wenn er bei einem anderen Versicherer für die versicherte Person einen neuen Vertrag abschließt, der dieser Pflicht genügt.
Die Regelung stellt die Beachtung der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG sicher (Voit in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 205 Rn 42). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Versicherte über einen nahtlos angrenzenden Versicherungsschutz verfügen, wenn er seinen bisherigen Vertrag kündigt (vgl. Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu Art. 43 (§178a) GKV-WSG, Bundestagsdrucksache 16/4247, S. 68).
a.
Ob die Pflicht zum Nachweis einer Anschlussversicherung gemäß § 205 Abs. 6 VVG auch für volljährige Mitversicherte gilt, die nicht durch den Versicherungsnehmer gesetzlich vertreten werden, wurde bisher – soweit ersichtlich - nicht höchstrichterlich entschieden. In der Instanzrechtsprechung und Teilen der Literatur wird vertreten, dass für volljährige Mitversicherte eine Nachweispflicht nicht bestehe, da § 193 Abs. 3 S. 1 VVG die Verpflichtung zum Abschluss und zum Aufrechterhalten einer Krankheitskostenversicherung ausdrücklich auf den Versicherungsnehmer selbst sowie auf gesetzlich von diesem vertretene Personen beschränke. Der volljährige Mitversicherte sei in der Lage, für sich selber eine neue Versicherung abzuschließen, und auch vor dem Hintergrund des Fortsetzungsrechtes aus § 207 Abs. 2 VVG nicht schutzwürdig (LG Stuttgart NJW-RR 2012, 1390; LG Hagen ZfSch 2011, 40; dem folgend: Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl., § 205 Rn 22). Dagegen wird eingewandt, dass die volljährige mitversicherte Person durch die Mitversicherung regelmäßig ihre eigene Versicherungspflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfülle. Da § 205 Abs. 6 VVG nicht dem Schutz des Mitversicherten, sondern der Sicherstellung des nahtlosen Versicherungsschutzes diene, bestehe die Pflicht zum Abschluss und Nachweis einer Anschlussversicherung auch für den Fall, dass der Versicherungsnehmer die Versicherung eines volljährigen Mitversicherten kündigen wolle (Rogler in jurisPR-VersR 3/11 Anm. 3).
b.
Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung. Allerdings kann die Entbehrlichkeit des Nachweises einer Anschlussversicherung für den volljährigen Mitversicherten nicht daraus abgeleitet werden, dass diesen die Versicherungspflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG nicht treffe (so aber wohl LG Hagen und LG Stuttgart jeweils a.a.O.). Die Versicherungspflicht bezieht sich nicht nur auf den Versicherungsnehmer und die von ihm gesetzlich Vertretenen, sondern auf jede Person, die dem Anwendungsbereich des § 193 Abs. 3 VVG unterfällt. Da die Versicherungspflicht nicht nur durch den Abschluss eines eigenen Versicherungsvertrages, sondern auch durch eine Mitversicherung als versicherte Person erfüllt werden kann (Voit a.a.O. § 193 Rn 9), dient bei einem volljährigen Mitversicherten die Versicherung regelmäßig der Erfüllung der eigenen Pflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG (vgl. Rogler a.a.O.).
Indes ist der Senat der Auffassung, dass der Versicherungsnehmer bei der Kündigung einer Versicherung, durch welche die versicherte dritte Person ihre eigene Versicherungspflicht erfüllt, nicht der Einschränkung des Kündigungsrechts aus § 205 Abs. 6 VVG unterliegt. Dafür spricht schon der Gesetzeswortlaut. Gemäß § 205 Abs. 6 VVG kann der Versicherungsnehmer die Versicherung nur dann kündigen, wenn er bei einem anderen Versicherer für die versicherte Person einen neuen Vertrag abschließt. Zum Abschluss eines neuen Vertrages für die versicherte Person ist der Versicherungsnehmer aber nur in der Lage, wenn er diese gesetzlich vertritt. Ist der Mitversicherte volljährig, verfügt der Versicherungsnehmer nicht über die erforderliche Vertretungsmacht. Hat der Versicherungsnehmer es aber nicht in der Hand, für die versicherte Person einen neuen Krankenversicherungsvertrag abzuschließen, kann der Abschluss eines solchen Vertrages nicht zur Voraussetzung für die Kündigung der (Mit-)Versicherung gemacht werden.
Abgesehen davon, dass das Gesetz dem Versicherungsnehmer nicht etwas rechtlich Unmögliches abverlangen darf, wäre der Versicherungsnehmer für den Fall, dass die versicherte Person nicht bereit ist, von sich aus einen neuen Vertrag abzuschließen, gezwungen, das Vertragsverhältnis (dauerhaft) weiterzuführen. Insbesondere im Hinblick auf die den Versicherungsnehmer treffende Beitragspflicht läge hierin ein gravierender Eingriff in seine Dispositionsfreiheit. Dieser Eingriff kann auch nicht mit dem gesetzgeberischen Ziel gerechtfertigt werden, einen nahtlos angrenzenden Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Die versicherte Person hat im Falle der Kündigung der Mitversicherung durch den Versicherungsnehmer gemäß § 207 Abs. 2 VVG das Recht, das Versicherungsverhältnis als Versicherungsnehmer fortzusetzen. Nicht zuletzt durch den Sanktionsmechanismus von § 193 Abs. 4 VVG wird ein hinreichender Anreiz dafür gesetzt, dass der volljährige Mitversicherte entweder dieses Fortsetzungsrecht in Anspruch nimmt oder zur Erfüllung seiner Versicherungspflicht einen neuen Versicherungsvertrag abschließt. Dass durch § 205 Abs. 6 VVG das Recht des Versicherungsnehmers zur Kündigung einer Versicherung eingeschränkt werden soll, durch die nicht er, sondern die versicherte Person ihre Versicherungspflicht erfüllt, kann vor diesem Hintergrund nicht angenommen werden.
c.
Ob der Kläger unterhaltsrechtlich verpflichtet ist, im Innenverhältnis zu seinem Sohn für dessen Krankenversicherungsschutz aufzukommen, ist für die Wirksamkeit der Kündigung der Versicherung gegenüber der Beklagten ohne Relevanz. Zwar kann ein Rechtsgeschäft im Grundsatz auch wegen der Benachteiligung eines Dritten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigung des Versicherungsvertrages in der Absicht einer sittenwidrigen Schädigung des Sohnes erfolgt ist, sind aber weder dargetan noch sonst ersichtlich.
2.
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Kündigung sei gemäß § 207 Abs. 2 S. 2 VVG unwirksam, weil der Sohn des Klägers von dieser keine Kenntnis erlangt habe. Jedenfalls durch das Schreiben vom 08.12.2011 an die Anwälte des Sohnes wurde dieser noch vor ihrem Wirksamwerden (vgl. Voit a.a.O. § 207 Rn 15) über die Kündigung der Krankenversicherung informiert.
3.
Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen steht dem Kläger nicht zu. Als Ersatz des Verzögerungsschadens gemäß §§ 280 Abs. 1, 286 BGB (vgl. Grüneberg, Palandt, BGB, 72. Aufl., § 280, Rn. 13) kann ein solcher Anspruch nicht geltend gemacht werden, da keine Leistungspflicht bestand, mit der die Beklagte in Verzug geraten ist. Dass die Beklagte einen Nachweis über eine Anschlussversicherung gefordert und den Vertrag trotz der wirksamen Kündigung weitergeführt hat, verpflichtet sie auch nicht aus anderen Gründen zum Schadensersatz. Zwar verletzt eine Vertragspartei, die von der anderen etwas verlangt, das nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, regelmäßig ihre Pflichten zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB und handelt im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB pflichtwidrig (BGH NJW 2009, 1262). Zu vertreten hat die Vertragspartei diese Pflichtwidrigkeit aber nur dann, wenn sie ihre Rechtsposition nicht als plausibel ansehen durfte (BGH a.a.O.). Da die Frage, ob gemäß § 205 Abs. 6 VVG auch für den volljährigen Mitversicherten ein Nachweis über eine Anschlussversicherung beizubringen ist, soweit ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschieden ist und in Rechtsprechung und Literatur auch nicht einheitlich beurteilt wird, konnte die Beklagte ihre Rechtsposition als plausibel ansehen. Mithin scheidet eine Schadensersatzpflicht der Beklagten mangels Verschuldens aus.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Ob gemäß § 205 Abs. 6 VVG auch die Kündigung der Versicherung eines volljährigen Mitversicherten den Abschluss und Nachweis einer Anschlussversicherung voraussetzt, ist von grundsätzlicher Bedeutung und bedarf der höchstrichterlichen Klärung.
Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz und – in Abänderung der landgerichtlichen Streitwertfestsetzung vom 10.10.2012 – auch für die erste Instanz auf 16.712,22 € festgesetzt. Wertbestimmend für den Antrag auf Feststellung des Erlöschens der Mitversicherung zum 31.12.2011 ist analog § 9 ZPO der 3 1/2fache Jahresbeitrag. Maßgeblich ist indes nicht der vom Landgericht zugrunde gelegte, bis zum 31.12.2011 geltende Beitrag von 180,58 €, sondern der erhöhte Beitrag von 397,91 €, der ab dem 01.01.2012 zu zahlen war und den Kläger zur Kündigung veranlasst hat (397,91 € x 42 = 16.712,22 €).